Kubas Wirtschaftsaktualisierungen in der Praxis: Ein kritischer Blick auf den Kooperativismus

Kuba verändert sich. Vor allem durch Wirtschaftsreformen macht der Inselstaat in den letzten Jahren auch in deutschen Medien von sich reden, deren Meldungen nicht selten suggerieren, dass Kubas Ökonomie sich Schritt für Schritt in Richtung Kapitalismus entwickle. Eine tragende Säule der Wirtschaftsaktualisierungen, die diese Vermutung bekräftigt, ist die verstärkte Förderung sogenannter Kooperativen als alternative zu staatlicher Beschäftigung. Dabei handelt es sich um eigenständige Betriebe, die weitgehend unabhängig agieren können. Nur – was ist eigentlich die Idee des Konzepts der Kooperativen und vor allem: Welche Chancen, Risiken und Notwendigkeiten erwirken sie perspektivisch für die kubanische Volkswirtschaft und die Menschen?

Neue Beschäftigungsformen in Kuba

Auf der Suche nach Informationen über die Wirtschaftsaktualisierungen in Kuba ist in vielen deutschen Medien häufig der Verweis auf die ca. 500.000 ehemals staatlich Beschäftigten zu finden, die seit 2011 in die Privat- bzw. Kooperativwirtschaft ausgegliedert worden sind (vgl. Lehmann 2014). Wenig wird jedoch darüber berichtet, wie sich diese sogenannte Teilöffnung der kubanischen Wirtschaft konkret auf die Arbeitsbedingungen der Menschen auswirkt und in welchen Verhältnissen diese nun arbeiten. Im Groben kann in Kuba heute zwischen drei Beschäftigungsformen unterschieden werden. Die erste Gruppe lohnarbeitender Menschen, die auch nach den Reformen den größten Anteil abhängig Beschäftigter in sich vereint, sind Staatsangestellte. Sie erhalten je nach Beruf die entsprechende staatlich festgelegte Vergütung, die im Durchschnitt 584 kubanische Pesos (2014) (etwa 24 US-Dollar) beträgt (vgl. ONEI 2015: 173). Die zweite Gruppe sind die sogenannten „Cuentapropistas“, die nach deutschen Begrifflichkeiten am ehesten mit Selbstständigen zu vergleichen sind und eigene, steuerpflichtige Gewerbe betreiben. 2014 gab es in Kuba etwa 467.000 Cuentapropistas, für die eigens ein neuer Wirtschaftssektor für Besteuerung, Sozialversicherung und Gewerkschaften geschaffen worden ist (vgl. Hermsdorf 2015: 60). Sie arbeiten vor allem im Transportgewerbe, vermieten Wohnungen oder produzieren und Verkaufen Lebensmittel in Restaurants oder Cafeterien (vgl. Lehmann 2014).

Die dritte Gruppe – und diese steht im Fokus dieses Artikels – sind Mitarbeiter*innen in sogenannten Kooperativen. Dies sind Unternehmen, die sich vollständig in privater Hand befinden und entweder in Absprache mit dem sozialistischen Wirtschaftsplan oder sogar unabhängig davon agieren können. Nichtsdestoweniger müssen auch Kooperativen bestimmten Vorgaben entsprechen, die gesetzlich definiert sind. Im Wesentlichen besagen diese, dass nicht eine Einzelperson, sondern alle Mitglieder einer Kooperative gemeinsam das vollständige Eigentum an den Produktionsmitteln, also Anlagen, Werkzeugen etc. zu gleichen Teilen besitzen. (Eine umfassende Darstellung der Merkmale sowie der Geschichte der Kooperativen ist in Hannos Artikel zu finden ). Vor allem im landwirtschaftlichen Sektor spielen Kooperativen eine große Rolle. Kuba, das seit der Kolonialzeit auf Monokultur zugunsten der Zuckerproduktion setzen musste, sieht sich im Besonderen seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem damit verbundenen Wegfall von 75 Prozent aller Außenhandelsbeziehungen mit der Situation konfrontiert, auch heute noch in sehr großen Ausmaß (etwa 70 Prozent) von Nahrungsmittelimporten abhängig zu sein (vgl. Tittor: 30ff.).

Die Idee des Kooperativismus: Selbstbestimmung und wirtschaftliche Entwicklung

Zur Lösung dieses Problems tragen Kooperativen einen wesentlichen Anteil bei, wie anhand der sogenannten Organopónicos zu beobachten ist. Hierbei handelt es sich um landwirtschaftliche Produktionsanlagen, die innerhalb des Stadtgebiets pflanzliche und tierische Produkte sowie Medikamente unter der Prämisse ökologischer Nachhaltigkeit herstellen. Ein Musterbeispiel hierfür ist das „Organopónico Vivero Alamar“[1] in der Nähe von Havanna, das nicht nur Nahrungsmittel für die umliegenden städtischen Gebiete produziert, sondern auch umliegende Krankenhäuser, Altenheime und Kindertagesstätten versorgt. Einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten ist obligatorisch für Kooperativen und als gesetzlich definiertes Merkmal notwendige Voraussetzung für ihre Existenz (vgl. Jessen et al. 2015). Mithilfe dieser und anderer Vorgaben werden Rahmenbedingungen geschaffen, die nicht die Profitmaximierung, sondern die Förderung des Gemeinwohls in den Fokus der unternehmerischen Tätigkeiten rücken sollen.

Hierzu gehört auch – und dieses Merkmal ist entscheidend für die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter*innen – die demokratische Organisation der Betriebe. Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass auf eine effizienzorientierte Arbeitsteilung verzichtet wird: In der Kokosnusskooperative „Cane“ in Baracoa, einer Stadt im Osten Kubas, muss etwa der*die Arbeitsdirektor*in mit der Hauptverantwortung der Koordination der Arbeit mit einer Mehrheit von 75 Prozent gewählt werden. Zudem hat er*sie zu akzeptieren, jederzeit wieder abgewählt werden zu können (vgl. Sparrer 2015: 65f.). Ferner entscheiden alle Mitarbeiter*innen im Dialog miteinander, was produziert wird und wie produziert wird; sie legen ihre Arbeitszeiten selbst fest und bestimmen gemeinsam ihre Ertragsziele. Aufgrund dieses hohen Grades an Partizipation werden die Mitglieder einer Kooperative auch nicht Mitarbeiter*innen oder Beschäftigte, sondern Soci@s genannt.[2]

Freiverkaufsstand des „Organopónico Vivero Alamar“
Freiverkaufsstand des „Organopónico Vivero Alamar“

Diese demokratischen Organisationsprinzipien sind auch anhand zweier weiterer Landwirtschaftskooperativen auf der Isla de la Juventud beobachtbar, einer kleinen Insel im Süden Kubas, die von einigen Teilnehmer*innen des Proyecto Tamara Bunke im November 2016 besucht worden ist. Die Landwirtschaftskooperative „Grito de Baire“ besteht aus mehreren Kleinbetrieben, die unter anderem Milchprodukte, Fleisch sowie in städtischem Umfeld Kräuter und medizinische Pflanzen produzieren. Die Stärke auch dieser Kooperative besteht mitunter darin, die Arbeit aufeinander aufbauender Kleingewerbe möglichst effizient zu vernetzen. Die 130 dort arbeitenden Soci@s finden sich hierzu einmal im Monat zusammen, um gemeinsam die gegenseitige Unterstützung der einzelnen Betriebe, die wie Zahnräder ineinandergreifen, zu koordinieren. Pestizidbeschaffung, Aufbereitung der Pflanzenerde, Transport  von Waren und Verkauf – all dies könnte ein einzelner Standort, wie etwa ein Kräutergarten, der von lediglich einem Ehepaar betrieben wird, nicht allein bewältigen. Auch der Gewinn, den die Soci@s sich selbst auszahlen, ist Gegenstand demokratischer Entscheidungen. Hierzu gehört auch das Vergütungsmodell, anhand dessen vor allem die zum weiteren Verständnis wichtige Tatsache zu erkennen ist, dass es nicht die eine Kooperative gibt, sondern jedes dieser Unternehmen abseits der obligatorischen Merkmale Entscheidungen souverän treffen kann. Selbstverständlich bringt diese unternehmerische Freiheit jedoch auch Risiken und Probleme mit sich, wie sie auch aus Privatunternehmen im Kapitalismus bekannt sind.

Teilnehmende des Proyecto Tamara Bunke besuchen die Kooperative „Grito de Baire“

Gehaltsunterschiede und Leistungslohn

In der Schweinezucht-Kooperative „Porci Porrito“ auf der Isla de la Juventud arbeiten fünf Soci@s, die den Gewinn am Ende des Monats gleichmäßig unter sich aufteilen. Monatlich kommen pro Person bis zu 8000 Pesos brutto zusammen, was selbst nach Abzug von etwa 45 Prozent Steuern und Reinvestitionen für die Kooperative im Vergleich zum oben genannten Durchschnittsgehalt in Kuba sehr viel ist. Bei Porci Porrito arbeiten jedoch neben den fünf Soci@s auch noch zwei Angestellte, die keine Mitglieder der Kooperative sind und somit auch kein Partizipationsrecht besitzen. Ihr monatliches Gehalt liegt bei 500 Peso und alle sechs Monate erhalten sie zusätzlich etwa 90 Kg Schweinefleisch. Was nun gemessen am Durchschnittseinkommen[3] der Kubaner*innen wie sehr wenig Geld klingt, muss anhand der deutlich geringeren Lebenshaltungskosten auf der Isla de la Juventud zunächst relativiert werden. Nichtsdestoweniger ist der Unterschied des Gehalts eines Soci@s und eines Angestellten alles andere als von der Hand zu weisen, zumal das Angestelltenverhältnis als Nicht-Soci@ sowohl in Kooperativen als auch bei Cuentapropistas durchaus keine Ausnahme ist: Wie Tabelle 1 entnommen werden kann, ist die Zunahme nicht-staatlicher Beschäftigung evident. Auffällig ist, dass vor allem der Anteil Angestellter am gesamten Beschäftigungsaufkommen zwischen 2011 und 2014 am stärksten gewachsen ist.

Tabelle 1: Anteile staatlicher und nicht-staatlicher Beschäftigungsformen

Beschäftigungsverhältnis20112014
Soci@s in Kooperativen4,17%4,66%
Selbstständige (Cuentapropistas)7,81%9,73%
Angestellte (Koop. und Cuentapr.)10,72%13,35%
Staatsangestellte77,30%72,60%

Quelle: Eigene Berechnungen auf Grundlage des Statistischen Jahrbuchs Kubas 2014 (vgl. ONEI 2015: 171)

Auch hinsichtlich der Vergütungsmodelle, mit denen sich die Soci@s einer Kooperative selbst ihr Gehalt auszahlen, verbergen sich gegenüber einer pauschalen staatlichen Bezahlung potenzielle Risiken. Diese Modelle sind von Kooperative zu Kooperative sehr unterschiedlich. In „Cane“ zahlen sich alle Soci@s monatlich eine Art Vorschuss aus, der mit der Jahresendabrechnung abgeglichen wird. Der darüber hinaus erwirtschaftete Gewinn wird anschließend verteilt (vgl. Jessen et al. 2015). Im „Organopónico Vivero Alamar“ erhalten alle Soci@s ebenfalls einen monatlichen „Mindestlohn“; dieser wird jedoch um eine leistungsorientierte Komponente erweitert. Erwirtschaftet ein*e Soci@ mehr – das heißt: wird mehr gearbeitet, als im Mindestmaß festgelegt wurde – so kann sich am Ende selbst auch mehr ausgezahlt werden. Solche leistungsorientierten Vergütungen sind auch in vollkapitalistischen Unternehmen nicht unüblich. Ein Modell kann beispielsweise vorsehen, dass je nach Bewertung des Vorgesetzten monatlich eine entsprechende Leistungszulage ausgezahlt wird. Mit diesem Mittel wird versucht, materielle Anreize zu setzen und die Beschäftigten auf diese Weise zu höheren Leistungen zu bewegen.

Abseits des landwirtschaftlichen Sektors, im Fall einer Dienstleistungskooperative, die die Buchhaltung für staatliche Abnehmer*innen anbietet, ist der Lohn, den sich die Soci@s auszahlen, sogar vollständig an deren Leistung gekoppelt. In einem ausführlichen Gespräch zwischen einigen Teilnehmer*innen des Proyecto Tamara Bunke mit Lázaro,[4] einem*r Soci@ dieser Kooperative, kam zur Sprache, dass jede*r Soci@ für seine eigene Kundenakquise selbst verantwortlich ist. Pro Kund*in gibt es Einnahmen, die er*sie sich auszahlen kann. Mit diesem Vergütungsmodell ist der Leistungslohn in seiner Idee auf die Spitze getrieben. Natürlich gibt es eine Fürsorge im Krankheitsfall und weitere Maßnahmen zur sozialen Absicherung; die Situation darf jedoch dennoch als durch aus prekär bezeichnet werden. Lázaro hat allerdings auch die Extremsituation eines*r Soci@s beschrieben, der aus freier Entscheidung dauerhaft nur einen einzigen Kunden betreut habe. So wenig das im Verhältnis zu anderen Soci@s ist, die drei oder mehr Kunden betreuen auch sein mag, sei die wirtschaftliche Existenz des Kollegen jedoch nicht bedroht. Es bleibt also offen, ob diese rigorose Form der Schaffung materieller Anreize letztlich überhaupt ein reales Problem darstellt.

Marktkonkurrenz und Interessenvertretung

Trotz dieser kritischen Aspekte sind die Vorteile von Kooperativwirtschaft zahlreich: Organopónicos versorgen umliegende Stadtgebiete, Transportkooperativen unterstützen nachfrageorientiert schlecht versorgte Buslinien und Kreditvergabekooperativen stellen einen Grundstock zur Finanzierung neuer Betriebe bereit. Mindestens ebenso bedeutsam sind bestimmte Dienstleistungskooperativen in der Steigerung der Technologieentwicklung bzw. Innovationsfähigkeit, etwa in der Informatik- oder der Pharmabranche. Hier werden unter eigenständiger Verwaltung von Ressourcen neue Produkte entwickelt, die als Exportwaren die Wettbewerbsfähigkeit Kubas auf dem internationalen Markt perspektivisch verbessern. (Obwohl die Bedeutung nicht-landwirtschaftlicher Betriebe in der Kooperativwirtschaft 2014 mit einem Anteil von 2,38% aller Kooperativen noch immer marginal war, nahm auch diese im Vergleich  zu 2012 (0%) merklich zu (vgl. ONEI 2015: 171).

Unter der demokratischen Prämisse können zudem für Soci@s weitgehend gute Arbeitsbedingungen gewährleistet werden; ihre damit verbundene Einbindung in den kontinuierlichen Verbesserungsprozess eben dieser sowie der herzustellenden Produkte und ihrer Entwicklung kann zudem die Effizienz und die Arbeitszufriedenheit steigern (vgl. Heß 2015: 64). Einfach gesagt: Bürokratische Hürden werden abgebaut und die direkte Einflussnahme der Beschäftigten auf ihre eigenen Arbeitsbedingungen wird erhöht. Trotz all dieser Aspekte drängt sich jedoch angesichts des Angestelltenverhältnisses und des Prinzips des Leistungslohns die Frage nach dem Schutz derjenigen Menschen auf, die in ihrer Erwerbsarbeit nicht mehr die Privilegien staatlicher Beschäftigung in Anspruch nehmen. Die Folgen von Konkurrenz zwischen kooperativwirtschaftlichen Betrieben könnten ja denkbar ähnliche sein, wie man sie aus privatwirtschaftlichen Verhältnissen im Kapitalismus kennt. Welche Konsequenzen müssen abhängig Beschäftigte in Kooperativen also absehbar tragen, wenn marktwirtschaftliche Verhältnisse einen Betrieb zum Sparen zwingen?

Lázaro hatte hierzu eine Antwort: Ein gesättigter Markt, der von zwei Kooperativen derselben Branche gleichzeitig bearbeitet wird, existiere in Kuba nicht. Die Ursache hierfür sei vor allem, dass der Markt für landwirtschaftliche Güter nicht gesättigt sei und Kooperativen im Dienstleistungsbereich noch kaum vorhanden, sodass sie sich untereinander auch dort nicht in die Quere kämen. Für die also (noch) hypothetische Konkurrenzsituation seien allerdings mehrere Lösungen denkbar. So könne der Staat Kooperativen erneut stärker an den Wirtschaftsplan binden und je Betrieb etwa eine maximale Produktionsmenge vorschreiben, die direkt an die Anzahl der Beschäftigten gebunden ist. Eine andere Möglichkeit sei die Festlegung der Verkaufspreise bestimmter Produkte, um einen Preiskampf zu verhindern und damit Lohndrückerei und Überproduktion entgegenzuwirken.

Trotz dieser Perspektiven staatlicher Intervention zur Verhinderung nachteiliger Ausprägungen kapitalistischer Produktionsverhältnisse darf vermutet werden, dass gerade angesichts der Vielfalt der Arbeitsorganisation in unterschiedlichen Kooperativen auch pauschale Regulierungen nicht sämtliche Risiken ausschließen können. Dies betrifft vor allem die Arbeitsvergütung durch Leistungsentgelt, welches die Gefahr birgt, vor allem die zeitliche Entgrenzung von Arbeit zu fördern (vgl. Heß 2015: 63f.); und des Weiteren die Wahrung der Interessen von Angestellten, die als Nichtmitglieder in Kooperativen zwar an demokratischen Versammlungen teilnehmen können, aber nicht stimmberechtigt sind und somit hinsichtlich ihrer Arbeitsbedingungen und Gehältern von den Entscheidungen der Soci@s abhängig sind (vgl. Chang 2009: 10). Auch gesetzliche Vorschriften werden damit stehen und fallen, die Kapazitäten zu besitzen, ihre Einhaltung zu kontrollieren. Kuba wird also in den nächsten Jahren seiner ersten Erfahrungen mit Privat- und Kooperativwirtschaft in diesem Ausmaß möglicherweise nicht darum herumkommen, die Interessen von Beschäftigten auch außerhalb staatlich-zentralistischer Organe, nämlich direkt in den Betrieben vertreten zu lassen. Die Grundsteine hierfür sind gelegt: Gewerkschaften sind in Kuba einflussreiche Institutionen, die in Kooperation mit dem Staat die Arbeitsbedingungen mitgestalten. Im Jahr 2014 wurden auf diese Weise etwa die Gehälter von Ärzt*innen, Krankenpfleger*innen und weiteren staatliche Beschäftigten im Gesundheitsbereich um durchschnittlich knapp 100 Prozent gesteigert[5] (vgl. Hermsdorf 2015: 63f., vgl. CH 2014). Selbst in der Betriebsführung und im Staatshaushalt haben Gewerkschaften prinzipiell mitzureden.

Fazit

Die Kooperativwirtschaft scheint also ein Kompromiss zu sein, der besonders hinsichtlich der Arbeitsbedingungen von Angestellten Fragen aufwirft. Bei aller Kritik am Konzept muss insgesamt jedoch anerkannt werden, dass Kuba mit der gezielten Förderung von Kooperativen einen notwendigen Schritt geht – nicht zur Rückkehr zum Kapitalismus, sondern zur Schaffung der Voraussetzung für eine Beibehaltung des Kurses zum Aufbau des Sozialismus. Kuba ist als weltweit einziges Land mit seinem speziellen Weg zu einer humanistischen Systemalternative praktisch allein, leidet seit Jahrzehnten unter der US-Wirtschaftsblockade sowie der Spezialperiode nach dem Fall der UdSSR und befindet sich auf dem Weltmarkt gezwungenermaßen in kapitalistischer Konkurrenz. Auch Kuba muss wirtschaftlich handeln und kann es sich nicht leisten, auf Dauer rote Zahlen zu schreiben, wie dies in einigen staatlichen Betrieben im Besonderen vor der verstärkten Förderung der Kooperativen der Fall gewesen ist. Schon Lenin verwies in seinem Ansatz der sogenannten „Neue[n] ökonomischen Politik“ bereits auf die mögliche Notwendigkeit, während des Aufbaus des Sozialismus in einem Land marktwirtschaftliche Kompromisse eingehen zu müssen, um die Errungenschaften des Sozialismus – Bildung, Gesundheit, Kultur – nicht in ihrer Existenz zu gefährden. Wie Kuba mit den Risiken der Privat- und Kooperativwirtschaft umgehen wird, ist allerdings eine durchaus systemrelevante Frage und wird in den nächsten Jahren von politischen Entscheidungen und nicht minder von der Rolle der Gewerkschaften abhängig sein.

Quellen:

  • Chang, B. M. (2009). El Comercio justo dentro de la agricultura cubana. Centro de investigaciones Memoria Popular Latinoamericana: Ciudad de La Habana.
  • Hermsdorf, V. (2015). Havanna. Kultur – Politik – Wirtschaft. 1. Aufl., Ossietzky-Verlag, Dähre.
  • Heß, K. (2015). Leistungslohn und Gewerkschaften. In: Informationsbüro Nicaragua e.V. (Hrsg.) (2015). Rum oder Gemüse? Landwirtschaft in Kuba und Nicaragua zwischen Ernährungssouveränität, Kooperativen und Weltmarkt. Originalausgabe, Nahua script 16, Wuppertal.
  • Jessen, L., Heß, K., Sparrer, U., Stern, F. (2015). Ron o verduras? La agricultura en Cuba y Nicaragua entre la soberania alimentaria, las cooperativas y el mercado mundial. (Film)
  • Lehmann, K. (2014). Kuba privatisiert mehr als 7.000 Restaurants. Amerika 21, 09.10.2015. URL: https://amerika21.de/2014/10/108397/privatisierung-restaurants – letzter Zugriff: 29.11.2016.
  • Oficina Nacional de Estadística e Información (ONEI) (Hrsg.) (2015). Anuario Estadístico de Cuba 2014. Edición 2015, La Habana.
  • Sparrer, U. (2015). Mit der Kokosnuss in eine bessere Zukunft. In: Informationsbüro Nicaragua e.V. (Hrsg.) (2015). Rum oder Gemüse? Landwirtschaft in Kuba und Nicaragua zwischen Ernährungssouveränität, Kooperativen und Weltmarkt. Originalausgabe, Nahua script 16, Wuppertal.
  • Tittor, A. (2015). Zur Situation der schwarzen Bevölkerung in Kubas Landwirtschaft. In: Informationsbüro Nicaragua e.V. (Hrsg.) (2015). Rum oder Gemüse? Landwirtschaft in Kuba und Nicaragua zwischen Ernährungssouveränität, Kooperativen und Weltmarkt. Originalausgabe, Nahua script 16, Wuppertal.

[1] Internetpräsenz: farmcuba.org

[2] Socios (männlich) + Socias (weiblich) = Soci@s, span.: Mitglied/Partner*in, in Kuba auch: Freund*in

[3] Der Durchschnittslohn in Kuba lag 2014 bei 584 Peso (vgl. ONEI 2015: 173).

[4] Name geändert

[5] Wichtig zu wissen ist hierbei, dass Gewerkschaften in Kuba nicht wie in Deutschland dem Arbeitgeber, in Kuba also dem Staat, in einem antagonistischen Klassenverhältnis gegenüberstehen, sondern vielmehr gemeinsam mit dem Staat als gleichzeitiger Arbeitgeber und politischem Interessenvertreter der arbeitenden Bevölkerung Veränderungen der Arbeitswelt entwickelt und beschließt. Gehälter werden auf diese Weise ebenso festgelegt wie Arbeitsschutzmaßnahmen oder Arbeitszeitregeln.

Dieser Artikel ist von Maximiliano. Hier geht es zu weiteren Artikeln von ihm.

2 Gedanken zu „Kubas Wirtschaftsaktualisierungen in der Praxis: Ein kritischer Blick auf den Kooperativismus“

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