Ich laufe durch die Straßen von Havanna und staune über die Schönheit der Häuser. Große Altbauten in kleinen Seitenstraßen. So sehen auch Villenviertel in deutschen Städten aus. In Havanna findet man ein solches Bild unter anderem im Stadtviertel Vedado. Runde Fensterbögen, Balkone, Dachterrassen, Säulen im Eingang und die buntesten Farben. Doch man läuft nur ein Stückchen weiter und steht vor riesigen Plattenbauten. Kleine verwinkelte Wohnungen, viele Familien, Müll liegt am Straßenrand. Zwischen den spielenden Kindern laufen Hühner frei herum und Hunde schlafen im Schatten. Doch direkt gegenüber wieder: Altbau mit Säulen und Stuck verziert, eingerichtet als Café. Logisch, das müssen die unterschiedlichen sozialen Schichten sein, denke ich. Wie in Deutschland: Wer es sich leisten kann, hat eine große Wohnung oder ein Haus und wer nicht, der muss eben schauen, ob er auf dem Mietmarkt eine bezahlbare Bleibe findet. Dass das in Kuba anders läuft, habe ich schnell begriffen, aber wie genau, dazu musste ich erst nachforschen. Mit spannenden Ergebnissen.
Reisen wir kurz zurück ins Kuba der 40er/50er Jahre. Kuba vor der Revolution: Chefs von großen Firmen, Großgrundbesitzer oder Unterstützer:innen von Batista leben in Saus und Braus. Zum Beispiel in den schicken spanischen Kolonialbauten in Habana Vieja, die bereits mehr als 200 Jahre alt sind. Oder in den Villen aus den 20er/30er Jahren in den Stadtteilen Vedado oder Miramar, in welchen Schwarzen das Wohnen bis 1959 verboten war. Heute nennen die Kubaner:innen den Stil der Häuser in diesen „reichen“ Vierteln „construcción capitalista“. Jetzt unterscheidet man bei den Vierteln nicht mehr in arm und reich, erzählt mir ein junger Kubaner. Er meint, man unterscheidet eher zwischen Menschen mit mehr Möglichkeiten und Menschen mit weniger. Diejenigen, die damals das Privileg hatten zu den Reichen der Bevölkerung zu gehören, waren nur wenige. Der Großteil lebte unter widrigsten Bedingungen in Armut, Hunger, viele ohne ein Dach über dem Kopf und ohne lesen oder schreiben zu können.
Durch die Revolution im Jahr 1959 verbesserte sich die Lage dann drastisch. Bereits im März 1959 wurden unter Fidel Castro die Mieten halbiert und ein Wohnungsbauprogramm initiiert. Unternehmen und Großgrundbesitzer wurden enteignet. Aus Privateigentum wurde Staatseigentum. So auch sämtliche Gebäude.
Die Neuaufteilung der Wohnungen und Häuser an die Bevölkerung lief unterschiedlich ab. Da viele Batistaanhänger:innen in die USA flohen, wurden ihre Häuser in wohlhabenden Vierteln frei. Diese wurden größtenteils zu staatlichen Institutionen, wie zum Beispiel Schulen, Museen, Sitzen von staatlichen Unternehmen oder Ähnliches umfunktioniert. Wie das Haus einer Tante unseres Koordinators Julián, die damals Millionärin war. In dem Haus, welches sie nach dem Regierungssturz verließ, um in die USA auszuwandern, hat heute die ukrainische Botschaft ihren Sitz. Andere Häuser wurden verstaatlicht und den Menschen zum Wohnen bereitgestellt, die auch vorher schon in genau diesen lebten.
Zusätzlich gab es Bewegungen, wie die „micro brigada“, um Arbeiter:innen dabei zu unterstützen, ihre eigenen Häuser zu bauen. Es wurden außerdem Bausysteme aus den sozialistischen Ländern Osteuropas importiert und damit etwa das Wohnviertel Tulipan nahe der Plaza de la Revolución hochgezogen. So wurde die zuvor herrschende Wohnungsknappheit, sowie die Spekulation mit Boden und Wohnraum überwunden und jede:r hatte ein Dach über dem Kopf.
Heutzutage sind mehr als 85 Prozent der Kubaner:innen Eigentümer:innen der Häuser, in denen sie wohnen. Wie kommt das zustande? Nach der Neuaufteilung der Lebensräume begannen alle, ihre jeweiligen Häuser abzubezahlen. Bis zu 20 Jahre bezahlten Staatsbürger:innen einen jeweils vom Haus abhängigen Betrag. Dieser konnte selbst festgelegt werden, woraus sich die individuelle Dauer des Abbezahlens ergibt. Für ein durchschnittlich großes Haus liegt dieser Betrag bei etwa 300 Pesos im Monat.
Und was passiert, wenn mir Havanna nicht mehr gefällt und ich lieber in Camagüey wohnen möchte? Umziehen ist in Kuba möglich, aber nicht so leicht. Wenn du nicht das nötige Kleingeld hast, um ein Haus zu kaufen oder eine Wohnung zu mieten, gibt es die Möglichkeit, mit anderen Menschen das Haus zu tauschen.
Anders als bei uns in Deutschland, ist es in Kuba üblich, dass Kinder sehr lange bei ihren Eltern wohnen bleiben. In einem Haus leben oft mehrere Generationen. Das kommt daher, dass diese Häuser bereits den Familien gehören und somit bis auf die Elektrizität keine Kosten mehr aufwerfen. Dieser Kostenfaktor ist abhängig vom Einkommen und darf nicht mehr als sechs Prozent dessen betragen. Das Mieten wiederrum ist für Kubaner:innen sehr teuer und somit für die meisten schwierig bis unmöglich. Mit durchschnittlich fünf- bis sechstausend Pesos im Monat übersteigt die Miete einer Wohnung das monatliche Einkommen der Mehrheit. Viele werden daher kreativ und bauen auf ihr Haus eine zweite oder sogar dritte Etage, um für Nachwuchs Platz zu schaffen. Andere bekommen über ihre Arbeitgeber:innen, meist große staatliche Unternehmen, die Möglichkeit, eine Wohnung günstig zu mieten. Denn es gibt viele Unternehmen, die, wenn sie das notwendige Geld dazu haben, neue Wohnsiedlungen oder Gebäude bauen, in denen sie dann ihre Arbeiter:innen plus Familien unterbringen. Wenn jemand all diese Möglichkeiten aber nicht hat, dann wird eben zusammengerückt. So wie die Familie eines Freundes, der mir erzählt, dass er mit 28 Jahren noch bei seinen Eltern lebt und sich ein Zimmer mit seinem 22jährigen Bruder teilt. Was für mich erst unvorstellbar war, ist in Kuba völlig normal. Und auch, was die Privatsphäre in solchen Fällen angeht, gibt es in Kuba eine interessante Lösung. Viele Pärchen mieten sich ab und zu für eine Nacht ein Stundenzimmer, die sogenannte Posada. Gegen einen kleinen Betrag hat man so die Möglichkeit, in einem Privatzimmer mit eigenem Bad zu übernachten.
Klingt ja eigentlich gar nicht schlecht und irgendwie auch gemütlich, die Oma, die Tante, den Cousin und die Nichte mit im gleichen Haus zu haben. Auf jeden Fall stärkt es das Familienbild enorm. In Kuba ist die Familie in vielen Fällen Priorität Nummer eins. Kann aber auch mal ungemütlich werden, zum Beispiel bei einer Scheidung. In dem Fall bleibt den meisten nichts anderes übrig, als zurück zu den eigenen Eltern zu ziehen, bei Freund:innen unterzukommen oder eine neue Familie zu gründen. Denn einfach ein neues Haus gibt es nicht.
Das könnte auch ein Grund sein für die wenigen Obdachlosen, die es in Kuba gibt. Bei weitem sind das hier nicht so viele wie in deutschen Großstädten. Bei den meisten sind psychische Probleme der Auslöser oder eben der Bruch mit der eigenen Familie.
Insgesamt ist in Kuba also für Wohnraum gesorgt. Niemand muss auf der Straße leben. Dass trotzdem Probleme auftreten, ist klar. Ich denke anhand dieser werden die unterschiedlichen Möglichkeiten der Kubaner:innen deutlich, die unter anderem von finanziellen Mitteln abhängen. So gibt es eben auch hier verschiedene soziale Schichten. Diese sind aber anhand der Wohnung bzw. des Viertels nicht so stark sichtbar wie in Deutschland. Kuba schafft es, einen Wohnraum für alle zu ermöglichen. Ich finde es beeindruckend.
Dieser Artikel ist von Zoe.
Hola, deinen Recherchen kann ich nur zustimmen. ich selber war vor 11 Jahren auf <cuba mit einem Workcamp und habe ähnliche Beobachtungen gemacht. Seither lässt mich dieses Land nicht los und mein letzter Aufenthalt ist nun schon wieder dre Jahre her und man spürt doch auch die Veränderungen in den letzten Jahren. Trotzdem gebe die meisten Cubaner die Hoffnung auf ein besseres Leben nicht auf. Danke für dein bericht und eine gute Zeit! Saludos Patricia