Wer durch Kubas Straßen schlendert oder Veranstaltungen auf der Insel besucht, wird mit vielen verschiedenen Buchstabenkürzeln konfrontiert, hinter denen sich meist bedeutende Organisationen oder Institutionen verbergen. Da sind zum Beispiel die PCC (Partido Comunista de Cuba = Kommunistische Partei Kubas), die UJC (Union Jovenes Comunistas = Jugendverband der Kommunisten), die FEU (Federación Estudantil Universitaria = Verband der Studierenden der Universitäten), die CDRs (Comites de la Defensa de la Revolución = Nachbarschaftskomitees zur Verteidigung der Revolution), das MINSAP (Ministerio de la Salud Publica = Gesundheitsministerium) und eben auch die FMC. Letztere steht für Federación de las Mujeres Cubanas (= Vereinigung der kubanischen Frauen) und ist als Massenorganisation der Frauen einer der wichtigsten Verbände in Kuba. Die FMC entwickelt Programme zur Sicherstellung der Geschlechtergleichheit in allen gesellschaftlichen und politischen Bereichen. Weitere Massenorganisationen sind z.B. die der Arbeiter*innen, der Universitätsstudierenden, der Kinder und Jugendlichen, der Landwirt*innen, der Schrifsteller*innen und der Journalist*innen.
Die FMC wurde im August 1960 auf Initiative von Vilma Espín Guillois gegründet. Zuvor existierten verschiedene Frauenorganisationen, die gegen Batista gekämpft hatten und sich nun zu einer großen Organisation zusammenschlossen. Vilma war bis zu ihrem Tod 2007 die Präsidentin der FMC. Als solche war sie Mitglied der Nationalversammlung und saß der Kommission für Frauen, Kinder und Jugendliche vor. Dementsprechend konnte die FMC ganz direkt auf die Formulierung derjenigen Gesetze der jungen sozialistischen Republik, die speziell Frauen betreffen, Einfluss nehmen. Seit November 1961 gibt die FMC monatlich die Zeitschrift „Mujeres“ heraus, die sich zum Ziel gesetzt hat, ein nicht-sexistisches Bild der kubanischen Frau zu verbreiten.
Jede Frau und jede Jugendliche ab 14 Jahren kann Mitglied der FMC werden. Fast vier Millionen Kubanerinnen haben sich dafür entschieden. Es existieren 75.000 Basisorganisationen, an denen sich durchschnittlich je 60 Frauen beteiligen. In jedem CDR-Komitee (Nachbarschaftsorganisationen) sitzt eine Vertreterin der FMC, die sich sich um frauenspezifische Fragen der Nachbarschaft kümmert. Das Nationalkomitee als oberstes Gremium besteht aus Frauen aller sozialen Sektoren, welche z.B. die PCC, Gewerkschaften und andere Organisationen umfassen. Alle fünf Jahre veranstaltet die FMC einen Kongress, auf dem das Nationalkomitee und der Vorstand gewählt werden. Der nächste wird im März 2019 stattfinden.
Ziel der FMC ist es, die berufliche und soziale Partizipation der Frau in allen gesellschaftlichen Bereichen sicherzustellen und Diskriminierung zu verhindern. Um dies zu erreichen, unterhält die FMC unter anderem die sogenanten „Casas de la Orientación a la Mujer y la Familia“ (= Haus der Beratung für Frauen und Familien, im Folgenden von mir mit COMF abgekürzt), von denen 176 auf der ganzen Insel existieren. Diese ermöglichen Weiterbildung, psychosoziale Unterstützung sowie einen Raum für Austausch und Diskussionen.
Ein Besuch in der COMF im Stadtteil Plaza de la Revolución – Die Rolle der Frau damals und heute
An einem sonnigen Donnerstagmorgen mache ich mich auf, um die Arbeit der COMFs genauer kennenzulernen. Auf dem Weg dorthin möchte ich noch eine „Mujeres“ – die Zeitschrift der FMC – kaufen, aber die Ausgabe für Januar ist an den Kiosken noch nicht zu haben. Dafür können mir die Arbeiterinnen mit der genauen Adresse der COMF im Municipio Plaza de la Revolucion weiterhelfen, weil sie vor einigen Wochen dort einen Kurs besucht haben.
Und tatsächlich muss ich nicht lang suchen, bis ich die wunderschöne Villa entdecke, in der sich die COMF befindet. Gleich im Eingang wird frau von einer Tafel begrüßt, auf der die Angebote der COMF erklärt werden:
„In der Casa de las Mujeres y la Familia findest du:
- spezialisierte Beratung und Hilfe
- Diskussionen über Geschlechtergleichheit
- Kurse nach deinen Interessen und Bedürfnissen
- Ausbildungsprogramme für verschiedene Berufe“
Meine Ankunft bleibt natürlich nicht unbemerkt und da in der ersten Januarwoche noch nicht viel los ist (die Kurse beginnen erst in der Woche darauf), nehmen sich die hier tätigen Frauen gerne Zeit, um mir die Arbeit der COMF zu erklären.
Zunächst erhalte ich einen kurzen Abriss der historischen Entwicklung. Schon in den Unabhängigkeitskriegen hätten sich Frauen ganz entscheidend an den revolutionären Kämpfen beteiligt, wie mir Miriam, die Organisatorin der COMF erklärt. Dieser Geist habe sich von Mutter zu Tochter in jeder Generation bis zum Triumph der Revolution 1959 fortgesetzt. Mit ihrem Sieg sei der Kampf der Frauen für ihre Rechte jedoch nicht beendet gewesen: in der patriarchalischen kubanischen Gesellschaft seien die Revolutionärinnen mit zahlreichen Problemen konfrontiert worden. Beispielsweise hätten sich viele kubanische Männer gegen eine Berufstätigkeit ihrer Frauen ausgesprochen. Vilma habe sich als Präsidentin der FMC für ein Umdenken eingesetzt, diesbezügliche Kampagnen initiiert und die Bedeutung der arbeitenden Frau für die kubanische Revolution betont. Es sei in der Geschichte der FMC eine kontinuierliche Aufgabe gewesen, das Selbstbewusstsein der Frauen zu stärken und ihre Fähigkeiten und Kenntnisse zu fördern. Die Revolution verdanke den Frauen alles. Beispielsweise seien es in der Spezialperiode vor allem die Frauen gewesen, die die Ruhe behielten und für Lösungen gesorgt hätten. Als Grund für ihre Widerstandskraft und ihren Optimismus nennt mir Miriam die mütterlichen Instinkte, über die jede Frau verfüge und die sie letztlich stärker als jeden Mann mache. Mit großem Enthusiasmus erklärt sie, dass wir Frauen den Männern mit der Fähigkeit, Kinder zu gebären, etwas ganz Entscheidendes voraus hätten. Deshalb seien Frauen in der kubanischen Gesellschaft sehr hoch angesehen. In allen Bereichen seien sie entscheidend für die Verbesserung und Entwicklung von sozialen Prozessen, z.B. sorge die Anwesenheit von Frauen beim Militär für mehr Disziplin und Hygiene unter den Männern. Die kubanische Soziologin Marta Núñez1 erklärt die Kraft und Resilienz der Frauen damit, dass diese im Vergleich zu den Männern noch stärker von den Errungenschaften der Revolution (Alphabetisierung, Bildung, Gesundheit, politische Entscheidungsfindung, zunehmende finanzielle Unabhängigkeit) profitieren konnten. Insbesondere während der Spezialperiode habe die Erfahrung, als in vielen Fällen Hauptverdienerin und Familienvorstand in einem die schwierige Situation und Doppelbelastung bewältigen zu können, zum Selbstbewusstsein der Frauen beigetragen. Eine in der COMF tätige Lehrerin erklärte mir, dass mit aller Kraft und großen Erfolgen daran gearbeitet werde, Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts zu verhindern. Dies spiegle sich z.B. in den Gehältern wieder, Frauen und Männer würden natürlich nach ihrer Qualifikation und nicht aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit bezahlt. Auch in den Familien finde ein Wandel statt. Männer würden heute ganz selbstverständlich im Haushalt arbeiten und ihre Kinder betreuen, was vor der Revolution undenkbar gewesen sei.
Als ich erzähle, dass Frauen in Deutschland bei gleicher Tätigkeit immer noch weniger verdienen als Männer2, schauen mich die Frauen ungläubig an. Dies passiert mir beim Thema Gehaltsunterschiede in Kuba immer wieder. Die Frauen können sich dies kaum vorstellen. Auch ernte ich verdutzte Blicke, wenn ich berichte, dass frau in Deutschland während der Elternzeit oft in größter Sorge ist, ob ihr befristeter Vertrag denn nun verlängert wird, oder dass Frauen Anfang 30 häufig ungern eingestellt werden, weil Arbeitgeber davon ausgehen, dass diese ihm wegen einer wahrscheinlichen Schwangerschaft und darauf folgender Elternzeit nicht zur Verfügung stehen. In Kuba muss keine Arbeiterin um ihre Anstellung fürchten, wenn sie ein Kind bekommt. Nach der einjährigen Elternzeit kehrt sie selbstverständlich an ihren Arbeitsplatz zurück.
Die Herausforderungen für die kubanischen Frauen in der Gegenwart sieht Miriam vor allem in zwei Bereichen. Einerseits sei es dringend notwendig, den Lebensstandard und damit auch die ökonomische Situation der Familien zu verbessern, was sich insbesondere in der Frage des Wohnraums widerspiegele. Andererseits müsse der demografische Wandel bewältigt werden. Für die zunehmende Anzahl an älteren und pflegebedürftigen Menschen müssten genügend Betreuungsplätze geschaffen werden. Dies beschäftige die Frauen als „Kopf der Familie“ ganz besonders.
Bildung und Beratung – Die praktische Arbeit der COMF
Nachdem ich nun eine differenzierte Einschätzung über die Situation der Frauen in Kuba erhalten durfte, möchte ich mehr über die praktische Arbeit der COMFs erfahren. Von zwei Lehrerinnen erfahre ich Folgendes. In der COMF engagieren sich sowohl Haupt- als auch Ehrenamtliche. Sie alle sind Frauen und Mitglieder der FMC. Um über die COMF einen Kurs zu belegen oder Hilfe zu erhalten, ist die Mitgliedschaft jedoch keine Voraussetzung.
Die COMF bietet u.a. Kurse zum Thema Frauengesundheit an. Sie klären über sexuell übertragbare Krankheiten und die Wichtigkeit von Vorsorgeuntersuchungen bezüglich Gebärmutterhals- und Brustkrebs auf. In den Vierteln unterstützen die Freiwilligen der FMC außerdem Massenkampagnen zur Gesundheitsaufklärung über das Dengue-Fieber, die Grippe AH1-N und HIV.
Ein großer Aufgabenbereich der COMF ist die Durchführung von Kursen für Frauen, die sich aus persönlichem oder beruflichem Interesse fortbilden möchten. Die Themen umfassen Tourismus, Unternehmungsführung, Buchhaltung, Kochen, Handwerk und verschiedene Sprachen (die COMF in Vedado bietet englisch, französisch, italienisch und chinesisch an). Die Lehrerinnen erklären mir, dass ganz unterschiedliche Frauen mit jeweils eigenen Motivationen an den Kursen teilnehmen würden, von der Hausfrau über die Arbeiterin und die junge Mutter bis hin zur Rentnerin sei alles dabei.
In den COMFs ist auch das Programm „Educa a tu hijo“ („Erziehe dein Kind“) angesiedelt. Dieses ist für alle zwei- bis fünfjährigen Kinder, die keinen Kindergarten besuchen, verpflichtend. An zwei Tagen in der Woche nimmt ein Elternteil gemeinsam mit dem Kind an dem eigens dafür entwickelten Programm teil. Ziel des Programms ist es, auch Kinder, deren Eltern sich gegen einen Kindergarten entschieden haben, altersentsprechend auf den späteren Schulbesuch vorzubereiten und diesen Kontakte zu Gleichaltrigen zu ermöglichen. Laut Aussage der Frauen vor Ort sei es nur eine sehr geringe Prozentzahl von Kindern in Kuba, die keinen Kindergarten besuchen. Im Allgemeinen seien die Eltern sehr froh über die kompetenten und kostengünstigen Betreuungsmöglichkeiten.
Regelmäßig organisieren die Funktionärinnen der FMC außerdem politische Aktivitäten und Diskussionen in der COMF. Zuletzt war vor allem der Entwurf der neuen Verfassung Thema. Viel Konfliktstoff habe der Artikel 68 zum Thema „Ehe zwischen zwei Personen“, welcher die Heirat homosexueller Paare ermöglichen soll, geboten. Nach dem Eindruck der Frauen, mit denen ich sprach, würden Menschen mit homosexueller Orientierung in der kubanischen Gesellschaft absolut respektiert. Dies spiegle sich auch darin wieder, dass ebenfalls lesbische und schwule Paare die Beratung der COMFs gern in Anspruch nähmen.
In allen sozialen oder familiären Nöten können sich Frauen an die COMF wenden. Die Familie wird als kleinste Einheit der sozialistischen Gesellschaft gesehen, in der Probleme entstehen können, welche ernst genommen und auf solidarische Art und Weise behandelt werden müssen. Häufige Problemstellungen sind konfliktreiche Trennungen, Alkoholismus, häusliche Gewalt und frühe Mutterschaft. Je nach Fall entscheiden die Beraterinnen, welche Art von Hilfe notwendig ist. Hierfür kann die COMF ein multidisziplinäres Team, bestehend aus Psychologinnen, Psychiaterinnen, Pädagoginnen, Sozialarbeiterinnen und Juristinnen, heranziehen. In Fällen häuslicher Gewalt arbeitet die COMF außerdem mit der Polizei zusammen.
Als Beispiel für ein spezialisiertes Programm wird mir das Präventionsprogramm für Prostitution genannt. In den Gemeinden werden gefährdete Frauen hierfür gezielt angesprochen. Ihnen werden Alternativen zur Prostitution aufgezeigt und Möglichkeiten zu Ausbildung und Studium angeboten.
Wer nun denkt, das Angebot der COMF richte sich nur an Frauen, liegt falsch. Auch Männer können selbstverständlich die COMF aufsuchen, wie mir die Mitarbeiterinnen erklären. Dies geschehe z.B. häufig, wenn es nach einer Trennung Konflikte wegen der Betreuung der gemeinsamen Kinder gebe oder wenn ein Mann Gewalt durch seine Partnerin erfahre.
Ich verlasse die COMF mit vielen neuen Erkenntnissen und Informationen, vor allem aber mit der wunderbaren Erfahrung, von mir zuvor völlig fremden Menschen willkommen geheißen zu werden und an ihren Lernprozessen und Kämpfen teilhaben zu dürfen.
Die Massen erreichen – Kampagnen und Erfolge der FMC
Über die tägliche Arbeit hinausgehend führt die FMC mithilfe der COMFs Kampagnen zu Themen durch, welche speziell Frauen und Mädchen betreffen. Die letzte trug den Titel „Eres más“ (= Du bist mehr) und beschäftigte sich mit dem Thema Gewalt gegen Frauen. Im November 2018 wurde die Kampagne „Evoluciona – el acoso te atrasa“ (= Entwickle dich – Belästigung wirft dich zurück) eröffnet. Diese hat zum Ziel, das Bewusstsein in der kubanischen Gesellschaft für sexuelle Belästigung sowie sexuelle und körperliche Gewalt zu erhöhen. Landesweit werden Veranstaltungen durchgeführt, die vor allem junge Menschen ansprechen. Bei der Eröffnungsveranstaltung in Havanna wurde beispielsweise neben vielen anderen Auftritten eine Pantomime zum Thema häusliche Gewalt gezeigt, die speziell auf Kinder zugeschnitten war. Die Initiatorinnen verteilten außerdem einen Flyer mit den Frühwarnzeichen für sexuelle oder körperliche Übergriffe, der sehr eindrücklich deutlich macht, dass Gewalt bereits bei sexistischen Witzen oder unerwünschter Anmache beginnt.
Auch im öffentlichen Raum und der Presse lässt sich der stetige Diskurs der sozialistischen Gesellschaft zum Thema Emanzipation und Geschlechtergerechtigkeit nachvollziehen. So stieß ich hier beispielsweise in einem Krankenhaus auf ein Aufklärungsplakat zur Bedeutung der Väter in der frühen Kindheit, las in der Zeitung „Juventud Rebelde“ einen kritischen Artikel über die Verantwortung von Männern bei der Verhütung sowie einen feministischen Text über die politische Dimension der Liebe in der „Mujeres“ und führte Gespräche über die teilweise sexistischen Texte von Reggaeton-Liedern, die in manchen öffentlichen Bussen gespielt werden.
Dass die Beseitigung von Diskriminierung und die Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit ein langwieriger und kontinuierlicher Prozess ist, betrifft Kuba wie jedes andere Land dieser Erde und ist Gegenstand der täglichen Arbeit dieser bedeutenden Massenorganisation. Dabei können sich die Erfolge der FMC sehen lassen. 49% der Beschäftigten im staatlich-zivilen Sektor sind Frauen, sie stellen außerdem 49% der Vorgesetzten. Im Parlament sind 48% der Abgeordneten weiblich und 10 von 15 Präsidenten der Provinzregierungen sind Frauen. Damit belegt Kuba weltweit den vierten Platz in puncto Geschlechtergleichheit im Parlament.
Vor diesem Hintergrund wird der Stolz der Frauen der COMF auf ihr Engagement und die Errungenschaften der Revolution, die stets auch die Frauen ganz besonders im Blick hat, umso verständlicher und ermutigt uns, es ihnen nachzutun!
Dies ist ein Artikel von Corinna.
1Marta Núñez (2011). Yo Sola Me Represento – De cómo el el empleo femenino transformó las relaciones de género en Cuba. Instituto Cubano de Investigación Cultural Juan Marinello. La Habana.
2In Deutschland verdienen Frauen bei gleicher Tätigkeit 5,5% weniger als Männer. Was erst einmal nach nicht viel klingt, wirkt sich auf die Dauer verheerend aus: bei einem Gehalt von 3500 Euro brutto sind es monatlich 165 Euro weniger, was bei einem Arbeitsleben von 45 Jahren 89.100 Euro bedeutet! Hinzu kommt, dass Frauen sehr viel eher als Männer in schlecht bezahlten Berufen und nur wenige Frauen in den gut bezahlten Männerdomänen arbeiten. Aus diesem Grund verdienen Frauen in Deutschland 21% weniger als Männer, wenn man die Gesamtheit der Arbeiter*innen betrachtet.
Dieser Artikel ist von Corinna.