Zum Abschluss des antiimperialistischen Solidaritätstreffens hielt auch der derzeit in vielen westlichen Medien sehr umstrittene venezolanische Präsident Nicolas Maduro eine fast einstündige Ansprache. Aus der ergreifenden Rede sprachen tiefer Humanismus und Liebe zu seinem Volk. Es entstand der Eindruck, dass der Präsident auch über seine Staatsgrenzen hinaus von vielen Völkern Lateinamerikas sehr geschätzt wird. Auch besonders die Kubaner*innen schätzen den sozialistischen Präsidenten ihrer Schwesternation Venezuela. Auch ich bin seinem Charm, seiner Eloquenz und seinem Charisma durchaus verfallen. Natürlich werde ich es nicht bei meiner subjektiven Schwärmerei belassen, sondern werde in der Folge auf die Inhalte der Rede eingehen. Sicher ist, dass ich mir von einem Präsidenten der mir in europäischen Medien vielmals als Diktator, Tyrann und Schlächter geschildert wird, zumindest eine faschistoide, menschenverachtende, rassistische, homophobe oder frauenfeindliche Bemerkung erwartet hätte. Davon gab es aber nicht mal eine. Ganz im Gegenteil; es kamen jede Menge Solidaritätsbekundungen, unter anderem eine Versicherung der Einheit gegenüber Spaltungsversuchen des venezolanischen und salvadorischen Volkes. Maduro verurteilte Personen bzw. Staatschefs, welche sich durch imperialistische Taktiken korrumpieren lassen, wie Nayib Bukele, Präsident von El Salvador. Zentral war natürlich auch die Kritik am wildgewordenen Kapitalismus und am Neoliberalismus. Gleichzeitig beglückwünschte er die Chilen*innen zur sozialen Revolution, um welche die Nation ringt. Auch 18 Jahre nach Beendigung der Diktatur in Chile gibt es immer noch die selbe Verfassung. Angesichts dieses und vieler weiterer Missstände im Land ist in den Chilen*innen der Kampfgeist wieder aufgekeimt und sie gehen mit den Parolen und Klängen des Liedes „El pueblo unido jamás será vencido“ (das geeinte Volk wird nie besiegt werden) auf die Straßen.
Als venezolanischer Präsident ging Maduro natürlich auch auf die aktuelle schwierige Situation Venezuelas ein, welche durch Drohungen aller Art, die Wirtschaftsblockade und feindliche Medienkampagnen gekennzeichnet ist. Manipulation und Lügen über Venezuela stehen derzeit in vielen Ländern in weiten Teilen der Medienlandschaft an der Tagesordnung. Er erinnert an den verstorbenen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez und an die demokratische Revolution von 1998. Damals wurde mit einer Mehrheit von 80 Prozent der Vorschlag von Chávez zur Einberufung einer revolutionären konstituierenden Nationalversammlung angenommen. So begann die bolivarische Revolution, schon bald wurde Chávez nachgesagt, ein Diktator zu sein. Dabei wurde im Jahr 1999 in Venezuela gemeinsam mit dem Volk die Verfassung der Bolivarischen Republik Venezuela geschrieben, diskutiert und ausgearbeitet. Diese wurde dann in einem konstitutionellen Referendum angenommen. Am 15. Dezember dieses Jahres werden es 20 Jahre des Bestehens dieser Verfassung sein. Weiter, so Maduro, gewannen die Sozialisten in den letzen 20 Jahren 23 von 25 Wahlen und in wenigen Monaten steht die nächste Wahl bevor. Damit betont der Staatschef, wie sehr es aus der Luft gegriffen ist, Venezuela als Diktatur zu bezeichnen. Auch vor allem von kolumbianischer Seite, wo es bei weitem nicht so demokratisch zugeht. Maduro führte die Art der Wahlsiege aus und dass es sich hierbei nie um knappe Siege handelte, sondern diese immer über 50 Prozent lagen.
In der Folge bezieht er auch zu seiner eigenen Darstellung in den Medien Stellung und versichert aber gleichzeitig, dass die ganze Hetze, die gegen Venezuela derzeit betrieben wird, niemals die bolivarische Revolution, welche für ein alternatives Projekt zum Neoliberalismus, ein humanistisches, grundlegend revolutionäres und lateinamerikanisches Projekt steht, rückgängig machen kann. In diesem Zusammenhang nahm er auch Bezug auf die zentralen bolivarischen Werte, die übrigens den kubanischen entsprechen. Dazu zählen ein frei zugängliches hochwertiges Bildungs- und Gesundheitssystem, die Sicherung von Unterkünften, Garantie von Arbeit, Arbeitsstabilität, Arbeitsrechte, Recht auf eine würdevolle Pension, soziale und politische Rechte, Freiheit, Recht auf Kultur und das Recht, dass sowohl in ökonomisch guten als auch schlechten Zeiten soziale Rechte, Gerechtigkeit und Verteilung von Reichtum und Einkommen gesichert sind.
Dazu kamen noch einige Streifzüge durch die revolutionäre Geschichte Lateinamerikas und der Karibik, durch die Vorreiternation Kuba samt ihres Wegbereiters und Helden Fidel. Auch Bolivien und Nicaragua, wo die sozialistischen Präsidenten viel leisten mussten, um die Nationen wieder aus der Misere, dem Analphabetismus und dem Sozialabbau rauszuholen, fanden Erwähnung. Insbesondere ging Maduro auf die Situation des bolivianischen Präsidenten Evo Morales ein, der gerade einer Menge Erpressungen und Drohungen seitens der Rechten ausgesetzt ist. Auch Maduro selbst kann ein Lied davon singen. Doch er versichert ihre Standhaftigkeit und erinnert, dass die an Evo Morales gerichteten Erpressungsversuche und Drohungen eigentlich der Bevölkerung Boliviens und besonders den Indigenen gelten.
Weiter erinnert der Präsident der Schwesternation an die Standhaftigkeit Kubas nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Blocks 1989. Damit hat Kuba eine Alternative zum neoliberalen Modell aufrecht erhalten. Maduro von den Jahren 2002 bis 2014, in denen Lateinamerika mit Chavez in Venezuela, Lula da Silva in Brasilien, Nestor Kirchner in Argentinien, Tabaré in Uruguay, Evo in Bolivien, Correa im Ecuador, Daniel in Nicaragua, padre Lugo in Paraguay, Mel Zelaya in Honduras und natürlich dem alles überdauernden Kuba Fidels eine Phase der Blüte und der Offensive erlebte. Deren Ende leitete sich mit dem Putsch in Honduras 2009, in Paraguay 2012, in Brasilien unter Dilma Rousseff und die strategische Festnahme von Lula da Silva ein. Die Niederlage Kirchners in Argentinien und der Tod von Hugo Chavez waren harte Rückschläge für die progressiven Kräfte Lateinamerikas. Aber jetzt gegen Ende 2019 kann man laut Maduro sagen, dass sich die geopolitische Lage mit der neuen, antineoliberalen Welle wieder zu verändern beginnt und so wieder neuer Platz für alternative Lösungen geschaffen wird.
Abschließend unterstreicht Maduro die Wichtigkeit eines Zusammenschlusses und einer Einheit der fortschrittlichen Kräfte Lateinamerikas, um so den von außen kommenden Versuchen der Spaltung standhalten zu können und ihnen mit Stärke entgegenzutreten. Dabei geht es um eine Einheit, in der Differenzen respektiert werden. Der von den Anwesenden gefeierte Gast forderte zu Zuversicht und Optimismus auf und beteuerte, dass die Zeit der antineoliberalen Ideen angeklungen ist. Lateinamerika und die Karibik haben genügend Einheit und spirituelle Kraft, um weiter in unser Zeitalter voranzuschreiten. Es braucht Mut, die Wahrheit zu verteidigen und sie zugänglich zu machen!
Die Rede wurde nur hin und wieder von kraftvollen Parolen unterbrochen, die die Massen immer wieder in Aufruhr brachten. Da waren die „Chávez presente- Maduro presidente“- Rufe (Chávez ist hier- Maduro ist Präsident), die „Chile despertó“-Rufe (Chile ist aufgestanden), die klassischen „Yo soy Fidel“-Rufe (Ich bin Fidel) und viele weiter. Die Stimmung war ausgelassen, die Menschen beschwingt und kämpferisch.
Nach diesen gut 55 Minuten, die ich mit einer Kamera in der Hand filmend dasaß, in der anderen Hand Taschentücher und Lutschtabletten, fühlte ich mich besser. Beschwingter, hoffnungsvoller und auch getröstet. Wenn es diese Dikatoren sind, deren Diktaturen in Europa gefürchtet und bekämpft werden, dann kann ich jetzt auch aus erster Hand getrost sagen, dass es keine sind. j
Das ist ein Artikel von Johanna
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Dass schonungslose Kritik, aber eben auch Selbstkritik Kennzeichen des Denkens in der Marxschen Tradition ist, sollte doch unter einem Stapel von Taschentüchern nicht verlorengehen. Der wirtschaftliche Niedergang Venezuelas hat viel mit fehlenden Investitionen in der Erdölindustrieie und einer ausgebliebenen Neuausrichtung der venezolanischen Industrie zu tun. Das Dilemma, dass es in Venezuela bei der Verteilung der „Rente“ durch das Erdöl auch korrupt zuging, wurde weder unter Chavez noch unter Madeiro überwunden. Das kümmerte wenig, solange es ansonsten gerechter zuging und die Bedürfnisse der Bevölkerungsmehrheit tatsächlich befriedigt wurden. Das gelang Chavez und auch Maduro über Jahre und davon profitierten nicht nur die Armen in Venezuela, sondern auch u.a. Kuba. Die eigenen Fehler und Versäumnisse treten aber schonungsloser zu Tage, wenn sich die ökonomischen Rahmenbedingungen – durch niedrigere Erdölpreise – und die politischen – durch eine aggressivere US-Politik – verschärfen. Wer dann in seinen Reden auf revolutionäres Gefühl und Tränentücher setzt, statt auf radikale Selbstkritik und die Neuausrichtung der eigenen Politik, dem läuft das eigene Volk weg.
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