A las diez menos cinco por la mañana en La Habana, Cuba und ich hetze aus dem kubanischen Kollektivtaxi, um die Vorstellung 10 Uhr im Kino „23 y 12“ zu erwischen. Ich war bisher nur in einem Kino der 23. Straße, im „Riviera“ und da das Kino den Namen der Kreuzung trug, an der es sich befand, dachte ich, es wäre leicht dieses schnell sichten zu können. Ich liege falsch, denn an der Kreuzung gibt es gleich mehrere Kinos und ich drehe mich hilflos im Kreis, um mich dann für eine Richtung zu entscheiden. Die nächsten fünf Minuten sieht man mich vom „Fresa y Chocolate“ rüber zum „Chaplin“ laufen, weiter in die 12. Straße rein, wieder hoch und kreuz und quer, mindestens einmal jede Ampel nutzend und völlig unter Zeitdruck am Ende aber doch das gewünschte Kino erreichen. Am Eingang zeige ich mein Siebener-Ticket des Festivals und sinke ganz erschöpft in den Sessel des kühlen Kinosaals hinein.
Zu Beginn laufen diesmal drei kleine Werbefilme, wobei Werbung vor der Kinovorstellung in Kuba eigentlich untypisch ist. Ganz allgemein begegnete mir bisher nur selten Werbung im Alltag. Diese Spots hingegen sollen mir die nächsten zwei Wochen des Festivals meine Wahrnehmung auf die Wichtigkeit des HIV-Tests, die Kampagne gegen häusliche Gewalt „Eres más“, (Du bist mehr) und zu guter Letzt den Trailer für das 38. internationale Festival des neuen lateinamerikanischen Kinos unter dem Motto: „mi rollo, mi pelicula“ (Meine Rolle, mein Film) und seine Sponsoren lenken.
Die sieben Tickets für umgerechnet circa 40 Eurocent eröffnen mir in den nächsten Tagen die Möglichkeit aus ausführlich bedienten Formaten zu wählen. Dokumentationen, Animationsfilme, , Kinderfilme, Kurzfilme, Spielfilme entweder mit oder ohne fiktivem Charakter, mit oder ohne politischem Anspruch, dass was die breite internationale Kinowelt eben bietet.
Neben einigen deutsche Filmen, wie beispielsweise „Toni Erdmann“, US-amerikanischen Dokumentationen, wie der über die Black Panther Bewegung und Chicago Boys, liegt der Fokus immer noch auf lateinamerikanischen Produktionen, Themen und Geschichten. Dabei tauchen natürlich auch viele kubanische Alltagszenen die Leinwände in ein kontrastreiches Farbspiel.
Der Film: „Últimos días en La Habana“ zeigt einen tiefen Einblick in den tristen Alltag eines in sich gekehrten Tellerwäschers, der davon träumt in der USA zu leben, englisch zu sprechen und schwimmen zu können. Zuschauend begleite ich ihn durch den Hausflur eines Mehrfamilienhauses, vorbei an der singenden Nachbarin, der religiösen alten Frau und hinein in seine kleine Küche, in der er immer sobald er nachhause kommt das Essen für seinen todkranken Freund zubereitet. Dieser ist nämlich bettlägerig und ist in seiner eigenen Alltagseinöde gefangen. Der Film spricht von den Bewohner*innen des Hauses, die darunter leiden, dass Familienmitglieder in die USA geflohen sind, von Geldknappheit und Trostlosigkeit. Auf der anderen Seite vereint er diese Menschen durch die Gemeinschaft des Hauses, aus der die Menschen viel Kraft schöpfen, um für ihre eigenen Träume kämpfen zu können.
Im Gegensatz zu den neuen Inszenierungen wurden im Vorfeld die Filmdosen einiger alter kubanischer Kunstwerke entstaubt, im Ausland digitalisiert und restauriert („Los Sobrevivientes“ und „Memorias de Subdesarrollo“). Durch zahlreiche Künstler wie beispielsweise Tomás Gutiérrez Alea, Fernando Perez und Julian Gracia Espinosa, dem dieses Filmfestival gewidmet ist, gewann das kubanische Kino der 60er und 70er Jahre an internationaler Bedeutung.
Im „Yara“, dem Kino gegenüber vom Hotel Habana Libre, gibt es neben dem Kiosk einen kleinen Laden. Kurz bevor der Film „Mr. Pig“ losgeht, streift mein Blick über die Plakate in seinem Schaufenster. Die Tür ist schon verschlossen, aber die Frau hinterm Ladentisch gleitet flink in meine Richtung, dreht den Schlüssel im Schloss und öffnet mir freundlich lächelnd die Tür. Sie ist kurz vor Kassenschluss, aber sie gibt mir noch ein bisschen Zeit mich um zu schauen. Die Filmplakate sind es, die mich in ihren Bann ziehen. Es sind Drucke, bei denen das eine dem anderem im Stil gleicht und zwar durch kräftige Farben, einfache und prägnante Formen, die auf malerische Art ihr Zusammenspiel finden. Nur durch die Plakataufschrift kann ich erkennen, um welche Verfilmung es sich handelt, denn mehr oder weniger abstrakt sind die Handlungsbögen, kleine Nebengeschichten oder Details abgebildet. Die Verkäuferin erzählt mir, dass viele dieser Plakate hier von „Bach“ gefertigt wurden und es zur kubanischen Kinotradition gehöre, zu den hier gezeigten Filmen ein eigenes Plakat von Künstler*innen gestalten zu lassen. Filmplakate, sowie ich sie kenne, haben selten den Anspruch einer eigenen Stilrichtung in der Kunst zu bedienen. Schlanke Frauen und durchtrainierte Männer mit noch weniger Kleidung oder sentimental einstimmende Landschaftsbilder. Allen voran, die Logos der tausend mitwirkenden Unternehmen. Diese Filmplakate hier sind anders aufgezogen, die Devise lautet nicht: mehr ist mehr und Hauptsache alles das mit der größten Adressatengruppe. Hier wird Wert auf die künstlerische Neuinterpretation gelegt. Im „Fresa y Chocolate“ und auch im „Chaplin“ und im „Yara“ gibt es Ausstellungen, die dauerhaft Filmplakate zeigen und jährlichen gibt es im Rahmen des Filmfestivals abschließend die Verleihung des schönsten Filmplakats.
Gleich beginnt die Vorstellung und ich entscheide mich für ein Plakat mit viel Grau und 21 kleinen Vögeln: „La Muerte de un Burocráta“ von Tomás Gutiérrez Alea, steht darauf. Aber zu dem Zeitpunkt kann ich noch nicht wissen, was für ein schöner Film sich hinter diesem Titel versteckt. Im Kinosaal treffe ich meine Freunde und lasse mich zum elften Mal in diesen zwei Wochen in eine andere Welt zaubern.
Dieser Artikel ist von Anuk. Hier geht es zu weiteren Artikeln von ihr.