Ein Krankenhauszimmer, ausgestattet mit zwei Schiebebetten auf denen speckige Matratzen liegen, weiß gelbliche Wände und eine Klimaanlage die nicht funktionieren will; das war für fünf Tage alles was mir vor die Augen gekommen ist als ich auf der Intensivstation im Krankenhaus in Sanctis Spiritus lag.
Unser Proyecto Alltag spielt in Hauptstadtmetropole Havanna – leben auf dem Land ist anders, deshalb waren wir alle gespannt auf die Excursion in das Örtchen Cabaiguan.
Schon am zweiten Tag bekam ich Magendarm mit Fieber. Die Anderen weg,- auf einem Ausflug besorgte Menschen aus dem Campismo, und ich will nur schlafen. Irgendwann kommt der Krankenpfleger aus dem Campismo rein, ich im Dämmerschlaf, mir wird Fieber gemessen, ich werde alleine gelassen. Es kommen noch mehr Leute, ich werde in die Krankenstation gebracht, schlafe weiter. Auf dem Weg zur Krankenstation laufen wir durch das Grün des Campismo, Pferde grasen auf den Wiesen, Vögel zwitschern, Musik aus den 80igern untermalt die ganze Szenerie, es ist wie in einem Traum.
Es wird geredet, ich beteilige mich nicht weiter an dem Gespräch und alle halten es für das Beste wenn ich ins zum Arzt gehe. Dass damit das Krankenhaus und der Krankenwagen gemeint sind war mir nicht klar. Um die Theatralik der Leute nur noch anzustacheln muss ich mich übergeben als der Krankenwagen kommt, und als der Notarzt seine Spritze rausholt um mich an den Tropf zu hängen gleich nochmal, danke Magen!
Ich steige in den Krankenwagen, es läuft „I will survive“ von Gloria Gaynor, unser Fahrer steht vor dem Seitenspiegel des Wagens und kämmt sich mit einem Kamm seine gegelten Haare zurück, ich komme mir vor wie in einem schlechten Film. Mir wird eine Kanüle für den Tropf gelegt, weil ich so lange nichts zu mir genommen habe, durch das Hinterfenster winken mir der Mann von der Rezeption, die Köchin und die Putzfrau aufmuntert zu und ich muss die Augen schließen, ich mag keine Nadeln und mir ist schlecht.
Im Krankenhaus, werde ich zunächst in ein Untersuchungsraum geleitet, ich schließe wieder die Augen, das Bett neben mir ist leer und in dem gekühlten Raum bekomme ich Schüttelfrost. Jemand bringt mir eine knallpinke Decke. Fieber messen, Ultraschall, Blutabnehmen und keiner redet mit mir, ist mir egal ich will nur schlafen und die Toilette ist Gott sei Dank nebenan. Irgendwann ich fühle mich wie im Wachkoma und frage immer wieder, was ich denn nun hätte und wann ich wieder nach Hause könne. Die Ärzte stellen fest, das ich gelbe Finger habe – ich will ja aufhören zu rauchen, bin bei drei Zigaretten am Tag, aber die Ärzte wundern trotzdem weiter. Sie wollen mir keine Angst machen, aber ich bekomme mit, das sie vermuten, dass ich Dengefieber habe. Das passt mir ja gerade gar nicht !
Ich werde auf eine andere Station verlagert, Warteräume, Untersuchungszimmer und lange Flure ziehen vorbei. Das ist also Sanctis Spiritus, schön hier. In dem neuen Zimmer sitzt eine Frau auf einem gelb rostigen Stuhl, sie hat einen grünen Kittel an und ich denke sie ist eine Krankenschwester, das andere Bett ist von einem undurchsichtigen, engmaschigen Schleier behängt der an vier Stöcken an den Bettpfosten befestigt ist. Langsam verarbeitet mein benebeltes Gehirn das Bild und das Gefühl eine Leiche liegt unter dem Tuch will nicht verschwinden, ich frage. Nein, es ist die Mutter der Frau im grünen Kittel, sie hat Dengefieber und um vor Infektionsgefahr zu schützen liegt sie unter dem Mückennetz.
Eine Krankenschwester telefoniert mit unserem Koordinator, Aufregung – es ist Regel dass ein Familienmitglied des Kranken am Bett sitzt, eine Bekannte unseres Koordinators kommt mich besuchen. Ich kenne die ältere Dame nicht, doch es ist nett jemand bei sich zu haben. Ich schlafe wieder ein und die Dame ist weg als ich das nächste mal aufwache.
Um 5 Uhr morgens werde ich geweckt, darf mich duschen und dann wird Blut abgenommen um einige Tests zu machen. Gegen halb sieben gibt es Frühstück. Ich unterhalte mich mit meiner Bettnachbarin, schlafe wieder.
Schichtwechsel, eine andere Krankenschwester kommt herein, lächelt fragt nach meinem Namen der falsch auf dem Zettel mit den Patienteninformationen neben meinem Bett steht. Die Krankenpfleger arbeiten in 12 Stunden Schichten, alle drei Tage. Ich hoffe dass ich die nette Krankenschwester nicht wieder sehe.
Irgendwann kommt Lea, mein „Familienmitglied“. Sie bringt Wechselklamotten, Zahnbürste und Bücher. Es scheint, als müsste ich noch länger bleiben.
Dengefieber kann lebensgefährlich sein wenn es nicht behandelt wird, ich bin mir sicher, dass ich nur Magendarm habe, doch Vorsicht ist besser als Nachsicht, vor allem in solchen Fällen. Erste Priorität ist Prävention bei Verdacht auf infektiöse Krankheiten.
Ich langweile mich, schlafe viel und unterhalte mich mit meinen Zimmernachbarn, zum Glück ist Lea da. Von um neun bis um zwei dürfen die Besucher nicht in die Zimmer. Das Krankenhausessen ist schlecht. Am zweiten Tag bringt uns Dilenia, die Tochter meiner Zimmernachbarin Essen in Tupperdosen mit. Am dritten Tag bietet sie Lea an mit zu sich nach Hause zu kommen – die Nächte auf den Stühlen im Krankenzimmer sind doch sehr ungemütlich. Lea geht mit ihr mit und kommt ein paar Stunden später ausgeschlafen, frisch geduscht und mit Essen im Gepäck wieder.
Ich weiß gar nicht wie ich meine Dankbarkeit für diese Fürsorge ausdrücken soll.
Juana Maria meine Bettnachbarin ist Mitte sechzig und wird rund um die Uhr von Familie und Freunden gepflegt, ihre weißhaarige Schwester ist aus Guantanamo angereist um sich um sie zu kümmern. Da sitzen die beiden älteren Frauen, die Eine im grünen Krankenhauskittel die Andere im geblümten Nachthemd. Abends beten sie gemeinsam, mit lauter, fordernder Stimme dabei halten sich an den Händen. Später reden sie dann wieder im gesenkten Ton miteinander. Für mich beten sie auch.
Irgendwann mittags klopfen zwei Cousinen von Juana Maria ans Fenster. Sie dürfen nicht rein, weil es nicht zu viel Besuch auf der Intensivstation geben darf. Es hat geregnet und das Fenster ist beschlagen. Zwei bleiche Gesichter pressen sich an das Glas und aufgeregte Stimmen dringen von Außen herein. Juana Maria beeilt sich aus dem Bett zu kommen, ihr Schwester hilft ihr dabei. Die Beiden stehen vor dem Fenster und mit großen Gesten und lauten Stimmen reden sie durch das Glas miteinander.
Am nächsten Abend kommt der Bruder meiner Bettnachbarin vorbei und bewacht ihren Schlaf, von Handyfotos kenne ich mittler weile schon ihr ganze Familie, ihre fünf Geschwister, deren Kinder, dessen Kinder und die jeweiligen Partner dazu.
Mit ihrer Tochter Dilenia die selber als Chirurgin im Krankenhaus arbeitet haben wir die interessantesten Gespräche. Abends, wenn die Mutter schon unter ihrem großen Mückenvorhang schläft, dann wird sie gesprächig. Sie erzählt von der eigenen Tochter, zeigt Fotos ihres 15. Geburtstags, erzählt von dem Umbau ihres Hauses und ihrem Arbeitseinsatz in Guatemala in der Provinz Quechua. Sie erzählt von ihrer Arbeit, ihren Bereitschaftsdienst verbringt sie am Krankenbett ihrer Mutter. Im Krankenhaus fehlt es des öfteren an Materialien die auf Grund der Wirtschaftsblockade der USA schwer zu besorgen sind, oft werden nur Notfälle operiert. Trotz dieser Schwierigkeiten hat Kuba die niedrigste Säuglingssterblichkeitsrate auf dem ganzen amerikanischen Kontinent und unzählige kubanische Ärzte wie Dilenia arbeiten oder haben in Auslandeinsätze gearbeitet.
Unsere Nachbarn teilen alles was sie haben mit uns, fünf Tage durfte ich das Krankenzimmer nicht verlassen, war frustriert und am verzweifeln wenn man mir um fünf Uhr morgens mit Nadeln vor der Nase rumgewedelt hat, doch ich hab mich wohlgefühlt. Mit Lea an meiner Seite, einer ganzen Familie die sich unserer annahm, habe ich nicht nur einen Einblick in das kubanische Gesundheitssystem bekommen, sondern auch die ein unglaubliches Selbstverständnis für Hilfsbereitschaft und wunderbare Menschen kennen gelernt.
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