Der Juni ist angebrochen, das Klima ist unglaublich heiß und die Universität geht mit großen Schritten den Semesterferien entgegen. Ein wenig gefangen im Alltagstrott versuchen auch wir trotz hochsommerlicher Temperaturen noch einige Projekte vor der Sommerpause abzuschließen, etwa Veranstaltungen und Arbeiten am und im Gebäude. Umso schöner erscheint es da, den Alltag hinter sich zu lassen und eine gemeinsame Gruppenreise zu unternehmen. Unser Ziel ist eine beschauliche Stadt im Herzen der Insel und fester Termin einer jeden Gruppe: Cabaiguán.
Zum Städtchen Cabaiguán
Cabaiguán ist eine beschauliche Stadt mit etwa 60.000 Einwohnern, die nicht nur einfach im mittleren Teil der Insel liegt, sondern geographisch exakt in der Mitte Kubas und dies ist nicht die einzige Besonderheit des Provinzstädtchens. Uns erwarten in den folgenden fünf Tagen eine Menge Kultur, Natur und Geschichte. Obwohl es sich um eine Stadt handelt, wirkt Cabaiguán doch sehr dörflich: Keine großen Häuser oder Paläste, stattdessen überschaubarer Provinzcharme, viel Natur und unglaublich nette Leute. „Hier sind die Kubaner besonders kubanisch“ sagt unser Koordinator Julián lachend, was auch immer er damit meinen mag. Ein Großteil der Einwohner*innen sind Nachfahren von Kanaren[1], die sich oftmals dem Tabakanbau verschrieben haben. Dies macht die Stadt zur kanarischen „Hauptstadt“ Kubas und, neben dem Westen, zu einem der größten Produzenten des berühmten kubanischen Tabaks. Im Stadtzentrum befindet sich ein großer, in den 30er Jahren gebauter Boulevard, umsäumt mit ebenso alten, schattenspendenden Bäumen. Der Boulevard ist der einzige in ganz Kuba, der in der Mitte einer interprovinziellen Straße liegt, was der Grund ist, dass die Straße daneben für die vielen Pferdegespanne in der Stadt gesperrt ist. Hier findet sich auch eine kleine Ansammlung an Kiosken, Fressbuden, Devisenläden und staatlichen Restaurants, die sich eine Querstraße weiter oben aneinanderreihen. Touristen verirren sich nicht oft nach Cabaiguán, ein Grund warum die Stadt über die Landesgrenze hinweg kaum bekannt ist.
In vier Tagen nehmen wir an einigen kulturellen Events Teil, etwa in der Kanarischen Gesellschaft oder in der Provinzhauptstadt Sanctí Spiritus, welche wir einen Tag unseres Aufenthaltes ansteuern. Darüber hinaus besuchen wir das kleine Museum der Stadt, eine Forschungsstation für den Tabakanbau und einen örtlichen Winzer, der uns den sehr süßen kubanischen Wein präsentiert. Untergebracht sind wir in einem sogenannten „Campismo“. Diese vor etwas mehr als dreißig Jahren entstandenen Unterkünfte dienen der Naherholung in der Natur und können als eine Mischung von Campingplatz und Jugendherberge gesehen werden. Zwischen Wald und Weiden hat die Anlage zwei Funktionen: Erholung und Spaß auf der einen Seite, die Kubanische Natur erleben auf der anderen Seite. So müssen wir erst einmal einen Fluss durchfahren und fünf Kilometer Feldweg hinter uns bringen, bevor wir das abgelegene Camp erreichen. Unsere „Bungalows“ liegen zwischen uralten Bäumen, einem malerischen Fluss und grasenden Ziegen. Aktivitäten sind natürlich das Dominospiel, ein Bad im Fluss, Volleyball, sowie ausführliche Gesprächskreise und Diskussionen zu Politik und Zeitgeschehen, meist untermalt von der großen Musikanlage des Campismo. Der Kulturverantwortliche der Anlage präsentiert uns stolz seine Sammlung, die tatsächlich sehr viel zu bieten hat. Zum Aufwachen spielt er englischsprachige Balladen aus den 80er und 90er Jahren (z.B. Modern Talking), zum Arbeiten Salsa oder Trova und abends Reggaetón. So verbringen wir, bis auf einige Krankheitsfälle, eine sehr stark Hühnchen basierte Ernährung und Probleme mit dem Wasser, doch sehr angenehme vier Tage hier in Cabaiguán.
Der Aufstieg zum Hügel
Nun, am fünften Tag unseres Aufenthaltes, steht noch einmal ein echtes Highlight auf dem Programm: Der Aufstieg auf einen kleinen Hügel am Rande der Stadt, auf dem sich bis heute eine Funkstation befindet. Wir sind mittlerweile die dritte Gruppe, welche die Tradition pflegt, diesen geschichtsträchtigen Ort zu besuchen. Hierzu eine kleine Reise in das Jahr 1958: Seit 5 Jahren kämpfen die Rebellen unter Fídel und Raúl Castro, Che Guevara und Camilo Cienfuegos gegen die Diktatur des Generals Batista. Drei Jahre war die kleine Kerntruppe im mexikanischen Exil, seit zwei Jahren operieren sie aus der Deckung der Berge heraus, meist in der Defensive, doch nun hat sich das Blatt gewendet: Den Kommandanten Ernesto „Che“ Guevara und Camilo Cienfuegos ist es gelungen von der Sierra Maestra im Osten, nahezu unbemerkt in das Escambray Gebirge im Mittelteil einzudringen, hier ganz in der Nähe von Cabaiguán. Das Ziel ist die große Industriestadt Santa Clara zu umkreisen und auf dem Weg dorthin wird Kleinstadt um Kleinstadt befreit, bis die Truppen schließlich Cabaiguán erreichen. Das Städtchen ist nicht nur Mittelpunkt der Insel, sondern auch Mittelpunkt der zentralen Funkachse des Landes, die sich von der Hauptstadt im Westen zu den Großstädten im Osten erstreckt. Gelingt es den Rebellen die Funkstation auf besagtem Hügel zu nehmen, sind General Batista und seine Armee blind und taub im Osten, wo das Herz des Aufstandes liegt. Ein kleiner Trupp macht sich an die Erstürmung des kleinen Hügels, die dann auch nach einigen Scharmützeln gelingt. Zwei der Angreifer fallen jedoch im Kampf. Ihre Gräber liegen noch heute auf dem Hügel, deren Erstürmung ihnen das Leben kostete, und Kuba einen großen Schritt Richtung Freiheit brachte.
Die Idee hinter dem Aufstieg ist bei jeder Gruppe dieselbe: Wir steigen die (nicht sehr große) Erhebung herauf, besuchen die Gräber der gefallenen Guerilleros und hissen oben, wo man eine herrliche Aussicht genießt, eine selbstgemachte Flagge der Freundschaft zwischen Kuba und Deutschland. Als wir oben ankommen stellen wir voller Freude fest, dass die Flagge der letzten Gruppe sogar noch heil am Mast hängt, wenn auch ein Stückchen weiter unten, hatte doch die Flagge davor der fürchterlich Hurrikan mit sich gerissen. Nach Gruppenfoto und Abstieg genießen wir dann ein frisch zubereitetes, kubanisches Mittagessen bei den Kleinbauern, die am Fuße des Hügels wohnen. Diese sehr herzlichen Leute überraschen jede Gruppe aufs Neue mit ihrer Gastfreundlichkeit und verstärken noch einmal den guten Eindruck, den Cabaiguán hinterlassen hat. Für zukünftige Gruppen ist sogar noch ein selbstgepflanzter Wald der Freundschaft in Planung, ein Vorhaben welches wir aufgrund der Jahreszeit[2] noch nicht realisieren konnten. Der Hintergrund lässt mich schmunzeln: „Bäume sind schön anzusehen, bringen Schatten und helfen den Klimawandel zu bekämpfen“, lässt uns einer der begleitenden Professoren wissen. „Daher pflanzen wir auch Bambus, der bindet viel CO₂. Viel ist es nicht, aber immer noch besser als das Klimaabkommen [von Paris] zu verlassen“, fügt er lachend hinzu.
Einen Tag später sitzen wir dann wieder im morgendlichen Bus nach Havanna. Vier Uhr morgens mussten wir aufstehen um den frühen Transport rechtzeitig zu erreichen. Schön war der Aufenthalt und so wie ich im Dezember mit der letzten Gruppe schon einmal hier hergekommen war, wird auch die nächste Gruppe des Proyectos Tamara Bunke das Städtchen besuchen, in dem die Kubaner ganz besonders kubanisch sind, was auch immer das heißen mag…
Dieser Artikel ist von Kilian. Hier geht es zu weiteren von seinen Artikeln.
[1] Einwohner*in der Kanarischen Inseln, die zu Spanien gehören und vor der Küste Nordafrika liegen. Zur Kolonialzeit lag hier ein wichtiger letzter Versorgungspunkt, bevor die Spanischen Schiffe zum Sprung über den Atlantik ansetzten. Dies ist der Grund dafür, dass sich überall im Land, vor allem im Tabakbau, kanarische Gesellschaften und kanarische Kultur wiederfinden.
[2] Bäume pflanzt man in der Regel im Herbst, oder Winter und nicht in der kubanischen Sommersonne, die Pflanzen würden wohl binnen eines Monats eingehen.
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