Wir stehen an der Avenida Salvador Allende, einer lauten, stark befahrenen Hauptstraße mitten in Havanna. Die typischen, alten Ladas und überfüllten Busse rauschen vorbei, Kollektivtaxis laden Leute neben uns ein und aus, immer wieder drücken sich Menschen an uns vorbei, um ihrem Alltag nach zu gehen. Einige cuenta propistas (Selbstständige) in quietsch-bunten Oldtimern fahren Touristen mit roten Köpfen und dicken Kameras die Straße hoch zum Revolutionsplatz, damit sie ihre obligatorischen Urlaubsfotos mit dem Che Guevara Wandgemälde machen können.
Der typische Havanna-Trouble also. An dieser Straße befindet sich auch der Botanische Garten „Quinta de los Molinos“. Als wir ihn betreten, fühlt es sich an, als würden wir den ganzen Lärm der Straße meilenweit hinter uns lassen, obwohl dieser nur zehn Meter hinter uns liegt. Plötzlich ist es ruhig, man hört das Rauschen des Windes in den Bäumen, einige Vögel, die Luft fühlt sich sauber und klar an. Dank der Atmosphäre fühle ich mich sofort entspannt und ruhig in diesem Garten.
Freizeit für alle
Der Ort hat viele Phasen durchgemacht: lange hat er der Erholung und Freizeit der spanischen Obrigkeit zugestanden, dann war er wegen Restauration geschlossen, aber nun können ihn endlich alle Kubaner genießen. Die Grünanlage ist zwar nicht öffentlich, trotzdem ist er jedem zugänglich, im Rahmen von Führungen, Projekten, Workshops, Vorstellungen, etc. Seit 2011 finden hier auf den 4,8ha Gartenanlage zwischen verschiedenen tropischen Pflanzen Umwelt- und soziokulturelle Projekte statt.
Es werden hier insgesamt 18 unterschiedliche Workshops für verschiedene Zielgruppen angeboten. Den Kindern und Jugendlichen aus den umliegenden Schulen des Viertels soll vor allem Umweltbewusstsein näher gebracht werden. Dazu bekommen sie Führungen durch den Park, besuchen die verschiedenen Tiere des Gartens und das Schmetterlingshaus, welches errichtet wurde, um die Population der Insekten auf der Insel zu erhöhen. Für Rentner werden verschiedene Kurse angeboten, um ihren Alltag im Alter zu gestalten, zum Beispiel Tai Chi, Fotografie, Malerei oder Tanzkurse. Darüber hinaus gibt es verschiedene Events, Festivals und Expositionen während welchen die ganze Familie den botanischen Garten besuchen kann.
La Quinta por la Inclusión
Seit 2014 existiert das Projekt „La Quinta por la inclusión“, ein Projekt für Jugendliche mit körperlichen und mentalen Behinderungen. Das Ziel ist die Inklusion der Jugendlichen in die kubanische Gesellschaft. Sie sollen hier bestimmte Fertigkeiten erlernen, damit sie ihren Alltag besser alleine meistern können und Autonomie erreichen.
Die soziale Integration ist für die Jugendlichen deshalb so schwierig, weil ihre Eltern ihnen oft nicht genug zu trauen. Sie behüten sie zu stark aus Angst um sie, und schließen sie dadurch leider aus dem normalen Gesellschaftsleben aus. Denn sie erlernen die alltäglich benötigten Fähigkeiten nicht: zum Beispiel wie man mit Geld umgeht oder abwäscht. Hier werden sie nicht nur in Kursen aufs selbständige Alltagsleben vorbereitet, sondern auch dazwischen: Nach dem gemeinsamen Mittagsessen helfen die Jugendlichen beim Abwasch. Auch wenn ihnen ein Teller kaputt geht, soll ihnen klar gemacht werden, dass das normal ist, und sowas jedem mal passiert. Denn solche Ereignisse nehmen die Jugendliche stark mit, da sie nicht gelernt haben, ihre Gefühle zu kanalisieren.
Ihnen werden Gärtnerei, Pscioballet – Eine Mischung aus Physiotherapie und Ballett, Filmkurse, welche zum gemeinsamen Diskutieren anregen sollen und Kunst- und Theaterkurse angeboten. Im Videospielkurs soll ihnen der Umgang mit Computern beigebracht werden. Es gibt auch einige kombinierte Kurse, zum Beispiel helfen die Rentner den Jugendlichen gerne beim Basteln. Außerdem gibt es Zootherapie, hier sollen sie lernen wie man Verantwortung für jemand anderes übernimmt. Einmal in der Woche besucht sie eine Tierärztin mit verschiedenen Haustieren. In Fotografie lernen die Jugendlichen sich selbst besser wahrzunehmen und stolz auf ihre geschaffenen Werke zu sein. Durch diesen Kurs werden sie auch an die „normale“ Gesellschaft angebunden, denn sie nehmen regelmäßig an verschiedenen Fotowettbewerben teil. Darüberhinaus bietet das Projekt Beratung und Unterstützung für die Eltern an, damit sie lernen, wie man mit einem behinderten Kind umgeht, wie man es gleichzeitig schütz und unterstützt, ohne ihnen ihre Autonomie zu nehmen.
Viele der Jugendlichen verbringen den ganzen Tag im Projekt, bis ihre Eltern sie wieder abholen. Das verschafft ihnen eine Alltagsstruktur und regelmäßige soziale Kontakte. Er ermöglicht ihnen Freiheit und Verantwortung, und hilft ihnen aus ihrer sozialen Impotenz raus. Mittlerweile sind sogar 8 der Teilnehmer als Gärtner im Quinta de los Molinos angestellt. Ihnen wird natürlich auch gezeigt, wie man dann mit ihrem eigenen Gehalt umgeht. Allgemein wird auf Kuba darauf geachtet, Menschen mit körperlichen und mentalen Behinderungen in allen staatlichen Betrieben zu intergrieren.
Alle sozialen Projekte im botanischen Garten werden durch die Einahmen der Museen von Havanna finanziert. Jetzt wo ich weiß, dass die „Oficina del Historiador“ (Amt der Historiker) seine Einahmen für gute Zwecke benutzt, ist es weniger schmerzhaft, dass mein Freund 8 CUC (ungefähr 7 Euro) für das Revolutionsmuseum zahlen musste, während es mich dank meines Residenzausweises nur knapp 30 Eurocent gekostet hat. Denn es kommt guten Projekten wie diesem zu gute.
Hier geht es zu weitern Artikel von Julia