In den letzten 10 Jahren hat die kubanische Wirtschaft wichtige und tiefgreifende Veränderungen erfahren. Dies ist die Phase, die den Beginn und die Entwicklung eines komplexen und umfassenden Prozesses umrahmt, der alle Bereiche des Lebens im Land umfasst und beeinflusst: die Aktualisierung des nationalen Wirtschaftsmodells.
Stets zu beachten ist, dass der Wirtschaftskrieg, dem Kuba ausgesetzt ist, nicht ignoriert werden kann. Dieser beeinträchtigt das normale Funktionieren der Wirtschaft auf der grössten Insel der Antillen.
Jahrzehnt 2010-2019: Neun Aspekte, die die Aktualisierung des kubanischen Wirtschaftsmodells kennzeichneten
1. Sozioökonomische Richtlinien „Lineamientos“
Am April 2011 genehmigte der VI. Kongress der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) die Richtlinien der Wirtschafts- und Sozialpolitik für einen Zeitraum von fünf Jahren. Das Dokument, welches zuvor einer breiten Volksdebatte vorgelegt worden war, stellte 313 Aufgaben, die unter anderem darauf abzielten, die makroökonomischen Ungleichgewichte und Effizienzprobleme der Volkswirtschaft zu lösen.
Hier gehe ich auf die vielen Ideen und Definitionen ein, welche gebilligt wurden:
⁃ Das Wirtschaftssystem wird weiterhin auf dem sozialistischen Eigentum des gesamten Volkes über die grundlegenden Produktionsmittel beruhen, wobei das Prinzip der sozialistischen Verteilung „von jedem nach seiner Fähigkeit zu jedem nach seiner Arbeit“ gelten soll.
⁃ Die Wirtschaftspolitik der Partei wird dem Grundsatz entsprechen, dass nur der Sozialismus in der Lage ist, Schwierigkeiten zu überwinden und die Eroberungen der Revolution zu bewahren.
⁃ Bei der Aktualisierung des Wirtschaftsmodells wird die Planung Vorrang haben, welche die Markttrends berücksichtigt.
⁃ Das Modell wird neben dem sozialistischen Staatsunternehmen – der Hauptform der Volkswirtschaft – die ausländischen Investitionen, Genossenschaften, Kleinbauern, Pächter, Selbstständige und anderer Formen anerkennen und fördern. Diese könnten einen beachtlichen Anteil beitragen, um die Effizienz zu steigern.
⁃ Sozialismus bedeutet gleiche Rechte und Chancen für alle Bürger, nicht Egalitarismus
(Weil das Verkünden von „gleichen“ Rechten, keine Garantie für eine Gleichstellung der Chancengleichheit ermöglicht)
⁃ In der kubanischen sozialistischen Gesellschaft wird niemand hilflos bleiben.
Fünf Jahre später aktualisierte der VII. Kongress der PCC dieses Transformationspaket. Einige neue Richtlinien wurden hinzugefügt und andere angepasst, in einer Grössenordnung von 274.
2. Verbesserung des Geschäftssystems
Seit 2011 befindet sich das kubanische Geschäftssystem in einer neuen Phase der Transformation, die unter anderem darauf abzielt, alte Bindungen zu lösen, größere Befugnisse zu gewähren und mehr Effizienz und Organisation zu erreichen.
Kuba hat beschlossen, bahnbrechende Neuerungen in der Wirtschaft einzuleiten. Damit soll der Prozess der Aktualisierung des Sozialismus intensiviert werden. Zukünftig sollen Betriebe verstärkt Eigeninitiative ergreifen können und Beschäftigte mehr Kompetenzen erhalten. Kubas Planwirtschaft wird ab dem kommenden Jahr die wohl größten Änderungen seit den späten 1970er-Jahren erfahren. Wie Wirtschaftsminister Gil betonte, werde man die zentrale Planung nicht aufgeben. Das letzte Wort über die Zuteilung von Ressourcen wird weiterhin beim Ministerium für Wirtschaft und Planung (MES) verbleiben, dessen Direktiven im Vorfeld allerdings auf ein Minimum reduziert wurden.
Haupttransformationen im kubanischen Geschäftssystem (Zeitraum 2011-2019):
⁃ Trennung staatlicher Funktionen von Unternehmen.
⁃ Flexibilität des Unternehmenszwecks.
Finanzielle Beziehungen zum Staatshaushalt:
⁃ Die Unternehmen leisten keinen Beitrag mehr zu den in den Vorjahren genehmigten Haushaltsabschreibungen und freiwilligen Rückstellungen.
⁃ Die Steuer für den Einsatz von Arbeitskräften wird von 25% auf 5% gesenkt.
⁃ Der von den Unternehmen nach Steuern einbehaltene Gewinn wird von 30% auf 50% erhöht.
⁃ Es wird genehmigt, dass die Unternehmen aus den Gewinnen nach Steuern die Verpflichtungen gegenüber dem Staat und die festgelegten Anforderungen erfüllen und Mittel für die Entwicklung, die Investitionen und die Anregung der Arbeitnehmer schaffen können.
⁃ Die zu bildenden freiwilligen Rückstellungen werden erhöht, wobei die Möglichkeit der Rückzahlung von Schulden für erhaltene Kredite berücksichtigt wird, und die Direktoren von Unternehmen können bis zu 20% der Gewinnrücklagen im Voraus zur Finanzierung von Investitionen verwenden.
⁃ Die Verteilung der Gewinne an die Arbeitnehmer wird auf drei Durchschnittsgehälter erhöht.
⁃ Administrative Beschränkungen für die Gehaltsbildung werden beseitigt.
⁃ 2019 wurden 28 Maßnahmen genehmigt, die in erster Linie auf die Steigerung der Produktion von Waren und Dienstleistungen sowie auf die Förderung von Produktionsketten und Exportkapazitäten abzielen.
3. Ausbau des nichtstaatlichen Sektors
Eine davon ist die Notwendigkeit, den übermäßigen Status der Wirtschaft hin zu einer größeren Heterogenität der Eigentumsformen zu überwinden. Hierzu wurde zunächst die Entstehung kleiner Privatunternehmen akzeptiert und angeregt und gleichzeitig das Genossenschaftseigentum als vermeintlich vorherrschender Akteur innerhalb nichtstaatlicher Formen deklariert.
Kurz vor der Genehmigung der Leitlinien hatte bereits die Wiedereröffnung der Selbständigkeit als Alternative zur Beschäftigung vor dem Prozess der Umstrukturierung der Arbeitskräfte im Land stattgefunden. Die ersten Lizenzen wurden im Oktober 2010 ausgeliefert, 178 sind als Waren- oder Dienstleisungen ausgewählt worden. Später stieg diese Zahl auf 181 Modalitäten, bis es 2013 201 waren. Die Zulassung der ersten Genossenschaften außerhalb des Agrarsektors in Kuba erfolgte Anfang 2013. In diesem Jahr wurden 198 gegründet. Seitdem hat ihre Entwicklung, wenn auch schrittweise, zugenommen. Diese Praxis ist immer noch als „Experiment“ gedacht.
2019 traten neue Regeln in Kraft und es wurde bekannt, dass keine Genossenschaften mehr gegründet werden würden, da die Priorität darin bestünde, die bereits Bestehenden zu verbessern und auszubauen, so Yovana Vega Matos, zweite Leiterin des Bereichs zur Verbesserung der Unternehmen der Kommission von Implementierung. Diese Entscheidung, so stellte die Richtlinie klar, bedeutet nicht, „das Experiment nicht weiter voranzutreiben, sondern auf kohärente Weise, um die Abweichungen zu beseitigen, die aufgetreten sind, um seine Verallgemeinerung zu erreichen“.
Die Behörden erkennen an, dass die günstigsten wirtschaftlichen Auswirkungen bei Bautätigkeiten, persönlichen und technischen Dienstleistungen sowie in der Industrie zu verzeichnen sind. Es bestehen jedoch weiterhin Einschränkungen für die Entwicklung, z. B. der eingeschränkte Zugang zum Großhandelsmarkt und den damit verbundenen Dienstleistungen.
Derzeit gibt es mehr als 400 nichtlandwirtschaftliche Genossenschaften, in denen mehr als 17.000 Mitglieder zusammenkommen. Sie sind in 10 Wirtschaftssektoren vertreten und erzielten 2018 einen Umsatz von mehr als 6 Milliarden Pesos.
4. Lieferung von Grundstücken in Nießbrauch
Ab 2008 ist es für natürliche Personen möglich, Land mit Nießbrauchrecht zu „erwerben“. Im Jahr 2014 wurde die Fläche auf 67,10 Hektar (Fünf Kavallerien) erhöht, falls diejenigen Personen in einer staatlichen Farm, Kooperative (UBPS) oder Genossenschaft (CPA) zusammengeschlossen sind. Andererseits wurde die Gültigkeit des Nießbrauchs für alle auf eine Laufzeit von 20 Jahren beschränkt. Diese kann jedoch auf unbestimmte Zeit verlängert werden, insofern die gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen erfüllt sind.
5. Beginn des Prozesses zur Vereinheitlichung von Geld und Wechselkursen
Der Ministerrat der Republik Kuba hat 2013 vereinbart, einen Zeitplan für die Durchführung der Maßnahmen in Kraft zu setzen, die zu einer Vereinheitlichung von Geld und Wechselkurs führen werden. Zwei Jahre zuvor wurde in den Leitlinien deutlich gemacht, wie wichtig es ist, sich diesem Prozess zuzuwenden.
In den letzten 7 Jahren wurden einige Maßnahmen umgesetzt, um die Bedingungen für diesen Schritt vorzubereiten, die als wesentlich angesehen werden, um die Wiederherstellung des Wertes des kubanischen Pesos und seiner Funktionen als Geld, d.h. als Rechnungseinheit, zu gewährleisten. Beispielsweise wurden in einigen Einkaufszentren nur noch Pesos (Moneda Nacional) als Rückgeld herausgegeben und nicht mehr wie früher CUC. Auch wurde die Ausfuhr von CUC aus Kuba unter Strafe gestellt. Dies sind alltägliche Erlebnisse, welche ich als den schleichenden Beginn des Prozesses zur Abschaffung der Doppelwährung interpretiere.
6. Steuerrecht
Im Januar 2013 trat das Gesetz „113“ in Kraft, als Ersatz für eines aus dem Jahr 1994. Neu erfasst es die zahlenden Subjekte, die Bemessungsgrundlage sowie die Steuersätze oder feste Beträge. Mit diesem Schritt wurde die Möglichkeit erneuert, dass im Staatshaushaltsgesetz jährlich Änderungen bei der Zahlung von Steuern und dem Umfang der Personen festgelegt werden, für die sie erforderlich sind. Die schrittweise und nach der geltenden Rechtsform wurden Steuern zu einer Haupteinnahmequelle des Staatshaushalts hinzugezogen.
7. Auslandsinvestitions- und Sonderentwicklungszone Mariel
In den „Lineamientos“ wurde die Notwendigkeit geschrieben, ausländische Investitionen als Ergänzung zu den Investitionsbemühungen weiter zu fördern. Das „Gesetzesdekret 313“ von 2013, indem die Schaffung der Mariel-Sonderentwicklungszone (ZEDM) angeordnet wurde, kann als Engagement für die Ankurbelung des kubanischen Wirtschaftswachstums bezeichnet werden. Beim Besuch an der Expo „FIHAV 2019“ im November konnten wir uns ein eigenes Bild von denjenigen Unternehmen und Produkten machen, welche in Mariel hergestellt werden. Von Betten, Kartoffelstock, über Auszüge oder Medikamente waren auch viele Güter des täglichen Bedarfs, wie Tampons, Windeln und ähnliches vertreten.
Es ist klar, dass die Auslandsinvestitionen keine Ergänzung, sondern ein entscheidender strategischer Faktor für die Entwicklung und ein wichtiger Bestandteil dessen sind, was benötigt wird, um das „Flottmachen“ der kubanischen Wirtschaftsbetriebe zu gewährleisten und das Import/ Export Verhältnis auszugleichen.
In den Worten des Präsidenten Miguel Diaz-Canel: „Alles, was im Land hergestellt werden kann, soll künftig nicht mehr importiert werden“.
8. Entwicklungsplan und Wirtschaftskonzept
Die neuen Prioritäten der mittel- und langfristigen Strategien des Entwicklungsplans und des Wirtschaftskonzeptes wurden auf dem VII. Kongress der PCC genehmigt. Die „Konzeptualisierung des kubanischen Wirtschafts- und Sozialmodells der sozialistischen Entwicklung“ fasst die Prinzipien und theoretischen Grundlagen zusammen, die den Prozess des Aufbaus des Sozialismus unter den momentanen kubanischen Bedingungen unterstützen.
Der Plan umfasst auch Definitionen zu Eigentumsverhältnissen über Produktionsmittel, Planung und soziale Beziehungen. Bisher sind die „Grundlagen des Wirtschafts- und Sozialentwicklungsplans bis 2030, Vorschlag für die Vision der Nation, der Achsen und der strategischen Sektoren“ erschienen, in welchen die Hauptziele festgelegt sind, um den Prozess der nachhaltigen Entwicklung des Landes langfristig zu starten.
Ebenfalls werde der Plan für 2020 erstmals von den Arbeitern in den Betrieben selbst ausgearbeitet und dann zentral aggregiert, statt wie bisher die Produktionsvorgaben „von oben nach unten“ durchzureichen. „Dieser Plan wird effizienter sein als unser bisheriger Ansatz“, kommentierte Gil in einer thematischen Sondersendung des kubanischen Fernsehens. Damit soll erreicht werden, dass der Plan offener diskutiert wird. Wir wollen einen Mechanismus schaffen, der eine aktivere Rolle der ArbeiterInnen bei der Erstellung des Plans ermöglicht“.
9. Gehaltserhöhungen und wirtschaftliche Massnahmen
Die Gehaltserhöhungen im Haushaltssektor kamen mehr als 1.4 Mio ArbeiterInnen zugute. Dazu kommen Zahlungen an 1.5 Mio Rentnern oder Menschen, die eine Sozialversicherung erhalten. Diese Massnahme zielt darauf ab, stärker die Bedürfnisse derjenigen Teile der Bevölkerung zu verbessern, welche bisher täglich von niedrigen Löhnen leben. Davon profitierten neben Bildungs- und Gesundheitswesen auch die staatlichen Medien, Juristen, Verwaltungsangestellte, Wirtschaftsprüfer und Mitarbeiter der Gemeinden. Der Durchschnittslohn hat sich ab dem 1. Juli. 2019 von rund 600 auf 1.067 Pesos (39 EUR/ 42 USD) erhöht, wobei auch eine stärkere Differenzierung nach Verantwortlichkeiten miteinbezogen wird. So verdient ein Universitäts-Rektor auf Kuba jetzt 2.700 Pesos (100 EUR/ 110 USD), das Einstiegsgehalt für Journalisten wurde von 385 auf 1.100 Pesos fast verdreifacht.
Eine weitere wirtschaftliche Massnahme der kubanischen Regierung war es, im Oktober den Kauf von Haushaltsgeräten, Autoteilen und anderen Waren in ausländischen Devisen zu genehmigen, mit dem Zweck, die nationalen Industrien zu stärken und den Binnenhandel auszubauen.
Die Gehaltserhöhungen sind eine Anerkennung für alle, die im Staatssektor geblieben sind. Sie verlangen jedoch auch mehr Verpflichtung, ein Gefühl für Verantwortlichkeit und eine bessere Qualität der staatlichen Dienste“, mahnte Díaz-Canel.
Dieser Artikel ist von Nils