Es ist acht Uhr dreißig, als wir am Morgen des 28.11 am ICAP, dem kubanischen Institut für Völkerfreundschaft ankommen. Die Einladung zu der Gedenkveranstaltung haben wir gestern erst im Verlaufe des Tages erhalten. Vor den großen Säulen der Empfangshalle des Gebäudes haben sich bereits um die 200 Menschen versammelt, um dem Máximo Líder – Fidel Castro, zu gedenken. Mir fällt die hohe Präsenz der Ausländer auf. Neben einigen Italienern, Deutschen und Kanadiern, haben sich vor allem viele Lateinamerikaner zu dieser Stunde am Institut eingefunden. Wir lauschen den kurzen Redebeiträgen einiger Vertreter von kubasolidarischen Organisationen, die teilweise extra zu Ehren Castros nach Kuba geflogen sind, sowie dem Präsidenten der UJC, der kommunistischen Jugend Kubas und der Präsidentin des ICAPs. Die Trauer der Anwesenden lässt sich in der allgemeinen Stimmung vor Ort erahnen. Es wird nicht gelacht, die Mienen wirken versteinert, einigen stehen die Tränen in den Augen.
Jeder Beitrag endet mit den Worten „¡Viva Fidel!“, die Masse skandiert „¡VIVA, VIVA, VIVA!“ und auf einmal scheint es, als würde die ganze Stadt in den Sprechchor mit einsteigen, während das Dröhnen der Kanonen vom Ufer des Malecons her den Boden erzittern lässt. Die Trauer, der Schmerz, die Sehnsucht wandelt sich bei jedem Ausruf aufs Neue und der Kampfgeist des kubanischen Volkes, die Entschlossenheit sich die so hart erkämpfte Freiheit niemals wieder nehmen zu lassen, wird mir als Beobachter der Szenarios mit solch gewaltiger Wucht entgegengebracht, dass es mir schwerfällt, die sich anbahnenden Tränen im Zaum zu halten.
Nach dem letzten gewaltigen „¡Viva, Viva, Viva!“ begibt sich die Masse langsam ins Innere des Gebäudes. Hier teilt sich die Schlange in zwei Teile. Jeder der Anwesenden unterschreibt Fidels Konzept der Revolution. Die ausländischen Gäste dürfen außerdem im Nebenzimmer eine persönliche Widmung an Fidel in einem zweiten Buch hinterlassen.
„¡Vamos a la Plaza de la Revolución!“ – Die Masse scheint langsam ab zu sickern. Draußen warten vom ICAP bereitgestellte Busse, die uns und die anderen Teilnehmer zu der Veranstaltung am Platz der Revolution fahren.
Schon lange bevor wir ankommen, fällt uns auf, dass kaum noch Autos oder Busse unterwegs sind. Die Polizei hat gestern schon großräumig die Straßen um die Plaza gesperrt, selbst den Omnibusbahnhof, den täglich tausende Kubaner durchlaufen. Nun sind die Straßen gefüllt von kleinen und großen Menschentrauben die alle zur Plaza strömen, um sich von ihrem Máximo Lider zu verabschieden.
Bereits am Bauministerium erblicke ich das Ende der gigantischen Warteschlange, die sich um den Gebäudekomplex aus Innenministerium und Kommunikationsministerium windet, an dem auch die bekannten Konterfeis von Ché Guevara und Camilo Cienfuegos hängen. Normalerweise würde ich hier heute vor allem Tourist*innen mit Selfiesticks sehen. Doch heute ist kein normaler Tag in Havanna und so windet sich die Schlange einmal um den Block und quer über den Platz, um schließlich den Hügel zu erklimmen, auf dem das José Martí Denkmal steht.
Es müssen zigtausende Menschen sein, die hier neben, vor und inzwischen vor allem hinter mir in der Schlange stehen und schwitzen. Es sind Menschen aus allen Bevölkerungsschichten. Ich sehe Arbeiter*innen, Schüler*innen, Student*innen, Militärangehörige und Privatpersonen. Auffällig ist vor allem die Ruhe und Gelassenheit der Kubaner*innen. Alle stellen sich selbstverständlich hinten an der Schlange an. Obwohl ständig Menschen die Schlange verlassen und wiederkommen, versucht niemand sich vorzudrängeln.
Drei Stunden später: Wir sind ungefähr 100 Meter vorwärtsgekommen und ich fühle mich erschöpft. Irgendjemand hat einen Fehler bei der Organisation der Warteschlangen gemacht und auf einmal steht eine zweite Schlange neben uns. Vor uns ein Nadelöhr, durch welches alle Menschen einzeln und hintereinander müssen, um auf die Plaza zu gelangen. Der Druck in der Masse steigt und ich kann mich nicht mehr bewegen. Auf einmal wird gedrängelt und ich werde Stück für Stück in Richtung der Schleuse gedrückt. Vor mir steht eine Frau mit einem kleinen Mädchen auf dem Arm und wird von der Masse fast zerquetscht. Jemand macht die Polizei vor uns darauf aufmerksam und die beiden werden herausgezogen und vorgelassen.
Irgendwann habe auch ich es geschafft. Die Anspannung in der Masse sinkt und es wird schlagartig wieder ruhig und entspannt. Auf beiden Seiten der Plaza winden sich nun Schlangen bis zum Denkmal hinauf. An den umliegenden Ministerien und dem Nationaltheater hängen riesige Stoffbanner mit Bildern von Fidel Castro Ruz. Auf der Plaza werden Lautsprechertürme aufgebaut und Stühle verteilt, um die morgige Gedenkzeremonie vorzubereiten. Die letzten Meter bis ins Denkmal hinein geht es schnell voran. Drinnen angekommen bin ich etwas verwundert, da es weder Fidels Urne, noch ein Kondolenzbuch zum Eintragen gibt. Stattdessen Blumenkränze, Fotos und kurze Texte über Fidels Leben. Daneben stehen regungslos kubanische Sportler, Militärangehörige und ein Priester Totenwache.
Nur wenige Sekunden windet sich die Schlange durch die Eingeweide des Monuments, dann bin auch ich wieder draußen. Vor dem Denkmal weht die kubanische Flagge auf Halbmast. Neben einem Berg aus Blumenkränzen stehen Reporter aus aller Welt vor Kameras, während sich die beiden Schlangen unverändert in Richtung Monument winden. Die Menschen, die das Monument verlassen haben, scheinen gelöst und guter Stimmung zu sein, obwohl sie alle mindestens 4 Stunden auf diesen kurzen und für uns doch ziemlich unspektakulären Moment gewartet haben. Nun strömen sie wieder in kleinen und großen Trauben in alle Richtungen davon, während über Havanna zum dritten Mal die Sonne untergeht, seitdem der Comandante en Jefe verstorben ist.
Dieser Artikel ist von Kjell und Juri. Das Video ist von Max.
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Sein Patria o Muerte
war revolutionärer Internationalismus
Zurück aus Cuba, mit den Gedanken noch im schönen Land, erhielt ich von dort einen sanften Stoß: Fidel Castro ist tot. Die Cubaner sind sehr traurig.
Ihr und unser Fidel war schon zu Lebzeiten eine Legende und nun? Ein Hauch Unsterblichkeit wird seinem Wirken verbunden mit der Schlacht der Ideen folgen. Denn neben den Klassikern und Ho Chi Minh ist er wohl der herausragendste Revolutionsführer der Befreiungs-, der kommunistischen und Arbeiterbewegung sowie einer der schärfsten Analytiker des Kampfes um Fortschritt, Frieden und die Existenz der Menschheit. Als Fidel Castro 1992 nicht nur seinen Landsleuten zurief, „ Cuba befindet sich in der schwersten Krise seiner Geschichte und es sei die internationalistische Pflicht zu widerstehen“, verteidigte sich der cubanische Staat erfolgreich bis heute. Die Cubaner führten unter dem vom Volk anerkannten Revolutionsführer einen heldenmütigen und opferbereiten Kampf verbunden mit solidarischer Hilfe gegen die Grausamkeiten des Imperialismus samt seiner mörderischen völkerrechtswidrigen Blockade. So wurde aus dem kleinen Land ein Volk mit einem großen solidarischen Herz, das sich die Achtung und Brüder-/ Schwesterlichkeit anderer erwarb ganz im Sinn des geliebten Internationalisten und Humanisten Fidel Castro.
Karl Scheffsky,Deutschland, Schwerin, Cuba si