Eine Woche ist seit unserer Exkursion in die Sierra Maestra nun vergangen und schon werden erneut die Rucksäcke gepackt. Diesmal liegt unser Ziel nicht im fernen Osten der Insel, sondern in der anderen Richtung: Es geht nach Pínar del Río. Die Provinz mit der gleichnamigen Hauptstadt erstreckt sich über die Westspitze der Insel und hat einiges zu bieten: Eine reiche Kultur geprägt vom traditionellen Tabakanbau (angeblich der beste der Welt!), eine atemberaubende Natur und ein weltoffenes Stadtbild. Hatten wir unseren ersten Abend noch in einem kulturellen Projekt der Gruppe „Asociación de los Hermanos Saíz“ verbracht, soll es nun, am Samstag, raus aufs Land gehen.
Das Milchprojekt von CubaSí
Etwa 40 Autominuten von der Provinzhauptstadt entfernt liegt eingebettet in der kubanischen Natur die UEB[1] „Loma de Candelaria“ mit der dazugehörigen „Empresa pecuaria[2] Camilo Cienfuegos“. Hinter diesen Abkürzungen verbirgt sich eine staatliche Anlage zur landwirtschaftlichen Produktion, zu welcher auch eine Anlage zur Milchproduktion gehört. Zwischen dem ruhigen Landleben der Region kann die UEB mit zwei Besonderheiten aufwarten: Zum einen dient sie zur Aus- und Fortbildung angehender Kubanischer Landwirte im Bereich Ökologie und Nachhaltigkeit, zum anderen grüßt neben dem Revolutionär Camilo Cienfuegos und den verschiedenen staatlichen Betreiberorganisationen noch eine weitere Gruppe von der großen Tafel, welche am Eingang über die Anlage informiert: CubaSí!
Besonders daran: CubaSí ist eine deutsche Solidaritätsorganisation, genauer gesagt ein Arbeitskreis der Partei DIE LINKE. Gegründet wurde sie nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, als DIE LINKE noch PDS hieß und vor allem im Osten der wiedervereinten Bundesrepublik verwurzelt war. Die Organisation wollte die aus DDR-Zeiten bestehende Kooperation und Völkerfreundschaft mit dem Inselstaat aufrechterhalten und in solidarischer Arbeit das in der tiefen Krise der „Sonderperiode in Friedenszeiten“ befindliche Kuba unterstützen. Besonders der herbe Einbruch der Landwirtschaft sollte abgemildert werden. Unter der Losung „Milch für Kubas Kinder!“ sammelt CubaSí in einer beispiellosen Aktion Spenden, die zu Beginn in Milchpulver und danach in Milchprojekte flossen und immer noch fließen. Jene Milchprojekte sind heute über das ganze Land verteilt und unterstützen die KubanerInnen auch hier in Pínar del Río bei der Verbesserung und Steigerung der Produktion von Milch.
Zu dem Zeitpunkt unseres Besuches befindet sich gerade eine Arbeitsbrigade von CubaSí auf der Anlage, mit dem Ziel das Land zu bereisen und kennenzulernen aber natürlich auch um selbst solidarische Arbeit zu verrichten. Da unsere beiden Organisationen ähnliche Ziele verfolgen, kennenlernen des Landes und Unterstützung des im Aufbau befindlichen Sozialismus, hatte sich ein Besuch schon länger angeboten, konnte bisher jedoch nicht realisiert werden. So fand heute schließlich bei gemeinsamem Mittagessen und Hofrundgang das erste Zusammentreffen der Projekte „CubaSí“ und „Tamara Bunke“ statt.
Neue Wege
Während des Rundganges über die Anlage fiel uns schnell eine dritte Besonderheit der Produktionsanlage auf, welche die UEB zum Vorreiter der Kubanischen Landwirtschaft macht: Die „Morínga Oleífera“. Hinter dem in Deutschland sicherlich unbekannten Namen verbirgt sich ein auf den ersten Blick erst einmal unscheinbarer Baum. Dieser wird weder besonders groß, noch eignet sich das Holz sonderlich zum Bauen oder zur Möbelproduktion, auch essbare Früchte fehlen der Pflanze. Warum also die Kultivierung? Die Erklärung erhalten wir von den Arbeitern der Anlage: Die Morínga Oleífera“ ist eine wahre Power-Pflanze! Das Geheimnis liegt in dem verhältnismäßig großen Anteil an Laubwerk, welches zudem einen verhältnismäßig hohen Anteil an Proteinen enthält. Das macht die Pflanze zur Idealen Grundlage für Kraftfutter, welches dann an die Kühe der Anlage verfüttert wird. Wer sich nun fragt, was an Kraftfutter so besonders sei, sollte einen Blick in die kubanische Geschichte werfen. Zur Zeit des Ostblocks gelang es in Kooperation mit der DDR, deutsche und kubanische Rinder zu kreuzen, mit dem Ergebnis von absoluten Hochleistungsrindern. Doch während die landwirtschaftlich genutzten Flächen auf Kuba zunehmend für den Anbau für Zucker genutzt oder wiederaufgeforstet wurden, blieb die eigene Produktion von Kraftfutter auf der Strecke. Abhilfe schuf ebenfalls die DDR: Große Mengen an importiertem Kraftfutter trieben die kubanisch-deutschen Power-Rinder zu wahren Höchstleistungen, jedenfalls solange bis Ostblock und der damit verbundene Handel in sich zusammen fielen. Von einem Tag auf den anderen standen die kubanischen Landwirte ohne Kraftfutter da und auch sonst war die Landwirtschaft in einer schweren Krise: Der Marabú Strauch überwucherte die Nutzflächen, Maschinen fehlten oder blieben ohne Treibstoff und was an Ressourcen verfügbar war wurde in die Grundversorgung und Zuckerindustrie gesteckt. Der Ausfall der so wichtigen DDR-Schiffe konnte nicht einmal ansatzweise kompensiert werden. Die Tiere gaben weniger Milch und mussten aus der Not heraus geschlachtet werden. Die Folge: Milch[3] und auch Fleisch wurde in den 90er Jahren zur absoluten Mangel- wenn nicht gar Luxusware.
Mit dem Morínga Oleífera kam in dieser Angelegenheit frischer Wind auf. Die Pflanze hat viel Laubwerk („grüne Masse“), enthält viele Proteine und wächst schnell. Damit ist sie prädestiniert für den Einsatz als Futterpflanze und auch die ersten Ergebnisse können sich sehen lassen: Milchkühe, welche Kraftfutter auf Basis von Morínga Oleífera verfüttert bekommen, geben im Durchschnitt 20% mehr Milch. Damit hat die Pflanze vielleicht nicht ganz so viel Power wie das in der industrialisierten Landwirtschaft massenhaft verwendete Soja, aber sie hat einen entscheidenden Vorteil: Die Morínga Oleífera ist nachhaltig. So werden in Brasilien und Südamerika ganze Gebiete des tropischen Regenwaldes abgeholzt um Soja zu pflanzen. Mit dem Ackergift Glyphosat werden dann alle anderen verbliebenen Pflanzen vernichtet und es bleibt eine große Sojawüste zurück. Wüste ist hierbei keinesfalls als Übertreibung zu sehen, denn die Pflanze speichert im Gegensatz zu den Bäumen wenig Wasser im Boden und ist sie geerntet bleibt der Boden schutzlos zurück: Wind und Wetter tragen die fruchtbaren Schichten ab und nach wenigen Jahren bleibt unbrauchbares, trockenes Brachland zurück. Mit dieser Vorgehensweise zerstören wir für Billigfleisch die für das globale Klima so wichtige „Grüne Lunge“ des Regenwaldes, alles unter dem tosenden Applaus neoliberaler Profitgier, welche uns die Zerstörung des Planeten auch noch als Fortschritt verkaufen will.
Ganz anders der kubanische Ansatz mit der Morínga Oleífera. Dieser löst im Gegensatz zur Sojapflanze das Problem mit der Trockenheit. Als Insel hat Kuba von Natur aus wenige Flüsse, was bedeutet, dass die Insel außerhalb der Regenzeit und den Regengebieten (z.B. die Sierra Maestra) von Trockenheit, durch den Klimawandel gar von Desertation, bedroht ist. Als Baum hat die Morínga Oleífera hierfür mehrere natürliche Vorteile was Feuchtigkeit angeht: Tiefe Wurzeln können die Pflanzen auch aus dem Grundwasser speisen, festigen den Boden und erhöhen seine Speicherfähigkeit von Wasser. Schützend liegen die Wurzeln und Stämme über dem Boden, halten ihn feucht und so sicher vor der Erosion von Wind und Wasser. Dazu haben sich die Kubaner die Eigenart erhalten, eben nicht jedes andere lebendige Wesen rund um die Feldfrucht zu vernichten, wodurch sich ganz natürlich Diversität, Insektenpopulation und ein gesünderes Ökosystem erhalten.
Bisher ist der Anbau der Morínga Oleífera jedoch noch im Aufbau befindlich, nur etwa ein Drittel der hiesigen Viehwirtschaft nutzt die Pflanze und kultiviert sie. Es fehlt an Know-How, Maschinen und Nutzfläche. Der Trend zeigt allerdings klar in die richtige Richtung und dies hat auch noch einen weiteren Grund: Die Pflanze ist ein echter Alleskönner! Der hohe Anteil an „masa verde“ („Grüne Masse“; Grünzeug) ist eine ideale Ressource für die Biogasanlagen zur Wärme- und Stromproduktion die im ganzen Land gebaut werden. Dazu lässt sich ähnlich wie aus Soja auch aus der Morínga Oleífera Öl gewinnen, welches dann als Speiseöl auf dem Teller landet oder in Zukunft vielleicht auch als Biotreibstoff(zusatz) genutzt werden könnte (Forschungen laufen). Als Baum können dann noch zusätzliche Nutzungsmöglichkeiten in Betracht gezogen werden, ein weiterer Vorteil gegenüber der Sojapflanze. So forscht man an der Nutzung als Biofaserstoff (mit interessanten Eigenschaften!) oder als Ressource zur Papierproduktion. Statt Bäume für Soja oder Papier abzuholzen können wir stattdessen Bäume pflanzen, welche nicht nur das Soja ersetzen, sondern auch noch Papier produzieren. Zwar ist vieles davon noch Zukunftsmusik, doch bereits heute wachsen und gedeihen die Pflanzen auf kubanischen Äckern und auch andere Staaten Lateinamerikas nehmen die Kultivierung und Forschung in Angriff.
Die Kühe von Pínar
Nach all dem Fortschritt wenden wir uns zum Abschluss unseres Besuches noch einmal der Tradition zu. Kuba besitzt eine reiche und lange Tradition in der Viehwirtschaft, die schon lange vor den 90er Jahren und der Morínga Oleífera begann. Zum Abschluss des Tages nehmen wir daher mit großer Spannung und auch kritischem Blick Richtung Tierschutz unsere Zuschauerplätze im örtlichen Rodeo ein. Ganz klassisch werden Reitershows, Kälberfangen, Kühe schubsen und natürlich Bullenreiten vorgeführt. Unter dem tosenden Beifall der Zuschauer zeigen örtliche „Vaqueros“ (die kubanische Bezeichnung für „Cowboy“) am Lasso und am Bullen ihr können. Während die Menge freudig erregt dem beliebten Spektakel folgt, verfolgen wir das Ganze etwas distanzierter. Zwar werden die Tiere nicht verletzt und auch die Stürze sehen von oben viel dramatischer aus als sie eigentlich sind, jedoch sind die Tiere hier enormem Stress ausgesetzt, wenn sie inmitten einer lauten Menschenmasse durch die Gegend gescheucht werden. Bei den Menschen herrscht jedoch ausgelassene Stimmung. Neben dem Hauptplatz gibt es zahlreiche günstige Getränke und Speisen, Ponyreiten für die Kleinen und Einkaufsmöglichkeiten. Bis in die Dämmerung zieht sich der Wettstreit zwischen dem heimischen Team „Pínar del Río“ und der Gastmannschaft „Isla de la Juventud“ hin. Als sich der Lokalmatador gegen die Gäste aus dem Süden durchsetzt ist es bereits dunkel geworden, hier im Westen der Insel. Zeit, sich von CubaSí, dem ruhigen wie lauten Landleben und Pínar del Río zu verabschieden.
[1] UEB: Unidad empresarial básica à staatliche Basisanlage zur Landwirtschaftlichen Produktion, am ehesten vergleichbar mit der LPG zu DDR-Zeiten
[2] Anlage zur Viehhaltung, ebenfalls vergleichbar mit den Strukturen der LPG
[3] Dies betrifft vor allem den freien Verkauf, selbst in der größten Not blieb die Verteilung der Lebensmittel sozialistisch, weshalb die wenige Milch den Kindern und Säuglingen Kubas vorbehalten war, die selbst in den ärgsten Mangeljahren ihre tägliche Ration Milch erhielten
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