Das Lateinamerikanische Filmfestival:
Eine ganze Woche lang waren wir nun täglich im Kino, an manchen Tagen sogar mehrmals. Das Internationale Lateinamerikanische Filmfestival ist das Event zum Jahresende, auf das sich viele Bewohner*innen in Havanna freuen. An den Kinoschlangen trifft man Bekannte, man tauscht Filmempfehlungen aus und die ganze Stadt ist voll von Filmbegeisterten, Schauspielern, Regisseuren und Produzenten. Dieses Jahr war das 40ste Jubiläum des Festivals und in den 12 Kinos von Havanna wurden täglich Filme zu allen Tageszeiten ausgestrahlt.
Dazu konnte man sich einige Tage vor Festivalbeginn einen „Pasaporte“, also einen Filmpass für 10 MN (ungefähr 40 Eurocent) kaufen, der den Eintritt für 7 Filme ermöglicht. Wenn man diesen nicht besaß, konnte man aber auch eine Stunde vor Filmbeginn noch Tickets für die Filme für 2 MN (ungefähr 16 Eurocent) ergattern. Dabei stieß man aber auf die Gefahr, an langen Schlangen stehen zu müssen und es vielleicht nicht mehr ins Kino zu schaffen. Die Herkunft der Filme war hauptsächlich aus lateinamerikanischen Ländern, es gab aber auch einige europäische Filme, eine eigene Kategorie für deutsche Filme und ein paar aus US amerikanischer Produktion. Bemerkenswert an der Länge der Schlangen vor den Kinos war, dass die kubanischen Filme von größter Beliebtheit waren. Bevor das gesamte Festival begann, konnte man sich eine Filmzeitung kaufen, in der alle Filme knapp beschrieben wurden, und einen Tag vor Festivalbeginn ließ sich dann auch das Programm online downloaden oder für denselben und nächsten Tag täglich auch als Zeitung kaufen, da es immer noch zu Programmänderungen kommen konnte.
Filmrezension zum kubanischen Film „Un Traductor“:
Achtung, ab hier kommen Spoiler vor!
Da mir bis jetzt nur wenige kubanische Filme bekannt waren, war es mir wichtig, mindestens ein paar kubanische Filme zu sehen. Dazu gehörte unter anderen der Film „Un Traductor“, ins Deutsche übersetzt „Ein Übersetzer“. Der Film ist eine kubanisch – kanadische Produktion unter der Regie von Rodrigo und Sebastian Barriuso. Die beiden Regisseure stellen die wahre Geschichte ihrer eigenen Familie dar, die im Jahr 1989 nach dem atomaren Unglück in Tschernobyl in Havanna spielt. Inhaltlich handelte es sich um einen Familienvater und jungen Professor für russische Literatur an der Universität von Havanna namens Malin (gespielt von Rodrigo Santoro), der als Übersetzer für Russisch und Spanisch in einem Krankenhaus eingesetzt wurde, wo Kinder, die Opfer der Strahlung in Tschernobyl wurden und an Leukämie erkrankten, behandelt wurden. Dabei stellte er sich einigen Herausforderungen. Nicht nur dass er die Aufgabe selbst, mit todkranken Kindern zu arbeiten, zu Beginn als sehr belastend empfand und eigentlich zunächst nicht übernehmen wollte. Gleichzeitig begann im Zuge des Zusammenbruchs der Sowjetunion und des Mauerfalls die Spezialperiode auf Kuba, die zu einer starken Ressourcenknappheit und wirtschaftlichen Krise im Land führte, wodurch die ganze Bevölkerung beeinträchtigt war. Auch für die Familie im Film bedeutete dies in vielerlei Hinsicht eine Einschränkung im Alltag, da die Supermärkte von dort an nur noch knapp befüllt waren und sie sich durch das fehlende Benzin nicht mehr mit dem Auto fortbewegen konnten. Diese Belastungen führten auch zu familieninternen Konflikten, da der Vater kaum mehr Aufmerksamkeit für die eigene Familie hatte und begann den eigenen Sohn zu vernachlässigen.
Die Handlung ist genretypisch wie ein Drama aufgebaut. Einerseits werden komplizierte Familienbeziehungen dargestellt und andererseits das historische Geschehen gezeigt, welches das Leben des Hauptdarstellers dominiert.
Die Familienkonflikte, die sich anbahnen, bestehen hauptsächlich zwischen Malin und seiner Frau Isona (gespielt von Yoandra Suárez). Malin vertieft sich in seine Aufgabe als Übersetzer für die krebskranken Kinder. Trotz anfänglicher Skepsis gegenüber seinem Job, erkennt er es bald als eine große Notwendigkeit an, dieser Aufgabe nachzugehen. Er beginnt, sie nicht mehr nur als berufliche Pflicht anzusehen, sondern sieht sie als eine Herzensangelegenheit an. Die Zeit, die er sich für die betroffenen Kinder und Familien nimmt, zieht er auch von der Zeit ab, die er seiner Frau und seinem Sohn widmen könnte und es kommt zu klarer Vernachlässigung seiner Aufgaben als Familienvater. Er ist aber von seiner Pflicht überzeugt, im Sinne seines Landes solidarisch zu handeln und seine Zeit und Kraft in die internationale Solidarität zu investieren. Seine Frau hat zunächst Verständnis für Ihren Mann und die Aufgabe, der er sich stellen muss. Als sie aber die Herausforderung, die Malins neue Beschäftigung für sie bedeutet, nämlich Alltag, Beruf und Kind alleine zu stemmen und ihren Mann kaum zu sehen, zu spüren bekommt und zusätzlich noch mit einem zweiten Kind schwanger ist, sieht sie keinen anderen Ausweg, als sich Hilfe bei ihren Eltern zu suchen und vorerst auszuziehen.
Die finanziellen Schwierigkeiten, die sich für die gesamte kubanische Gesellschaft durch den Zerfall des Ostblocks anbahnen, spitzen die Beziehungen noch weiter zu, führen die Familien aber zusätzlich näher zusammen, da sie auf gegenseitige Hilfe angewiesen sind.
Sehr symbolisch aber auch etwas Klischeehaft sind unter anderen die Supermarktaufnahmen, in denen vor dem Ostblockzerfall die vollen Regale gezeigt werden, an denen sich die Familie von Malin frei bedienen konnte, da sie die finanziellen Möglichkeiten dazu hatten, aber dann, nach dem Abbruch der wirtschaftlichen Beziehung zur UDSSR, die Aufnahme von leeren Supermarktregalen und enttäuschten Blicken vom Sohn. Eine weitere symbolische Szene ist, als Malin aufgrund der gestiegenen Benzinpreise seinen Lada in die Garage stellt und nur noch mit dem Fahrrad unterwegs ist, was es ihm zusätzlich erschwert, seine Verpflichtungen im Beruf mit denen bei seiner Familie zu vereinbaren.
Im Krankenhaus bei den krebskranken Kindern und Familienmitgliedern, spielt er eine wichtige Rolle darin, dass er sich nicht mehr nur dem Übersetzen widmet, sondern die Menschen dort seelisch durch ihr Leid begleitet. Dadurch dass er Russisch versteht, wenden sich die Kinder und Angehörigen an ihn, um mit ihm ihre Sorgen und Probleme zu teilen. Sprache und Verständnis spielen dort eine essenzielle Rolle und sind ein wichtiges Werkzeug für das Wohlbefinden im Ausland in einer solchen schweren Situation. Auch zu den Kindern entwickelt er einen sehr engen Draht und beschäftigt sich mit ihnen, indem er ihnen kubanische Märchenbücher vorliest oder mit ihnen spielt. Er blüht bei den Kindern auf, bringt sich selbst aber in eine sehr verletzliche Situation, da viele Kinder dem Tode entgegen gehen.
Malin ist also in einem Konflikt zwischen seiner Familie und ihrer Versorgung, der erschwerten wirtschaftlichen Lage Kubas, der Disziplin, internationalistische solidarische Dienste im Namen Kubas zu leisten und der seelischen Bindung, die er zu den kranken Kindern und ihren Familien aufbaut.
Der Hauptdarsteller Malin macht eine wichtige Entwicklung im Laufe des Films durch. Er bildet ein Bewusstsein dafür, wie wichtig seine Unterstützung im Krankenhaus für alle Beteiligten ist und kniet sich in seine Aufgabe. Gleichzeitig passt er sich den erschwerten wirtschaftlichen Bedingungen in seinem Land an, um der Aufgabe nachzugehen. Trotzdem wird Malin nicht überspitzt als Held dargestellt ,da er alle Probleme, die sich ihm in den Weg stellen sehr menschlich überwindet, nämlich nicht perfekt sondern durch Abwägung, Prioritätensetzung und manchmal auch schlicht und ergreifend nach Gefühl.
Der Film ist ohne Frage keine leichte Kost, da die Themen, die behandelt werden, sehr ernst sind und ihre Darstellung auch sehr realistisch gelungen sind. Das Publikum kann sich gut in die Lage von Malin hineinversetzen und bekommt zusätzlich noch einen Abriss zu einer wichtigen Etappe der kubanischen Geschichte. Der Gedanke daran, dass die Handlung an das wahre Leben der Eltern der Geschwister Barriuso angelehnt ist, gibt dem ganzen Film noch weitere Authentizität. Ich persönlich kann den Film weiterempfehlen, wenn man mal das Bedürfnis hat, sich einen inhaltlich anspruchsvollen und emotional bedeutsamen Film zu widmen.
Dieser Artikel ist von Ada.
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