Einen ersten Mai in Havanna zu erleben ist wohl für jeden ein beeindruckendes Erlebnis. Auch wir vom Proyecto Tamara Bunke freuten uns schon Tage vorher auf das Ereignis.
In der Vorbereitung wurden wir mehrfach darauf hingewiesen, dass es nicht einfach sei, sich vor dem Beginn der Demo normal in der Stadt zu bewegen, da es schon Stunden zuvor sehr voll sein würde. Am 30. April versammelten wir uns darum schon mit ein paar Proyecto-TeilnehmerInnen in unserer Wohnung nahe am „Platz der Revolution“ um es am Frühen morgen dann nicht so weit zu den jeweiligen Start-Punkten zu haben.
Und tatsächlich konnten wir aus dem Fenster beobachten, wie schon um 2 Uhr nachts pausenlos Busse die „Avenida de la Independecia“ heruntergefahren kamen, die DemonstrantInnen des kommenden Tages auf Höhe unseres Gebäudes ausstiegen und fröhlich feiernd und mit Tröten hupend richtung Platz der Revolution davonzogen um sich gemeinsam ihren Berufsgruppen oder politischen Organisationen nach auf der „Avenida de Paseo“ aufzustellen, einer breiten Allee, die vom Stadtteil Vedado aus schnurgrade auf den Platz der Revolution und das riesige „José-Martí-Denkmal“ zuführt, wo die erste Maidemo ihren Höhepunkt erreichen sollte.
Durch eine Einladung vom „ICAP“ (Kubanisches Institut für Völkerfreundschaft) bekamen einige von uns die Gelegenheit auf der Ehrentribüne am Platz der Revolution den Einzug der 1.Mai-DemonstrantInnen beizuwohnen. Zwei weitere Projektteilnehmer gesellten sich zu dem Demonstrationsblock der CUJAE-StudentInnen und ich lief im ICAP-Block auf der Demo mit.
Auf dem Weg zu unseren Startpunkten schlossen wir uns dann früh morgens gegen 4:30 Uhr dem nicht versiegenden Strom der DemonstrantInnen an, die die ganze Nacht schon unentwegt von vielen Bussen ein paar Hundert Meter vom Platz der Revolution entfernt ausgespuckt wurden.
Durch ungewöhnlich belebte Nebenstraßen schlugen wir uns dann einen Weg zu unseren jeweiligen Treffpunkten.
Je näher man der Avenida de Paseo kam, desto voller wurde es und als wir schließlich dort angekommen waren schien die ganze Allee der vollen Länge nach bevölkert mit DemonstrantInnen, die darauf warteten, dass es endlich los ging.
Die Stimmung war schon jetzt sehr gut, an vielen Orten wurde Musik gespielt, überall saßen Leute in Gruppen zusammen oder wuselten mit Plakaten und Transparenten umher, um ihre jeweiligen Gruppen zu finden. Mehr und mehr ordnete sich mit der Zeit dann das Durcheinander. Jeweils eigene Demo-Blöcke wurden durch Transparente und Schilder ersichtlich und bald ging es auch los. Über große Leutsprecheranlagen die an beiden Seiten der Allee aufgebaut worden waren und die bisher schon heiter Musik gespielt hatten, erklang nun die „Bayamesa“, die Kubanische Nationalhymne. Die Jenigen, die auf dem Boden saßen standen auf und sangen mit und es wurde klar, dass nun der eigentliche 1.Mai eingeleutet worden war.
Anschließend gab es eine Auftaktrede des Gewerkschaftspräsidenten Ulises Guilarte de Nacimiento zur 1.Mai-Demo, die dieses Jahr unter dem Motto „Unidad, Compromiso y Victoria“ (Einheit, Engagement und Sieg) stand, wie auch viele Transparente und Plakate in der ganzen Stadt Tage zuvor verkündet hatten.
Der Redner hieß zunächst die Gäste auf der Ehrentribüne willkommen. Neben dem neu gewählten Präsidenten Diaz Canel und Raul Castro sowie einigen Funktionären der PCC war auch der Vorsitzende der kommunistischen Partei Chiles und Delegierte aus vielen weiteren Ländern anwesend.
Des Weiteren wurde an historische Errungenschaften in Kuba erinnert, wie den Sturz der Kolonialherrschaft oder den Sieg der kubanischen Revolution 1959, bei dem der aktive Kampf der Arbeiterklasse eine entscheidende Rolle gespielt hat und auch das 80. Gründungsjahr des Gewerkschaftsverbandes CTC fand Erwähnung, der dem diesjährigen ersten Mai auch sein Motto verliehen hatte (nicht zuletzt auch auf etlichen Plakaten und Transparenten).
Nach Beendigung der Rede dann zog der Demonstrationszug los, inhaltlich begleitet von einem Ansager, der über die Lautsprecheranlage die verschiedenen Berufsgruppen ankündigte, die auf dem Platz der Revolution einzogen.
Je mehr man sich umsah, desto mehr Berufsgruppen ließen sich anhand ihrer Plakate ausmachen.
Gut zu erkennen waren die gelb gekleideten FahrerInnen der sog. „Taxi-Ruteros“, kleinen Busse oder Taxen, die seit einiger Zeit im Stadtbild Havannas präsent sind. Dann waren die MitarbeiterInnen verschiedener Ämter zu erkennen, unter anderem die Arbeiter des Außenministeriums oder des Finanzamtes. Außerdem waren einige Schulen präsent und hinter dem Block des ICAP lief eine Delegation aus Venezuela.
Die einzelnen Berufsgruppen hatten für gewöhnlich ein Transparent für ihren Arbeitsplatz und aus dem Block der MitarbeiterInnen des „Alicia-Alonsa-Theaters“ ragten kleine Papp-Ballerinas, die an Stäben in die Luft gehalten wurden…
Viele DemonstrantInnen stellten aber auch eigene Plakate mit Parolen oder Fotos zur Schau, unter anderem von Fidel oder den Cuban-5. Bei einigen selbst gebastelten Plakaten war klar einiger Einfallsreichtum zu erkennen, wie beispielsweise bei einem Konterfei von Ché, das bei genauerem Hinsehen auf einen alten Reiskocher-Karton geklebt worden war.
So zogen die vielen Tausend DemonstrantInnen dann allmählich die Allee hinunter zum Platz der Revolution und an den Tribünen vorbei. Auf der rechten Seite unter dem José-Martí-Denkmal waren die Delegationen verschiedenster Länder aufgereiht. Zwischen etlichen internationalen Gästen mit Flaggen und Plakaten standen einige unserer Proyecto-Teilnehmer und winkten heiter hinunter. Oben auf der Tribüne waren Diaz Canel und Raul Castro zu erkennen, Letzterer wie so häufig in seinem olivgrünen Kampfanzug.
Unten zu Füßen der Ehrentribüne auf dem Rasen hatten einige der Delegationen Transparente ausgelegt ausgelegt, darunter gut erkennbar auch unseres vom Proyecto Tamara Bunke.
So zogen Hunderttausende DemonstrantInnen nacheinander über den Platz der Revolution und selbst noch lange nach dem Endpunkt der Demo zogen große Menschenmassen über die Straßen in Richtung der Busse, die sie wieder nachhause fuhren. Alle wirkten gut gelaunt und zufrieden.
So endete der offizielle 1. Mai in Havanna (nach meinem Gefühl) schon ungewöhnlich früh. Da der frühe Start- und Endzeitpunkt der Demo es uns aber ersparte, bei sengender Mittagshitze in der Sonne zu stehen war da wohl keiner von uns sehr böse darum.
Alles in allem war dieser 1. Mai eindeutig ein unvergessliches Erlebnis, gerade, da ich in Deutschland kaum vergleichbare politische Ereignisse erleben durfte.
Der 1. Mai in Kuba erreichte dieses Jahr Rekordzahlen. 900.000 Menschen waren alleine in Havanna auf die Straße gegangen, in ganz Kuba etwa 6,6 Millionen, um gemeinsam die Bedeutung des 1. Mais für Kuba und der Arbeiterschaft der ganzen Welt hervorzuheben.
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