Sich mit der Freundin treffen, wenn man im Ausland ist: schwierig. Sie treffen, wenn sie auch im Ausland ist: schwieriger. Du bist in Kuba, sie arbeitet in den USA: ¡ay, mi madre! Denn Individualreisen sind von der US-Blockade betroffen, es gibt nur wenige Ausnahmen. Auch mit den im Frühjahr von US-Präsident Joseph Biden angekündigten minimalen Lockerungen, ändert sich daran nichts. Damit sollen nur Gruppenreisen von den USA nach Kuba erlaubt werden.
Die Reise über Drittländer ist teuer und langwierig, da Anschlussflüge unter die Restriktionen fallen würden. Da kann man allein für die Hinreise drei Tage und Flugtickets für eine Gesamtsumme im vierstelligen Bereich einplanen.
Was macht man dann? Man sucht sich ein gemeinsames Ziel. Geografisch günstig gelegen sind dafür die Bahamas, eine Inselgruppe nördlich von Kuba und südöstlich von Florida. Der Treffpunkt dort will wohlüberlegt sein: Das Land mit seinen knapp 400.000 Einwohnerinnen und Einwohnern ist verdammt teuer. Aber es wird auch, vor allem in den USA, als Reiseparadies angepriesen. Viele, die sich den Trip eigentlich nicht leisten können, nehmen sogar Kredite auf, um hinzureisen. Damit sie anschließend allen erzählen können, dass sie dagewesen sind.
Kommt man aus Kuba auf die Bahamas, dann ist der Kulturschock groß: das Land ist Teil des britischen Commonwealth. Das bedeutet nicht nur Linksverkehr: die Krone in London stellt das Staatsoberhaupt. Mit wenigstens bürgerlicher Demokratie in einem Land, das bis 1973 noch Kolonie des britischen Imperialismus war, ist es damit nicht weit her. Die letzten sozialistischen und Arbeiterparteien sind in den 80ern von dem 700 Inseln (nur 30 davon bewohnt) zählenden Archipel verschwunden. Gesellschaftlicher Fortschritt stagniert: Die Bahamas sind durch und durch christlich geprägt, schaltet man das Radio an, hört man Bibelstunden – nichts, was man so von Kuba kennt.
Was man auch nicht kennt: anders als in Kuba, findet das Leben in der Hauptstadt der Bahamas, Nassau, in vier Wänden statt. Bahamitinnen und Bahamiten können es sich weitgehend leisten, Fensterscheiben mit UV-Schutz zu kaufen; sie schließen die Türen und machen die Klimaanlage an. Soziale Treffpunkte, neben den Imbissständen und Liquor Stores, sind auch hier wieder Kirchen. Die Fußwege sind leer, geht man tatsächlich durch die Viertel spazieren, dann irritiert das regelmäßig die Haushunde in der Nachbarschaft, die einem auch mal in die Hacken beißen.
Während in anderen Ländern der Karibik, wie Haiti, das blanke Elend herrscht, lag das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf auf den Bahamas 2020 bei immerhin 28.600 bahamitischen Dollar (die Landeswährung ist direkt an den US-Dollar gekoppelt). Das ist in etwa das Dreifache im Vergleich zu Kuba.
Sind die Bahamas damit schlichtweg erfolgreicher mit ihrem auf Privatbesitz und Profit ausgerichteten System? Nur, wenn man Kuba und die Bahamas aus dem politökonomischen Weltgefüge und dem historischen Kontext reißt. Der relative Wohlstand auf den Bahamas beruht auf internationaler Arbeitsteilung: die Bahamas sind nicht nur Standort für Reisekonzerne (über die Hälfte des BIP entspringt dem Tourismus), sondern auch Steuerparadies. Besitzende, die in Westeuropa oder Nordamerika keine Steuern zahlen wollen, schieben ihr Geld auf bahamitische Konten. Filialen von Offshorebanken, aber auch Spielhöllen finden sich zuhauf auf New Providence, der Insel mit der Hauptstadt Nassau. Der Taxifahrer: Klar, seine Frau ist bei JP Morgan angestellt.
Die Bahamas haben dementsprechend den Vorteil, dem Monopolkapital besonders nützlich zu sein. Bei anderen ehemaligen Kolonien sieht das anders aus. Die ersticken in Schulden und werden von westlichen Unternehmen zu Konditionen ausgebeutet, die die Armutsgrenze grundsätzlich unterschreitet. Ein anderer, wesentlicher Unterschied: Die Bahamas litten als Nationalstaat nie unter einer Wirtschaftsblockade wie Kuba. Ihnen brachen nie die wichtigsten Wirtschaftspartner weg, wie es Kuba 1990 erleben musste.
Vor Ort, auf den Bahamas, erlebt man dann, dass ein durchschnittlicher Wert, wie der des BIP pro Kopf, Klassengegensätze nicht aufzeigt. Dazu gehören die fetten Villen von Lenny Kravitz und Co. auf der kleinen Insel Eleuthera, und die Privatinseln, auf die man als Normalsterbliche keinen Fuß setzen darf und wieder umkehren muss. Die andere Seite der Medaille sind Dörfer und Stadtteile, die an US-amerikanische, arme Vorstädte erinnern und in denen ausgeschlachtete Autos neben der morschen Holzveranda stehen. Schon vor der Pandemie gab es eine Arbeitslosenquote von 10,1 Prozent. Die Lebenshaltungskosten sind hoch: Für eine halbe Gallone Milch und einen Salatkopf legt man mit schmerzendem Portmonnaie zwölf Dollar auf den Kassentisch. Öffentliche Verkehrsmittel gibt es kaum, wer kein Auto hat und sich das Taxi nicht leisten, kann kilometerweit laufen. Die einzigen Busse, die man zu Gesicht bekommt, sind neben den in den Ferien stillstehenden Schulbussen keine öffentlichen, sondern kirchliche, die die Kinder vom Bibelunterricht zurück nach Hause bringen.
Wie auf Kuba sind die Leute nett zu einem. Hat man auf Kuba aber noch das Gefühl, dass es sich u. a. um einen Ausdruck internationaler Solidarität als staats- und gesellschaftstragendes Element oder schlicht Humanismus handelt, kommt man Ausländerinnen und Ausländern auf den Bahamas neben ideologischen Versatzstücken wie christlicher Nächstenliebe, auch aus Servicebewusstsein entgegen. Man ist ja Hotel und Bank des reichen Westens, an den man gebunden – auch wenn man keine Kolonie mehr ist.
Zurück in Havanna, überlegt man sich ein Fazit für den Ländervergleich, und denkt dann an die vielen Male, als die Freundin beim Fahren des Mietwagens auf den Bahamas Tocotronic zitierte: „All das mag ich / Aber hier leben, nein danke.“
Dieser Artikel ist von Ken, hier geht es zu mehr Artikeln von ihm.