Wenn man in Kuba über das Land fährt, sieht man im Gegensatz zu Deutschland eine sehr intakte, vielfältige Natur und das trotz landwirtschaftlicher Bewirtschaftung. Man hört und sieht viele Insekten, wie Bienen oder Schmetterlinge. Man sieht keine flurbereinigten Monsterflächen wie bei uns, sondern kleinteilige Felder und Wiesen, die nicht mit Riesentraktoren überrollt, sondern zumeist mit Ochsengespannen beackert werden. Das war nicht immer so. Auch in Kuba herrschte einst der Irrglaube, dass mit riesigen Monokulturen das Land in eine goldene Zukunft schreitet und zu Anfang schien das auch zu passieren.
Die Exporterlöse, die Kuba generierte waren enorm und man konnte damit unter anderem den Ausbau des Sozialsystems finanzieren und den Lebensstandard der Kubanerinnen und Kubaner erhöhen. Mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers allerdings wurde dieser Weg jäh beendet. Die Abnehmer für kubanischen Zucker brachen weg und es kam zu einer humanitären Notlage Anfang der 90er Jahre. Es musste also sehr schnell reagiert werden. Schon in den 80er Jahren forschte eine Gruppe von Agrarwissenschaftlern an einer alternativen Landwirtschaft, da bereits zu dieser Zeit die Sorge vor ausgelaugten und dadurch unproduktiven Böden als Folge dieser intensiven Bewirtschaftung herrschte. Kuba musste damals schon ca. 80 Prozent seines Kalorienbedarfs für die Bevölkerung durch teure Lebensmittelimporte beziehen, was zu einer großen Abhängigkeit führte.
Auf dieses Wissen konnte zurückgegriffen werden und die Regierung tat alles dafür, dass sich diese Lage entschärfte. Schon nach wenigen Jahren zeigten sich die ersten Früchte dieser Arbeit. Zum Glück dient in Kuba der Staat dem Volk und nicht einer Bande von Lobbyisten der Agrar-, und Lebensmittelindustrie wie in Deutschland.
Heute ist die Insel weltweit zu einem Paradebeispiel in Sachen nachhaltige, boden-, und naturschonende Bewirtschaftung geworden. Es finden internationale Kongresse zum ökologischen Landbau statt und es gibt einen großen Wissenstransfer mit Bäuerinnen und Bauern aus anderen Ländern. Vor allem auch mit vielen aus Europa, die sich vor Ort von den kubanischen Bäuerinnen und Bauern ihre Kenntnisse über alternative Anbaumöglichkeiten zeigen lassen wollen. Denn eines ist klar: Wenn wir die Landwirtschaft in den ach so entwickelten Ländern nicht umstellen, wird genau das passieren, was Fidel Castro bereits am 12. Juni 1992 bei der Umweltkonferenz der Vereinten Nationen in Brasilien in seiner bemerkenswerten Rede vorhergesagt hat. Die menschliche Gattung wird in ihrer Existenz bedroht sein, wenn wir fortfahren, unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu zerstören. Und wir vernichten sie immer schneller. Weltweit wird jede Minute eine Fläche, so groß wie 30 Fußballfelder Regenwald zerstört. Fruchtbarer Boden geht durch immer mehr Chemieeinsatz oder Versiegelung kaputt. Wir verursachen ein enormes Artensterben, verändern das Klima, was zu extremen Dürren oder Überschwemmungen führt. Das alles machen wir, damit eine kleine Anzahl von Menschen unfassbar reich wird. Aber die Rechnung zahlen vor allem die Länder des globalen Südens und bald auch wir alle, da man Geld bekanntlich nicht essen kann.
Doch während man weltweit Horrornachrichten über das Aussterben der Bienen hört, ohne die der Mensch selbst kaum überleben kann, ist die Biene in Kuba gesund. Ihr Lebensraum ist intakt. Ein kubanischer Bienenstock „produziert“ pro Jahr dreimal so viel Honig wie ein deutscher und Honig aus Kuba ist in vielen Ländern mittlerweile eine gefragte Delikatesse. Während man von weltweit sterbenden Riffen lesen kann, sind die Riffe um Kuba intakt und sichern unzähligen Lebewesen ihre Existenz. Auch hier spielt die Landwirtschaft eine wichtige Rolle. Es fließt kein durch Überdüngung und mit Giften verseuchtes Wasser über die Äcker in Grundwasser und Meer.
Von den großen Zuckerrohrfeldern abgesehen, ist die Aufteilung der bewirtschafteten Flächen in Kuba sehr kleinteilig. Es gibt noch viele Hecken und Büsche zwischen den Feldern. Rückzugsmöglichkeiten und Lebensraum für viele Tiere.
In einer Handvoll gesunder Erde befinden sich mehr Lebewesen als es Menschen auf unserem Planeten gibt und diese Kleinstlebewesen sorgen dafür, dass der Boden fruchtbar ist und uns ernährt. Keine Überdüngung oder Chemisierung rücken ihnen in Kuba auf den Leib. Natürlich bedeutet das eine viel härtere Arbeit für die Bäuerinnen und Bauern und manche bestreiten diesen Weg nicht nur aus freien Stücken, sondern weil es oft auch gar nicht anders geht. Landwirtschaftliche Maschinen oder Pestizide sind einfach unerschwinglich. In vielen Gesprächen mit Erzeugerinnen und Erzeugern vor Ort zeigt sich aber auch, dass es ganz viele gibt, die von diesem Weg völlig überzeugt sind und genau wissen, dass die Landwirtschaft in Kuba auf Dauer nur eine Chance auf langes Bestehen hat, wenn man nachhaltig wirtschaftet.
In Deutschland sehen wir seit Jahrzehnten ein Sterben der Bauernhöfe. Während es in den 1960er Jahren noch über 1,6 Millionen Betriebe gab, sind es jetzt nur noch ca. 200 Tausend. Die bäuerliche Landwirtschaft gibt es nur noch in der Werbung. Sie wurde durch Agrarfabriken ersetzt, da die Lebensmittelindustrie mit kleinen Erzeugern nichts anfangen kann. Dieser sogenannte „natürliche Strukturwandel“ vernichtete in dieser Zeit über 6 Millionen Arbeitsplätze im Agrarbereich. Die Regale im Supermarkt sind zwar voll, aber zumeist mit schlechten Lebensmitteln. Die Menschen werden krank davon. Und irgendwann wird der Boden so tot sein, dass die Regale leer bleiben. Der Mensch braucht zum Überleben eine saubere Luft, sauberes Wasser und saubere Lebensmittel. Alles andere kommt danach. Das hat Fidel in seiner Rede gemeint. Wir zerstören unsere eigenen Lebensgrundlagen. Und weil das auch im Westen immer mehr Menschen verstehen, kommen sie nach Kuba, um sich anzuschauen, wie es die Bäuerinnen und Bauern hier besser machen.
Im Moment sieht man vor allem in den größeren Städten lange Schlangen vor Lebensmittelläden und viele Produkte sind schwer zu bekommen. Ein weiterer Grund, um zu erkennen, wie elementar die Landwirtschaft ist. Die Produktion der Lebensmittel – nicht für den Export, sondern zur Versorgung der eigenen Bevölkerung – ist von größter Bedeutung. Friedrich der Große, preußischer König, hat gesagt: „Wer bewirkt, dass dort, wo bisher ein Halm wuchs, jetzt zwei Halme wachsen, der hat mehr für ein Volk geleistet, als ein Feldherr, der eine Schlacht gewann.“
Die kubanische Regierung versteht das und so vergab der Staat ab 2008 brachliegende Flächen an natürliche und juristische Personen zum Nießbrauch, um die Lebensmittelproduktion weiter anzukurbeln. Bis 2013 gingen so 1,54 Mio. Hektar an 173.000 neue Bäuerinnen und Bauern. Zuerst mit einer Flächenobergrenze von 13 Hektar pro Person, die seit 2014 auf 67 Hektar ausgeweitet wurde. Die neuen Nutzer schließen sich in verschiedenen Kooperativen zusammen und erhalten so Zugang zu Dienstleistungen, Betriebsmitteln und zur Vermarktung ihrer Produkte. Man stellt gemeinsam einen Plan auf, wie viel der Ernte an die Kooperativen geht und kann die Überschüsse direkt selber vermarkten. Dieses Nießbrauchsrecht wurde zuerst auf zehn Jahre festgelegt und beträgt heute zwanzig Jahre. Das Land wird kostenlos zur Verfügung gestellt, man muss es aber sauber halten und oft erst von Marabú befreien. Das ist ein aus Afrika eingeschlepptes Gestrüpp, das sich rasant auf nicht genutzten Flächen ausbreitet und mit dem Wurzelstock herausgerissen werden muss, was viel harte Arbeit bedeutet. Zudem hat der Staat die Ankaufpreise, die er den Bäuerinnen und Bauern für bestimmte Lebensmittel zahlt, die letzten Jahre mehrfach angehoben. Einer dieser neuen Bauern ist Yoandy Guerra Vasquez, der seit ein paar Jahren eine Finca auf der Isla de la Juventud betreibt und uns über seinen Hof und seine Felder führt. Eigentlich ist er Professor an der hiesigen Universität, aber sein kleiner Hof bedeutet für ihn und seine Familie ein weiteres Einkommen und eine Möglichkeit sich viele seiner benötigten Lebensmittel selber anzubauen. In Deutschland läuft es genau andersrum. Bei uns ist die Entwicklung mittlerweile, Vollerwerb, Nebenerwerb, Zuerwerb, Aufgeben.
Ein Beispiel? Bei mir im Landkreis Berchtesgaden gibt es Bäuerinnen und Bauern die in der Nacht die Regale eines großen Supermarktgiganten einräumen, der sich auf unseren Wiesen breitgemacht und sie dadurch ruiniert hat.
In Kuba: Allein 2015 wurden über 50 Prozent der nationalen Obst-, Gemüse- und Gewürzproduktion von eben solchen Kleinbauern, und der urbanen und suburbanen Landwirtschaft erzeugt.
Im Moment leidet alles an den Folgen der Pandemie, der verbrecherischen US–Blockade, die das Land stranguliert und der allgemeinen Wirtschaftskrise. Auch Ernteausfälle wegen Extremwetterlagen kamen hinzu. Aber Kuba und seine Bäuerinnen und Bauern werden ihren Weg weiter gehen und zeigen, dass eine bessere Welt in jeder Hinsicht möglich ist. Mittelfristig werden sie es schaffen mehr und mehr Lebensmittel selbst zu produzieren und werden so weniger abhängig von teuren Importen. Dadurch bleibt mehr Geld, das dem Staat für andere wichtige Dinge zur Verfügung steht, wie zum Beispiel Medikamente oder Treibstoff. Die kubanischen Bauern verdienen größten Respekt. Sie waren schon immer ein wichtiger Teil in der Geschichte Kubas. Bei den Unabhängigkeitskriegen, in der Rebellenarmee unter Fidel Castro und vor allem sind sie diejenigen, die in der Lage sind, mit Hilfe von Sonne, Wasser, Luft und Boden das zu produzieren, was wir alle jeden Tag zum Überleben brauchen: Saubere, gesunde Nahrung. Vivan las campesinas y los campesinos cubanos!
Dieser Artikel ist von Hannes, hier geht es zu mehr Artikeln von ihm.