– Hip Hop und seine transformative Kraft im Kampf gegen Rassismus
Mit der Annahme, dass ich mich in den nächsten Monaten mit Salsa und Reggaeton anfreunden müsste (obwohl ich dies tatsächlich mittlerweile tue), wurde ich bereits in meiner ersten Woche in La Habana eines besseren belehrt. Auf einen meiner Irrwege durch Centro Habana lief ich zufällig an der “Agencia de Rap” vorbei. Ich dachte mir “Wow, nice! Was ist das denn?” und stolperte vor den Wachmann um zu fragen. Der zeigte nur auf das Plakat vor der Tür worauf “Simposio de Hip Hop” stand. Da neben sah ich ein komplett 5-tägiges Festivalprogramm mit Workshops, Konzerten und Präsentationen rund um Hip Hop als Bildungsarbeit, Kunst, politische Bewegung etc. mit Künstler*innen und Aktivist*innen aus ganz Lateinamerika. Jackpot!!! Voller Begeisterung stürzte ich mich aufs erste Hip Hop Konzert in der damals noch mir unbekannten Madriguera. Heute, 7 Monate später, ist die Madriguera ein mir wohl bekannter Ort, wo regelmäßig Hip Hop und Kulturevents stattfinden, weil es ein öffentliches Jugendkulturzentrum ist. Heute weiß ich, dass die Agencia de Rap, Teil der staatlichen Kulturarbeit ist, die verantwortlich ist für die Förderung von Künstler*innen und Veranstaltungen der Hip Hop Szene, wie das Simposio de Hip Hop, was ich damals entdeckte. So, werden von der Agencia zum Beispiel auch regelmäßig “Peñas”(freie, offene Konzerte) auf öffentlichen Plätzen, Basketballfeldern u.ä. organisiert, wo das ganze Viertel am Start ist- die Muttis schauen aus dem Fenster, die Kids rennen zwischen dem Publikum und der “Bühne” umher, Touris laufen vorbei und bleiben stehen, die Bauarbeiter pausieren ihre Arbeit und wippen mit, die Alten stellen ihre Schaukelstühle raus…
Wie in aller Welt, ist Hip Hop auch hier eine Bewegung, eine gelebte Kultur, und ich hatte das Glück Freundschaften in der Szene schließen zu können, und einige Community Projekte kennenzulernen und auf zahlreichen selbstorganisierten (d.h. unabhängig von der Agencia de Rap) Peñas dabei zu sein. Auch in Kuba ist Hip Hop ein Sprachrohr der Marginalisierten, vorallem der schwarzen Community. Neben Liebe und Leidenschaft, und leider oft auch Machismus und Materialismus, sind Leitthemen vorallem die alltäglichen Struggles und soziale Probleme, wie Diskriminierung und Rassismus. Es ist wie auch in anderen Teilen der Welt eine sehr Männer*- dominierte Szene, obwohl ich auch einige wirklich talentierte Rapper*innen gesehen habe u.a. La Fina, La Nena, La Reyna y La Real. Eines der Gemeindeprojekte ist “R.A.P.- Rima, Amor y Poesía”, ein Freund*innenkollektiv, die jeden ersten Samstag im Monat in einem “Problemviertel” Playas, in Romerío eine offene Bühne für Leute aus dem Kiez und andere lokale Künstler*innen anbieten. Sie selbst haben vor kurzem ihre erste Platte aufgenommen, die mensch auf den Peñas auch zu hören bekommt. Da Veröffentlichungen im Netz immer noch eine finanzielle und technische Hürde darstellen, und weniger zugänglich ist für die Kubaner*innen, werden die Songs generell über “USB Propaganda”, d.h. von Stick zu Stick weitergereicht, oder von Peña zu Peña präsentiert, sozusagen direkte Vermarktung. Die meisten Freund*innen, die ich kenne, die Musik machen, leben nicht davon, sondern es ist ihre Leidenschaft, es ist was sie treibt, was sie am Leben hält, und das wirklich ständig und überall (mit Lautsprechern auf der Straße wird an jeder Ecke, in jeder Gasse, an jeder Bushalte “Rhymes und Beats gespittet”).
In unserem Uni- Kurs “Sociología de Genero y Raza” (einem grandiosen Kurs, in dem wir uns u.a.mit schwarzen Feminismen, afrokubanischer Kultur, Ungleichheiten im Bildungssystem, Kubanität/ Konstruktion der kubanischen Nation auseinandergesetzt haben) hatten wir die große Ehre “Obsesión” – die Mitbegründer des kubanischen Conscious Rap kennenzulernen, die vor über 20 Jahren mit Hip Hop als Hobby und Überlebenswerkzeug während der Spezialperiode anfingen. Über die Jahre entwickelten sich Magia López und Alexey Rodríguez Mola zu Aktivist*innen und professionellen Künstler*innen, und Ikonen des kubanischen Hip Hops.
“In den frühen 90er Jahren gab es in Kuba noch kein Hip Hop. Kuba war ein Land der Salsa- Musik. Hip Hop war etwas aus den Staaten, und damit automatisch konterrevolutionär und verwerflich. Aber wir sahen in Hip Hop auch eine Möglichkeit für uns, ein Mittel des alternativen Kampfes und des Widerstandes in unseren eigenen Barrios (Kiezen).”, erzählt Magia. In ihren Songs spricht das Duo über Sexismus, Rassismus, Kolonialismus, Schwarzsein, Frau*sein, alles wird auf kreativer Art auf den Tisch gehauen. Singen und Rappen bedeutet eine Stimme zu haben, und damit Verantwortung zu tragen. Über ihre Musik wollen sie neuen Raum für Wissensproduktion und -transfer schaffen, kreative Zugänge zu Bewusstseinsbildung und vorallem auf innovative Art gegen die sexistischen Tendenzen der Szene protestieren. Hip Hop sei populäre Bildung, ohne Druck und Formalitäten werden Menschen sensibilisiert. Sie sehen sich als Teil dessen, was sie rappen; und sie nehmen “Community” ernst. Über ihre Arbeit als Aktivist*innen und “Community- Builder” möchten sie das Konzept von Gemeinschaft transformieren, in einen inklusiven und partizipativen Raum. “Nicht nur das Barrio ist eine Community, sondern auch Menschen, die ähnliche Realitäten, Probleme, Interessen und Bedürfnisse teilen, wie z.B. Kinder, ältere Menschen, Schwarze.” Über Konzerte, Workshops, Präsentationen, Debatten, Reden, Konferenzen, versuchen sie diesen verschiedenen Communities eine Plattform zu geben und mithilfe einiger fundamentaler Elemente des Hip Hops: Rap, Spoken Word/ Poesie und Djing- sich zu erleben und Wissen über sich selbst und die Gesellschaft zu gewinnen.
Sie geben auch Workshops in Schulen und Unis. Eine kleine Anekdote aus unserem Kurs:
Ich erinnere mich wie emotional es für eine schwarze Studentin im Kurs wurde, als wir Obsesión’s Musikvideo “Los Pelos” schauten und es um den Afro ging. In Kuba benutzt mensch umgangssprachlich sehr oft für Afrohaar den Begriff “Pelo Malo” (= schlechtes Haar), ein äußerst diffamierender Begriff, welcher widerspiegelt wie sehr Rassismus noch in den Köpfen der Menschen verankert ist (trotz Beseitigung institutioneller Rassismen[1]!). Eine Gesellschaft, in der die Mehrheit schwarz* bzw. nicht–weiß* ist, die jedoch weiße* Menschen als ästhetische und intellektuelle Norm sieht, und alles, was dem nicht entspricht als minderwertig betrachtet oder missachtet, zeigt, dass hunderte Jahre Versklavung und Kolonialisierung von afrikanischen und anderen Völkern (z.B. auch chinesische Zwangsarbeiter*innen auf Kuba) auch nach fast 60 Jahren sozialistischer Revolution immer noch Spuren im Denken und Handeln der Menschen hinterlassen. Revolution ist ein Prozess, so auch das Revolutionieren von Denken und Handeln, wie das Aufdecken und Entlernen von rassistischer Sozialisierung und Kultur. Fragen wir uns, warum müssen sich so viele schwarze Frauen hier und in der Welt so schädliche Chemie auf ihre Haare schmieren um ihre schönen Locken zu glätten? Warum werden Menschen aufgefordert ihren Afro, oder ihre Dreads zusammenzumachen, abzuschneiden oder irgendwie zu verstecken? Warum werden Schwarze mehr auf der Straße kontrolliert, und müssen sich rechtfertigen, wenn sie mit Weißen rumlaufen, in eine Hotellobby oder in ein schickes Restaurant gehen? Warum ist es in einem mehrheitlich schwarzen Land so schwer Kosmetik und Beauty- Produkte für Schwarze, angefangen von einem Afrokamm, zu finden? Warum sind die meisten Puppen, Comic- und Werbefiguren, Fernsehstars, Held*innen, Revolutionäre* und jegliche menschliche Repräsentationen weiß? Warum ist die Mehrheit in den meisten meiner Uni Kurse weiß, obwohl ich auf der Straße mehr Schwarze sehe? Warum sind das Service- Personal, die Bauarbeiter, Putzkräfte etc. meistens schwarz? Schauen wir uns um, fragen wir uns und dann lasst uns entlernen!
Desweiteren organisieren Obsesión Treffen mit alten Menschen, in denen sie mit Spezialist*Innen z.B. häusliche Gewalt gegenüber Alte thematisieren.
2016 haben sie den “Club de Espendrú (kubanische Bezeichnung für Afro)” zum Erfahrungsaustausch für schwarze Intellektuelle, Künstler*innen und Aktivist*innen gegründet. Auch das Simposio de Hip Hop wurde ursprünglich von ihnen als Plattform zum Austausch von Künstler*innen und Aktivist*innen aus sozio- kulturellen Projekten initiiert. Heute wie damals sei es ein Raum für populäre Bildung, zivile Orientierung (d.h. ziviles Verhalten z.B. Rechte auf der Straße, auch mit Afro und Dreadlocks (!)) und korporale Ausdrucksformen.
Und auch Obsesión haben in ihrem Barrio in La Regla auf einem Parkplatz in der Mitte des Kiezes jeden 3. Sonntag im Monat eine Peña, die immer wieder für Überraschungen sorgt, von jung bis alt, Amateure und Profis, Familien, Freund*innen, eine Vielfalt an Leuten zusammenbringt.
In all ihren Aktivitäten versuchen sie die Community, mit Künstler*innen, Aktivist*innen und Akademiker*innen zusammenzubringen, denn wir alle seien verantwortlich für neue Räume der Bewusstseinsschaffung!
Am 29.03.2018 organisieren sie einen alternativen Austausch zum Thema “El Negro en Cuba”, in dem ein Verständnis für die Position von Schwarzen in der Gesellschaft geschaffen werden soll, in dem über Erfahrungswissen Schwarze und Nicht– Schwarze zu Schwarzsein und der Kolonialgeschichte Kubas sensibilisiert werden sollen. Es soll ein dekolonisierender Raum sein, d.h. die Wurzeln der Geschichte von Rassismus soll auf den Grund gegangen werden und koloniale Strukturen aufgedeckt werden.
Als ich Magia um ihre Meinung zur verbreiteten Phrase “In Kuba gibt’s kein Rassismus mehr, wir sind alle Kubaner*innen.” bat, antwortete sie mir bemerkenswert mit kubanischer Einheitsstärke:
“Wir sind alle Kubaner*innen!” ist unsere politische Pflicht und Aufgabe, die wir brauchen um uns zu vereinen, um einen gemeinsamen Kampf für die Revolution zu führen, um die Revolution und ein unabhängiges Kuba zu verteidigen. Es ist essentiell und notwendig für die nationale Einheit. Wir können das sagen, ohne dabei zu ignorieren, dass es rassistische, patriarchale, … Probleme gibt. Wir sollten anfangen als Ausgangspunkt unserer Arbeit die Armut und Ungleichheit der Menschen zu nehmen, und nicht dessen Identität.”
Zum Schluss, für die spanisch- sprechenden Menschen unter euch eine weitere wertvolle Perspektive zum Thema
“En Cuba nadie es racista”
von Alexis Díaz- Pimienta
En Cuba nadie es racista
hasta que te traen a casa
a un yerno que peina “pasa”
(más oscuro a simple vista).
Cuando esto pasa la pista
familiar echa candela.
La madre white se desvela.
El padre white rabia, grita.
“Y yo no sé hacer trencitas”,
dice bajito la abuela.
En Cuba nadie es racista
hasta que, lleno de antojos,
a la niña de tus ojos
un negrito la conquista.
¿Fue en la fiesta cederista?,
pregunta el padre enojado.
¡Seguro que te ha embrujado!,
dice la madre asustada.
¿No estarás embarazada?
(el hermano y el cuñado).
En Cuba nadie es racista
–quien lo diga se equivoca–
hasta el día que te toca
un Jefe “percusionista”.
Jode, hay que ser realista,
que un negro tenga poder.
Y si es negro y es mujer
entonces mucho peor
porque ante el primer error
“¡negra tenía que ser!”
Lo del racismo cubano
es racismo extraoficial,
“anticonstitucional”,
pero que siempre está a mano.
A nadie en su juicio sano
se le ocurre, o se despista,
confesar ser un racista.
Pero a nivel psicológico
hay algo que vuelve “lógico”
lo étnico-exclusivista.
Siempre está el blanco gracioso
que si ve un negro en la esquina
habla de robo y gallina
creyéndose muy chistoso.
Y es mucho más peligroso
el que bromea y se alegra
al decir que más se integra,
o que es mejor ir –¡de tranca!–
al funeral de una blanca
que a los quince de una negra.
Lo del pelo malo ajeno,
lo de adelantar la raza,
son la típica amenaza
que abona más el terreno.
“Ay, qué negrito tan bueno”.
“Parece blanco. Es decente”.
“Negro, pero buena gente”.
Todas esas frases hechas
no son frases, sino flechas
directas al subconsciente.
Y si un policía ve
en las turísticas zonas
a un grupo de diez personas
le pide al negro el carné.
Siempre es así. Yo lo sé.
Lo he vivido en la piel mía.
Lo raro es que el policía
casi siempre es negro igual.
¿Es lo psíquico-racial?
¿Será psico-antipatía?
O el que mira a una mujer
negra que exhibe un cuerpazo
y dice: “¡vaya fracaso!,
¡qué blanca se echó a perder!”
Mucho tiene que joder
aceptar la afro-belleza,
o la negra fortaleza
a no ser que llegue el día
en que la eros-energía
desconecta la cabeza.
En Cuba nadie es racista
hasta que un negro, qué mal,
se las da de intelectual
en vez de ser deportista.
Que si cultura negrista,
que si primer expediente.
Y como es inteligente
un día la suelta al suegro:
“Asere, yo no soy negro,
yo soy afro-descendiente”.
En Cuba nadie es racista
hasta que –bastante triste–
el racismo se hace chiste
y el racista es ¡qué bromista!
Manjar para el humorista
es el tópico racial.
Y nada pasa, al final
la risa es terreno franco,
el blanco tiene humor blanco
y el negro se ríe igual.
Eso sí. No todos son
racistas, faltaba más.
Hay jabao y salta-atrás
Y mulato y cuarterón…
Al que le sirva el sayón
que se lo ponga.
Es castigo lírico. Yo solo digo.
como decía Martí
“raza hay una sola” y
todos tenemos ombligo.
También algunos dirán,
que al menos en Cuba entera
ni se conoce ni impera
la sombra del Ku Kux Klan.
Que los racistas están
en desventaja gregaria.
Encomienda necesaria
para la Cuba futura:
incluir la asignatura
“Raza Martiana” en primaria.
* schwarz, nicht– weiß, weiß werden hier als Konstrukte benutzt, die gesellschaftliche Machtpositionen und -strukturen ausdrücken, und nicht auf die Hautfarbe begrenzt sind.
[1] Unter institutionellem Rassismus lassen sich rassistische Praxen verstehen, die aus Institutionen hervorgehen. Institutioneller Rassismus bewirkt benachteiligende Handlungspraxen gegenüber Minderheitenangehörigen. Ihre Ausgrenzung, Benachteiligung oder Herabsetzung ereignet sich in gesellschaftlich relevanten Einrichtungen wie beispielsweise bei der politischen Beteiligung (Verweigerung des Wahlrechts), auf dem Wohnungsmarkt, im Bildungssystem, auf dem Arbeitsmarkt, im Gesundheitssystem etc. (ref. Migrationsrat Berlin Brandenburg e.V. 2011).
Hallo Tü!
Danke für Deine Antwort, die ich wiederum nicht unkommentiert lassen will.
Mit Deinem Satz „Eine Gesellschaft, in der die Mehrheit schwarz* bzw. nicht–weiß* ist, die jedoch weiße* Menschen als ästhetische und intellektuelle Norm sieht, und alles, was dem nicht entspricht als minderwertig betrachtet oder missachtet“ machst Du eine allgemeine Aussage über Kuba, die ich für problematisch halte.
Erstens ignoriert sie einflussreiche Denker wie José Martí, Fernando Ortíz oder Fidel Castro, die den Rassismus in Kuba gebrandmarkt und dazu beigetragen haben, ein kubanisches Selbstverständnis jenseits der Trennung in Schwarz und Weiß zu entwickeln. Die kubanische Revolution ist ja zum Beispiel eng mit der praktischen Unterstützung der afrikanischen Befreiungsbewegungen verbunden, und das mit dem Argument, dass es zwischen Kuba und dem afrikanischen Kontinent eine unlösbare historische Verbindung gibt.
Zweitens ignoriert die Aussage die aktiven (und zuletzt sehr erfolgreichen) Bemühungen der Kubanischen Revolution, den Anteil der „Schwarzen“ in Machtpositionen wie z.B. dem Parlament systematisch zu erhöhen.
Drittens vermittelt Dein Artikel, die kubanische Wirklichkeit von hätte würde bruchlos an die Kolonialgeschichte anknüpfen. Die materiellen Errungenschaften der Kubanischen Revolution in diesem Bereich kommen einfach nicht vor.
Dabei ist Kuba vermutlich das Land auf der Welt, welches sich am intensivsten und praktischsten mit seiner Kolonialgeschichte auseinandergesetzt hat (falls Du das anders siehst, bitte ich Dich, ein Land zu nennen, das Kuba in diesem Sinne voraus ist).
In diesem Sinne finde ich es ärgerlich, dass in einer Zeit, in der in Deutschland der NSU-Prozess mit einer Immunitätszusicherung für Rassisten, die Nicht-Deutsche angreifen, zu Ende gegangen ist, in solch einer Weise über Kuba berichtet wird, ohne zu erwähnen, dass anders als in Deutschland oder in den USA in Kuba niemand Angst um seine körperliche Unversehrtheit haben muss, nur weil er oder sie schwarz ist. Wohlgemerkt: Seit 1959.
Deine kubanische Gesprächspartnerin Magia hat Dich darum gebeten, die soziale Stellung der Menschen zum Ausgangspunkt zu nehmen, und nicht ihre Identität. Wenn Du sie jetzt in einen Artikel einbaust, der versucht, die kubanische Wirklichkeit anhand der Unterscheidung von „Schwarz“ und „Weiß“ zu begreifen, und der sich an eine deutschsprachige Leserschaft wendet, musst Du Dir schon vorwerfen lassen, Dich gegen ihren Willen zum Sprachrohr nach Außen zu machen. Was, denkst Du, passiert mit Deinen Aussagen und „feststellenden Beobachtungen“ im Kopf einer deutschen Leserin? Was für ein Bild von Kuba willst Du damit erzeugen? Zu welchem Zweck?
Vielleicht lohnt es sich, noch einmal einen zweiten Blick auf den kubanischen Hip Hop zu werfen, der ja sehr heterogen ist und in dem auch eine sehr aggressiv-konterrevolutionäre Strömung existiert, die sich starker Unterstützung der „Westmedien“ und Plattenfirmen erfreut, und in der die US-Geheimdienste herumwühlen: (siehe hier: https://www.theguardian.com/world/2014/dec/11/cuban-hip-hop-scene-infiltrated-us-information-youth ).
Vor dem Hintergrund würde ich sagen: Eine kritische Betrachtung ist immer gut, aber zu ihr gehört auch, den Bezugsrahmen zu benennen. Für mich bedeutet das: Die Kubanische Revolution und ihre Errungenschaften, gerade im Bereich institutioneller Rassismus, nicht links liegen lassen.
Ein interessanter Artikel, hat er auch ein/e Autor/in? 😉
Allerdings: Kuba als eine Gesellschaft zu bezeichnen, „die jedoch weiße* Menschen als ästhetische und intellektuelle Norm sieht, und alles, was dem nicht entspricht als minderwertig betrachtet oder missachtet“, ist übel. Woher nimmst Du Dir das Recht, solch ein vernichtendes Urteil zu sprechen? Und worauf stützt Du es? Wer von den Interviewten hat derlei geäußert, wo steht es geschrieben? Solche Sätze solltest Du in die Instrumentalisierung der Debatte über Rassismus durch Europäer und US-Amerikaner einordnen, in der es letzten Endes darum geht, den „unzivilisierten“ Kubanern zu zeigen, wie man es richtig macht (auf welcher Grundlage eigentlich?). Der erste Schritt für dieses Vorhaben besteht darin, die Identifikation von Rassismus und rassistischen Strukturen an die akademischen Debatten zu koppeln, wie es leider in diesem Artikel auch geschieht.
Ich meine, es ist gut, Reflektionen einzufordern, man sollte allerdings auch bereit sein, sich selbst zu reflektieren. Ich glaube übrigens nicht, dass die „Schwarzen“ in Kuba die Unterstützung von Außen brauchen, um sich zu artikulieren. Es könnte aber interessant sein, sich zu fragen, woher der Drang kommt, es als Europäer/in stets besser zu wissen und nicht auf eine Kubanerin zu hören, wenn sie sagt: „Wir sollten anfangen als Ausgangspunkt unserer Arbeit die Armut und Ungleichheit der Menschen zu nehmen, und nicht dessen Identität.” – So gesehen bleibt dann doch die Frage: Wenn Du diesen Satz gehört hast – warum gibst Du dem Artikel die genau entgegengesetzte Richtung?
Bei allem Widerspruch – Ein Beitrag, der zum Nachdenken anregt!
Hey! Erstmal danke für deine Kritik und Anregung! Freut mich, dass der Artikel zur Diskussion anstiftet.
Zu deiner ersten Kritik: Das ist kein Urteil, sondern eine Beobachtung, die wir zum einen in vielen, oft emotionalen Diskussionen in unserem Kurs zum Thema „Sociología de Genero y Raza“ an der Uni (Universidad de La Habana) feststellten (dies schrieb ich auch auch im Artikel, also es ist keine haltlose „eurozentrische Verurteilung“ Kubas meinerseits), und zum anderen in Gesprächen mit schwarzen Freund*innen und Bekannten hier oft Erwähnung fand. Auch Obsesión, die Band von der ich schreibe, arbeitet in ihren Songs und Workshops zum Thema. Dies ist keineswegs ein kubanisches Phänomen, sondern eine rassistische Manifestierung und Erbe, den der europäische Kolonialismus der ganzen Welt vermachte…egal ob mensch in Europa, Asien, Afrika, Australien oder Amerika ist. Mir und auch die erwähnten Künstler*innen, wie im Abschlusskommentar zu lesen, geht es nicht darum unsolidarisch und destruktiv irgendwen zu verurteilen, sondern vielmehr mit diesen Debatten u.a. dem Artikel, auf Basis dieser u.ä. Kritik konstruktiv Reflexionen, alternative Handlungs- und Denkmuster anzuregen. Um anzufangen diese rassistischen Strukturen und Muster zu verändern, sollte mensch unter anderem (!!!) diese auch beim Namen nennen und Menschen, die davon betroffen sind ernst nehmen…das hat nichts mit akademischen Diskurs zu tun, meiner Meinung nach.
Zum 2.: Wo habe ich geschrieben, dass „die „Schwarzen“ in Kuba die Unterstützung von Außen brauchen, um sich zu artikulieren.“? Entschuldige, aber so etwas würde ich mir im Leben nicht anmaßen zu sagen. Das ist respektlos, arrogant und ignorant. Wenn du Hip Hop Kultur als „Unterstützung von Außen“ definierst, dann hast du etwas falsch verstanden. Es ist einfach nur seine Entstehungsgeschichte, nada más. Abgesehen davon gilt Hip Hop heutzutage weltweit als ein widerständiges Instrument für marginalisierte Gruppen…und hat zumindest bei den erwähnten Künstler*innen nichts mit „Unterstützung von Außen“ zu tun, denn die Künstler*innen artikulieren und ermächtigen sich selbst auf ihre Art und Weise und in ihren Kontexten mithilfe von Hip Hop als künstlerische Ausdrucksform und Bewegung.
Wieder ein sehr interessanter Beitrag, danke!
Hat dies auf Tempest rebloggt.