Ein Land diskutiert. Was wir in der BRD als Phrase kennen, verweist in Kuba auf eine sozialistische Demokratie als gelebte Praxis. Weiterhin großes Thema auf Nachbarschaftsversammlungen überall auf der Insel ist derzeit der Vorschlag zu einem neuen „Código de las Familias“, der von der Nationalversammlung mit Expertengruppen erarbeitet wurde.
Beachtung in der westlichen Welt hat der Gesetzesentwurf, zu dem alle Kubanerinnen und Kubaner aufgefordert waren (und weiterhin sind), Kritik und Verbesserungsvorschläge einzureichen, vor allem für das darin enthaltene Konzept der Ehe für alle gefunden. Ein Aspekt, der bereits in die neue Verfassung von 2019 aufgenommen werden sollte, auf Druck des reaktionären Teils der Kirchen und wegen einiger Vorbehalte in der Bevölkerung wurde dieser jedoch ausgegliedert, daraufhin breite Diskussion initiiert, staatlicherseits Aufklärungsarbeit geleistet, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wurden hinzugezogen. Die rechtliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften wäre zweifellos eine weitere Errungenschaft, die im Herbst mit einer Abstimmung über den Código in Kuba verankert werden soll. Dass zwei Männer oder zwei Frauen Kinder adoptieren dürfen, weckt den größten Unmut jener, die die Sonderstellung der Heteroehe nicht aufgeben wollen. Hier setzen klerikale Reaktionäre und Contras aus Miami am stärksten an, um gegen den Gesetzesentwurf zu hetzen.
Dabei ist jener schlicht eine Entsprechung der Tatsachen: Menschen leben konsensual miteinander, egal welchen Geschlechts. Auch in Kuba. Der Plural im Titel des Gesetzesentwurfs verweist auf die Vielfalt der Familien Kubas. „Das Familienbild von Vater, Mutter, Kind mag noch in vielen Köpfen stecken, entspricht aber nicht der Realität“, sagt uns Félix Garro, einer der Dozierenden der polytechnischen Universität Havannas (CUJAE). Die Konstellationen sind divers, das alte Familiengesetz von 1975 spiegelt das nicht wider. Quasi alle Kubanerinnen und Kubaner kennen beispielsweise ihre leibliche Mutter, viele jedoch, mit denen wir hier über das Thema Familie reden, nicht ihren leiblichen Vater. Es gibt Trennungen, Scheidungen, Patchworkfamilien, Alleinerziehende, Kinder, die von den Großeltern großgezogen werden, Adoptionen. Das ist die Faktenlage, wenn über Kubas Familien diskutiert wird.
Der Código de las Familias hebt dementsprechend das noch aus dem antiken Rom herruhende patriarchale Recht auf das Kind als eine Art Eigentum auf und stärkt Kinder stattdessen als Rechtssubjekte. Damit wird häuslicher Gewalt entgegengewirkt, genauso wie es unterstreicht, dass Kinder in Kuba zu aktiven und mitbestimmenden Teilen der Gesellschaft heranwachsen sollen.
Nicht nur den Jüngsten verleiht der Código ein festeres rechtliches Fundament: Kubas Gesellschaft altert, auch der Status der Ältesten soll gesetzlich gestärkt werden.
Mit den breiten Diskussionsprozessen zeigt Kuba die Lebendigkeit seiner Demokratie, mit dem Charakter des Código de las Familias seine Fortschrittlichkeit, mit den Inhalten des Gesetzesvorschlags seinen Realitätssinn und seine Orientierung an wissenschaftlichen Erkenntnissen. Spricht sich im anstehenden Referendum das Volk für die Einführung des neuen Familiengesetzes aus, geht Kuba einen weiteren Schritt voran in Richtung Zukunft. In der Bundesrepublik kann man darüber nur staunen.
Dieser Artikel ist von Ken, hier geht es zu mehr Artikeln von ihm.