Sport in der Stadt: Laufen am Malecón.

Früher Abend in Vedado, Havanna. Spontan packt mich die Lust nach ein wenig Verausgabung. Also Laufschuhe an und los gehts.

Ich habe mir einen Abschnitt des Malecón, der berühmten Uferpromenade Havannas, für meinen Lauf ausgesucht. Es soll vom Hotel Riviera bis zum Hotel Nacional de Cuba und zurück gehen – eine Strecke von gut fünf Kilometern. Am Malecón angekommen laufe ich mit der Sonne im Rücken und dem leichten Wind von vorn in Richtung Osten los. Der erste Abschnitt führt bis zu einer Gruppe Angler, die auf der Ufermauer stehen.

Schon auf den ersten Metern wird klar, dass das Laufen hier etwas Besonderes ist. Die frische Atlantikbrise vermischt sich mit den Abgasen des Verkehrs der sechsspurigen Uferstraße. Dieser besteht meist aus den berühmten Oldtimern, welche zwar schön anzuschauen sind, jedoch leider auch ziemlich viel Qualm produzieren. Diese Vehikel sind auf Kuba nicht aus bloßer Nostalgie unterwegs, sondern weil es durch die Blockade der Insel lange keine Möglichkeiten gab, neue Autos zu importieren. Die immer häufiger anzutreffenden emissionsfreien Elektroroller und modernen Busse aus chinesischer Produktion weisen in eine ökologisch ausgeglichenere Zukunft des Stadtverkehrs. Vielleicht werden auch die Oldtimer in Havanna bald mit Elektromotoren fahren?

Die Betonplatten der Promenade sind durch das Salzwasser ziemlich verwittert. Teilweise tun sich Löcher auf, in die vielleicht kein Mensch, jedoch durchaus ein mittelgroßer Hund passen würde, sodass man auf jeden Schritt achten muss. Teilstücke des Malecón wurden bereits instandgesetzt – auch mit der Hilfe einer deutschen Firma, die aktuell das Capitol zum fünfhundertsten Stadtgeburtstag Havannas restauriert. Nicht nur für die Modernisierung des Stadtverkehrs und den Erhalt der historischen Bausubstanz wünsche ich dem Land, dass es trotz der Blockade weiterhin solche wichtigen internationalen Kooperationen anstoßen kann.

Ein Blick nach oben: die Angler sind schon in Rufweite. Beim Näherkommen bedenkt mich einer von ihnen mit einem Lächeln. Es ist unklar, ob es sich um ein spöttisches oder ein anerkennendes Lächeln handelt, aber da noch mehr als vier Kilometer vor mir liegen, entscheide ich mich für letzteres.

Weiter geht es entlang der Mauer, auf der nun neben Anglern auch vereinzelte Liebespaare sitzen. Der Malecón macht hinter einem Sportstadion, dem Parque Jose Martí, eine leichte Kurve und gibt den Blick auf die Kastelle frei, welche den Hafeneingang Havannas bewachen. Ich schaue nach vorn und entdecke einen entgegenkommenden Zug. Moment mal, ein Zug auf der Straße? Beim Näherkommen wird klar, dass es sich um ein Touristen-Besichtigungs-Vehikel handelt, wie es auch in deutschen Städten, zum Beispiel in Kurbädern an der Ostsee, verkehrt. Kurz denke ich darüber nach, dass ich für einen Moment für die darin Fahrenden zu einem Teil der Attraktion – dem Malecón – geworden bin. Wahrscheinlich besichtigen alle Besucher*innen Havannas zumindest einen kleinen Teil der Uferpromenade. Der Ausblick von hier auf die Stadt ist besonders am Abend, wenn die Sonne untergeht, traumhaft romantisch.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite fällt mir ein Detail auf, welches hier in Kuba Aufsehen erregen muss: eine wehende Flagge der Vereinigten Staaten von Amerika. Dies kann nur die Botschaft sein, aus der die Mitarbeiter*innen wieder abgezogen wurden, nachdem sie kurz zuvor erst wieder hier Quartier bezogen hatten. Begründet wurde der Abzug mit Angriffen auf die Botschaftsmitarbeiter*innen mit „unbekannten Schallwaffen“. Aufnahmen der dafür verantwortlich gemachten Geräusche wurden in einer wissenschaftlichen Untersuchung jedoch als das Zirpen einer auf Kuba heimischen Grillenart identifiziert1. Offenbar suchte die aktuelle US-Regierung eine Begründung, um die unter Präsident Obama vollzogene diplomatische Öffnung gegenüber Kuba wieder rückgängig zu machen2. Die Flagge jedenfalls weht weiterhin vor dem Gebäude. Bis zum Hotel Nacional kann es nun nicht mehr weit sein, sehen kann ich es jedoch noch nicht. Nach weiteren fünfhundert Metern taucht es langsam hinter den Hochhäusern auf der rechten Seite auf. Ich habe mir vorgenommen, erst dann umzukehren, wenn ich eines der alten, großen Kanonenrohre sehen kann, die das Areal des Hotels schmücken. Sobald ich eines dieser Ausstellungsstücke – die Parkanlage des imposanten Hotel Nacional erinnert ein wenig an ein Freilichtmuseum – erblicke, kehre ich um.

Auf dem Rückweg vermisse ich sofort den leichten Wind von vorn. Die Luft um mich herum scheint stillzustehen, was in der Karibik leider auch an einem Winterabend wie diesem ziemliche Hitze bedeutet. Meine Aufmerksamkeit gilt nun nur noch dem Meer, auf dem sich die zunehmend untergehende Sonne spiegelt. Die Gebäude an der Promenade lasse ich im wahrsten Sinne links liegen und benötige viel Willenskraft, um die Strecke nicht außerplanmäßig abzukürzen. Die letzten zweihundert Meter vor meinem Start und Zielpunkt, dem Hotel Riviera, muss ich den hohen Temperaturen dann doch Tribut zollen und den Lauf beenden. Vielleicht ist das der Grund, warum sich heute außer mir niemand laufend am Malecón fortbewegt? Entkräftet lege ich mich auf die Ufermauer und schaue in den fast wolkenfreien, blauen Himmel. In diesem Moment –  auf der Mauer des Malecón, rechts das Plätschern der Atlantikwellen, links das Rauschen der Uferstraße – fühle ich mich eins mit dieser Stadt. Ich bin Teil des Malecóns geworden, der Verkehrsader, Touristenattraktion und Erholungsgebiet zugleich ist.


1 Die Originalstudie von Alexander Stubbs und Fernando Montealegre-Z kann unter https://www.biorxiv.org/content/early/2019/01/04/510834 abgerufen werden

2 2011: Reiseerleichterungen für US-Bürger; 2015: Streichung Kubas von der Liste der Terrorismus unterstützende Staaten und Wiedereröffnung der US-amerikanischen Botschaft in Kuba; 2016 Besuch des Präsidenten der USA in Havanna; 2017: Teilabzug des Botschaftspersonals, Ausweisung kubanischer Botschaftsmitarbeiter*innen, Streichung der Reiseerleichterungen

Dies ist ein Gastbeitrag von Alex, der leider nur zwei Monate bei uns in Kuba sein kann.

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