Über die Freiheit der eigenen Meinung und der Presse auf Cuba
„Meinungsfreiheit gibt es auf Cuba nicht, was man denken soll entscheidet die Einheitspartei“ heißt es in einer Doku auf ARTE im Jahr 2010. Wenn die einzige Tageszeitung, die Granma, die überall im Land erscheint, dann auch noch das Organ eben dieser kommunistischen Partei ist, scheint die Verletzung des Rechtes auf freie Meinungsäußerung perfekt.
Meckern geht immer
Ich erlebe gelegentlich, dass Leute das dringende Bedürfnis verspüren, mir ungefragt von ihrem Leid zu erzählen. Wenn ich in der Innenstadt unterwegs bin, läuft das in der Regel auf traurige große Augen und die Bitte um ein paar Dollar hinaus. Es gibt viel zu kritisieren an den aktuellen Verhältnissen und keiner nimmt dabei ein Blatt vor den Mund. Auch nicht der Mann, dem der Kiosk gehört, an dem ich mir oft Pizza hole. Er nutzt meine Wartezeit, um mir davon zu erzählen, dass man ja quasi in einer Diktatur leben würde, dass wir es in Deutschland so viel besser hätten, dass er nicht verstehen kann, warum wir hier sind. Ihn stört es nicht, wenn ihm dabei jemand zuhören kann, auch nicht als letztens eine Frau in Uniform zusammen mit ihrer Tochter neben mir auf zwei Pizzen mit Schinken gewartet hat. Verbot der Meinungsfreiheit sieht anders aus. Gleichzeitig darf man daraus nicht schlussfolgern, dass alle Menschen hier unzufrieden sind. Nur wird das Bild verfälscht, weil eben selten auf der Straße jemand auf einen zukommt und einem erzählt wie unfassbar gut es ihm geht oder wie zufrieden er mit der aktuellen Situation ist. Das kenne ich von zu Hause nicht anders, meckern geht immer, Dinge die gut laufen sind Selbstverständlichkeiten.
Neue Freiheiten im Journalismus
Vor einiger Zeit waren wir in der Zentrale der besagten Tageszeitung Granma und haben uns mit dort arbeitenden JournalistInnen unterhalten können. Matey, eine junge Frau, die im Ressort internationale Politik tätig ist, erzählt uns, dass viele JournalistInnen mit den neuen Freiheiten noch etwas unvertraut seien. Auf dem Kongress des cubanischen Journalisten-Verbandes UPEC im Jahr 2013 wird das sogar als veraltete und apologetische Denkweise der Journalisten bezeichnet. Mit den neuen Freiheiten meint Matey die, in den letzten Jahren eingeführten Neuerungen im Bereich der Presse. Dazu zählt der ausdrückliche Wunsch, die Journalisten sollen kritischer, statt immer wieder vom „heimischen Paradies“ (1) schreiben, der Aufruf, endlich jede Heimlichtuerei und das Vorenthalten von Informationen zu beenden, der Umgang mit der neuen lebendig genutzten Kommentarfunktion auf der Website der Granma und sogar eine Resolution, die Funktionäre dazu drängen soll, sich gegenüber der Presse offener und auch kritischer zu äußern. Die ganze Bevölkerung wird dazu aufgerufen, Unterschiede in den Meinungen zuzulassen und sich dementsprechend auch kritisch gegenüber den bestehenden Verhältnissen zu äußern, zum Beispiel im Januar 2012 durch Raúl Castro (2). „Es ist notwendig, dass wir uns alle daran gewöhnen, uns die Wahrheiten ins Gesicht zu sagen und uns dabei in die Augen zu schauen, verschiedene Meinungen zu haben und zu diskutieren, selbst von dem abzuweichen, was die Chefs sagen, wenn wir der Meinung sind, dass wir recht haben“. Eine besondere Rolle kommt dabei den Journalisten zu, die sich mit „strikter Wahrheitsliebe in diese Aufgabe einbringen müssen, nicht im bürgerlichen Stil, voller Sensationsgier und Lügen, sondern mit geprüfter Objektivität und ohne unnütze Geheimniskrämerei.“ (3)
Die Medien als vierte Gewalt
Schon immer ist es eine wichtige Aufgabe der Delegierten der Nachbarschaftskomitees gewesen, die Kritik der Bevölkerung auf höhere Ebenen oder in zuständige Behörden zu tragen. Damit man aber nicht nur seinem Nachbarn die Wahrheit ins Gesicht sagen kann, wurden in den letzten Jahren neue Mittel und Wege gesucht. Zum Beispiel gibt es ganze Fernsehsendungen die sich mit der Meinung der Bevölkerung zu bestimmten Themen auseinandersetzt. Ein anderes Mittel ist die Rubrik „cartas a la direccion“, die jeden Freitag auf zwei Seiten in der Granma erscheint. Leser sind dazu aufgerufen, gesellschaftliche Missstände aufzugreifen, damit die zuständigen Behörden zu einer Stellungnahme und hoffentlich zum Handeln gezwungen werden. 2014 wurden mehr als 250 Briefe veröffentlicht wovon mehr als 60% beantwortet wurden. Anfang des neuen Jahres wird in der Zeitung abgedruckt, welche staatliche Institution der Bevölkerung noch eine Antwort schuldig ist. Im Oktober letzten Jahres beschwerte sich der Leser Jorge Luis Lugo Pardo zum Beispiel darüber, dass trotz mehrfacher Anträge noch immer keine Ampel an der Kreuzung vor seinem Haus angebracht wurde. In einer Freitagsausgabe im Januar wurde dann ausführlich darüber berichtet, dass sich unmittelbar nach seinem Brief eine Kommission des Nationalen Zentrums für Verkehrstechnik mit ihm traf und all die Notwendigen Schritte zur Montage einer neuen Ampel durchging. Dies wurde für die Leser der Zeitung vom Direktor des Zentrums noch ein Mal zusammengefasst und mit der freudigen Nachricht veröffentlicht, dass nun seit Dezember die Ampel an besagter Stelle angebracht worden ist. Andere beschweren sich über die Qualität des zugeteilten Reises, das Entstehen von Müllkippen in ihrem Viertel, oder echauffieren sich über das rücksichtslose Verhalten ihrer Mitmenschen in den öffentlichen Bussen. In der carta a la direccion ist alles erlaubt. Eine Gruppe von Nachbarn aus Ciego de Àvila prangert die Verschmutzung der Wasserversorgung durch das Abwasser des nahegelegenen Krankenhauses an. Seit fünf Jahren nun schon würde diese Verschmutzung die Pflanzen der urbanen Anbauflächen ruinieren und ihre Gesundheit gefährden, doch „in all der Zeit hat kein Organ und keine Institution ihres Bezirks oder ihrer Provinz das Problem gelöst.“ (4) Die Nachbarn erhoffen sich durch die Veröffentlichung in der Granma mehr Druck auf die staatlichen Behörden auszuüben und die Presse damit als wahre vierte Gewalt nutzen zu können.
In jeder Revolution geschehen eine Menge Dummheiten
Raúl betont (5), wie wichtig es ist, dass sich jede Revolution ihre Fehler eingesteht, denn schließlich sei sie Werk des Handels von Menschen, die für sich genommen ja auch nicht perfekt seien. Friedrich Engels schreibt dazu schon 1874 „In jeder Revolution geschehen unvermeidlich eine Menge Dummheiten, gerade wie zu jeder anderen Zeit, und wenn man sich endlich wieder Ruhe genug gesammelt hat, um kritikfähig zu sein, so kommt man notwendig zum Schluss: Wir haben viel getan, was wir besser unterlassen hätten, und wir haben viel unterlassen, was wir besser getan hätten, und deswegen ging die Sache schief.“ (6)
Cuba hat sich im Laufe seiner Geschichte schon immer dadurch hervorgetan, dass es radikal Selbstkritik geübt hat. Ob das die utopischen Vorstellungen der Wirtschaftspolitik in den 60er Jahren betrifft, oder die nationale Kampagne in den 80er Jahren zur „Berichtigung von Fehlern“. Weil man hier die Fehler nicht einfach auf die Koalition der vorherigen Amtsperiode schieben kann, sondern alle Fehler als die, des gesamten Volkes betrachtet, ist Selbstkritik ein unerlässliches Instrument. Marx schreibt über die Einzigartigkeit der proletarischen Revolutionen, wie wir sie auch auf Cuba finden: Sie „unterbrechen sich fortwährend in ihrem eignen Lauf, kommen auf das scheinbar Vollbrachte zurück, um es wieder von neuem anzufangen, verhöhnen grausam-gründlich die Halbheiten, Schwächen und Erbärmlichkeiten ihrer ersten Versuche“. (7)
Unterdrückung von Systemgegnern
Klar gibt es auch immer wieder Ansätze, keine der zahlreichen Möglichkeiten der demokratischen Beteiligung und der Meinungsäußerung zu nutzen, sondern sich einfach nur der Wut gegen das System hinzugeben. Da werden dann auch die Stimmen laut, es gäbe auf Cuba keine Meinungsfreiheit. Ein Vergleich: Dass in Deutschland die Bildung einer offen faschistischen Partei bis heute verboten wird, ergibt sich aus den grausamen Lehren der Geschichte. Der überwiegende Großteil der Gesellschaft ist sich einig darin, dass man faschistische Ideologie in staatlichen Institutionen nicht zulassen darf und so ist sie sich auch einig darin, diese Art von Systemgegnern zu unterdrücken. Leider setzt der deutsche Staat dieses Interesse der Gesellschaft nicht immer konsequent um (siehe NSU, Schutz von Nazidemos, Nazis in öffentlichen Positionen etc.). Im sozialistischen Cuba sind sich die Menschen einig darin, dass sie nicht zurückkehren wollen in ein System des Profits für wenige und der Armut für die meisten, weshalb notwendigerweise die Bildung von rechten, kapitalismusfreundlichen Parteien verhindert wird. [Warum das, was Paula da geschrieben hat nicht ganz richtig ist erklärt Tobi hier] Dennoch hält niemand diese Menschen davon ab, frei ihre Meinung zu äußern. Angeblich würde sich die Einschränkung der Meinungsfreiheit unter anderem darin zeigen, dass der Staat nur Medien finanziert, die in seinem Interesse sind und dass er damit die Pressefreiheit beschneidet. Dass jeder Konterrevolutionär jeder Zeit die Möglichkeit hat, einen Blog zu führen, oder in einen Copyshop zu gehen, seine Zeitung ausdrucken zu lassen und zu verteilen, wird dabei verschwiegen. In Deutschland ist das übrigens nicht anders. Wenn ich nicht gerade die freiheitlich demokratische Grundordnung abfeiere, kommt auch keiner auf die Idee mir auch noch Geld für meine „verfassungsfeindlichen“ Druckmaterialien aus der Staatskasse in die Hand zu drücken und ich muss meine Druckkosten selber tragen. Beide Systeme schützen sich selbst. Das eine im Interesse der Konzerne, die unter den bestehenden Verhältnissen den größten Profit machen können, das andere im Interesse der Bevölkerung, die sich mit überwältigender Mehrheit geschlossen für das bestehende System entschieden hat.
Für mehr Artikel von Paula, klicke hier.
- Raul Garces, Rede als Vizepräsident des cubanischen Journalisten Verbandes (UPEC) auf dessen 9. Kongress im Juli 2013
- Raúl Castro, Rede auf der Abschlusstagung der ersten Nationalkonferenz der kommunistischen Partei Cuba
- Ebd.
- Granma, 16. Januar 2015, p.9 „Cinco años con el mismo problema“
- Raúl Castro, ebd.
- Friedrich Engels, Flüchtlingsliteratur, MEW18 534
- Karl Marx, Der 18te Brumaire des Lous Napoleon Bonaparte, MEW8 118
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Hallo Paula! Wie der Zufall es will, habe ich heute einen Artikel mit passender Thematik veröffentlicht:
https://cubaleman.wordpress.com/2015/02/14/fernando-martinez-heredia-uber-den-kubanischen-sozialismus/
Es ist die Übersetzung einer Rede von Fernando Martínez Heredia. Den kennst du bestimmt. 🙂
Inhaltlich geht es um Medienqualität und -kompetenz, neue Medien, Kritikkultur, Geschichtsbewusstsein,… passt also hervorragend zum hier geschriebenen. Besonders interessant und daher von mir hervorgehoben finde ich die kritische Ausseinandersetzung mit dem dogmatischen Marxismus.
Ist zwar ein langer Text, aber lohnt sich sehr!