Der kubanische Kampf gegen die Inflation

Die CUJAE, die Universitätsstadt José Antonio Echeverría, wie unser Campus und gemeinhin auch die Universität genannt werden, befindet sich im „Sommerschlaf“. Die Prüfungsphase ist beendet, manche Studierende wurden aufgrund des Abschlusses ihres Studiums verabschiedet, andere sind zu ihren Familien gereist. Die vorlesungsfreie Zeit hat begonnen. Die CUJAE ist ziemlich verwaist, allerdings ist die Atmosphäre nicht bedrückend, sodass es nicht gerechtfertigt wäre, von einer Geisterstadt zu schreiben.

Aber außer uns sind noch einige weitere ausländische Studierende in der CUJAE geblieben. Vor allem Afrikaner, deren Regierungen Verträge mit dem kubanischen Staat geschlossen haben und die aus diesem Grund ein Vollzeitstudium auf Kuba absolvieren dürfen. Die auf dem Campus lebenden Hunde, so scheint es,  lassen sich von dem alljährlichen Phänomen der Verwaisung ihres Lebensumfelds jedenfalls nicht irritieren und gehen ihrem Hundealltag wie gewohnt nach. Um das hotelito, in unmittelbarer Nähe unserer Unterkunft, herum findet in diesen Tagen allerdings sogar mehr Leben als sonst statt. Grund dafür ist die Unterbringung sogenannter Kader anderer Universitäten, die im Wochenrhythmus nach Havanna kommen dürfen, um sich hier gemeinsam mit drei Begleitpersonen, in der Regel sind es Familienangehörige, zu erholen. Für sie wurde zu diesem Zweck zum Beispiel das olympische Schwimmbad der CUJAE geöffnet, welches wir erfreulicherweise mitbenutzen dürfen.

Was die Menschen in unserem Umfeld aber wirklich beschäftigt ist nicht die Frage, welche Ferienaktivitäten als nächstes anstehen, oder wer alles am wöchentlich stattfindenden Abend mit Livemusik vor dem hotelito teilnehmen wird. Gesprächsthemen sind auch nicht historische Ereignisse, wie zum Beispiel der 66. Jahrestag des Sturms auf die Moncada-Kaserne, sondern welche Auswirkungen die beschlossenen und bereits am 1. Juli realisierten Gehaltserhöhungen haben werden.

Von diesen Gehaltserhöhungen werden etwa 1,4 Millionen für den Staat arbeitende Kubaner_innen, also 28% aller Erwerbstätigen auf Kuba profitieren.

Doch auch wenn sich das Einkommen der staatlich Beschäftigten teilweise verdreifacht hat, ist nicht sicher, ob diese in Zukunft auch dreimal so viel konsumieren können.

Auf Kuba, einem postkolonialen Land der sogenannten Dritten Welt, welches erst mit dem Triumph der Revolution am 1. Januar 1959, nach beinahe einem halben Jahrtausend währender imperialistischer Fremdbestimmung, die Unabhängigkeit erlangte und dessen Wirtschaft nun seit fast 60 Jahren unter der völkerrechtswidrigen, US-amerikanischen Blockadeaggression leidet sind sehr viele Preise aus der Perspektive von Ausländern unverhältnismäßig und erschreckend hoch.

Zum Beispiel kostet ein Bier im staatlichen Geschäft, genau wie  eine Stunde Internet an öffentlichen Orten mit WLAN, auch in Zukunft 1 CUC [1] und damit 1/16 des neu festgelegten Mindestlohns bzw. 1/44 des prognostizierten Durchschnittgehalts. Für die Fahrt im Linienbus muss dafür weniger als ein €-Cent gezahlt werden. Erschwinglich für die lohnbeschäftigte Bevölkerung Kubas sind vor allem vom Staat subventionierte Waren und Dienstleistungen. Die staatliche Subvention dieser Waren und Dienstleistungen finanzieren die Beschäftigten auf Kuba, genau wie zum Beispiel das hochwertige kostenlose Bildungs- und Gesundheitssystem, durch ihre Arbeit für relativ geringe Löhne mit.

Noch höher liegen allerdings die Preise der privaten (Weiter-)Verkäufer, welche in vielen Fällen unverhältnismäßig sind und nur verlangt werden können da gewisse Produkte, wie zum Beispiel Bier, vielerorts auf Kuba in den Regalen der staatlichen Verkaufsstellen so gut wie nie zu finden sind. Dieses Phänomen ist relativ neu, während meiner ersten Kubareisen vor 4,5 Jahren gab es das so noch nicht.

Dem massenhaften Aufkauf von bestimmten Gütern durch private Unternehmer_Innen, zwecks gewinnbringendem Weiterverkauf, könnte am effektivsten mit einem gesteigerten Angebot begegnet werden. Ab einem gewissen Punkt ist es für die particulares ökonomisch nicht mehr sinnvoll oder schlichtweg unmöglich, die begehrten Produkte zu horten und den Markt so zusätzlich künstlich zu verknappen.

Eine weitere Form der künstlichen Verknappung unternahmen mehrfach auch die privaten Betreiber der maquinas, jener Sammeltaxen, zumeist amerikanische Oldtimer, die feste Routen in Havanna fahren. Sie begaben sich mehrfach in eine Art stillen Streik und sorgten somit für Engpässe in der Personenbeförderung, nachdem neue, effektive Kontrollmechanismen eingeführt worden waren, um den scheinbar üblichen illegalen Ankauf von Treibstoff und die von staatlicher Seite verbotene Anhebung der Beförderungspreise zu beenden. Letzteres setzte der kubanische Staat unter anderem mit zivilen Kontrolleuren durch. Auf die letzte massive Verknappung des Angebots durch den privaten Sektor der Personenbeförderung vor fast einem Jahr, reagierte der kubanische Staat mit dem Einsatz normaler, staatlicher, Taxen als Sammeltaxen auf festen Routen und der Einführung sogenannter metrotaxis, Bullys, die nach demselben Prinzip operieren, statt die Fahrpreiserhöhungen der privaten Unternehmer in Höhe von 50-150% zu akzeptieren. Zudem wurden mehrere neue, große Gelenkbusse angeschafft, um der kubanischen Bevölkerung nach wie vor die Mobilität zu ermöglichen.

Ob sich die Situation der für den Staat arbeitenden Kubaner nun durch die Lohnerhöhungen verbessern wird, oder ob diese durch eine angepasste Preiskalkulation der privaten Kleinunternehmer_Innen  geschluckt werden, beschäftigt, wie eingangs erwähnt, derzeit sämtliche Menschen in unserem Umfeld.

Darauffolgend stellt man sich hier natürlich die Frage:

Hat der kubanische Staat dieses Problem der möglichen Inflation bedacht und wird er entsprechende Maßnahmen ergreifen? Er hat und er wird!

Als erste Maßnahme wurden landesweit Preisobergrenzen festgelegt, die sicherstellen sollen, dass die Beschäftigten und nicht die privaten Händler und Dienstleister von der Lohnerhöhung profitieren.

Das  „Gesetz 302“  verbietet nun auf nationaler Ebene die Erhöhung der bisher gültigen Preise. Außerdem legen die jeweiligen Provinzen detaillierte Preisobergrenzen für bestimmte Dienstleistungen und Produkte fest. Dabei orientieren sie sich an den bisher üblichen Preisen.

In Havanna darf für eine Dose Bier demnach zum Beispiel nicht mehr als 1,40 CUC bzw. 35 CUP verlangt werden. Hier können wir als TeilnehmerInnen des Proyecto Tamara Bunke bereits den ersten Praxischeck durchführen. Bier wurde an den kioskos gegenüber  der CUJAE bisher für 40 CUP, also 1,60 CUC verkauft. Ob die Preise dauerhaft reduziert  bleiben, oder ob das  Bier an den kioskos in Zukunft nur noch unter dem Ladentisch verkauft wird, bleibt abzuwarten.

Die wohl gesündere und quantitativ zu bevorzugende Alternative zum kubanischen 0,33 Liter Bier ist die 1,5 Liter Wasserflasche, die in Zukunft nur noch 26 CUP kosten darf, was 1,04 CUC entspricht.

Damit die festgelegten Preisobergrenzen nicht rein theoretischer Natur bleiben, hat das Ministerium für Finanzen und Preise bereits eine neue Beschwerdestelle eingerichtet, in der Fälle von Wucher auch online dokumentiert werden können. Auch eine Servicenummer wurde ins Leben gerufen, bei der ebenfalls Verstöße gemeldet werden können.

Auch wenn die Maßnahmen weitestgehend begrüßt werden, gibt es, neben den cuenta propistas, also den Selbständigen, die ihre Preise zum Teil reduzieren mussten, auch Kritik von Fachleuten.

Manche kubanische Ökonomen sehen, anders als die Ministerin für Finanzen und Preise, Meisi Bolaños, die Gefahr, dass es durch diese Maßnahmen verstärkt zu Mangel durch gezielte Hortung und somit zu einer verdeckten Inflation kommen könnte. Eine solche Entwicklung wäre nicht im Sinne des Erfinders. Laut dieser Ökonomen seien Preisobergrenzen eine kurzfristige, aber keine langfristige Lösung. Kuba sollte demnach unbedingt seine Produktion optimieren und ausbauen, lautet die Empfehlung.

Die Frage ist allerdings, welche Investitionen notwendig sind, um die staatliche Produktion entsprechend anzuheben und ob bzw. ab wann die gesteigerten Produktionskapazitäten ab dem Punkt der Sättigung der Nachfrage durch den privaten Sektor nicht auch zur Belastung für die staatliche kubanische Wirtschaft werden.

Meisi Bolaños, begründet die Form der Maßnahmen unter anderem damit, dass die nun gesteigerte Kaufkraft auch eine gesteigerte Nachfrage erzeugen dürfte, der allerdings keine erhöhte Produktion auf Kuba gegenübersteht, die auch das Angebot erhöhen würde.

 Es bleibt abzuwarten, ob die Befürchtungen der Kritiker bittere Realität werden, oder ob es Kuba tatsächlich gelingt ist, die Kaufkraft und den Lebensstandard der staatlich Beschäftigten wirksam zu erhöhen.

Zuversicht ist nicht unbegründet: Das revolutionäre Kuba hat es wieder und wieder geschafft, auf Missstände adäquat zu reagieren und relativ schnell Veränderungen herbeizuführen.

RG

Das ist ein Artikel von Richard, weitere Beiträge von Richard gibt es hier.

[1] 1 CUC bzw. 1 peso convertible kostet im Einkauf 25 CUP, auch peso cubano oder moneda nacional, kurz MN genannt. Im Verkauf entspricht 1 CUC in der Regel 24 und je nach Annahmestelle zum Teil nur 23 CUP.

Ein Gedanke zu „Der kubanische Kampf gegen die Inflation“

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