Wie der Tourismus die kleine Karibikinsel beeinflusst
Bisher habe ich Cuba stets aus der Perspektive einer europäischen Studentin erlebt. Doch jetzt, wo mich meine Eltern für drei Wochen besuchen, lerne ich eine andere, neue Seite kennen. Nämlich die eines Touristen. Wir steigen aus dem Truck, der uns nach einer kleinen Wanderung abholte und zu unserem Reisebus brachte. An dem Treffpunkt stehen noch weitere, auf ihre Gruppen wartenden Busse, sowie Verkäufer in Buden, die ihre Souvenirs und Leckereien anbieten, um den Reisenden die Weiterfahrt zu versüßen. Meine neugierigen Eltern haben nach dem Analysieren der Auslageflächen, den Blick auf die in Plastikfolie eingewickelten Erdnussriegel geworfen. Als ich den Preis höre, stutze ich. 2 CUC für einen Riegel?! Das kann nicht sein, ich hatte dafür doch immer nur 0,25 CUC ausgegeben. Doch schnell begreife ich, dass ich bisher nie die Touristenpreise bezahlt hatte, denn als Studentin mit einer temporären Aufenthaltsgenehmigung, bewege ich mich in dem Umfeld von Preisen, die sich auch Cubaner – ausgehend von ihrem monatlichen Lohn – leisten können.
Was macht der Tourismus mit Cuba?
„Kleine privatwirtschaftliche Initiativen entstehen vor allem in der devisenträchtigen Tourismusbranche, Kubas wichtigstem Wirtschaftszweig mit mehr als zwei Milliarden Euro Umsatz im Jahr. Diese Einnahmequelle könnte in Zukunft noch mehr sprudeln, sollten vermehrt US-Amerikaner nach Kuba reisen dürfen. Dann würden sich die jährlichen Touristen-Zahlen von drei Millionen schnell mal verdoppeln“, so lautet es in einer Dokumentation auf 3-sat. Der Tourismus ist die zweitwichtigste Einnahmequelle für Cuba, denn die Karibikinsel und ihre Bevölkerung sind auf die Devisen, die die rund 3 Millionen Touristen jährlich auf ihren Reisen in das Land bringen, angewiesen. Nach der Spezialperiode war klar, dass in den Tourismus investiert werden muss, damit sich das Land regenerieren kann. Dadurch, dass Reisende in der Regel ein Vielfaches von dem bezahlen, was Cubaner sich leisten können, hat Cuba die Chance die Wirtschaft seines Landes aufrecht zu erhalten, zu verbessern und für das Wohl seiner Bevölkerung zu sorgen, welches durch die Blockade sehr leiden musste. Für Europäer, die verhältnismäßig mehr verdienen können als Cubaner, scheinen die Preise sowohl im Vergleich zu anderen Urlaubsländern, als auch zu ihrem Lebensunterhalt, meist sehr niedrig zu sein. Durch das geringe Einkommen der cubanischen Bevölkerung sind die Preise für sie in Cuba ähnlich, wie beispielsweise für die Deutschen die Preise in ihrer Heimat. Oft hört man die Mengen staunen, wie preiswert doch alles sei im Vergleich zu Europa, so auch z.B. Rum und Zigarren, was jährlich in großen Mengen auf die ganze Welt transportiert wird. Der Tourismus ist also absolut notwendig, für den von der Wirtschaftsblockade abgeschotteten Staat, der dadurch zunehmend große Schwierigkeiten hat, anderweitig an Geld zu kommen. (Mehr zur Wirtschaftsblockade und ihre Folgen findet ihr hier)
Doch der Tourismus hat nicht nur seine guten Seiten. Die Gefahr, dass die Unterschiede in der cubanischen Bevölkerung, durch die Möglichkeit einfach Geld zu verdienen, immer größer werden, besteht weiterhin. So verdient beispielsweise eine Musikgruppe, die nach ihrem Auftritt Spenden einsammelt und CDs für jeweils 10 CUC verkauft, in 15 Minuten mehr, als andere Cubaner, die einem Beruf nachgehen, für den sie viele Jahre in eine Ausbildung oder ein Studium investiert haben, in mehreren Wochen. Somit zieht es immer mehr Menschen in die Arbeit mit dem Tourismus. Sei es als Reiseleiter, Sänger, Tauchlehrer, Busfahrer, Kellner oder einfach als Bettler, die Gäste haben immer ein mehr oder weniger kleines Trinkgeld parat. So wird der Tourismus von einer wichtigen Einnahmequelle zu einem Keil, der die Bevölkerung mehr und mehr spaltet. Ein weiteres durch den Tourismus hervorgerufenes Problem, ist der an manchen Stellen herrschende Mangel an Arbeitskräften. Angestellte aus vielen verschiedenen Berufsgruppen – insbesondere Fremdsprachenlehrer – suchen sich neue Beschäftigungen im Touristensektor, weshalb man davon ausgehen kann, dass ein großer Teil von beispielsweise Kellnern ein abgeschlossenes Studium vorweisen kann.
Einfach vs. luxuriös
Doch dies sehen die Touristen nicht. Sie sollen es auch nicht sehen. Es gab ganze eingezäunte Gebiete, die nur für Touristen geschaffen und zugänglich waren. Als Cubaner durfte man nur passieren, wenn man dort arbeitete oder einen anderen triftigen Grund hatte. Dies wurde allerdings nach dem Inkrafttreten der Lineamentos geändert. (Mehr dazu findet ihr hier) In vielen Bereichen ist es auch heute noch so, dass die Reisegruppen mit ihren Bussen direkt vom Flughafen abgeholt und in ihre Hotels verfrachtet werden, sodass sie das ganze Drumherum nicht mitbekommen. So kommt es, dass manche Gäste drei Wochen all-inklusive-Urlaub auf Cuba machen, aber bei ihrer Heimreise genau so viel wissen wie vorher, weil sie das Land nicht kennen lernen konnten oder wollten. In den Hotels selbst werden nur die feinsten Leckereien aufgetischt, von denen die Cubaner nur träumen können. Kartoffeln z.B. können Cubaner nicht einkaufen, den Gästen wiederum werden sie vermehrt angeboten. Um ihnen den Aufenthalt noch einfacher zu gestalten, müssen die Angestellten natürlich alle mindestens englisch sprechen, was die Mehrheit der Bevölkerung allerdings nicht kann. So versuchen viele junge Leute andere Sprachen zu lernen, um später gute Aussichten auf einen Job im Touristensektor zu ergattern.
Wie das echte Leben der Bevölkerung jedoch aussieht, erfahren die Reisenden meist nicht. Gründe dafür können beispielsweise mangelndes Interesse, aber auch Fehlinformationen von Reiseführern sein. Dadurch, dass sie meist nur die touristischen Orte, Restaurants und Sehenswürdigkeiten besuchen, lernen sie teilweise weder die eigentliche Währung – den CUP – kennen, noch benutzen sie sie. (Was ist der CUP?) Sie sollen Cuba positiv in Erinnerung behalten und nicht merken, welche Mängel tatsächlich auf der Insel bestehen, wie zum Beispiel die Wohnungsnot oder die erschwerte Beschaffung von einigen Nahrungsmitteln. So erleben die meisten Touristen lediglich, die auf Gewinn abzielenden Verkäufer in beispielsweise Habana Vieja – der Altstadt Havannas – wie sie einem aufdringlich „Taxi, Taxi“ hinterher rufen oder ihre Restaurants aufschwatzen wollen. Durch das Bedürfnis Geld zu machen, werden jedoch viele Touristen abgeschreckt, die sich über diese „nervige Aufdringlichkeit“ ärgern und davon ausgehen, dass alle Cubaner so sein. Wenn man die Touristengebiete allerdings verlässt, merkt man, dass man nicht von jedem Zweiten um Geld gebeten wird. Denn es gibt auch die andere Seite der Medaille. Nur bleibt diese den Touristen ebenfalls verwehrt. Zwar preisen die Gemüseverkäufer außerhalb touristischer Gebiete ihre Waren genauso an, jedoch gilt dies nicht nur den Ausländern, sondern der cubanischen Bevölkerung. Ich erlebe hier eine Hilfsbereitschaft, wie ich sie sonst noch nicht kannte, um nur eine der vielen Dinge zu nennen. Die Menschen sind aufmerksam und helfen sich gegenseitig. (Paula beschrieb dieses Phänomen anhand des Beispiels „Busfahren“. Hier kommt ihr zu ihrem Artikel)
Natürlich gibt es auch Menschen, die ihre Reise anders gestalten und tatsächlich das Land kennen lernen wollen, sie wohnen dann z.B. nicht in Hotels, sondern in „Casa Particulares“ –Private Wohnungen oder Häuser die einzelne Personen vermieten – und reisen nicht mit den großen Bussen der teuren Reiseunternehmen, sondern mit einfacheren Transportmitteln. Doch auch ihnen bereitet das Kennenlernen des Landes gewisse Schwierigkeiten. Zum einen erfordert diese Methode ein gewissen Durchhaltevermögen und Eigeninitiative, da die Reiseführer auf solche Reisen meist nicht ausgelegt sind und einem somit eher wenig helfen können. Zum anderen sind Ausstellungsstücke in bekannten Museen oft ausschließlich auf Spanisch beschrieben, bzw. nur mit einem kurzen englischen Kommentar versehen. Um das Folgende zu verstehen, muss gesagt werden, dass die Museen in Cuba anders sind, als man sie vielleicht aus Deutschland kennt. Es wird sehr viel Wert auf Reliquien aus der dargestellten Zeit oder auf persönliche Gegenstände von wichtigen Figuren aus der Geschichte gelegt. So kam es, dass unsere Reiseleiter und lediglich erzählte, was auf den Bildern zu sehen und in den Vitrinen dargestellt ist, welche Bücher z.B. Che in seiner Jugend las und was für Zigarren er geraucht hatte. Doch welche Gründe und Auslöser es für ihn gegeben hatte nach Cuba zu kommen, sowie die Bedeutung der Revolution für sowohl ihn, als auch die Bevölkerung, blieben den Unwissenden, die sich vorher noch nicht damit auseinander gesetzt hatten, leider verschwiegen. So kommt es, dass manche Reisende, trotz der Besuche einiger Museen, nach ihrem Urlaub auf die Karibikinsel nicht bedeutend mehr wissen, als vorher. Aber wichtig müsste doch sein, dass die Touristen mit einem wahren Bild von Cuba, welches sie auch tatsächlich verstanden haben, nach Hause fahren und erzählen können, wie es dort wirklich zugeht. Was andere Medien, wie z.B. Reiseführer über Cuba veröffentlichen, kann die cubanische Regierung nicht beeinflussen, doch es könnte mehr Arbeit in die Bildung der Touristen gesteckt werden. Wie z.B. in die Beschilderung von Ausstellungsstücken und historischen Fakten in Museen, welche vermehrt auf anderen Sprachen übersetzt werden müssten.
Meine Eltern überlegen sich also doch keinen Riegel zu kaufen, denn hierbei wäre das Geld gewiss ausschließlich in die Tasche dieses einen Verkäufers geflossen. Der Grund für ihr Zögern ist nicht der teure Preis. Sie wollen gerne Geld in Cuba lassen, jedoch soll dies keinen Privatpersonen, sondern lieber dem Staat und somit seiner Bevölkerung zukommen. Denn im anderen Fall würden sie den vom Tourismus geschaffenen Keil unterstützen, da die benötigten Devisen aus dem Ausland nicht der Allgemeinheit zu Gute kommen. Wenn also Einzelpersonen weiterhin so viel Profit durch den Tourismus machen, wird der Keil noch größer werden. Nach unserem Urlaub habe ich gelernt, dass den Touristen oft ein Bild vermittelt wird, was keines Wegs der Realität entspricht. Dass wirtschaftliche Probleme vertuscht werden sollen, damit die Touristen sich nicht unwohl fühlen, ist die eine Seite. Auf der anderen Seite, kriegen sie die vielen positiven Eindrücke nicht mit, welche wir mit großem Staunen aufsogen. Ich bin sehr froh, beide Blickwinkel erlebt zu haben, denn es war ein weiterer Schritt, der mir half, das Land mit all seinen Eigenarten besser kennen zu lernen.
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Wir sind vor ein paar Monaten zwei Wochen mit dem Fahrrad durch Kuba geradelt. Exakt, dass was du beschreibst, können wir bestätigen Wir kamen am Flughafen von Havanna an und bewegten uns im CUP-Land. Das war uns gar nicht wirklich bewusst. Ganz überraschend bekamen wir an einem Stand CUP als Wechelgeld. Plötzlich war alles viel preiswerter. Wir waren im wirklichen Kuba. Es ist ein Elebnis für einen Peso frisch gepressten Zuckerrohrsaft am Straßenrand zu trinken. Ein tolles, aber auch verrücktes Land.
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Du hast sehr gut die Widersprüche, die der Tourismus in die kubanische Gesellschaft hineingebracht hat, zusammengefasst, Sophie! Ich lese, dass sich seit 1998, das war das letzte Jahr, in dem ich in der Cuba-Solidarität arbeitend in Cuba war, nicht viel geändert hat, in der Beziehung. Ich nehme an, dass noch mehr Menschen im Tourismus arbeiten wollen!
Ich wünsche dir alles Gute in deinem Studium, liebe Sophie!
Christiane Pape
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