Kuba ermöglicht es Jugendlichen aus aller Welt, in Havanna kostenfrei Medizin zu studieren
Dieser Artikel erschien am 22.07.2015 im ALBA-Spezial der jungen Welt.
Es sind 30 Grad in der alten Kolonialvilla in Havanna. Wir fächern uns Luft zu, während sich der Raum, in dem wir in einem Stuhlkreis sitzen, weiter füllt. Wir sind nervös, doch schließlich sind mehr als 30 Jugendliche aus zwölf verschiedenen Ländern unserer Einladung gefolgt. Wir hatten sie vor einigen Wochen während unseres Studiums in der kubanischen Hauptstadt kennengelernt, und es entstand die Idee, sich Zeit für eine internationale Gesprächsrunde zu nehmen. Uns beschäftigte die Frage, warum so viele junge Menschen aus allen Teilen der Welt auf Kuba studieren wollen, und wie die politische Lage in ihren Ländern aussieht.
Es wird ruhig. Héctor aus Chile ergreift das Wort. Er begrüßt uns und erklärt, dass fast alle der Anwesenden an der Lateinamerikanischen Hochschule für Medizin (ELAM) studieren. »Die Schule wurde 1999 von Fidel Castro gegründet. Mittlerweile haben mehr als 24.000 junge Menschen aus über 80 verschiedenen Ländern an dieser Schule ihr Medizinstudium absolviert. Alle kommen aus einfachen sozialen Verhältnissen und müssen für das komplette Studium keinen Peso bezahlen«, erläutert Héctor auf Nachfrage. Dieses kubanische Bildungsmodell sucht weltweit seinesgleichen, doch einen Ableger gibt es bereits. 2006 weihte Hugo Chávez in Venezuela eine Schule mit gleichem Namen und gleichem Grundgedanken ein. Kuba unterstützte die Gründung sowie die gesamte Entwicklung des venezolanischen Bildungssystems und schickte zahlreiche Lehrer und Professoren in das befreundete Land. Selbst Anthony Lake, der aus den USA stammende Direktor der UNICEF, des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen, sagte im vergangenen März bei einem Besuch der ELAM: »Ich würde mir wünschen, wieder jung zu sein, um dieser Schule beitreten zu können.« Er lobte die Qualität und Philosophie der Hochschule, da sie darauf abziele den »Bedürftigsten in den abgelegensten Ecken der Welt zu helfen«.
Egal in welcher Krisenregion man sich befindet, fast überall trifft man auf Mediziner, die an der ELAM ausgebildet wurden, bestätigt Héctor stolz. Nach dem schweren Erdbeben in Haiti 2010 haben die Mitgliedsstaaten der Bolivarischen Allianz ALBA die Nachwuchsmediziner auf die Nachbarinsel geschickt, während sie im vergangenen Jahr unter anderem in den von Ebola betroffenen Gebieten Afrikas Menschenleben retteten.
Von denen, die an diesem heißen Nachmittag in Havanna zusammensitzen, hätte sich niemand in seinem Heimatland ein Medizinstudium finanzieren können. Dennoch freuen sich alle auf die ersten Einsätze in ihren Herkunftsorten, wohin die meisten nach dem Abschluss zurückgehen – für einen Sozialdienst, wie ihn die kubanische Hochschule als Gegenleistung für die kostenfreie Ausbildung vorschreibt.
»Wir sahen, wie US-amerikanische Großkonzerne unsere Lebensgrundlage zerstörten und ihre Politiker fortschrittliche Bewegungen in unseren Ländern bekämpften. Sie versuchten so, auch Kuba in Lateinamerika zu isolieren«, erzählt Gabriel aus Honduras. »Wir wehrten uns dagegen, und in den letzten zwei Jahrzehnten ging ein Linksruck durch unser Amerika. Immer mehr Bevölkerungen wählten linke Regierungen und sahen Kuba als ihr großes Vorbild. 2004 wurde dann endlich die ALBA gegründet.« Die damals von Fidel Castro und Hugo Chávez als Alternative zu der von den USA betriebenen panamerikanischen Freihandelszone ALCA initiierte »Bolivarische Allianz für die Völker Unseres Amerikas« ist ein Bündnis, das aus mittlerweile elf lateinamerikanischen Staaten mit antiimperialistisch orientierten Regierungen besteht, die für ein unabhängiges, souveränes und geeintes Lateinamerika eintreten. Einige von ihnen haben ihre Bodenschätze und wichtige Unternehmen verstaatlicht und schränken den Handlungsspielraum der Großkonzerne ein. Auch Honduras trat unter der Regierung von Manuel Zelaya dem Bündnis bei, wodurch Gabriel die Möglichkeit zum Studium in Havanna bekam. Nach dem Staatsstreich 2009 beendeten die Putschisten den kurzen Aufbruch des zentralamerikanischen Landes und kündigten auch die ALBA-Mitgliedschaft auf.
Honduras ist nicht das einzige Beispiel dafür, wie die fortschrittliche Politik der ALBA wütende Reaktionen der Rechten hervorruft. Ernesto ist aus Venezuela zum Studium nach Kuba gekommen. In seinem Heimatland gehören Putschversuche und Provokationen der reaktionären Opposition mittlerweile zum Alltag. »Die USA spielen dabei eine wesentliche Rolle, indem sie Venezuela immer wieder verbal, auf politischer und ökonomischer Ebene angreifen.« Erst im März riefen die ALBA-Staaten bei einem außerordentlichen Gipfeltreffen in Caracas die USA auf, ihre Aggressionen gegen die Bolivarische Republik einzustellen. Vor allem müsse Washington das kurz zuvor erlassene Dekret aufheben, das Venezuela zu einer »Gefahr für die nationale Sicherheit« der Vereinigten Staaten erklärt. Wütend berichtet Ernesto von der künstlich herbeigeführten Lebensmittelknappheit in seiner Heimat und von Angriffen auf Hilfsbrigaden aus Kuba: »Man trifft in Venezuela zahlreiche kubanische Mediziner, Lehrer und Lehrerinnen. Sie sind aus unserem Bildungs- und Gesundheitssystem nicht mehr wegzudenken. Natürlich wissen auch Konterrevolutionäre, was sie für eine wichtige Rolle spielen, und dass das sozialistische Kuba eine Vorbildfunktion für die Bevölkerung von ganz Lateinamerika hat. Deswegen wollen sie den Kubanern, die auf eine Auslandsmission gehen, Angst machen.«
Anschließend ergreift Alberto aus Puerto Rico das Wort. Seine Heimat sei das, »was Kuba ohne die Revolution wäre: eine Neokolonie der USA«. Alle fortschrittlichen Bewegungen seien hier erfolgreich ideologisch, ökonomisch oder mit Waffengewalt bekämpft worden. So habe die Bevölkerung niemals eine eigene Kultur und Lebensweise entwickeln können. Doch das werde nicht so bleiben, ist sich Alberto sicher: »Kuba ist unsere Bruderinsel, und wir orientieren uns an ihr. Viele von meinen Freunden wollen Teil des ALBA-Bündnisses werden, auch wenn die Herrschenden und allen voran die USA das mit allen Mitteln verhindern wollen. Trotzdem bin ich hier und werde all meine positiven Erfahrungen aus Kuba mit nach Puerto Rico nehmen, um die Stimmen für ein unabhängiges und freies Land noch lauter werden zu lassen.«
Plötzlich klingelt Ernestos Telefon. Am anderen Ende meldet sich René González, einer der fünf erst im vergangenen Dezember nach anderthalb Jahrzehnten US-amerikanischer Haft freigelassenen Aufklärer, der »Cuban Five«. Jetzt könnte man eine Stecknadel auf dem alten, gefliesten Boden fallen hören. Ernesto stellt den Lautsprecher am Handy an, so dass alle die Stimme des in Kuba als Held verehrten René González hören können: »Ich freue mich, dass ihr alle zusammengekommen seid und über ein unabhängiges und souveränes Lateinamerika diskutiert. Ihr habt bestimmt gemerkt, dass eure Probleme ähnlich sind, denn der Kapitalismus schafft überall auf dieser Welt ein sehr schweres Klima, gerade für Jugendliche. Ich bin stolz darauf, dass Kuba euch die Möglichkeit gibt zusammenzukommen, euch auszutauschen und dabei ungestört und friedlich zu diskutieren. Wo sonst auf der Welt kann man das denn noch?« Doch, so fügt René González noch hinzu: »Wenn der Imperialismus keine Grenzen hat, darf die Solidarität auch keine haben!«
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