Oben angekommen! Mühselig haben wir die letzten anderthalb Tage damit verbracht, steile Pfade der Sierra Maestra zu beklettern und provisorisch angelegte Treppen zu besteigen, um nun endlich diesen Punkt zu erreichen: Die Spitze des Pico Turquino in 1.974 Metern Höhe, den höchsten Punkt Kubas. Übernachtungen in Militärlagern, beeindruckende Aussichten auf die Berge der Sierra Maestra und kurze Pausen zum Maní[1] oder Kekse essen haben wir hinter uns.
Mit mehr als sechzig Personen der Universität Havanna und der CUJAE sind wir aufgebrochen, alle Rucksäcke mit Verpflegung und Zelten auf den Rücken tragend. Füße und Schultern tun weh, alle sind verschwitzt. Wer ankommt, lässt sich zuerst auf der kreisrunden Lichtung ganz oben auf dem Turquino ins Gras fallen. Manche schlafen ein wenig, andere ziehen sich eilig die Schuhe aus, betrachten ihre wunden Füße. Inmitten der großen Gruppe an Studierenden Kubas steht die Büste José Martís – dem kubanischen Nationalhelden und der Ikone für den Kampf um die Unabhängigkeit – und ragt noch weiter in den Himmel empor…
Die Erinnerungskultur in Kuba ist stark und lebendig und auch diese Statue ist ein Teil davon. Weitere Büsten sowie Wandbilder oder Zitate des Nationalhelden und Dichters finden sich überall im Land. Vor Schulen, vor Universitäten und vor anderen Institutionen, in Parks und auch in so manchen Vorgärten, immer wieder stößt man auf das bald bekannte Gesicht oder auf von ihm verfasste Worte über die Menschlichkeit und über das Leben. Seine Werke kennen hier alle. Die Büste auf dem Pico Turquino verschmilzt jedoch noch mit weiterer kubanischer Erinnerungskultur. Im Jahr 1953, also noch vor der Revolution, ist es unter anderem Celia Sánchez Manduley, die den Berg mitsamt der Büste besteigt und somit José Martí symbolträchtig zum höchsten Punkt Kubas macht.
Sánchez ist in Kuba bekannt als die Assistentin beziehungsweise „Sekretärin“ von Fidel Castro und somit lange Zeit wichtigste Kraft an seiner Seite. Ich begegne ihr zuerst im Spanischunterricht auf der Isla de la Juventud, als unsere Professorin uns Texte vorlegt, die jeweils als bedeutsam empfundene kubanische Persönlichkeiten vorstellen. Von ihrer außergewöhnlichen Einfühlsamkeit und Besorgnis um die Menschen ist in dem Text über Sánchez die Rede und davon, dass die „Heldin“ (heroína) auch in ihren letzten Jahren noch gegen Ungerechtigkeit kämpfte. Es sind sehr viele Worte des Lobes, mit denen Sánchez und auch alle anderen erwähnten Persönlichkeiten zu erfassen versucht werden. Ungewohnt für uns, die in Deutschland meist mit einer Art des Erinnerns an Personen konfrontiert sind, die möglichst viel Distanz hält und so versucht, Neutralität zu bewahren. Es gehe darum, sich der positiven Taten und Seiten der Personen zu erinnern, die zumindest Teile ihres Lebens dafür gewidmet haben, Kuba mitzugestalten, meint unsere Professorin im Gespräch.
Und tatsächlich, diese Art des Erinnerns an einzelne Personen in Form von Worten der Wertschätzung und großen Symboliken, findet sich immer wieder. An Fidel Castro und José Martí wird sich sicherlich am allgegenwärtigsten auf Hauswänden, in Form von Plakaten oder auch als kurze Bemerkungen in Gesprächen erinnert. Doch auch anderen Persönlichkeiten, wie etwa Sánchez, sind diverse Denkmäler mit großer Symbolik gewidmet. „A Celia con devoción y agradecimiento – tu pueblo“ (dt.: „Für Celia in Ergebenheit und Dankbarkeit – dein Volk“) steht an einem Monument geschrieben, das direkt am Eingang der Coppelia von Havanna aufgestellt ist, der großen Eisdiele und einem zentralen Ort der Stadt, und das Porträt von Sánchez auf der Nationalblume Kubas[2] darstellt; an einem Monument im Parque Lenín Havannas, das Sánchez als Bronzestatue und in Stein eingelassen mit Buch in der Hand verewigt und das mit einem eigenen Ausstellungsraum einhergeht steht: „a Celia Sánchez Manduley, la más hermosa y autóctona flor de la revolución“ (dt.: „Für Celia Sánchez Manduley, der großartigsten und einheimischen Blume der Revolution“). Verschiedene Steine und Pflanzen seien aus dem ganzen Land geholt und an diesem Ort im Park gemeinsam angelegt worden, um das Denkmal zu schmücken, erzählt der „historiador“ des Ortes, der verantwortlich ist und immer wieder Gruppen empfängt, die das Denkmal sehen wollen. Es wird sich gekümmert um die Erinnerung und auch hier scheint das Symbolhafte wieder eine wichtige Rolle zu spielen.
Oben auf dem Pico Turquino versammeln sich Gruppen von Studierenden vor der Büste Martís, um mit kubanischer Flagge für Fotos zu posieren. Ähnlich wie das Denkmal an Celia Sánchez vor dem so beliebten Ausgehort Havannas, auf das Besucher*innen fast unweigerlich stoßen, fügt sich auch Martís Statue gleichzeitig selbstverständlich sowie als dauernde Rückbesinnung auf die Wurzeln des Landes ins Bild ein.
[1] Maní: die fettige Zucker-Erdnuss-Masse, die man in Kuba in verschiedenen Variationen an vielen Ecken bekommen kann
[2] „la mariposa“ (dt. Schmetterling), so heißt die kubanische Nationalblume, die eng mit den Unabhängigkeitskämpfen des Landes verbunden ist
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