Warum Kultur- und Freizeitangebote im Sozialismus allen zugänglich sind und TouristInnen den 24-fachen Preis bezahlen müssen
Wir sind an einem warmen Samstagnachmittag auf dem Weg zum Botanischen Garten im Süden Havannas. Der Bus ist wie gewohnt bis zum Bersten gefüllt und wir geben dem Busfahrer für die 30 minütige Fahrt zu Zweit einen Peso. Eine Busfahrt, egal wie lang sie dauert, kostet 0,4 Peso. Das ist ein bisschen mehr als ein Eurocent. Ich verfalle mal wieder in Gedanken und denke darüber nach, warum die Busse und Züge so stark subventioniert werden.
Mir wird klar, dass ein für alle zugänglicher Personennahverkehr eine Ausgangsvoraussetzung ist, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Ich denke an die ständig steigenden Preise der Deutschen Bahn und frage mich, was eine Fahrt von Gießen nach Frankfurt wohl mittlerweile kosten wird. Sind es noch 13€ oder schon 15€? Ich denke auch an meine Kindheit in Thüringen und daran, dass ein Besuch im Erfurter Kino für mich eine Besonderheit war, weil ich gern die 50 km mit dem Zug fuhr und sich meine Eltern die 50€, die der Kinobesuch insgesamt kostete, nur selten leisten konnten. Ich freue mich noch heute auf die „lange Nacht der Museen“, weil man sich dann auch endlich einmal als Student ein bisschen die Museumslandschaft seiner Stadt – trotz unverschämten Eintrittspreisen und Bafög-Mindestsatz – genießen kann. Mein Hals wird trocken bei diesen Gedanken.
Ein Tag im botanischen Garten für 12 Cent
Doch dann werde ich durch ein Schlagloch aus meinen Erinnerungen gerissen und atme wieder cubanische Luft mit der gewohnt hohen Luftfeuchtigkeit ein. An den alten rostigen Toren des botanischen Gartens will man zunächst 4 CUC (umgerechnet ca. 3€) von uns haben. Das muss der Preis für TouristInnen sein, also kramen wir unsere Studierendenausweise hervor und schon müssen wir nur noch 4 cubanische Peso (12 Eurocent) bezahlen. Nein, die älteren Damen am Eingang wollten uns nicht übers Ohr hauen, es ist staatlich festgelegt, dass TouristInnen das 24-fache von den subventionierten Preisen bezahlen. Wenn man weiß, dass der Großteil der BesucherInnen Cubas aus dem reichen Kanada und dem noch wohlhabenderen Norden der Europäischen Union kommen, dann weiß man auch, dass dies wohl eine gute Möglichkeit ist, um die günstigen Preise für CubanerInnen gegenfinanzieren zu können. Wer sich den teuren Flug für ein paar Tage Karibikurlaub leisten kann, kann sich auch problemlos die – für europäische Verhältnisse immer noch günstigen – Eintrittspreise leisten. Alle ausländischen Studierenden, die meist für 6 Jahre nach Cuba kommen, werden hier als CubanerInnen betrachtet, deswegen können auch wir von den subventionierten Angeboten profitieren. Allerdings haben wir kein cubanisches Stipendium, wie die Studierenden aus den anderen Ländern des globalen Südens und geben so Monat für Monat dem cubanischem Staat, die durch uns anfallenden Kosten, in Form der hohen Studiengebühren zurück. Im botanischen Garten angekommen, sehen wir uns einige Gewächshäuser mit Pflanzen aus verschieden Klimazonen an und spazieren dann unter verschiedenen Palmenarten entlang. Das Gelände ist allerdings so groß, dass man locker den ganzen Tag damit verbringen könnte, verschiedenste Pflanzenarten zu bewundern und zwischendurch an den staatlichen Kiosks ein paar belegte Brötchen für 1 bis 2 Peso zu essen. Ja, auch die Snacks sind hier so günstig, denn der Staat will sich nicht daran bereichern, wenn sich eine cubanische Familie einen erholsamen Tag im Grünen gönnen möchte. Die Preise hier sind politisch festgelegt und orientieren sich nicht an irgendwelchen Kräften des Marktes. Die Produkte und Angebote sind- so gut wie eben möglich – auf die Bedürfnisse der Bevölkerung abgestimmt.
Ein Wochenendstrip am Karibik-Strand für 2 Euro
Falls sogar ein ganzes Wochenende oder mehr zur Verfügung steht, können die CubanerInnen sogenannte Campismos buchen. Viele dieser Bungalow-Anlagen liegen am Strand, an Gebirgsseen oder anderen schönen Orten in der Natur. Man schläft in kleinen Bungalows, die pro Nacht für 4 Personen insgesamt umgerechnet ca. 1-2€ kosten. Es gibt auch hier sehr günstiges Essen und man kann kostenlos oder zu geringen Preisen verschiedensten Freizeitangebote nachgehen und so zum Beispiel Reiten, Billard oder Tischtennis spielen, Partys besuchen oder im salzigen Meerwasser oder Süßwasser-Pool schwimmen. Wir waren vor zwei Monaten selbst in einem Campismo am Strand, ganz in der Nähe von Havanna. Der Staat wirbt nämlich dafür, dass man in seiner Region Urlaub macht, damit Treibstoff für den Transport gespart werden kann. Aus diesem Grund und um allen CubanerInnen den Urlaub zu ermöglichen, werden Shuttlebusse organisiert, die sie bei ihrem Campismo absetzen und auch wieder abholen. Also fuhren wir von Havanna mit dem Campismo-Bus für 30 Eurocent pro Person, zwei Stunden zu unserem Strand. Wenn man weiter weg wollen würde, müsste man die An- und Abreise selbst organisieren. An unseren Hütten und auch an den anderen Gebäuden merkte man deutlich, dass die Knappheit von Baumaterialien auf Grund der Wirtschaftsblockade wirklich ein Problem darstellt und die wenigen Bausubstanzen in andere Projekte fließen. Es gibt unterschiedliche Kategorien und wir hatten uns nicht die cubanische Luxusvariante für den doppelten Preis mit Fernseher und Klimaanlage, sondern eine der Anlagen aus dem unteren Mittelfeld ausgewählt, weil uns der Strand schöner erschien. Das erklärt wahrscheinlich auch, warum dieser Ferienort im Vergleich zu anderen Campismos schlecht besucht war, denn laut den Erfahrungen einer Freundin, gibt es viele wunderschöne Orte, die nicht selten ausgebucht sind. Wir hätten wissen müssen, dass der Preisunterschied von 1-2€ einen massiven Unterschied in der Qualität der Anlage ausmachen kann, aber dennoch hatten wir ein schönes und noch viel günstigeres Wochenende.
Ein Ballettbesuch für 70 Cent mit selbstgeschmierten Broten
Die hohe Qualität des Theaters, des Klassischen Balletts und der bildenden Kunst kann sogar das Auswärtige Amt der BRD nicht verschweigen und schreibt neben lauter stumpfer Sozialismuskritik, dass diese kulturellen Bereiche „vielfach hohes, weltweit anerkanntes Niveau“ haben. So waren wir zum Beispiel im Karl-Marx-Theater zu einer „Schwanensee“-Vorführung, die sehr gut besucht war, hauptsächlich von CubanerInnen. Mich begeisterte vor allem das Orchester, welches das Stück von Tchaikovsky mit einer Leidenschaft spielte, wie ich sie vorher noch nicht kannte. Für dieses knapp 3-stündige Stück zahlten wir nicht einmal einen Euro und der Eintritt in das bedeutende „Museum der schönen Künste“, das sich nicht nur für Kunstliebhaber lohnt, ist noch wesentlich günstiger. Die Theater- und Museumskultur ist hier allerdings sowieso eine völlig andere. Es ist durchaus normal, dass Eltern mit ihren kleinen Kindern die Kultur genießen, es sich in den Theatersesseln mit selbstgeschmierten Broten gemütlich machen und nebenbei der Vorstellung folgen. Kultur wird somit zu etwas alltäglichem und jedem zugänglichem, unabhängig von der Familiensituation, dem Alter oder dem Einkommen. Das kulturelle Leben findet aber nicht nur in Museen oder Theatern statt, auch auf den Straßen sieht und hört man oft cubanische KünstlerInnen. Aber vermutlich haben wir auch einfach Glück in Havanna zu wohnen, da es in dieser Stadt von Kultur- und Freizeitangeboten nur so wimmelt, egal ob man abends feiern möchte, ob man sich für eines der vielen Museen begeistern kann, Ballett oder Theater liebt oder einfach gern ins Kino geht. Alles ist möglich und alles ist so stark subventioniert, dass es sich alle leisten können.
Vorfreude auf die internationale Buchmesse
Havanna ist auch die Stadt, in der zahlreiche internationale Kulturfestivals stattfinden, egal ob es die lateinamerikanischen Filmtage sind, die Kunstbiennale oder die anstehende internationale Buchmesse vom 12. bis zum 22. Februar, auf die wir uns schon alle sehr freuen. Freilich werden von den zahlreichen Kulturangeboten auch zahllose TouristInnen mit dicken Geldbeuteln angelockt, aber der cubanische Staat hat durch die unterschiedlichen Preise ein cleveres System geschaffen, um den Einheimischen nicht die Tore zu kulturellen Angeboten zu verschließen, sondern sogar noch weiter öffnen zu können. Ich werde mir wohl nie wieder so regelmäßig qualitativ hochwertige Kultur gönnen können und freue mich deswegen auf die verbleibenden 2 Monate in dem Land in dem es Hochkultur für alle gibt.
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Verstörend, wie euphemistisch hier ein marodes und ineffektives System “abgefeiert“ wird. Ich durfte selbst einen guten Monat lang bei einer Individualreise erleben, wie Kubaner alltäglich ihr Leben “meistern“ um ihrer nicht selbst gewählten Lebensrealität ein klein wenig zu entfliehen und ihre Lebensqualität minimal zu verbessern. Erstaunlich für ein Land, in dem jegliche Belohnungssysteme vermeintlich weg erzogen wurden. Schwarzmarkt muss in Kuba als überlebenswichtig begriffen werden, wenn die Libretta eben nur für ein Drittel des Monats reicht und die in Havanna produzierte H-Milch im 1 Liter Tetrapack satte 2.40 CUC (ca 53 Peso National) kostet. Die Bevölkerung hat das ganz schön satt. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich die Geste gezeigt bekommen habe, dass Kubaner in der Öffentlichkeit ihren Mund lieber wie einen Reißverschluss zuziehen, als ihren Ärger zum Ausdruck zu bringen. Die Perspektive, nur 9 Cent für einen Kinobesuch ausgeben zu müssen, verblasst doch deutlich vor den Zuständen kubanischer Lebensrealität, zumal die Kinos auch dementsprechend aussehen und ausgestattet sind.
Beeindruckend ist allein die Geduld, mit der die Mühen und Einschränkungen des Alltags ertragen werden.
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