Auf der internationalen Konferenz für Demokratie und gegen Neoliberalismus nahm ich mit einer anderen Bunkista an der Kommission der “Jugend, ihre Strategien und der Kontinuität in den Kämpfen” teil. Es waren doch mehr junge Menschen versammelt, als ich erwartet hatte und so nahmen wir in dem schon fast überfüllten Konferenzraum unsere Plätze ein und lauschten den Redebeiträgen, die ihre Wege aus den verschiedensten Ländern nach Kuba gefunden hatten und die unterschiedlichsten Lebensrealitäten und ihre Problematiken, Wünsche und Ideen widerspiegelten. Dennoch verband uns alle eins: Der Kampf um eine bessere Welt…
Ein junger Philippiner berichtet von den Verhältnissen vor Ort, die ständige Angst Opfer von Korruption zu werden, wenn man sich auf der Straße bewegt, von der herrschenden Gewalt gegen die philippinische Bevölkerung seitens des Staates. Aber auch davon, welche Auswirkungen, dass Konkurrenzsystem hat, in dem viele von uns leben. Von den Gefühlen, alleine zu sein. Von den Versagensängsten und wie man die Schuld auf sich schiebt, wenn man nicht das Gleiche erreicht, wie andere. Von dem Gefühl dumm zu sein und weniger wert. Sagt aber auch mit voller Entschlossenheit, dass es eben nicht an unserer Dummheit liegt oder daran, dass wir versagen, wenn wir keinen so hohen Status erreichen, wie andere oder vor Reichtum strotzen. Uns wird von der herrschenden Klasse weis gemacht, dass es an uns liegt und das wir alles erreichen können, was wir wollen. Wir leben in einem ständigen Kampf um mehr, mehr und noch mehr. Dass dieser Kampf und das nicht erreichen von utopischen Träumen das Gefühl von Versagen, Einsamkeit und Minderwertigkeit mit sich bringt ist demnach nicht nur eine Folge, sondern auch ein Instrument, um uns stumm zu halten. Auch wird über die Rolle der Medien (90 % der Medien werden von den großen Monopolen kontrolliert) gesprochen, die uns tagtäglich mit den Märchen des Kapitals einlullen und uns fügbar machen und uns all das glauben lassen, damit wir am Ende wieder die Schuld bei uns suchen, anstatt bei denen, die dieses System schaffen und am Leben erhalten und uns in diese Stellung drücken. Er betont die Wichtigkeit des Zusammenstehens, um gemeinsam gegen diese Ohnmacht anzukämpfen.
Drei indigene Frauen, deren Land vom kanadischen Staat besetzt wird und das Bauen von Pipelines massiv ihre Existenz bedroht teilen mit uns ihre Erfahrungen um den Kampf auf Leben und Selbstbestimmung. Sie sprechen über die Proteste, die sie führen, um ihr Land zu schützen und ihre Daseinsberechtigung. Gegen sie wird mit schärfster Gewalt vorgegangen, sie werden blutig nieder geschlagen und ihre Rechte werden ihnen tagtäglich abgesprochen. Sie berichten von der konstituierten (sexuellen) Gewalt gegen Frauen, die ständig hingenommen und von vielen toleriert wird. Sie wünschen sich, dass das, was ihrem Volk und insbesondere ihren Frauen angetan wird, sichtbar wird. Dass die restliche Welt sieht, was dort geschieht, wie Menschenrechte mit Füßen getreten werden und dass sie dort sind, um dagegen zu stehen und für ihre Existenz zu kämpfen.
Jugendliche aus Chile, die immer noch auf den Straßen gegen die weitere Ausbeutung des neoliberaler Staates kämpfen, haben die Militärdiktatur zwar nicht selbst mit erlebt, dennoch können sie sie und ihre Nachwirkungen immer noch spüren und mobilisieren erstaunliche Massen, die auch gerade von der Jugend durchzogen ist. Die chilenische Bevölkerung weiß welche Gefahren die Politikführung ihrer Regierung mit sich bringt und setzen sich entschlossen zur Wehr. Es gibt Tote, Verletzte, Gefangennahmen und unzählige Menschen verloren ihre Augen. Aber auch in Chile sind nicht nur die enormen Gewaltausschreitungen seitens des Staates, diese immer wieder von Piñera versucht werden weiter zu verschärfen und zu ligitimieren, das Problem. Sondern auch die Desillusionierung der Jugend, die durch die stark beherrschte Medienlandschaft beeinflusst wird. Die Jugend kämpft also nicht einfach nur gegen die Machenschaften des Neofaschismus an, sondern kämpft um die Möglichkeit auf eine realistische Perspektive.
Auch junge BrasilianerInnen sehen sich mit der starken Ausbeutung von Mensch und Natur konfrontiert, die von der faschistischen Regierung (unterstützt von der USA) weiter verschärft wird.
Auch aus Venezuela, was zudem in deutschen Medien eine zumeist einseitige Berichterstattung findet, berichtet uns eine junge Frau. Das Einschreiten der USA (unter anderem durch Guaido) und die falsche Propaganda, die durch die kapitalistischen Staaten und ihre Medien verbreitet und finanziert wird, stellt für sie ein großes Problem dar. Dennoch stehen sie vereint zusammen und halten gegen die Versuche, die bolivarische Regierung zu stürzen. Sie kämpfen für die Souveränität des bolivarischen Staates und dessen Bevölkerung, dafür ihren Prozess für Selbstbestimmung und Gerechtigkeit eigenständig führen zu können. Sie kämpfen für ihre Zukunft.
Erst vor Kurzem konnten wir sehen, welche Folgen dieses Einschreiten der US-amerikanischen Regierung mit sich bringt. Durch das Aufbauen einer Opposition in Bolivien gegen den rechtmäßigen Präsidenten Evo Morales, der nun durch einen Putsch gestürzt wurde und fliehen musste, sieht sich die Bevölkerung nun mit Gewalt, Tod und Angst konfrontiert. Die Regierung von Evo Morales arbeitete am stetigen Ausbau des Gesundheitswesens, der Infrastruktur, des Bildungswesens und vielem mehr um der Bevölkerung ein würdiges Leben, Selbstbestimmung und eine Perspektive zu ermöglichen. In den deutschen Medien findet man meist eine unvollständige und teils sogar falsche Berichterstattung, die diese Opposition unterstützt, die die Menschen dort nun tyrannisiert.
Aus dem Libanon wird uns unter anderem von der interkulturellen Arbeit berichtet. Davon wie wichtig es ist in Kontakt zu treten, vernetzt zu sein und uns kennenzulernen. Wir sollten uns über die Inhalte hinaus als Menschen begegnen.
Eine junge Engländerin stellt die Proteste der Klimabewegung dar, die aktuell einen großen Anklang in der jungen Bevölkerung Europas findet und beschreibt die Wichtigkeit sich an diesen Protesten zu beteiligen, aber auch, dass wir Aufklärungsarbeit leisten müssen, um aufzuzeigen, dass wir nur einen Klimawandel durch ein Systemwandel erzeugen können.
Ein junger in New York lebende Puertoricaner erzählt von der rassistischen Gewalt in den Vereinigten Staaten. Er ist bestürzt und macht uns deutlich, während ihm die Tränen über das Gesicht laufen, dass aufgrund dieser rassistischen Gewalt erst vor Kurzem ein junger Puertoricaner sein Leben verlor. Davon wie wenig Aufsehen es erregt und wie schamlos und ungeschoren der US-amerikanische Staat agiert. Wie würdelos mit dem Leben eines Menschen umgegangen wird.
Insgesamt hörten wir noch viele weitere Beiträge, sowie auch aus internationalen Frauenbewegungen Bericht erstattet wurde. Nach wie vor ist auch dies ein wichtiger Bestandteil im Kampf um die Gerechtigkeit. Denn immer noch finden tagtäglich Femizide, (sexuelle) Gewalt an Frauen und ihre physische und ökonomische Ausbeutung statt.
Auch die kubanische Jugend sieht sich mit gewissen Herausforderungen konfrontiert. Durch die Blockade (Auf der letzten UNO Abstimmung über die Blockade stimmten USA, Israel, Brasilien dafür; Kolumbien und Ukraine enthielten sich, 187 stimmten dagegen) die seit mehr als 60 Jahren durch die Monroe Doktrin und zusätzlich durch das Helms-Burton-Gesetz gegen Kuba seitens der USA aufrecht erhalten wird und nicht zuletzt verschärft wurde und gegen internationale Menschenrechte verstößt, wird das Leben der jungen KubanerInnen erschwert. Stark verschärft wurden zuletzt die Auswirkungen auf die Schiffs- und Reiseunternehmen, sowie der Zugang zu verschiedenen Währungen blockiert wurde. Dies beeinflusste auch den Handel mit Venezuela und erschwerte die Versorgungssituation von Treibstoff, wodurch sich Kuba gezwungen sah, die öffentlichen Verkehrsmittel zu reduzieren. Da auch dies die Wege zur Universität und Arbeit betreffen wurde die Universität zeitweilig auf drei Tage die Woche reduziert. Dennoch ist bemerkenswert, wie aufgeklärt und gebildet die junge Bevölkerung Kubas ist und ihre Strategien sucht und findet mit diesen Situationen umzugehen. Die Kommunikation gestaltet sich offen und transparent.
Woran ich denken musste, als ich die verschiedenen Beiträge hörte, dass auch wir in Deutschland unsere Zeit viel damit verbringen vor Netflix zu sitzen und uns berauschen zu lassen. Das eine gewisse Ohnmacht herrscht. Durch meine Arbeit in den letzten Jahren in verschiedenen sozialen Bereichen mit vielen unterschiedlichen Menschen und den Austausch mit diversen KollegInnen zeigte mir, dass viele von Kindheitstagen an nichts anderes lernen, als zu konsumieren und sich benebeln zu lassen und nicht mehr lernen, was Gefühle sind und wie man mit ihnen umgeht. Auch die drei Jahre im Kindergarten schaffen die fehlende gesellschaftliche Erziehung nicht zu kompensieren. Also fragte ich mich, wie sieht diese Ohnmacht hier in Kuba aus, wie sieht die emotionale Erziehung aus?
Wir nahmen neulich an einem Treffen der Juventud Rebelde (einer Jugendzeitung) teil. So richtig vorstellen konnten wir uns eigentlich nicht was es mit diesem Treffen auf sich hatte. Eine Frau sang ein Lied, ein anderer trug ein Gedicht vor, wieder ein anderer las verschiedenes vor, was ihn berührte und eine andere Frau erzählte einfach, was sie zur Zeit beschäftigte. Julián stellte uns und das Proyecto vor und uns wurde gesagt, dass wir gerne reden könnten und hier Platz für alles sei, was wir nach außen tragen möchten. Der Anfang war zwar etwas holprig, aber schnell saßen wir dort, die Augen voller Tränen aus Rührung und redeten über Solidarität, davon, wie gut wir uns aufgenommen fühlen von den KubanerInnen und wie viel Herzlichkeit uns begegnete und wie sehr wir diese Solidarität zu Hause vermissen. Am Ende des Treffens sagte eine Bunkista zu mir, dass so ein Zusammenkommen in Europa wahrscheinlich eine Selbsthilfegruppe wäre.
Des Weiteren bekamen wir neulich eine Einladung mit zu einer ‚Trova‘ zu kommen. Auch hier konnten wir uns erst einmal nicht so richtig etwas darunter vorstellen und saßen auf einmal dicht gedrängt in einem Wohnzimmer eines Chilenen, der zu Zeiten der Militärdiktatur im Konzentrationslager saß. Wir spielten Lieder auf der Gitarre, sangen, tanzten und aßen. Lachten und weinten und schnackten über alles Mögliche, unter anderem darüber, was uns bewegt und wie es uns geht. Die Community war völlig offen und wir wurden herzlich aufgenommen. Auch änderte die Konstellation sich immer mal wieder und verschiedene Nachbarn schauten vorbei.
Diese Offenheit begegnet uns aber nicht nur in diesen Räumen, die geschaffen und sich genommen werden. Sie begegnen uns auch ständig in allmöglichen Alltagsmomenten. Die Dinge, die uns als Banalitäten erscheinen, werden hier ernst genommen und man nimmt sich Zeit über diese zu sprechen. Sei es in den Unterrichtssituationen mit unseren ProfessorInnen, mit anderen StudentInnen auf dem Campus oder irgendwo mit irgendwem in einer zufälligen Situation auf der Straße. Auch die jugendlichen KubanerInnen verbringen Zeit vor dem Handy und schauen Fernsehen. Aber es scheint, als hätten sie durch das gesellschaftliche Netz, durch das solidarische Miteinander weniger mit Isolation zu kämpfen, weniger mit Schamgefühl. Wenn hier etwas nicht passt, spricht man es an und man sucht gemeinsam nach einer Lösung. Mir kommt es vor, als würden wir hier auf Kuba lernen zu fühlen und wie man sozial miteinander lebt. Respekt vor den Gefühlen und Meinungen anderer zu haben, aber auch sich selbst einzubringen und seine Emotionen und Gedanken zum Ausdruck zu bringen. Die Menschen hier in Kuba scheinen weniger entfremdet von sich selbst und voneinander zu sein.
Und wenn ich das in Bezug zu der medialen Berichterstattung setze wurde mir schnell klar, wie schwierig es ist sich umfangreich bilden und sich ein wahres Bild zu machen. Aber warum nutzen wir nicht einfach diese Mittel, die wir zum Beispiel auch in Deutschland sonst eher dazu nutzen um uns berauschen lassen, nicht einfach dazu uns aufzuklären? Dazu über die Wahrheit zu sprechen, darüber, wie wir gemeinsam für uns alle eine Welt schaffen können, in der wir alle in Würde leben können, anstatt in unserer Ohnmächtigkeit zu versinken? Denn auch das war einer der wichtigen Schlüsse aus der Kommission. Wir müssen alle aktiver die sozialen Medien nutzen, um gegen die einseitige und von den Monopolen kontrollierte Berichterstattung gegen zu wirken. Lasst uns unsere Zukunft selbst gestalten, anstatt sie von anderen gestalten zu lassen.
Dieser Artikel ist von Raven
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