Als Doppelagent zwischen CIA und MININT – Raúl Antonio Capote

Vergangene Woche hatten wir als Teilnehmer_innen des Proyectos die Ehre einen für den aktuellen revolutionären Prozess Kubas bedeutenden Mann kennenzulernen. In einem persönlichen Gespräch schilderte er uns seine Lebensgeschichte.

Raúl Antonio Capote ist ein heute 57-jähriger, vom äußeren Erscheinungsbild eher unauffälliger Zeitgenosse. Seine Lebensgeschichte ist jedoch umso beeindruckender und zeigt, wie die USA noch immer eine kaltblütige, mal subtile, mal offene Strategie zur Untergrabung Kubas fahren. Dazu zählt die seit fast 60 Jahren aufrechterhaltene Wirtschaftsblockade, welche direkten Einfluss auf das Leben eines jeden und einer jeden Kubaner_in hat und keineswegs als Geheimnis gilt. Der kulturelle Krieg zur ideologischen und letztlich politischen Annexion Kubas an die USA ist eine Strategie, die der Öffentlichkeit bewusst vorenthalten wird. Biografien, wie die Capotes geben einen kleinen Einblick in die skrupellosen Strategien der US-amerikanischen Politik gegen Kuba.

Eine beeindruckende Lebensgeschichte

Mit 18 Jahren, in den 80iger Jahren, war Raúl Capote in der Provinz Cienfuegos Vizevorsitzender eines Kreises junger kritischer Schriftsteller_innen. Capote berichtet humorvoll von dieser Zeit: Er sei damals zwar ein kritischer junger Mann gewesen, bereitwillig als Künstler für Veränderung in seinem Land zu kämpfen, von einer großen, einflussreichen Persönlichkeit war er jedoch weit entfernt. Sein Künstler-Dasein war damals von nicht vielmehr als seinem äußeren Erscheinungsbild – lange Haare und Lederarmbändchen – bestimmt. Er hatte noch nicht einmal ein vollständiges Buch geschrieben, als ihm von Seiten der kubanischen Regierung Nahe gelegt wurde, dass die CIA Interesse an einer Zusammenarbeit mit ihm hätten. Lachend beteuert er seine damalige Ungläubigkeit, als ihm diese Information zukam.

Kurze Zeit später nahmen US-amerikanische Vertreter_innen von Unis und Stiftungen erstmals Kontakt zu ihm auf. Die Gespräche und Einladungen zu Veranstaltungen, die ihm und der Schriftsteller_innengruppe gemacht wurden, waren anfangs ausschließlich kultureller Natur. Erstmaligen Alarm meldete Capote dem kubanischen Ministerium für Innere Sicherheit, als ihm eine große Geldsumme angeboten wurde, wenn er im Austausch ein Buch zu bestimmten Themen wie Menschenrechten, Meinungsfreiheit, Repression, Zensur etc. in Kuba schreiben würde. Dieses Projekt wurde nie realisiert und der Kontakt zu den US-amerikanischen Kultur-Kontakten linderte sich in seiner Intensität. Kontakt wurde durch persönliche Kontakte jedoch gehalten. So integrierte sich eine US-amerikanische Vertreterin in sein familiäres Leben und pflegte jahrelangen, persönlichen Kontakt zur Familie.

Ein Jahrzehnt später, Raúl Capote war damals in Havanna bei der Gewerkschaft des Kultursektors, in dem 40.000 Angestellte vertreten sind, tätig, wurde der Kontakt seitens der US-Amerikaner wieder aktiver gesucht. Auf die Frage hin warum gerade er als eine zentrale Persönlichkeit im kulturellen Kriegs herausgepickt wurde, meint Capote, dass sein gesellschaftskritischer Geist, die Tatsache, dass ein Großteil seiner Familie in den USA lebe und seine einflussreiche Position in der Gewerkschaft sicherlich ausschlaggebend waren.

Einerseits wurde Capote als Schriftsteller von den USA gefördert. So wurde sein erstes Buch El caballero ilustrado veröffentlicht und Lesungen und Veranstaltungen wurden für ihn organisiert. Andererseits wurde er in Gesprächen und Interviews mehr und mehr ‚politisch ausgetestet‘. Vom MININT (kubanisches Innenministerium) wurde er instruiert mitzuziehen und zu sehen wie weit er das Spiel treiben könne. Trotz allem, betont Capote in dem Gespräch, dass wir mit ihm führen immer wieder, redete er den Amerikanern nie nach dem Mund, sondern blieb seinen eigenen Ansichten treu. Zwar sprach er sich für Veränderung im eigenen Land aus, schloss sich jedoch nicht blind kubanischen konterrevolutionären Strömungen an. Dies machte ihn zu einem authentischen und augenscheinlich vertrauenswürdigen Komplizen für die Imperialisten.

Die Kontakte, die Capote zu dieser Zeit schloss, verhalfen ihm und anderen Schriftsteller_innen aus seinen Kreisen zu Buchpublikationen, eine Möglichkeit, die verheißend war, da der kubanische Staat aufgrund der wirtschaftlichen Umständen während der Spezial Periode kaum kulturelle Projekte unterstützen konnte. Es handelte sich durchweg um Bücher ohne direkten politischen Inhalt, mit dem die USA jedoch intendierten ein ’neues Ideennetzwerk‘ zu schaffen, so Capote.

Kontakt zur CIA

Dass es sich bei der jahrelangen finanziellen Förderung sowie Infiltrierung in sein kulturschaffendes sowie familiäres Leben um die Vorbereitung der Rekrutierung eines neuen CIA-Agenten handelte, konnte der junge Capote anfangs nicht glauben. Etwa 20 Jahre nach der ersten Kontaktaufnahme, im Jahr 2005, schien es den Amerikanern sicher den kubanischen Schriftsteller einzuweihen und ihn offiziell zum CIA-Mitarbeiter zu erklären um im kulturellen Krieg gegen Kuba aktiv mitzuwirken.

Von nun an stellte Raúl Capote sowohl für den US-amerikanischen sowie für den kubanischen Sicherheitsdienst einen zentralen Ansprechpartner dar. Für die CIA war Raúl Capote Pablo, für den kubanischen Sicherheitsdienst arbeitete er unter dem Codenamen Daniel.

Ein Mann mit drei Identitäten

Als ich mich in Vorbereitung auf unser Treffen mit diesem Mann mit seiner Lebensgeschichte auseinandersetzte, schwirrte mir der Kopf schon bei der Vorstellung einen solchen Identitätsspagat zu vollziehen. Und das über Jahre hinweg. Ich versuche mir vorzustellen, wie es sein muss mit niemanden über persönlich, gesellschaftlich und politisch bewegende Themen und die eigene Rolle sprechen zu können. Keine Vertrauensperson zu haben. Keiner der eigenen Bezugspersonen von Geschehnissen geschweige denn Zusammenhängen erzählen zu können. Das Aufrechterhalten eines gesunden Realitätsbezugs muss herausfordernd sein, und das Verrichten der Arbeit eines Doppelagenten bedarf einer Menge ideologischer Überzeugung.

Capote schildert im Gespräch, dass die für ihn kraftgebenden Momente der Kontakt zum kubanischen Volk waren. In seiner Freizeit verbrachte er oft Stunden am Malecon Havannas und lauschte den Gesprächen der Menschen. Nicht um ungefragt in Privatsphären einzudringen, sondern um sich zu erden, um zu wissen für wen er seine Arbeit leistete. Diese einsamen Momente am Malecon beschreibt Capote als beruhigend und richtungweisend.

Die Aufagben des kubanischen CIA-Mitarbeiters

Die CIA hatte (hat) genaue und langfristig geplante Strategien für die Konterrevolution in Kuba. Capote spielte hierbei eine zentrale Rolle. Über Jahre hinweg war es Capotes Hauptaufgabe ein Universitätsprogramm mit dem Namen Genesis zu gründen und zu leiten. Hierbei handelte es sich um ein Programm, dass jungen Kubaner_innen Vollstipendien verlieh, um ein Jahr in den USA Leadership-Kurse zu belegen. Teilnahmebedingung war anschließend wieder nach Kuba zurückzukehren. Kubanisches Universitätslehrpersonal wurde zu Kongressen und Weiterbildungen in die USA und nach Europa eingeladen. Eine gekonnte Taktik um gezielt Gedankengut in die kubanische Kultur zu infiltrieren. Die nicht unerheblichen Geldsummen, die Capote und dem Programm Genesis zugespielt wurden, gab Capote stets an den kubanischen Staat weiter.

Diese Anstrengungen wurden natürlich nicht ohne ein weitergestecktes Ziel unternommen. Die langjährigen Maßnahmen waren zeitlich so geplant, dass es beim Versterben der aktiv an der Revolution beteiligten Generation, eine neue ‚kritische Masse‘ geben würde, die für die seitens der USA bestrebten Änderungen ‚bereit‘ wäre. Für eine solche Umwälzung, so Capote, erhielten die USA es einerseits für wichtig neues Führungspersonal, dass US-amerikanische Ideologien verinnerlicht hatte, auszubilden und anderseits einen gesellschaftlichen Grundkonsens einzuleiten, der dieser ’neuen politischen Strömung‘ folgen würde. Es galt eine neue kubanische Rechte zu schaffen, die sich als unabhängig von der klassischen kubanischen Konterrevolution verstehe. Dieser neue gesellschaftliche Grundkonsens wurde und wird durch vielseitige, manipulative Strategien zur Infiltrierung imperialistischer Werte bewerkstelligt. Als Beispiel kann hier das sogenannte Paquete genannt werden: Ein wöchentliches Medienpaket mit Filmen, Serien und anderen Medien, das kostenfrei zur Weitergabe per USB unter die Gesellschaft gebracht wird. Eine einfache und wirksame Strategie, um Ideale und Wertvorstellungen in das Bewusstsein von vor allem jungen Gesellschaftsmitgliedern zu bringen.

Beim Versterben Fidel Castros wurde sich folgendes Szenario ausgemalt: Durch inszenierte Unruhen im Stadtteil Centro Habana, einem Stadtteil mit einer sozial marginalisierten Bevölkerung und einem seitens der USA als regierungsunfähig eingeschätzten Raúl Castro, sollte ein generelles Chaos im Land ausbrechen. Um die Situation wieder unter Kontrolle zu bringen würde sich der Universitätsprofessor und Intellektuelle Raúl Capote, der durch ein gut vorbereitetes Netzwerk von Medien und Organisationen unterstützt werde, zu Wort melden und die USA bitten das Land für eine Zeitdauer von drei Jahren zu besetzen und so ein Blutbad vermeiden. Während dieser drei Jahre sei Genesis das Programm, welches sich um die Ausbildung neuer Führungskräfte kümmere.Im Falle des Scheiterns des Vorgehens während dieser sogenannten ‚Übergangsphase‘ wurde Capote zugesichert, dass er in die USA emigrieren könne, dort zu einem renommierten Professor in seinem Fachgebiet Pädagogik aufsteigen würde und sich stets an einem vollen Bankkonto erfreuen könne.

Das Ende des Lebens als Doppelagent

2011 hält die kubanische Regierung Capote dazu an die Pläne der USA ans Licht zu bringen und in einer öffentlichen Anklage das kubanische Volk über seine Arbeit der letzten Jahre zu informieren. Nach 6 Jahren kommt es für Raúl Capote also zum Ende des Doppelagenten-Lebens. In einem Dokumentarfilm (Las razones de Cuba) wird die Geschichte des Geheimagenten Daniel erzählt.Doch 6 Jahre sind eine lange Zeit. Wie geht man sicher, dass die in dieser Zeit geleistete Arbeit unter dem Programm Genesis nicht realen und unkontrollierbaren Schaden in der kubanischen Gesellschaft angerichtet haben? Capote entgegnet dieser Frage mit Anekdoten, die zu beweisen versuchen, dass dies nicht der Fall sei: Seine Arbeit an der Universität wurde oft durch Besuche falscher US-amerikanische Professoren oder anderen Besuchern/Touristen kontrolliert, die Feste oder Aktivitäten nicht richtig einzustufen wussten und den Enthusiasmus von Studierenden fehl- und zugunsten der von den USA erstrebten Ziele interpretierten. Ganz zufrieden waren wir als Gruppe mit dieser Antwort nicht, doch, und so äußerte sich auch Capote, die von ihm geleistete Arbeit bewegt sich zwangsläufig an einem fein auszutarierenden Limit und ist stets eine Gratwanderung zwischen Informationssammlung und Schadensvermeidung.Bewegt und beeindruckt von Capotes Geschichte und der am bodengebliebenen Menschlichkeit mit der er uns diese vermittelt, trauen wir uns am Ende die heikle Frage nach seinem heutigen Leben zu stellen. Capote arbeitet heute wieder in seinem gelernten Beruf und lehrt an der Universität für Pädagogik, dabei bezieht er den normalen Professorengehalt von umgerechnet 25 Euro im Monat.

Doch wie steht es um seine Sicherheit?

Eine öffentliche Anklage an den Sicherheitsdienst der weltweit einflussreichsten Nation ist nicht zu unterschätzen. Plump ausgedrückt – Muss er um sein Leben bangen?Nach kurzem Schweigen beginnt Capote zu erzählen. Der durchklingende Humor, der seine Erzählungen anfangs charakterisierte, verflog. Seit er seine offiziellen Verbindungen zur CIA 2011 beendete, wurde und wird er ständig kontaktiert. Wieder zu einem normalen Leben zurückzukehren, ist mit einer Biografie wie Capotes nicht denkbar. Anfangs übertrafen sich Geldsummen und materielle Anreize, um ihn wieder zurückzugewinnen. Beim Scheitern dieser Eroberungsversuche wurden subtilere und schmerzhaftere Methoden eingeleitet. Immer wieder wird Capote versucht von dem ihm rechtliche Sicherheit spendenden kubanischen Boden wegzulocken: ein Haus in Mexiko, Einladungen in die USA. Doch damit reicht es nicht: Es wurden bereits zahlreiche Anschläge auf ihn sowie seine Familie verübt, es kam zur Entführung seiner Schwester. Und zu guter letzt: Die Instrumentalisierung seiner todkranken, in den USA lebenden Mutter. Die an Krebs erkrankte Frau wurde in einer Spezialklinik in den USA behandelt. Immer wieder wurden Capote falsche Informationen über den Zustand seiner Mutter übermittelt um einen Besuch zu erzwingen. Die Geschichte nahm ein tragisches Ende mit dem Tod der Mutter, dass durch den Nahrungsentzug der bettlägerigen Frau herbeigeführt wurde. Die USA haben seine Mutter auf dem Gewissen. An Kalkül und Herzlosigkeit ist dies kaum zu übertreffen.Gefasst berichtet Capote von diesen Ereignissen. Vor uns sitzt ein Mann, in dem Dinge vor sich gehen, die einen Menschen zutiefst erschüttern und zerreißen müssen. Die Stäke und Überzeugung, die er ausstrahlt und die ihn die Lebensentscheidungen, die ihn eine so zentrale Rolle im Kampf gegen den US-amerikanischen kulturellen Krieg gegen Kuba haben einnehmen lassen, gilt mein aufrichtiger Respekt.

La guerra que se nos hace – Raúl Capotes neues Buch

Raúl Capote – La guerra que se nos hace

Auf der Buchmesse, welche vom 1.-11. Februar in Havanna stattfinden wird, stellt Raúl Capote sein neues Buch La guerra que se nos hace (Der Krieg, der uns gemacht wird) vor. Hier berichtet er neben seiner persönlichen Erfahrungen über die vielschichtigen Strategien der USA im kulturellen Krieg. Noch kann ich keine persönliche Eindrücke zum Buch schildern – nach dem persönlichen Treffen mit Capote bin ich mir jedoch sicher, dass ich es in Kürze stolz zur Sammlung meines Bücherregals zählen darf.

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