Aktuell befindet sich der Rest unserer Bunkisten seit knapp drei Monaten im Quarantänezustand auf dem Gelände der CUJAE, welches zurzeit nur unter wichtigen Umständen verlassen werden darf. Das gesellschaftliche Leben hat sich dadurch stark verändert. Keine Fiestas mehr an den Abenden, Strandausflüge, politische Veranstaltungen, Uni Kurse oder Treffen mit Julián.
An manchen Tagen ist einem die Länge der Isolationsmaßnahme kaum noch bewusst. Schließlich sind hier auch viele Möglichkeiten geboten seine Zeit zu gestalten. Die Abschlussthesis muss geschrieben werden, die Mangos an den zahlreichen Bäumen sind reif und stehen allen zur Verfügung, es finden sich verschiedene Sportmöglichkeiten, und mit den anderen ausländischen Student*innen oder dem Personal, dass hier noch arbeitet kann eine Runde geschnackt werden. Dreimal am Tag gibt es umsonst Essen in der Mensa und wer darauf mal keine Lust hat, dem verkauft die „Pizzeria“ mittags Reis, Fleisch und Gemüse, was mittlerweile heiß begehrt ist und dadurch auch manchmal eine Wartezeit von über einer halben Stunde entsteht. Auch gibt es die Möglichkeit Lebensmittel zum Kochen in die CUJAE liefern zu lassen, sowie Pizza von dem ein oder anderen Lieferdienst. Seit Beginn der Quarantäne wurden zwei Pakete zur zusätzlichen Versorgung für die Arbeiter*innen und Student*innen zusammengestellt.
Das Datenlimit zur Nutzung des Internets der CUJAE wurde aufgehoben und für alle verbliebenen zur Verfügung gestellt. Der kubanische Telefon Anbieter „Etecsa“ bringt ständig neue Angebote heraus mit zusätzlichen mobilen Daten, Freiminuten und SMS, ebenso wurde angekündigt die Preise für die Datenpakete um 50 % zu senken.
So sind wir per Telefon in Kontakt mit dem Netzwerk rund um das Proyecto Tamara Bunke und erhalten einige Einblicke, wie sich das Leben außerhalb abspielt. Die Fallzahlen verbessern sich hier stetig, trotz dessen darf sich weiterhin nur mit Mundnasenschutz außerhalb der Wohnräume bewegt werden und Ärzt*innen und Pflegepersonal kontrollieren zu Hause regelmäßig den Gesundheitszustand. Trotzdem war es die letzten Tage und Wochen auffallend, dass sich viele, ob es nun das Küchen- oder Sicherheitspersonal, andere Arbeiter*innen oder befreundete und bekannte Kubaner*innen sind, sich viel über die Undiszipliniertheit der Bevölkerung aufregt wird. Sie würden die Sicherheitsabstände nicht richtig einhalten, würden sich zu viel draußen bewegen und ihre Schutzmasken nicht richtig benutzen. Auf der anderen Seite war zu bemerken, wie darauf geachtet wurde, dass nicht ohne Masken oder vorheriges Desinfizieren der Hände die Mensa, Pizzeria oder Krankenstationen betreten wurden und sich die Leute gegenseitig darauf verwiesen, die Maßnahmen einzuhalten. Gleichzeitig sind Berichte aus Deutschland davon geprägt, wie vieles sich nun normalisiert, der Schulbetrieb langsam aufgenommen wird, die Läden und Bars öffnen und Bilder werden geteilt, wie Freunde gemeinsam im Park sitzen oder Tagungen stattfinden. Einen Nasenmundschutz ließ sich dabei eher selten feststellen. Wobei dieser hier in Kuba schon fest zum Alltag gehört. So sind es viele widersprüchliche Eindrücke, die von außerhalb in unseren Mikrokosmos, den CUJAE Campus, dringen.
Der Ausgang aus dem Mikrokosmos
Vor ein paar Tagen durfte ich aufgrund eines Kontrolltermins in der Polyklinik das Gelände zum ersten Mal seit zwei Monaten verlassen. Ein Fahrer brachte mich nach Mariano zu meinem Termin und setze mich vor der Klinik ab. Eine Frau saß am Eingang und desinfizierte den Patienten und dem Krankenhauspersonal die Hände und verwies sie auf einen in Chlor getränkten Lappen, an dem die Schuhsolen desinfiziert werden sollten. In der Klinik tummelte es von lauter Schwangeren, Müttern und ihren Babys und Kleinkindern. Alle mitsamt Schutzmaske. Nach einigen Minuten stellte sich heraus, dass ich in der falschen Klinik war und einige Blöcke zur richtigen laufen musste. Dies war aufregender, als ich zunächst erwartet hätte und brauchte einige Minuten, um mich an den ganzen „Trubel“ zu gewöhnen. In der CUJAE war es schließlich die restlichen zwei Monate sehr ruhig gewesen.
Auf der Straße werden „Churros“ und Blumen verkauft. Die Supermärkte, Gemüsehändler und „Bodegas“ (Verkauf von Reis, Zucker, Mehl, etc. im kubanischen Peso oder mit der Libreta) hatten geöffnet. Vor einigen befanden sich lange Schlangen. Personal von der Polizei oder dem Gesundheitsministerium verwiesen die Menschen darauf Abstand zu halten und kontrollierten das Einhalten der Maßnahmen. Die sonst so kontaktfreudigen Kubaner*innen blieben auf Abstand, keine Küsschen oder Umarmungen. Aber dennoch schallte die Musik aus einigen Ecken und hier und dort konnte man auch eine Tanzeinlage beobachten. Normalerweise hätten mich auf einem Weg dieser Strecke einige versucht in ein Gespräch zu verwickeln oder mir zumindest ein „Linda“ (Schöne) hinterhergebrüllt, aber dies blieb aus.
Angekommen an der richtigen Klinik desinfizierte wieder eine Frau am Eingang die Hände und es musste über den besagten Lappen gelaufen werden. Vor dem Behandlungszimmer rief ich einmal, wer der letzte sei und nahm hinter einem älteren Herrn Platz. Dieser fragte nach jeder Person, die ins Behandlungszimmer ging, wiederholt nach hinter wem er sei. Geduldig erklärten die zwei Frauen vor ihm immer wieder die Reihenfolge. Das Ganze ging recht flott und schon saß ich im Behandlungszimmer, bekam noch etwas von dem neusten Tratsch aus der Polyklinik mit über den sich die Ärztin und die Assistentin unterhielten. So kurze Wartezeiten kannte ich vorher höchstens von meiner Zahnärztin.
Auf dem Rückweg, machte ich noch kurz an einer Apotheke halt, um etwas Chlor zu kaufen (vier Fläschchen für einen Peso cubano). Diese hatten so etwas wie eine „Desinfektionsschleuse“ installiert: Eine Kiste, die die Eingangstür ausfüllte und mit einem Chlor Bad gefüllt war inklusive der Sprühflasche für Hände und Arme. Es musste gerade eine neue Lieferung eingetroffen sein. Das Personal stapelte Medikamente in den Regalen. Von den Mengen erinnerte dies schon eher an eine europäische, als an eine kubanische Apotheke, nur das nebenbei noch der beliebte angeregte Smalltalk geführt wurde.
Zurück in den Mikrokosmos
Zurück im Auto zur CUJAE fragte ich den Fahrer, wieso sich alle über die Undiszipliniertheit der Leute aufregten, da sich schließlich nicht eine Person ohne Schutzmaske oder genügenden Abstand beobachten ließ. Er erklärte mir, dass sie hier in Kuba dazu erzogen werden eine gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und sich umeinander zu kümmern. Daher würden alle wissen, wie wichtig es ist diszipliniert alle Maßnahmen des Gesundheitsministeriums einzuhalten, um eine Infektion und Ausbreitung von Covid – 19 zu verhindern. Er berichtet mir von Leuten, die sich in kleinen privaten Kreisen trafen und auch nach draußen gehen würden, obwohl keine Notwendigkeit bestünde. So trafen zwei unterschiedliche Wahrnehmungen aufeinander.
Durch meine europäische Brille, war ich fasziniert von den Maßnahmen, die hier ergriffen wurden, besonders als ich die ganzen Kubaner*innen draußen sah und die Schutzmaßnahmen, die eingehalten wurden und sich die Leute gegenseitig darauf verwiesen, diese ernst zu nehmen. Schließlich waren die Maßnahmen in Deutschland und Europa sehr konträr zu einander. In Deutschland hieß es erst Schutzmasken wären unsinnig und dann auf einmal wäre es doch sinnvoll. In dem einen Bundesland galt das Eine und in dem anderen Bundesland etwas Anderes. Ist es also verwunderlich, dass sich Freundeskreise auf ihr Bierchen treffen und Leute draußen fröhlich ohne ihre Masken herumlaufen? Während sich in Deutschland angefangen haben, Leute auf der Straße zu treffen, Corona zu leugnen und demonstrierten, weil sie „ihr Leben“ zurückwollten, beschweren sich hier die Menschen darüber, dass das Leben von anderen nicht respektiert wird, weil sie sich nicht diszipliniert genug an die Maßnahmen halten. Denn sie wollen Corona besiegen und Menschenleben retten, auch wenn dieser Mensch schon den Großteil seines Lebens gelebt hat. So lässt es sich auch jeden Abend beim Applaus für das Putz- und Krankenpersonal heraushören. Es wird „Estamos venciendo“ (wir gewinnen), „Fuerza“ (Kraft), „Bravo“ und vieles mehr geschrien. (Das Putzpersonal hat in Kuba übrigens eine Lohnerhöhung wegen der Wichtigkeit ihrer Tätigkeit und des Risikos einer Corona Infektion erhalten)
Doch einer der größten Sorgepunkte ist nach wie vor das Handelsembargo. Gerade für Kubaner*innen, die vorher im privaten Wirtschaftssektor gearbeitet haben, fallen Einkommen weg. Es herrscht Mangel an Treibstoff, Medikamenten, Geräten und Ersatzteilen. Auch in der Entwicklung unter Corona wird die Blockade weiterhin verschärft und viele machen sich Sorgen um die weitere Versorgungslage. Doch was bleibt und vorbesteht ist die Organisierung und die Solidarität in der Gesellschaft.
Anmerkung: Die Regierung hat erst vor kurzem einen Plan zur Normalisierung bekannt gegeben, der sich in drei Phasen unterteilt. Die erste Phase wurde am 16. Juni in Kuba eingeführt, da es seit 15 Tagen keine Neuinfektionen mehr gab. In Matanzas hat vor einigen Tagen ebenfalls die erste Phase begonnen. Havanna ist davon, aufgrund der Fallzahlen noch ausgeschlossen.
Dieser Artikel ist von Raven