Integration oder Ausgrenzung?

Chancen und Möglichkeiten beeinträchtigter Menschen auf Cuba

„Auf Cuba werden behinderte Menschen von der Gesellschaft ausgeschlossen, haben keinerlei Rechte und erhalten ebenfalls keine Unterstützung vom Staat“ als ich diesen Satz im Internet lese werde ich  zornig. Ist er doch so weit von der Wirklichkeit entfernt, die ich hier Tag für Tag erlebe. Erst gestern sah ich eine blinde Frau, die eine Kreuzung überqueren wollte. Doch bevor sie nur einen Fuß auf die Straße setzten konnte, kam schon ein Gemüsehändler angelaufen, dessen Karren an der Ecke aufgebaut war, um ihr zu helfen. Seinem Kunden überließ er so lange die Obhut seiner Waren. Oder  mir kommt das Bild des Straßenverkehrsmitarbeiters in den Sinn, dem ich regelmäßig vor der Coppelia, einer Eisdiele in der Innenstadt Havannas, begegne und der an einer Sprachstörung leidet, so dass es ihm unmöglich ist, Wörter zu formen.

Schwerpunkt: Inklusion

Cuba gehört nicht zu den Ländern, die eine erhöhte Behindertenrate aufweisen. Nur ca. 5 % der Kinder werden mit einer Behinderung geboren, was dem Stand in entwickelten Ländern entspricht und auf das vorbildliche Gesundheitssystem zurückzuführen ist. Doch damit auch diese Kinder sich nicht in äußerst prekären Situationen befinden, wie es laut UNESCO bei ¾ der Weltbevölkerung mit Behinderungen der Fall ist, gewährleistet der cubanische Staat eine kostenfreie Betreuung und Bildung, medizinische Spezialversorgung sowie eine spezielle und umfassende psychologische Betreuung der Familienmitglieder. Es ist also kein Wunder, dass 98% aller cubanischen Kinder mit physischen und psychischen Beeinträchtigungen versorgt werden. Ein besonderer Schwerpunkt wird auf Integration bzw. Ermöglichung dieser gelegt. Um dies erreichen zu können, ist eine geeignete Bildung elementar. Deshalb existieren heutzutage 425 Sonderschulen, die sich auf unterschiedliche Bedürfnisse spezialisiert haben. Hinzu kommen weitere Schulen, die auf verschiedene Behinderungen ausgerichtet sind. Außerdem bestehen 160 gemischte Schulen, in denen Kinder mit verzögerter physischer Entwicklung und Lernschwierigkeiten gemeinsam mit  Schülern ohne Behinderungen unterrichtet werden. Eine schnellstmögliche Umschulung auf eine der regulären Schulen wird in jedem Fall angestrebt. Deshalb vermitteln die meisten sonderpädagogischen Einrichtungen, in denen nur besonders ausgebildetes Personal unterrichten darf, den selben Stoff, den der reguläre Lehrplan vorgibt. In den Sonderschulen kann jeder Schüler einen seinen Voraussetzungen entsprechenden Beruf erlernen. Anschließend besteht die Möglichkeit weiter zu studieren sowie eine Universität zu besuchen, wenn der Wunsch und die Qualifikationen vorhanden sind. Heutzutage sind es ca. 14.000 Lehrer, die in Sonderschulen arbeiten. Unterstützt werden sie von 3.000 Dozenten für Sonderpädagogik, 4.500 Hilfskräften für Menschen mit Behinderungen, Logopäden, Psychologen, Psychotherapeuten, Psychopädagogen, Musik-, Sport- und Werkarbeitslehrern. Außerdem lehren 260 Wanderlehrer, die auf ganz Cuba agieren. Ihre Aufgaben bestehen darin, Kinder zu unterrichten, die nicht gemeinsam lernen können, die sich trotz normalem Niveau nicht in der Geschwindigkeit ihrer Altersgenossen entwickeln oder aber, die lange Zeit im Krankenhaus verbringen müssen, deshalb jedoch nicht zu viel Unterrichtsstoff versäumen sollen, um nach Genesung in ihren Klassenverband zurück kehren zu können.

Weiterführende Betreuung

Um ebenfalls eine weiterführende Betreuung zu gewährleisten, die keine reine Beschäftigungstherapie darstellt, existieren neben den regulären, staatlichen Betrieben, in denen auch Menschen mit Behinderungen eingestellt sind, weitere 150 Werkstätten. In diesen Werkstätten können die dort arbeitenden Personen ca. 50% des cubanischen Durchschnittslohns verdienen, was z.B. in Deutschland noch fast unvorstellbar ist. Leider sind nicht jedem die Voraussetzungen zum Arbeiten gegeben. So erhalten Menschen mit geistigen Behinderungen eine intensive Pflege und Therapie, die in 26 verschiedenen Einrichtungen auf ganz Cuba entwickelt wird. Die Forschungsarbeiten, mit deren Hilfe das nationale Programm für schwer geistig Beeinträchtigte entworfen wird, erreichen das gleiche Level wie jeder Industriestaat.

Unterstützung von allen Seiten

Doch im Mittelpunkt des Lebens steht natürlich die Familie, die Auffangbecken, Halt und Unterstützung bieten kann. Denn ein angenehmes häusliches Klima und eine den Bedürfnissen entsprechende Erziehung liefern eine stabile Voraussetzung für eine Integration in das gesellschaftliche Leben. Cuba, das Land, das für sein soziales Miteinander bekannt ist, enttäuscht auch hier nicht: benötigt der engere Kreis der Familie Unterstützung, z.B. bei dem Transport oder aber zwischenzeitlicher Betreuung, helfen die Nachbarn sowie entferntere Verwandte aus. Auch die CDRs setzten sich gegen eine Isolierung ein und versuchen den Familien zu helfen. Besonders vorteilhaft ist das dichte Geflecht an Familienarztpraxen, da diese die Kinder von Geburt an begleiten, so dass eine enge und freundschaftliche Bindung entstehen kann. Des Weiteren können die Ärzte die Kinder in geeignete Förder- und Behandlungseinrichtungen überweisen und kümmern sich in Form von regelmäßigen Besuchen um das Wohl des Kindes. Hinzu kommt, dass sie immer einen Überblick über die in ihrem Bezirk lebenden Beeinträchtigten haben und somit die Koordination mit den Schulen einfacher verläuft. Denn wenn schon kurz nach der Geburt die Schulen über den Zuwachs Bescheid wissen, den sie in ein paar Jahren erhalten werden, kann die Anzahl der benötigten Lehrer, Klassen und Materialien besser kalkuliert werden. Außerdem existieren Behindertenverbände, die eine Interessenvertretung der Betroffenen darstellen und die Betreuung in den verschiedenen Stadtteilen organisieren. Sie verfügen über eigene Ärzte, Therapeuten und Forscher und sind in je einen Verband für körperlich und geistig Beeinträchtigte, Sehbehinderte und Blinde sowie Schwerhörige und Taube gestaffelt. Neu hinzu kommend und sich gerade in der Gründungsphase befindend, sind Verbände für Angehörige und Freunde von geistig Behinderten.

Welt der Hoffnung

Doch diese Errungenschaften sind Ergebnisse der neueren Vergangenheit. Erst 1962 entstand das sonderpädagogische Subsystem des Bildungswesens. Vor der Revolution 1959 existierten nur ca. 10 Institutionen, die sich alle ausschließlich privat durch Patenschaften oder Spenden finanzieren mussten. Außerdem waren sie in Havanna konzentriert und konnten somit nur ca. 150 Kinder erreichen. Allerdings darf man nicht vergessen zu erwähnen, dass es auch in der Gegenwart noch immer viel zu tun gibt. Auch, wenn der Staat im Vergleich zu den anderen lateinamerikanischen Ländern eine vorbildliche Stellung bezieht. Denn obwohl jedes Jahr ca. 65 Millionen Peso des Staatshaushaltes in Löhne, Lehrmaterial, Transport und Ernährung der Schüler  sowie Internatsunterbringungen investiert wird, um eine unentgeltliche Betreuung gewährleisten zu können, fehlt es vorne und hinten an Geldern. Daraus resultiert, dass z.B. nicht genügend Rampen vorhanden sind und auch das behindertengerechte Transportwesen ausbaufähig ist. Doch diesem Problem hat sich die 1980 gegründete Gesellschaft für motorisch Behinderte (Asociación Cubana de Limitados Físico-Motores) angenommen und versucht Cuba jedes Jahr ein Stückchen rollstuhlsicherer zu machen. Auch die cubanische Regierung ist sich dieser Mängel bewusst und versucht durch Aktualisierungen und ständigen Verbesserungen diese Makel aus dem Weg zu räumen. So wurde z.B. Ende der 80er Jahre ein Sonderprogramm gestartet, das es sich zum Ziel gesetzt hatte, alte Gebäude und Einrichtungen, sowie das dort verwendete Mobiliar zu ersetzen. Zuvor hatten einige Projekte auf Grund der Spezialperiode auf Eis gelegt werden müssen, da das nötige Geld fehlte. Auch weltweit ist Cubas Engagement nicht verborgen geblieben. Im Juni 2014 hat die Weltvereinigung für Sonderpädagogik AMEE dem cubanischen Bildungsministerium die Auszeichnung „Mundo de Esperanza“ (Welt der Hoffnung) verliehen und somit Cubas Einsatz und Arbeit für und mit Behinderten geehrt. Außerdem organisierte Cuba olympische Spiele für Menschen mit Behinderungen und brachte sich bei internationalen Veranstaltungen in den Bereichen Kunst, Sport sowie einigen weiteren Aktivitäten ein.

Garantie auf ein menschenwürdiges Leben

„Auf meiner Reise durch Cuba habe ich hilfsbereite und freundliche Menschen erlebt, die ohne Gegenleistung immer sofort zur Stelle waren und mir alles ermöglichen wollten, was Menschen ohne Behinderungen auch tun können“ als ich diesen Satz als Fazit eines Rollstuhlfahrers in seinem Erfahrungsbericht im Internet lese, werde ich glücklich. Entspricht er doch der Wirklichkeit, die ich hier Tag für Tag erlebe. Eine Wirklichkeit, die in den europäischen Nachrichten leider so oft verdreht wird, bis keiner in ihr mehr die Ziele und Taten der cubanischen Gesellschaft entdecken kann, die sie sich gesteckt hat und umsetzt, um JEDEM Bürger ein menschenwürdiges Leben zu garantieren.

Dieser ist von Lotta. Hier geht es zu allen Artikeln von Lotta

Hier geht es zu einem sehenswerten Film über einen Menschen mit Behinderung auf Cuba: Kraft der Schwachen.

8 Gedanken zu „Integration oder Ausgrenzung?“

  1. Pingback: Die Ciudad Escolar Libertad – Vom Sieg der Kultur über die Barbarei | Eine Andere Welt ist möglich

      1. Integration oder Ausgrenzung?
        8. Juni 2015 / berichtende
        Chancen und Möglichkeiten beeinträchtigter Menschen auf Cuba Ist ein schöner Artikel

        ;, Oder mir kommt das Bild des Straßenverkehrsmitarbeiters in den Sinn, dem ich regelmäßig vor der Coppelia, einer Eisdiele in der Innenstadt Havannas, begegne und der an einer Sprachstörung leidet, so dass es ihm unmöglich ist, Wörter zu formen.“

        leidet er wirklich hast du gefragt ?

        Schwerpunkt: Inklusion
        .
        „Ein besonderer Schwerpunkt wird auf Integration bzw. Ermöglichung dieser gelegt. Um dies erreichen zu können, ist eine geeignete Bildung elementar. Deshalb existieren heutzutage 425 Sonderschulen, die sich auf unterschiedliche Bedürfnisse spezialisiert haben. Hinzu kommen weitere Schulen, die auf verschiedene Behinderungen ausgerichtet sind. Außerdem bestehen 160 gemischte Schulen, in denen Kinder mit verzögerter physischer Entwicklung und Lernschwierigkeiten gemeinsam mit Schülern ohne Behinderungen unterrichtet werden. Eine schnellstmögliche Umschulung auf eine der regulären Schulen wird in jedem Fall angestrebt Deshalb vermitteln die meisten sonderpädagogischen Einrichtungen, in denen nur besonders ausgebildetes Personal unterrichten darf, den selben Stoff, den der reguläre Lehrplan vorgibt. In den Sonderschulen kann jeder Schüler einen seinen Voraussetzungen entsprechenden Beruf erlernen. Anschließend besteht die Möglichkeit weiter zu studieren sowie eine Universität zu besuchen, wenn der Wunsch und die Qualifikationen vorhanden sind. Heutzutage sind es ca. 14.000 Lehrer, die in Sonderschulen arbeiten. Unterstützt werden sie von 3.000 Dozenten für Sonderpädagogik, 4.500 Hilfskräften für Menschen mit Behinderungen, Logopäden, Psychologen, Psychotherapeuten, Psychopädagogen, Musik-, Sport- und Werkarbeitslehrern. Außerdem lehren 260 Wanderlehrer, die auf ganz Cuba agieren. Ihre Aufgaben bestehen darin, Kinder zu unterrichten, die nicht gemeinsam lernen können, die sich trotz normalem Niveau nicht in der Geschwindigkeit ihrer Altersgenossen entwickeln oder aber, die lange Zeit im Krankenhaus verbringen müssen, deshalb jedoch nicht zu viel Unterrichtsstoff versäumen sollen, um nach Genesung in ihren Klassenverband zurück kehren zu können..“

        Plant Cuba die Abschaffung der Sonderschulen und die Errichtung eiines komplett inklusiven Schulsystem dennnu dann kann mensch davon reden das Inklusion konsequent umgesetzt wird?

        „Um ebenfalls eine weiterführende Betreuung zu gewährleisten, die keine reine Beschäftigungstherapie darstellt, existieren neben den regulären, staatlichen Betrieben, in denen auch Menschen mit Behinderungen eingestellt sind, weitere 150 Werkstätten. In diesen Werkstätten können die dort arbeitenden Personen ca. 50% des cubanischen Durchschnittslohns verdienen, was z.B. in Deutschland noch fast unvorstellbar ist. Leider sind nicht jedem die Voraussetzungen zum Arbeiten gegeben.“

        In einem inklusiven Arbeitsmarkt können alle Menschen arbeiten nach ihren Fähigketen Cuba muss also dahin kommen Sonderwelten abzuschaffen!

        „Es fehlt vorne und hinten an Geldern. Daraus resultiert, dass z.B. nicht genügend Rampen vorhanden sind und auch das behindertengerechte Transportwesen ausbaufähig ist. Doch diesem Problem hat sich die 1980 gegründete Gesellschaft für motorisch Behinderte (Asociación Cubana de Limitados Físico-Motores) angenommen und versucht Cuba jedes Jahr ein Stückchen rollstuhlsicherer zu machen. Auch die cubanische Regierung ist sich dieser Mängel bewusst und versucht durch Aktualisierungen und ständigen Verbesserungen diese Makel aus dem Weg zu räumen. So wurde z.B. Ende der 80er Jahre ein Sonderprogramm gestartet, das es sich zum Ziel gesetzt hatte, alte Gebäude und Einrichtungen, sowie das dort verwendete Mobiliar zu ersetzen“.

        Dabei beweist Cuba was alles geht wenn der politische Wille da ist!

        .“ Auch weltweit ist Cubas Engagement nicht verborgen geblieben. Im Juni 2014 hat die Weltvereinigung für Sonderpädagogik AMEE dem cubanischen Bildungsministerium die Auszeichnung „Mundo de Esperanza“ (Welt der Hoffnung) verliehen und somit Cubas Einsatz und Arbeit für und mit Behinderten geehrt.“
        Ob diese Auszeichnung unbedingt für Cuba spricht möchte ich bezweifeln denn diese Organisation ist eben für Sonderschulen und somit für Seperation statt Inklusion
        Ich möchte aber betonen das ich als behinderte Person und Kommunist solidarisch an der Seite Cubas stehe! Wenn ein Land weltweit gerade den Willen zeigt eine inklusive Gesellschaft zu werden dann ist dass das sozialistische Cuba

  2. Liebe Companeros und -as,
    ich finde eure Seite super! Wäre nur toll, wenn die Artikel zum Ausdrucken wären. Wir machen hier in Freiburg eine Radiosendung und suchen immer nach aktuellen Artikeln.
    Herzliche und solidarische Grüße
    Carmen

  3. Man darf sich keine Illusionen machen. Was wurden (und werden!) beispielsweise über die Sowjetunion und über die DDR für Lügen verbreitet! Die Lüge zum Zwecke des Machterhalts ist das einzige, worauf man sich beim Imperialismus verlassen kann! Der Einflußbereich ist gewaltig. Doch NIEMALS wird die Wahrheit zum Schweigen zu bringen sein! Es kommt nur immer wieder darauf an, die ökonomischen Hintergründe, die Machtverhältnisse, d.h. die Eigentumsverhältnisse aufzudecken!

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