Zu Gast beim CDR
Ich stehe auf dem Schulhof der örtlichen Grundschule, etwa 10 Minuten Fußweg von unserer Uni, der CUJAE, entfernt. Die Klassenräume sind geschlossen, die Sonne geht unter. Mit mir sind etwa 70 weitere Personen, unter ihnen auch einige politische Funktionäre, gekommen, um an der heutigen Veranstaltung des CDR teilzunehmen. CDR steht für „Comité de Defensa de la Revolución“, also für „Komitee zur Verteidigung der Revolution“ und ist die überall existierende Nachbarschaftsvereinigung Kubas. Der Wahlspruch dieser Organisation lautet: „En cada barrio revolución!“ (In jedem Stadtviertel Revolution!).
Die heutige Veranstaltung informiert zum völkerrechtswidrigen Helms-Burton Act der USA, über den bereits an dieser Stelle unter Berücksichtigung der Positionierung der Europäischen Union geschrieben wurde und wird von unserem Proyecto-Koordinator, in seiner Funktion als Mitglied des örtlichen CDR, moderiert.
Wir stehen über den Schulhof verteilt. Alle Anwesenden, vom Kindes- bis ins hohe Rentenalter, verfolgen den Vortrag. Zwischen uns haben es sich ein paar Straßenhunde bequem gemacht und scheinen die Gemeinschaft zu genießen. Im Hintergrund turnen einige Kinder an einem Geländer herum.
Während wir von den berüchtigten kubanischen Moskitos zerstochen werden, sind unsere Blicke auf die Leinwand gerichtet. Die Leinwand hängt vor der Eingangstür der Schule unter einem Vordach. Für Beamer, Laptop und Mischpult wurden Tische aus einem der Klassenräume herangetragen. Die normalerweise vor der Schule, hinter der Büste des kubanischen Volkshelden José Martí, gehisste kubanische Flagge ist aufgrund der Uhrzeit schon lange eingeholt worden. Dafür hängt eine Nationalflagge zur rechten des Schulhofs an einem Zaun und eine, zur linken, an einem Geländer. Die Leinwand selbst wird von einer dritten kubanischen Flagge und einem Banner des CDR, welches einen bunten Fidel Castro im Stil der modernen Kunst zeigt, eingerahmt.
Im Anschluss an den Informationsimput melden sich, wie so oft, ältere Kubaner_innen zu Wort, indem sie an das Mikrofon treten und die allen Anwesenden gegebene Möglichkeit nutzen, Fragen zu stellen oder Anmerkungen zu machen. In diesem Fall erzählen einige ältere Männer, unter dem Eindruck der soeben erhaltenen Informationen zur illegalen Blockadeaggression des riesigen Nachbarn USA, über das Leben auf Kuba vor der Revolution. Sie sprechen über fehlende Gesundheitsversorgung, Infrastruktur und ungleiche Verteilung. Ein immer wieder ergreifender Moment, der mehr als jede Statistik und juristische Einschätzung verdeutlicht, dass die Kubanische Revolution der einzige Weg war und bis heute ist, um ALLEN Menschen auf Kuba ein Leben und sogar Überleben in Würde zu ermöglichen.
Nach den bewegenden Wortbeiträgen werden noch einige Mitglieder des lokalen CDR geehrt. Die Menschen auf dem Schulhof applaudieren den Ausgezeichneten jeweils im hier für solche Momente üblichen Rhythmus (un – dos – un, dos, tres). Der neben mir dösende Hund erhebt sich und sucht sich eine Lücke zwischen den Menschen um besser sehen zu können, was vorne geschieht. Ich frage mich kurz, wie viele Veranstaltungen des CDR dieser Hund wohl schon besucht haben mag. Zum Abschluss der Veranstaltung übernimmt ein Sänger das Mikrofon und besingt Kuba, die Revolution und verschiedene Nationalhelden in mehreren Liedern. Die Menschen halten sich an den Händen und bewegen sich gemeinsam und schunkelnd zum Gesang, in den sie bereits mit eingestimmt haben. Der Hund neben mir läuft fröhlich nach vorne und stellt sich neben den Sänger um nichts zu verpassen. Die Menge lässt sich mitreißen und singt und tanzt immer ausgelassener.
Eine Form der politischen Stadtteilarbeit, wie ich sie in Deutschland oder während meiner Studienaufenthalte in der Türkei oder in Spanien nie erlebt habe.
Die Tradition, derartige Informationsveranstaltungen auf nachbarschaftlicher Ebene zu organisieren, ermöglicht allen Menschen, zum Beispiel auch denen, die nicht mehr gut zu Fuß sind oder kleine Kinder haben, Partizipation. Abgesehen davon vermute ich, dass selbst Abende mit bedrückenden Themen nur in Lateinamerika in derart positiver Stimmung ausklingen. Wenn nicht gar nur auf Kuba! Denn was am Ende jeder Veranstaltung bleibt, ist die Zuversicht der Kubaner_innen, auch diese neuen Herausforderungen zu meistern und den Bedrohungen standzuhalten. Nach 150 Jahren Kampf für die Unabhängigkeit und 60 Jahren Kubanischer Revolution sind sich die Menschen hier der Stärke ihrer Gemeinschaft bewusst.
Nach Beendigung der gesamten Veranstaltung kommen einige Kubanerinnen, bevor sie nach Hause gehen, auf uns zu. Sie fragen positiv überrascht, was wir hier machen würden und wollen wissen, wie gut wir bereits über die Blockade der USA informiert seien. Auch an unserer Meinung zu anderen Themenpunkten sind sie interessiert.
Ein solcher Austausch zwischen uns und den Einheimischen findet hier, wie schon häufiger beschrieben, so gut wie bei jeder Gelegenheit, die sich uns – oder den Kubaner_innen – bietet, statt.
Auch das erlebt man längst nicht überall…
RG
Das ist ein Artikel von Richard, weitere Beiträge von Richard gibt es hier.
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