Es ist halb 2 Uhr morgens. Ich ziehe meinen Rucksack auf und verlasse das Haus in Richtung meiner etwas außerhalb gelegenen Universität (CUJAE). Dort treffe ich mich mit einigen GenossInnen um gemeinsam zur der Demonstration zu fahren. Die Uni stellt einen der etlichen Treffpunkte mit organisierter Anfahrt dar. Um die 1200 Sonderbusse fahren wohl den gesamten morgen aus allen Stadtteilen in das Zentrum um die riesigen Menschenmassen stressfrei zu transportieren.
Während ich nun also an der Bushaltestelle in Richtung CUJAE warte fahren bereits dutzende vollbeladene Busse und LKWs in das Zentrum, jedoch keiner zur CUJAE… warum auch?! Ich gehe also zu Fuß und sehe immer wieder Kolonnen mit jubelnden Arbeitern auf den Ladeflächen der Straßenvehikel. Die letzten Meter nimmt mich dann doch noch die Polizei mit, da diese wohl in die selbe Richtung will und ich komme schließlich um etwa halb 3 an der Uni an.
Auf dem Campus finde ich einige Gruppen von Studenten vor, die die Nacht in den Mai traditionell durchmachen und feiern, aus der Ferne höre ich immer wieder Jubel, Musik und herzliches Gelächter und folge diesem in Richtung der Studentenwohnheime. Dort werden gerade die restlichen Schlafenden per Megafon geweckt, um gemeinsam in die Mensa zu gehen und das wie immer kostenlose Frühstück zu genießen, während selbstorganisierte Musik auf mitgebrachten Trommeln und Glocken gespielt wird.
Während wir schließlich mit der gesamten Uni auf unsere Busse warten spielt die Trommelgruppe immer lauter und immer mehr Menschen fangen an zu tanzen, zu lachen, zu singen.
Es ist nun halb 5 und die Busse kommen. Auf der Busfahrt ist die Stimmung weiterhin großartig und die selbe Trommelgruppe, die mich wohl noch den restlichen Tag begleiten wird, sitzt neben mir im Bus und macht weiterhin mit Herzblut Fiesta, einige tanzen, viele singen mit.
In der Stadt finden sich nun die Gruppen aus den verschiedenen Arbeitssektoren und Ländern zusammen, organisieren sich und bereiten sich vor. Wir finden uns natürlich im Block der CUJAE ein und nutzen die verbleibenden Minuten bis zum Beginn der Demo um große Schilder mit Tamara Bunke Plakaten zu bauen, die hier im Gegensatz zu Deutschland offensichtlich jeder als Tania la Guerrillera kennt.
Die gut 600.000 Teilnehmer der Demonstration in Havanna sind nun geordnet in kompakte, bunte Blöcke der verschiedenen Arbeitssektoren, Massenorganisationen und schließlich der verschiedenen Schulen und Universitäten. Viele Blöcke machen sich durch Symbole ihres Sektors erkenntlich, so tragen zum Beispiel die Bauarbeiter ihre Helme und die Bauern alle etwa 2 Meter hohe Zuckerrohrstangen. Alle Blöcke vereinen sich hinter dem Fronttranspi, auf welchem in großen Lettern schlicht und klar die Worte stehen :”EL PUEBLO CUBANO VENCERÁ” (Das kubanische Volk wird siegen).
Langsam macht sich jetzt, um halb 8, der Demonstrationszug auf in Richtung “Plaza de la Revolution”, da später die Demonstration mit der karibischen Sonne kollidieren würde. Ein etwa Mitte 20 jähriger Student aus Simbabwe macht mit uns einige Fotos und teilt uns dann sehr euphorisch mit: ”Der Sozialismus ist einfach das einzige sinnvolle System auf dieser Welt! Es kann keine andere Zukunft geben als diese und wir sind hier zusammen in einem Land, wo die Arbeiterklasse gesiegt hat! Ist das nicht toll?” Wir lachen zusammen und umarmen uns, was für ein schönes Gefühl.
Die Demonstration scheint sehr gut durchorganisiert zu sein, obwohl es kaum Polizeipräsenz gibt, lediglich einige Ordner, die durch Handzeichen den oft viele tausende großen Gruppen den Weg freigeben. Währenddessen frage ich mich, warum hier die Demonstranten so einen freundlichen Umgang mit der Sicherheit haben und in Deutschland das Gegenteil der Fall ist. Ich stelle also fest, dass es hier nicht, wie in Deutschland einen Antagonismus zwischen Staatsinteressen und Arbeiterinteressen gibt. Gegen wen soll die Demonstration denn wirken? Gegen was soll sie im Sozialismus “anti” sein, wenn es innerhalb der Gesellschaft keinen ökonomischen Gegenpol gibt? Der sozialistische Staat und seine Sicherheitsorgane (bzw. in diesem Falle Demo-Ordner) stellen ja schlichtweg eine Interessenvertretung des Proletariats dar und es muss nicht gegen diese, sondern mit dieser um Verbesserungen gekämpft werden.
Viel mehr dreht es sich beim ersten Mai in Havanna und ganz Kuba also darum, den Sieg des Proletariats, des kubanischen Volkes zu feiern, nach außen hin Geschlossenheit zu zeigen, unzerbrechliche Unterstützung für ihre Revolution und die Vereinbarungen des 7. Parteikongresses zu zeigen, ein Zeichen der Solidarität mit den anderen linken Regierungen Südamerikas zu senden. Julián, Organisator unseres Projektes (Proyecto Tamara Bunke) von kubanischer Seite aus, beschreibt diesen Tag knapp als “ein Fest, eine Demonstration der Kraft der Revolution”. Der erste Mai ist außerdem dem 55. Jahrestag der Alphabetisierungskampagne gewidmet, dem 60. Jahrestag der Ankunft der Granma, dem 90. Geburtstag Fidel Castros, dem 55. Jahrestag des Sieges in der Schweinebucht und der damit einhergehenden Ausrufung des sozialistischen Charakters der Revolution. Vor Allem ist er aber natürlich den Arbeitern gewidmet und in diesem Zuge wurden in der vorigen Nacht 67 herausragenden Arbeitern und 5 Arbeitskollektiven verschiedene Auszeichnungen von Raúl Castro verliehen.
Wir kommen schließlich auf den „Plaza de la Revolución“ und die Stimmung steigt deutlich an. Auf der rechten Seite ist eine Tribüne mit Raúl Castro, einigen weiteren kubanischen Spitzenpolitikern und 1600 Freunden Kubas, solidarische Menschen aus 68 Ländern und 209 Gewerkschaften, unter Anderem auch ein Teil unseres Projektes im Bereich des Institutes für Völkerfreundschaft (ICAP). Der Marsch scheint sehr institutionalisiert; die verschiedenen Sektoren werden angesagt, es wird gejubelt und gewinkt. Durch ein Megafon schallt eine Stimme, die die Wirtschaftsblockade scharf verurteilt. Ulises Guilarte, Mitglied des Politbüros des Zentralkomitee und Generalsekretär der Arbeitervertretung von Kuba beginnt eine entschlossene Rede von der Tribüne zu halten und erklärt kämpferisch “wir werden die Fahnen des Kampfes hissen gegen die Ungerechtigkeit, die Ungleichheit, die Unterentwicklung, die Diskriminierung und für die Einrichtung einer internationalen Ordnung die gerechter ist, in deren Zentrum sich das Menschliche befindet, die Würde und das Wohlbefinden der Arbeiter. Vorwärts, marschieren wir gemeinsam mit der unerschütterlichen Sicherheit des Sieges! Es lebe unsere ruhmreiche, sozialistische Revolution! Es leben Fidel und Raúl!” Die Massen jubeln. Nach dem wir nun über den Platz marschierten ist die Demonstration zu ende und alle gehen wieder nach Hause. Auch meine GenossInnen und ich entfernen uns schnell aus dem Bereich um endlich mal etwas zu Frühstücken, es ist schließlich erst 10 Uhr morgens. In der Stadt verschenken wir noch unsere Tamara Bunke Plakate, danach gehen wir endlich schlafen. Viva la Revolución!
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Hach, wie früher in der DDR!
Ich weiß nicht, wie das in Kuba ist, aber wir mussten uns immer rechtfertigen und hatten Nachteile zu befürchten, wenn wir dem Aufruf zum orchestrierten Propagandaaufmarsch nicht nachkamen. Ich weiß, dass es in Kuba nicht wenige Menschen gibt, die trotz Zustimmung zur Revolution und häufig eher unpolitischer Einstellung die Regierung bzw. deren Politik ablehnen und die allgegenwärtige Propaganda ablehnen,
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