Seit Oktober studieren wir an der CUJAE (Ciudad Universitario José Antonio Echeverría) und halten uns somit fast täglich hier auf. Dies ist für mich Grund genug, mich ein wenig mit der Architektur und Geschichte unserer Universität zu befassen.
1961 wurde die Technische Hochschule Havannas gegründet. Bereits ein Jahr zuvor hatte Fidel Castro seinen Plan verkündet, einen neuen Campus in Form einer Universitätsstadt zu bauen, welcher nach José Antonio Echeverría benannt werden sollte. Dieser war ab 1954 Präsident der Studierendenorganisation FEU (Federación Estudantil Universitaria) und kam 1957 im Kampf gegen die Batista-Diktatur ums Leben. Die Wiedereröffnung und Stärkung der Universitäten wurde mit dem Triumph der Revolution 1959 sofort in Angriff genommen. Der Bau wurde von 1961 bis 1964 realisiert, so dass ab dem 02.12.1964 der Lehrbetrieb aufgenommen werden konnte.
Die CUJAE ist heute das Hauptzentrum der technischen Wissenschaften in Kuba. Hier werden zahlreiche verschiedene Ingenieurswissenschaften sowie Informatik und Architektur gelehrt. Die Universität liegt vor den Toren der Stadt im Bezirk Marianao und umfasst 40 Gebäude auf rund 398000 Quadratmetern. Neben den Fakultätsgebäuden gehören auch Wohnheime, Bibliotheken, Sportplätze, Mensen und Cafeterien zum Campus.
Wer das Gelände der CUJAE betritt, wird wohl zunächst die wuchtigen Betonmassen wahrnehmen. Der Bau aus den 60ern wirkt für das moderne Architektur gewöhnte Auge erst einmal etwas klotzig. Tatsächlich sind aber eine große Anzahl der Gebäude auf Stelzen gestellt, so dass das Erdgeschoss aus überdachten Gängen besteht, die wiederum eine Verbindung zu den Grünflächen schaffen.
Bald bemerkt man sich wiederholende geometrische Elemente: an den Außenflächen verlaufen Streben aus Beton, die verschieden große Rechtecke bilden, und ein Gefühl von Ordnung und Strenge vermitteln. Diese lassen außerdem den Eindruck von Wänden und Decken entstehen, die gar keine sind. Die Streben verbinden einzelne Gebäudeteile miteinander, ohne dabei den Blick auf den Himmel zu verstellen, wie es eine Überdachung tun würde. Dadurch verschwimmt der Unterschied zwischen Drinnen und Draußen und eine stetige Belüftung wird ermöglicht. Einer der großen Gänge wird dementsprechend sogar Pasillo de los Vientos (Gang der Winde) genannt.
Läuft man dann über das Gelände, erschließen sich neue Perspektiven. Architektur und Natur scheinen nun immer mehr miteinander zu verschwimmen und erweitern das Spektrum der Formen und Farben. Der Eindruck von Strenge verschwindet, stattdessen wirkt alles sanfter und ungeordneter.
Immer wieder wird die strenge Linienführung der Gebäude durch die Grünanlagen mit den zahllosen Bäumen und blühenden Sträuchern aufgelockert. Fast wirkt es so, als würden sich diese sogar an die Gebäude anschmiegen oder sie in Besitz zu nehmen.
Stellenweise entsteht der Eindruck, dass die Architektur eher die Linienführung der Natur aufgreift als dass sie ihr die eigene Geometrie aufzwingt.
Während der Bau in schlichtem Grau daherkommt, bringen die riesigen Wandmosaike, die den Protest der Studierenden gegen die Batista-Diktatur darstellen, Farbe ins Spiel. Auch hier wird der Natur scheinbar der Vorrang gegeben: Einige der Mosaike sind kaum als Ganzes zu erfassen, weil die Bäume davor soviel Platz einnehmen und sich ungehindert entfalten dürfen.
Es entsteht die Frage, wer hier eigentlich wen dominiert? Die Natur die Architektur oder andersherum? Wachsen die Gebäude aus der Landschaft heraus oder erobern sich die Pflanzen ihren Raum zurück? Harmonie oder Konflikt? Chaos oder Ordnung? Friedliche Koexistenz oder unvereinbarer Widerspruch?
Dass sich diese Fragen letztlich nicht beantworten lassen, macht für mich den Reiz der Architektur der CUJAE aus. Das Gelände lädt dazu ein, immer wieder anders darüber nachzudenken, neue Widersprüche zu entdecken und weitere Fragen aufzuwerfen. Damit wird die Universität ihrer Aufgabe, ein anregendes und vielfältiges Lernumfeld zu bieten, meinem Eindruck nach hervorragend gerecht.
Dies ist ein Artikel von Corinna
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Liebe Corinna!
Vielen Dank für sie schöne Beschreibung der Uni. Bei meinem Besuch in Havanna habe sie ich besichtigt. Mit Deiner tollen Erläuterung sehe ich sie nun im Rückblick mit einem neuen Licht.
Überhaupt sind Eure Beiträge sehr interessant und richtig gut zu lesen!
Uli