Dieser Artikel ist der zweite Teil einer Reihe über die Religionen Kubas. Dieser Teil beschäftigt sich damit, welche Beziehungen Religion und Politik in der kubanischen Geschichte hatten. Ein besonderer Fokus liegt auf dem Verhältnis zwischen der Kubanischen Revolution und den Religionen des Landes.
Religion in der kubanischen Geschichte
Religion und kubanische Politik beeinflussen sich seit jeher gegenseitig. Schon als die Spanier auf Kuba ankommen, unterdrücken sie die Kultur der Ureinwohner und zwingen ihnen den katholischen Glauben auf, um ihre Herrschaft auszubauen. Auch als die Europäer anfangen, hunderttausende afrikanische Sklaven zu importieren, geben sie ihr Bestes, sie zum katholischen Glauben zu konvertieren und ihre eigenen Religionen auszumerzen. Der Katholizismus ist die einzige erlaubte Religion – ein Gesetz, das Spanien 1812 mit der Verfassung von Cádiz offiziell macht. Das führt nicht nur dazu, dass die afrikanischen Religionen sich anpassen müssen, sondern auch der kubanische Katholizismus kann sich nicht entfalten. Er ist nie echt kubanisch, sondern stets unter strikter spanischer Kontrolle – bis 1898, dem Jahr, in dem das Land von Spanien unabhängig wird, werden sogar die Bischöfe Kubas von der spanischen Krone ernannt.[1]
Die westafrikanischen Religionen passen sich an, was zur Identifizierung der Santos mit katholischen Heiligen führt. Auch afrikanische Rituale, z.B. Zeremonien für den landwirtschaftlichen Wohlstand, müssen wegen der Sklaverei aufgegeben werden und es wird ein größerer Fokus auf Schutzrituale und Wahrsagerei gelegt.[1] Dennoch dulden die Spanier die afrikanischen Rituale zu einem gewissen Grad, sodass die Anhänger der Religionen an Feiertagen ihre magischen Praktiken durchführen und ihre eigene Musik und Küche entwickeln. Sklaven und Freigelassene suchen nach Trost und stärken ihre Gemeinschaft, indem sie sich zu Bruderschaften zusammenschließen. Beispielsweise bestand der Abakuá-Bund ursprünglich nur aus Afrokubanern.
1868 beginnt der Zehnjahreskrieg und damit der Kampf für die Unabhängigkeit. Spanien nennt die Unabhängigkeitskämpfer abwertend Mambises, dieselben nehmen den Namen aber stolz für sich selber an. In den nächsten Jahren schreiben die Mambises mehrere Verfassungen, die in den von ihnen befreiten Gebieten gelten und unter anderem eine Trennung von Religion und Staat vorsehen.[1] Das macht die Aufständischen aber nicht weniger gläubig: Für sie gilt die Jungfrau Maria als Beschützerin und Symbol der kubanischen Identität, weswegen sie 1916 von Papst Benedikt XV. zur kubanischen Schutzpatronin erklärt wurde. Auf Kuba trägt Maria auch den Beinamen La Mambisa – ganz frei übersetzt: Die Rebellin.[2]
1898 wird die Kubanische Republik von Spanien unabhängig, fällt aber gleichzeitig in die Hände der USA. Sie versteht sich als demokratisch und ihre Verfassung sieht weiterhin eine Trennung von Kirche und Staat sowie Religionsfreiheit vor. In der Praxis werden die afrokubanischen Religionen jedoch geächtet und ihre Praktiken und Rituale werden oftmals strafrechtlich verfolgt.
Religion und Revolution
1959 siegt die kubanische Revolution und das Land wird sozialistisch. Die neue Regierung unterstreicht die Wichtigkeit der Religionsfreiheit. Sie bekämpft den Rassismus und damit vor allem die Diskrimination gegen die Anhänger afrokubanischer Religionen. Die Verfassung, die 1976 mit überwältigender Unterstützung aus der Bevölkerung verabschiedet wird, sieht die Trennung von Kirche und Staat sowie das Recht aller Menschen vor, der Religion seiner Wahl anzuhängen, seine Religion zu ändern und mehreren Religionen auf einmal oder gar keiner zu folgen.[3]
Dennoch kommt von Anfang an vor allem aus der katholischen Kirche Widerstand gegen die Revolution. Die Anführer der Kirche fliehen massenhaft in die USA und unterstützen zahlreiche Propagandakampagnen und Terrorangriffe gegen Kuba. Die bemerkenswerteste Kampagne ist die Operation Peter Pan, die kubanischen Eltern mit Falschbehauptungen Angst macht und veranlasst, von 1960 bis 1962 insgesamt 14.000 Minderjährige in die USA schicken, wo sie körperlich und emotional vernachlässigt werden. Angeleitet wird die Operation vom katholischen Pfarrer Bryan O. Walsh.[4]
Darauf reagieren die Anführer der kubanischen Revolution ebenso mit Feindseligkeit. Die Ausübung vor allem des katholischen Glaubens wird verachtet und Anhängern einer beliebigen Religion wird der Eintritt in die Kommunistische Partei Kubas untersagt. Die Religiosität der Bevölkerung fällt rapide und immer mehr Menschen identifizieren sich als Atheisten. Revolutionär und gleichzeitig gläubig zu sein erscheint ein Ding der Unmöglichkeit.
In den 90er Jahren fällt Kuba in eine tiefe Wirtschaftskrise und sieht sich gezwungen, sich nicht nur wirtschaftlich, sondern auch ideologisch zu öffnen. 1991 hält die Kommunistische Partei Kubas ihren vierten Kongress und beschließt, auch religiöse Menschen als Mitglieder aufzunehmen.[1] 1992 findet eine Verfassungsänderung statt, die religiöse Rechte ausweitet und die viele als einen Umschwung von einem atheistischen zu einem säkularen Staat bezeichnen.[5] 1998 besucht Johannes Paul II als erster Papst seit der kubanischen Revolution das Land, 2012 folgt ihm Benedikt XVI und 2015 Papst Franziskus. Der damalige Präsident Raúl Castro ist von Papst Franziskus so beeindruckt, dass er öffentlich bekanntgibt, er überlege sich, gläubiger Katholik zu werden.[6] 2015 ist auch das Jahr, in dem die kubanische Regierung zum ersten Mal seit der Revolution den Bau einer neuen Kirche genehmigt.[6] Dass es trotzdem Konflikte gibt, hat sich zuletzt beim Widerstand der katholischen Kirche gegen das neue Familiengesetz gezeigt, dass 2022 verabschiedet wurde und das die Kirche als Angriff auf ihr Familienbild wertet.
Dennoch macht die Kirche der Revolution Schritte entgegen. 1969 und 1992 verurteilt die kubanische Bischofskonferenz in einem Schreiben die brutale Wirtschaftsblockade, die die USA gegen Kuba verhängt hat. Heute sind zahlreiche Gläubige Mitglieder der Kommunistischen Partei Kubas und gestalten ihre Politik mit; im kubanischen Parlament sitzen nicht nur Gläubige, sondern sogar Priester der unterschiedlichen Religionen. Die Bevölkerung wird immer religiöser und vor allem die katholische sowie protestantische Kirchen gewinnen Mitglieder. Nach einer Studie aus dem Jahr 2021 glauben drei Viertel der befragten Kubaner, dass in ihrem Land Religionsfreiheit herrscht. Gleichzeitig kritisieren sie unter anderem, dass Katholiken ihren Glauben freier ausleben können als die übrigen Religionen – ein Überrest aus der systematischen Bevorzugung der katholischen Kirche in der Vergangenheit.[7]
Im Lauf der kubanischen Geschichte hatte Religion immer eine raue Beziehung mit dem Staat. Zuerst war es die spanische Krone, dann die USA und ihre Schergen, die die katholische Kirche kontrollierten und andere Glaubensrichtungen unterdrückten. Auch in den ersten Jahrzehnten nach der Revolution hat sich der Staat in vielen Aspekten gegen Religion gewandt. Gleichzeitig spielen Religionen immer wieder eine fortschrittliche Rolle und inspirieren die Unterdrückten, sich gegen Ausbeutung und imperialistische Aggression zu wehren: Von den Sklaven, die durch ihren Glauben und ihre Bruderschaften Hoffnung finden, bis zu den Mambises, deren Glaube ihnen Stärke gibt, sich vom spanischen Joch zu lösen. Heutzutage findet Kuba zu diesen fortschrittlichen Momenten zurück und seine vielen Gläubigen sind Architekten der Kubanischen Revolution.
Um mit einem Zitat von La Mambisa abzuschließen:
«[Gott] stürzt die Mächtigen vom Thron / und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben / und lässt die Reichen leer ausgehen.» (Lk 1,52-53)
Quellen:
[1] „La Religión en Cuba“, Granma (granma.cu/granmad/secciones/benedictoxvi/religiosidad/religiosidad.html)
[2] „Kuba feiert den Tag der Virgen de la Caridad del Cobre“, Kubakunde, 08.09.2022 (kubakunde.de/neues/kuba-feiert-den-tag-der-virgen-de-la-caridad-del-cobre)
[3] „Religión en Cuba“, ecured (ecured.cu/Religión_en_Cuba)
[4] „The Secret Cold War Program That Airlifted Cuban Kids to the U.S. – Without Their Parents“, History, 14.09.2020 (history.com/news/cold-war-refugee-operation-peter-pan-cuba-eisenhower)
[5] „Visita del Papa Francisco a Cuba: cómo atravesó la Iglesia católica los años más radicales de la revolución“, BBC Mundo, 19.09.2015 (bbc.com/mundo/noticias/2015/09/150916_como_sobrevivio_iglesia_catolica_cuba_bm)
[6] „Cuba’s Castro mulling return to the Church after papal visit“, New York Times, 11.05.2015 (nytimes.com/Video/multimedia/100000003677093/cubas-castro-mulling-return-to-the-church-after-papal-visit.html)
[7] „Libertad religiosa y convivencia social en Cuba“, Limonta et al., Departamento de Estudios Sociorreligiosos, Juni 2021