Zum Ende unseres Geschichtskurses an der CUJAE, der Technischen Universität Havannas, nahm uns unsere Dozentin Katarina Reyes auf einen Ausflug zum Schaufenster der wissenschaftlich-technischen Entwicklung des Inselstaates mit. „ExpoCuba – Donde Ayudamos a Descubrir Cuba“ – Wo wir helfen, Kuba zusammen zu bringen – lautet das ambitionierte Motto der permanenten Ausstellung entwicklungspolitischer Errungenschaften und der Herberge internationaler Messen wie der „Feria Internacional“, die jährlich über 70 Staaten einen Rahmen bietet sich zu ihren ökonomischen Aktivitäten auszutauschen sowie Geschäfte und Innovationen in die Wege zu leiten.
Gelegen am südlichen Rand der größten Metropole der Karibik, führt uns der Bus zum Messegelände, vorbei am Parque Lenin, einem beliebten Naherholungsort für gestresste Städter_innen. Der Haupteingang, wenig aufdringlich für das doch immerhin mehr als 25 Hektar große Gelände, begrüßt uns mit einer pyramidenförmigen Stahlkonstruktion, der Aussicht auf das doch etwas verwitterte Logo der Messe und einer vom tropischen Klima gezeichneten Stahlbetonrampe, die sich unverkennbar ästhetisch gemeint vor der Haupthalle empor schlängelt. Dieser Tage wirkt der Ort verlassen. Die Straße, zweispurig in beide Richtungen, ist leer und nur ab und an fährt wahlweise ein Roller oder ein LKW oder ein Taxi im Übereifer der freien Fahrbahn viel zu schnell vorbei.
Momentan sei tatsächlich wenig los, so erzählt uns Katarina, doch das sei während der Schul- und Semesterferien anders. Dann käme die Masse an Besuchergruppen um sich für den erschwinglichen Eintritt von 3 CUP, also umgerechnet 15 Cent, den Fortschritt anzuschauen. Doch nicht heute und so wandern wir fast alleine durch die riesige Eingangshalle – unbeleuchtet und doch nicht im Dunkeln, denn bei der Konstruktion sei auf das Tageslicht als natürlichstes Leuchtmittel gesetzt worden, wie Katarina detailliert berichtet. Die Architektur wirkt trotz ihrer unverkennbaren modernen Art, anachronistisch. Ausstellungshallen die gewollt an Fabriken erinnern, künstlerisch-abstrakte Stahlkonstruktionen, hoch, weit, den Raum präsentierend. Ein Modern der 80er Jahre, ein Modern der Goldenen Zeit des kubanischen Sozialismus als sowjetische Planungsroutine auf den Papier und Waren- und Rohstofflieferungen in der Praxis einen Wohlstandsboom erzeugten.
Ein Aufschwung, der nicht nur Ressourcen für die wissenschaftlichen-technische Entwicklung frei werden ließ, sondern auch einen Zukunftsenthusiasmus nährte, der zu jener Zeit in der Sowjetunion, schon der Frustration durch Stagnation gewichen war. Ein Enthusiasmus der sich auch in der Planung und Umsetzung des einstigen Mega-Projektes widerspiegelt: Von Konzeption über den Bau durch die freiwilligen Arbeit der Micro-Brigadista Bewegung bis hin zur Einweihung am 4. Januar 1989 vergingen nicht einmal 22 Monate. Man munkelt sogar, Fidel persönlich habe, wann immer im Lande, mehrmals täglich die Baustelle besucht und die Arbeit motiviert. Ein Meilenstein, rechtzeitig zum damals 30. Geburtstag der Revolution.
Betrieb ohne Betrieb
Im Kapitalismus, so scheint es mir jedenfalls, wäre die Messe heute wohl geschlossen, abgerissen oder dem Verfall ausgesetzt worden. Doch nicht so in Kuba. Jeder der 25 „Pabellones“ die alle Sektoren der kubanischen Gesellschaft von Bildung, Gesundheit und Kultur über Zucker- und Leichtindustrie bis hin zum Pharmasektor behandeln, ist mit pädagogisch-didaktisch ausgebildeten Personal besetzt. Menschen die es trotz geübter Langeweile nicht verlernt haben in klarem Standard-Spanisch stolz und mit klassisch-kubanischen Pathos zu erklären.
Trotz der allgemeinen Verwitterung ist alles bestens instandgesetzt und der Rasen fein gestutzt. Zyniker könnten meinen hier würden Ressourcen für Prestige verpulvert, doch eigentlich, so denke ich mir beim Durchstreifen der Wege, ist es doch gut, wenn Informationen, Anschauungsmaterial und Bildung verfügbar gemacht werden – auch wenn sich freilich das unmittelbare Interesse der kubanischen Bevölkerung angesichts von spärlichen Besucherzahlen, in Grenzen hält. Und trotzdem ist die Bedeutung der Messe als Happening-Place nicht zu unterschätzen: Das Tor zur Welt werden wichtige Auslandsinvestitionen beispielsweise für die neue Industriezone um den gerade erst eingeweihten Mariel-Hafen. Dieser soll, so erhoffen sich es die Planer, schon bald zum Dreh-und-Angel Punkt des karibischen Handels werden und maßgeblich zur Erneuerung des veralteten Kapitalstocks der Insel beitragen.
Eine kleine Insel mit großen Ideen
Wir besuchen den Wissenschaftspavillon und lernen über die bisher durchaus erfolgreiche Mission der Entwicklung neuer Medikamente und Impfstoffe. Es wird die oft so sehr übersehene Rolle der Frau in der Wissenschaft hervorgehoben und es entbrennt eine lebhafte Diskussion zur Theorie und Praxis des Standes der Emanzipation auf Kuba. So sei doch noch vieles im Argen, doch es gäbe durchaus Fortschritte, sagt Katarina, die mit gutem Beispiel voranschreitet und eine Forschungsarbeit zur Situation der Frau im kubanischen Wissenschaftssektor schreibt. Wir gehen weiter zum Gesundheitspavillon und lernen wie das sozialistische Kuba es schaffte die Anzahl der Ärzte von 59 nach der Revolution auf kubanisch genaue 38.115 heutzutage zu erhöhen und zudem noch Missionen und Unterstützung in andere, kapitalistische Entwicklungsländer zu versenden. So wird auf der ELAM, der „Escuela Latino America de Medicina“ nicht weniger als die Zukunft der Menschheit ausgebildet – mit Vollstipendium und offen für Menschen aus den Slums und den Agrarsubsistenzwirtschaften des globalen Südens. Die Ausbildung zum Arzt_Ärztin dauert hierzulande sechs Jahre im Grundstudium und jeweils drei für die allgemeinmedizinische oder vier für die Fachspezialisierung.
Eine kleine Insel, mit großen Ideen, an der sich viele andere Länder durchaus ein Beispiel nehmen können. Und da kann man sich den Kopf um die Qualität und Effizienz der Leistungen des Gesundheits- und Bildungssektors zerbrechen, doch wer das Gute gewohnt ist, hat nur Augen für das Bessere und vergisst dabei das hart erkämpfte Privileg, das doch eigentlich auch anderswo Normalität sein sollte. Andererseits muss auch Kritik stets konkret sein und leider konnten einige Fragen wie z.B. nach den Gründen der momentanen Medikamentenknappheit und auch andere Fragen kaum zufriedenstellend beantwortet werden. Doch wirkliche Antworten können auch im Studium gefunden werden und so machten wir uns nach einem stärkenden Mittagessen inklusive kubanischer Käseplatte zu günstigen Preisen über den Buchladen beim Kulturpavillon her. Da nehme man zwei Hände voll politisch Interessierter und Bücherpreise von oft nur weniger als 50 Cent und erhält in der Konsequenz pure Freude.
Von Maximilian