Auf dem Campus der CUJAE wurde bereits am 30. April, ähnlich wie in anderen Ländern, in den Mai getanzt. Allerdings nicht, wie in Deutschland üblich, mehrheitlich mit der Absicht, sich lediglich feiernd zu amüsieren oder als Gast auf Partys und in Diskotheken vielleicht jemanden für kurz oder lang kennen zu lernen, auf der einen Seite, oder auf der anderen Seite mit dem Interesse Geld zu verdienen. Auf dem Campus feierten unsere Kommiliton_innen, welche zwar nicht auf dem Campus leben aber am 1. Mai gemeinsam mit uns und weiteren 1.000 Angehörigen der Universität an der größten Maiparade der Welt in Havanna teilnehmen wollten, und mehr wohl als übel die Nacht durchfeiern mussten. Unterstützt wurden sie dabei auch von Universitätspersonal und Studierenden aus den Wohnheimen.
Am Ersten Mai weckte ein umherfahrendes Polizeiauto die Schlafenden bereits um 2 Uhr früh mit seiner Sirene. Die Campusparties hatten sich mittlerweile vor die Mensa verlagert, in der es Frühstück für alle Teilnehmenden gab. Auch während des kollektiven Frühstücks dröhnte Reggaeton aus den mitgebrachten, unterschiedlich leistungsstarken Boxen und Lautsprechern. Es wurde ausgelassen getanzt bis es dann um 3 Uhr morgens mit acht Gelenkbussen, die normalerweise im Linienverkehr Havannas eingesetzt werden, heute aber, genauso wie Frühstück und Weckdienst, kostenlos genutzt werden konnten, zu unserem Sammelpunkt im Stadtteil Vedado ging. Wie für Kuba-Kenner_innen gut vorstellbar, ging die Party für einige Kubaner_innen auch noch im Bus weiter. Dass dieser zwischenzeitlich mit einer Panne liegen blieb beeinträchtigte die Stimmung an Bord in keinster Weise. Jeder uns überholende Bus wurde ausgelassen bejubelt.
Am Sammelpunkt angekommen dauerte es dann noch mehrere Stunden, bis alle Blöcke der gigantischsten 1. Mai-Parade der Welt geordnet waren. Ein Zeitfenster, welches einige nutzten um am Straßenrand und auf den Grünstreifen ein bisschen Schlaf nachzuholen; andere feierten weiter. Während die Blöcke der CUJAE bereits formiert waren und nur noch auf den immer noch mehrere Stunden entfernt liegenden Beginn der Parade warteten sahen wir immer mehr Busse und Camiones [1] die Avenida 26 entlangfahren und mehr und mehr Genoss_innen zu den verschiedenen Sammelpunkten bringen. Im Morgengrauen, um 7 Uhr früh, setzte sich unser Block in Bewegung. Die Teilnehmer_innen des Marsches trugen diverse Flaggen politischer Organisationen aus dem In- und Ausland, sowie Banner und Transparente mit politischen Forderungen und Statements. Wir führten unser Proyecto-Banner und damit das Portrait Tamara Bunkes mit uns. Außerdem waren viele Nationalflaggen zu sehen, nicht nur kubanische und venezolanische. Um dies zu verstehen ist es wichtig zu wissen, dass Nationalflaggen auf Kuba nicht als Flaggen der entsprechenden Regierungen gesehen, sondern immer als Flaggen der jeweiligen Völker betrachtet werden. Die Teilnahme an einer solchen internationalistischen Veranstaltung mit der Flagge Brasiliens oder gar der USA ist demnach kein Widerspruch. Besonders auffällig waren verschiedene Blöcke, bei deren Mitgliedern es sich um Genoss_innen aus der Türkei handelte, die pro Person mindestens eine rote Fahne schwenkten – zumeist mit aufgedrucktem weißen Stern und Halbmond. In den türkischen Blöcken waren aber auch vereinzelt Flaggen mit dem aufgedruckten Portrait Atatürks sowie eine Flagge Nordzyperns zu sehen. Arbeiter_innen aus der Zuckerindustrie trugen Pflanzen des für Kuba so symbolträchtigen und wichtigen Zuckerrohrs demonstrativ mit sich.
Die meisten Teilnehmenden marschierten in Zivilkleidung, was nicht heißt, dass auf ihren T-Shirts nicht die Konterfeis der Helden der kubanischen Revolution oder ebenfalls politische Statements und Forderungen zu sehen waren. Jüngere Kubaner_innen kamen zum Teil auch in ihren Schuluniformen. Angehörige des kubanischen Militärs, des Innenministeriums (MININT) und der Polizei, welche in ihrer Freizeit teilnahmen, erschienen in ihren Ausgehuniformen. Wir trugen an diesem Tag nicht, wie viele unserer Kommiliton_innen, die T-Shirts unserer Fakultäten, sondern, passend zum Datum, das T-Shirt der Arbeiter_innen unserer Universität.
Die wohl 1 Mio. Teilnehmer_innen der Parade kamen mit den verschiedensten religiösen, beruflichen und ökonomischen Hintergründen zusammen. Jede Generation war zahlreich vertreten. Bildungshintergründe oder Dienstränge zählten nicht. In Kuba kann tatsächlich von einem wahren Volksfeiertag die Rede sein.
Der über eine Stunde dauernde Marsch führte uns letztendlich zur Plaza de la Revolución, vorbei an den an Ministerien angebrachten Kunstinstallationen aus Metall, welche Abbildungen Che Guevaras und Camilo Cienfuegos´ zeigen, und am Denkmal José Martí. Auf der Tribüne wurden ebenfalls wieder neben den kubanischen weitere Nationalflaggen geschwenkt, es war sogar eine Fahne der IG Metall dabei.
Auf Kuba haben sich an diesem Tag um die 6 Mio. Menschen dazu entschieden ihre Freizeit an diesem gesetzlichen Feiertag dazu zu nutzen, ihre Verbundenheit mit der Arbeiterklasse und dem kubanischen Sozialismus zum Ausdruck zu bringen. 6 Mio. Menschen entsprechen übrigens mehr als 50% der Gesamtbevölkerung Kubas!
Als ich unseren Professor Julián, welcher bereits an über 50 solcher Paraden teilgenommen hat, einen Tag später fragte, was der 1. Mai für ihn bedeute, antwortete er mir, dass der 1. Mai für ihn eine Feier der Arbeiter_innen sei. Ein Tag der Freude. Und dass diese Veranstaltungen wichtig sind, da sie die real existierende Einheit zwischen der Arbeiterschaft Kubas und dem Rest der Gesellschaft in der wichtigen Daueraufgabe, der Verteidigung der Revolution, demonstrieren. Mit dem Motto des diesjährigen internationalen Kampftags „Einheit, Verpflichtung und Sieg“ dürfte er mehr als einverstanden gewesen sein.
[1] Zur Personenbeförderung eingesetzte LKW.
RG
Dies ist ein Artikel von Richard. Weitere Artikel von Richard findest du hier.
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Lieber Klaus Lehmann, ich finde es toll, dass die Gruppe die Form beachtete.
Es ist vielleicht für unsere Generation vielleicht ungewohnte, aber Mann kann sich da sicher auch noch daran gewöhnen.
Viele Grüße Claudia Klug
Liebe Claudia,
es geht eben NICHT darum irgenwelche künstlichen, aufgesetzten Formen zu beachten, sondern darum, endlich was zur realen Gleichstellung zu tun!!! Da helfen keine _*Innen oder was auch immer ;-), da muss man (sic) aktiv werden…
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Alles sehr schön berichtet, aber diese typisch deutsche Gendersprachverhunzung macht mich immer wieder fassungslos. Diskutiert das doch mal mit den kubanischen compañeras und compañeros. Ich bin der Meinung, dass durch solche sprachlichen (zum Teil einfach nur lächerlichen) Formalismen wie „_ * I“ Gerundien, etc., an der eigentlichen, inhaltlichen Gleichstellungs- und Gleichberechtigungsproblematik NICHTS geändert wird, sondern dass dies eine tägliche dialektische gesellschaftliche Aufgabe ist. Also liebe Tamara-Bunke-Projekt-„Teilnehmende“, vorwärts und nicht vergessen, beim Hungern und beim Essen – und beim Sprechen 🙂 -> die Solidarität…
Hasta la victoria siempre
¡Venceremos!
solisalu2 aus München
Klaus
(Übersetzer für Spanisch und Englisch,
zweimaliger „Veteran“ der Brigade José Martí,
seit 37 Jahren Mitglied der FG BRD-Kuba,
auf der Insel integriert und assimiliert)