Vor mir eröffnet sich das Panorama der Stadt, in der ich nun schon mehrere Monate lebe und die ich mit all ihren Eigenheiten bereits lieb gewonnen habe. In meinem Rücken befindet sich eine etwa 20 Meter hohe Statue, die stark an den „Christo Redentor“ Rio de Janeiros erinnert und durch ihre erhöhte Position östlich der Hafeneinfahrt den Besucher_innen einen genialen Blick über die Altstadt gewährt. Doch nicht nur die Sicht, sondern auch die Luft lässt mich an diesem Ort verweilen. Während mir der Wind eine willkommene Erfrischung zu den sommerlichen Temperaturen des kubanischen Winters bereitet und ein leichter Geruch von Meersalz in meine Nase steigt, vergesse ich für kurze Zeit die unangenehmen Seiten meines Aufenthaltes in dieser so einzigartigen Stadt.
Ende Dezember stellen auch kubanische Universitäten für die sogenannten „fin de año“ (Jahresende)-Ferien den Unterrichtsbetrieb für zwei Wochen ein. In dem für uns derzeit fernen Europa sind das normalerweise die Weihnachtsferien, welche auf die stressigste Konsumzeit des Jahres folgen. Diese Hoch-Zeit des Konsumismus geht interessanterweise mit der besinnlichen, spirituell-religiösen Adventszeit einher. Wer auf die Idee kam, die Bevölkerung der kapitalistischen Länder jeden Dezember einer derartigen Widersprüchlichkeit auszusetzen, ist mir bis dato unbekannt. Fest steht jedoch, dass der Dezember mit der ihm auferlegten Adventszeit ein schwerer Monat für viele Menschen ist, die sich diese prunkvolle Besinnlichkeit nicht leisten können. Und nicht nur für diese, auch für eine Menge anderer Menschen stellt das aufgebauschte Eins-Sein mit seiner Familie, sich selbst und seinem Umfeld eine emotionale Überforderung dar. Das kontradiktorische Fest des Konsumismus, welches ursprünglich mal das höchste Fest des Christentums darstellte, steckt offensichtlich in einer komplexen Verstrickung mit fetischhaftem Komsumverhalten und kapitalistischer Perversion.
Seit Ende Oktober wohnt unsere Projektgruppe nun schon auf dem Campus der größten technischen Universität Kubas. Gleich neben den voll besetzten Studentenwohnheimen steht das „Edificio 700“, auch bekannt als Casa Tamara Bunke, in dem mit uns nun schon die dritte Gruppe des Proyectos lebt. Der volle Name der CUJAE lautet „Universidad Tecnológica de La Habana José Antonio Echeverría“. Sie bietet momentan mehr als 7000 Studenten die Möglichkeit, die verschiedensten Disziplinen im Bereich des Ingenieurwesens oder auch Architektur zu studieren.
Um ein umfangreicheres Vorwissen zum Interview über die damalige Lage zu erhalten, hier eine historische Ergänzung.
Vorgeschichte
Als Kongo-Wirren werden die politischen Zwischenfälle in der Demokratischen Republik Kongo zwischen 1960 bis 1967 bezeichnet. Mit der Ausrufung der Unabhängigkeit und der darauffolgenden belgischen Invasion im Kongo nahm die Krise Ihren Verlauf. Als der belgische Generalleutnant den Kongolesen keinerlei Änderungen Ihres Status zugestand, rebellierten die Soldaten gegen ihre Offiziere, weil sie nach der Unabhängigkeit noch immer keine Kongolesen als Offiziere einstellten und sich diese strukturell diskriminiert fühlten. Aufgrund des befürchteten Verlust des zuvor gesicherten Einflusses auf das Land, entsandte die belgische Regierung Truppen, um die Kontrolle wiederherzustellen. Präsident und Premierminister unterstützten zunächst dieses Vorgehen. Als sich jedoch mit der Sezessionsbewegung auch die Provinzen Katanga, Moise unter Tschombe abspalteten, bat Premierminister Lumumba die Vereinten Nationen um Hilfe. Trotz der UN-Missionen, welche nach und nach die belgischen Truppen im Land ablösten, unternahmen die Blauhelme nichts gegen die Einflussnahme des Kolonialismus unter Tschombe im Süden.
Berichteaushavanna gibt es jetzt auch im Videoformat.
Wir haben es geschafft! Ab jetzt sind wir mit unserem Blog auch auf YouTube vertreten und laden dort Videos hoch, die zusätzlich zu unseren Artikeln Einblicke in das Leben auf Kuba und den Alltag im Projekt geben.
Die „Plaza Vieja“ (zu deutsch: Alter Platz) bildet gemeinsam mit der „Plaza de la Catedral“ und der „Plaza de Armas“ das Herzstück der Altstadt Havannas. Bisweilen werden die Plätze an – nicht gerade eine Seltenheit – sonnigen Tagen von Touristenströmen geflutet. Man bestaunt die teils mehrere Jahrhunderte alten Bauten, füllt den Kameraspeicher mit Erinnerungsfotos oder bestellt sich zum Klang klassischer bis moderner kubanischer Musik einen Kaffee, ein kühles Bier oder gar einen der ausgezeichneten kubanischen Cocktails.
Als der Arzt Ernesto Che Guevara mit seiner Truppe im Dezember 1956 an der Ostküste Kubas landete, traf er in den Bergen der Sierra Maestra auf Kinder, „die die physische Erscheinung von Acht- oder Neunjährigen hatten, die jedoch fast alle 13 oder 14 Jahre alt waren.“ Guevara beschrieb die Umstände damals als „die eigentlichen Kinder der Sierra Maestra, authentische Produkte von Hunger und Elend. Sie sind Opfer der Unterernährung.“ Damals wussten nur elf Prozent dieser Kinder, wie Milch schmeckt. Zudem hatten nur vier Prozent der kubanischen Bevölkerung Zugang zu Fleisch. Darüber hinaus hatten 84,6 Prozent der ländlichen Bevölkerung keinen Zugang zu medizinischer Hilfe. Wer also damals mit einer ernsthaften Krankheit konfrontiert war, hatte kaum eine Überlebenschance. Ich verstehe nun den Satz „salud es lo primero“, den ich in den letzten 3 Monaten so oft in den Gesprächen gehört habe, viel besser. Insbesondere, wenn ich dies von einem 85 jährigen Mann höre, der aus persönlicher Erfahrung spricht. Für uns – die in Europa lebenden Menschen – sind diese Umstände, unter denen die KubanerInnen damals leben mussten, nicht vorstellbar. Man bedenke, dass das Ganze erst 60 Jahre her ist…
Auf der internationalen Konferenz für Demokratie und gegen Neoliberalismus nahm ich mit einer anderen Bunkista an der Kommission der “Jugend, ihre Strategien und der Kontinuität in den Kämpfen” teil. Es waren doch mehr junge Menschen versammelt, als ich erwartet hatte und so nahmen wir in dem schon fast überfüllten Konferenzraum unsere Plätze ein und lauschten den Redebeiträgen, die ihre Wege aus den verschiedensten Ländern nach Kuba gefunden hatten und die unterschiedlichsten Lebensrealitäten und ihre Problematiken, Wünsche und Ideen widerspiegelten. Dennoch verband uns alle eins: Der Kampf um eine bessere Welt…
Zum Abschluss des antiimperialistischen Solidaritätstreffens hielt auch der derzeit in vielen westlichen Medien sehr umstrittene venezolanische Präsident Nicolas Maduro eine fast einstündige Ansprache. Aus der ergreifenden Rede sprachen tiefer Humanismus und Liebe zu seinem Volk. Es entstand der Eindruck, dass der Präsident auch über seine Staatsgrenzen hinaus von vielen Völkern Lateinamerikas sehr geschätzt wird. Auch besonders die Kubaner*innen schätzen den sozialistischen Präsidenten ihrer Schwesternation Venezuela. Auch ich bin seinem Charm, seiner Eloquenz und seinem Charisma durchaus verfallen. Natürlich werde ich es nicht bei meiner subjektiven Schwärmerei belassen, sondern werde in der Folge auf die Inhalte der Rede eingehen. Sicher ist, dass ich mir von einem Präsidenten der mir in europäischen Medien vielmals als Diktator, Tyrann und Schlächter geschildert wird, zumindest eine faschistoide, menschenverachtende, rassistische, homophobe oder frauenfeindliche Bemerkung erwartet hätte. Davon gab es aber nicht mal eine. Ganz im Gegenteil; es kamen jede Menge Solidaritätsbekundungen, unter anderem eine Versicherung der Einheit gegenüber Spaltungsversuchen des venezolanischen und salvadorischen Volkes. Maduro verurteilte Personen bzw. Staatschefs, welche sich durch imperialistische Taktiken korrumpieren lassen, wie Nayib Bukele, Präsident von El Salvador. Zentral war natürlich auch die Kritik am wildgewordenen Kapitalismus und am Neoliberalismus. Gleichzeitig beglückwünschte er die Chilen*innen zur sozialen Revolution, um welche die Nation ringt. Auch 18 Jahre nach Beendigung der Diktatur in Chile gibt es immer noch die selbe Verfassung. Angesichts dieses und vieler weiterer Missstände im Land ist in den Chilen*innen der Kampfgeist wieder aufgekeimt und sie gehen mit den Parolen und Klängen des Liedes „El pueblo unido jamás será vencido“ (das geeinte Volk wird nie besiegt werden) auf die Straßen.
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