Nachdem wir uns vor einigen Wochen dem Renovieren der Küche gewidmet haben und diesen Teil des 700 erfolgreich auf Vordermann bringen konnten, war in den vergangenen Wochen unser Comedor (Esszimmer) an der Reihe.
Jo und ich sitzen auf den Treppenstufen vor dem Edificio. Rechts und links: Palmen, welche bis über das Gebäude hinaus ragen und deren Palmblätter Schatten auf den grauen Beton der Stufen werfen. Rosa kommt zu uns, in der Hand eine Tasse Kaffee. Wir essen Melone und Mango und beobachten die Menschen, die ins Edificio hinein- und hinausspazieren. Egal ob wir sie kennen oder nicht, wir grüßen sie mit einem Zunicken oder einem „Buenas tardes!“. Der „Recepcionista“ kommt aus dem Haus, gesellt sich zu uns und nascht von unserem Obstteller. Aus der Ferne, auf den Treppenstufen am anderen Ende des Weges: Kilian, der gerade von einem Fußballspiel zurückkommt. Er nimmt neben uns auf den Stufen platz. Wir entdecken einige Freunde (Student*innen) und winken ihnen zu. Als sie uns sehen, steuern sie das Edificio an. Am Ende sind wir mehr als fünf Personen auf den vier Treppenstufen. Alle sitzen wir im Schatten der Palmen. Kleine Sonnenstrahlen fallen durch die Blätter hindurch und lassen Muster auf den Beton entstehen, die Mango und die Melone sind aufgegessen.
Sei es für eine, zwei oder sechs Personen, die Treppe vor dem Edificio, diente und dient auch jetzt ab und an noch als Esszimmer. Ob Frühstück, Mittag- oder Abendessen, an manchen Tagen treibt es uns mehr als drei Mal am Tag an den Schattigen platz direkt vor dem Edificio. Doch da es auf Kuba bekanntlich auch regnet und wir im laufe der Zeit immer mehr Besuch im 700 bekommen – seien es Student*innen, Besucher*innen aus Deutschland oder Professor*innen – sollte eine Alternative zu den vier Stufen her. Die Räume waren da, sie mussten nur noch von ihrem dreckigen, unbelebten Charme befreit werden.
„Comedor“ steht mit Filzstift an der Wand des großen Raumes, rechts neben der Küche geschrieben. Der Raum – mit dreckig orangenen Wänden, von denen die Farbe an der einen oder anderen Stelle bereits abbröckelt und in dem sich nichts befindet, außer drei großer Metallwaschbecken, welche hauptsächlich den Spinnen als Zuhause dienen – wird unser neues Esszimmer werden.
Mit geballter Muskelkraft tragen wir zwei der drei Waschbecken aus dem Raum. Dann geht es ans Putzen. Nach und nach müssen alle Spinnen, Ameisen und Frösche ausziehen. Nach einer groben Reinigung soll gestrichen werden. Uns fehlt nur die Farbe, also begeben sich Rosa und ich auf die Suche nach Farbe. Von Richard und Kilian haben wir mehrere Adressen bekommen, die wir eine nach der anderen abklappern. Es gibt viel: über Schraubenzieher, Bohrmaschinen und Schrauben bis hin zu Zement, ist fast alles zu haben, nur Farbe können wir nirgends auftreiben. Im letzten Laden, die Hoffnung fast aufgebend, dann endlich: es gibt Farbe. Für 45 CUC und eine Zigarette, gehören 10l Farbe uns und wir machen uns mit der Farbe im Gepäck auf den Rückweg zur CUJAE. Jetzt können wir endlich richtig anfangen und es geht voran: Zuerst der Flur, dann der Comedor. Mal wird Abends gestrichen, mal Morgens, mal zwischen Unterricht und Plenum und mal Nachts.
So auch in der Nacht zum 1. Mai. Weil die Busse, welche die Student*innen zum 1. Mai-Umzug bringen, um 2 Uhr Morgens an der CUJAE abfahren, entscheiden wir uns die Nacht zu nutzen, um zu streichen. Da sich mit der Zeit bei unseren Bekannten und Freund*innen etabliert hat, einfach mal bei uns in die Küche hineinzuschauen, um zu quatschen, zu kochen oder mitzuessen, bestreiten wir diese Arbeit nicht alleine. Ungeplant, ganz spontan, kommen nach und nach immer mehr Freund*innen, so dass wir am Ende zu acht im Comedor stehen und streichen. Bis kurz vor Mitternacht ist die Mehrheit der Wände gestrichen. Ein paar gehen vom Streichen zum Kochen über. Rosa sitzt auf dem Boden und kratzt die alte Farbe vom Fußboden ab. Einer weist den anderen, der gerade neu dazu gekommen ist ins Streichen ein. „Gibt es noch einen Pinsel?“, wird nicht nur einmal gefragt in dieser Nacht. Pünktlich kurz vor eins sind alle Wände gestrichen und das Essen steht auf dem Tisch. Gemeinsam wird gegessen und sich anschließend auf den Weg zur Mensa gemacht, wo die Busse zum Umzug abfahren.
Jetzt fehlt nicht mehr viel. In den darauffolgenden Tagen wird gewischt, oder viel mehr geschrubbt und der Dreck und Staub mehrerer Jahre wird weggespült und verschwindet im Abfluss des 700. Auch hier werden wir Tatkräftig von Freund*innen und Receptionistas unterstützt. Zu Reggaeton schlittern wir über den frisch gewischten Boden und auch der ein oder andere Frosch ist wieder in den frisch renovierten Raum eingezogen und bringt einige kubanischen Freund*innen dazu, höher zu springen als er selbst. Der Raum nimmt Gestalt an, zwei Tische und mehreren Stühle lassen ihn zu einem Comedor werden. Nach einer riesigen Lieferung Paletten – ein ganzer Camión voll – geht es an den Bau einer Eckbank. Alle überlegen mit, wie wir die Paletten am besten nutzen und nachdem es endlich einen Plan gibt, wird drauf los gesägt und geschraubt, so dass wir nach zwei Wochen die fertige Bank in unser Esszimmer tragen können.
Mittlerweile hat der Comedor bereits gute Dienste geleistet – ob als Esszimmer, Ort für Reuniones, Plena oder Arbeitstreffen – diverse Leute haben ihn bereits besucht und die nächsten Momente in denen er sich mit leben füllen wird, sind schon geplant.
Auch die Treppenstufen vor dem Edificio sind nicht verwaist. Sie bleiben. Vor allem für die kleinen, nachdenklichen Momente, in denen man den Wolken zuschaut, wie sie am Edificio vorbeiziehen und dem Trubel im neuen Comedor für einige Sekunden entflieht, um ihm dann wieder freudig aufs neue bei zu wohnen.
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