Bei uns Zuhause
Wir sitzen bei uns zu Hause am Tisch und schnippeln eine Kokosnuss klein um Curry zu kochen. Es klingelt. Nach einer Runde Nase machen* (Julia verliert) und kurzer Diskussion darüber, ob wir in dieser Situation überhaupt Nase machen sollten (Julia gewinnt), machen wir auf. Die Vermieterin steht vor uns, neben ihr ein Handwerker. Wie selbstverständlich drängelt sie sich nach den Hallo-Küsschen an uns vorbei. Nachdem sie den Handwerker eingewiesen hat, stellt sie sich zu mir in die Küche. „Und, macht ihr Süßigkeiten?“, fragt sie mich.
Denn vor mir im Topf köcheln kleine Stückchen Kokosnuss vor sich her. Ich antworte ihr, dass da gleich noch mehr Gemüse dazu kommen würde, und wir Curry machen. Sie holt den Handwerker zu uns in die Küche, und erzählt ihm lachend, dass wir ein salziges Gericht mit Kokosnuss kochen. Sie fragen mich genauestens aus, wie ich das nun kochen werde, wann welche Zutat hinzugefügt werden wird, und was dazu gegessen wird. Als sie nun alles über die Zubereitung von Curry erfahren und sich reichlich über deutsches Essen lustig gemacht haben,kehrt der Handwerker zu seiner Arbeit zurück, und unsere Vermieterin redet mit ihm auf dem Balkon. Das ist nun schon das vierte mal diese Woche, dass sie bei uns in der Wohnung ist, um entweder etwas zu erledigen, etwas zu reparieren, oder einfach mal vorbeizuschauen. Für uns ist das unfassbar befremdlich: In Deutschland könnte ich mir sowas niemals vorstellen. Denn dort sieht man seine*n Vermieter*in vielleicht bei der Vertragsunterzeichnung und der Wohnungsübergabe. Wenn man danach ein Problem hat, versucht man das selber zu lösen, oder schreibt eine Mail. Jeglicher persönlicher Kontakt soll dabei vermieden werden. Hier passiert das komplette Gegenteil: Der Kontakt zwischen Vermietern und Mietern ist meist sehr eng. Wenn etwas erledigt werden muss, schaut man eben persönlich in der Wohnung vorbei – was bei uns sofort als Störung der Privatsphäre abgestempelt wird, ist aber eigentlich ein Zeichen der Gemeinschaftlichkeit und der Hilfsbereitschaft. Denn die Kubaner*Innen wollen meist helfen, wo es geht. So kommt es auch, dass unsere Vermieterin meist bei uns putzt, wenn sie bei uns ist. Obwohl wir ihr oft gesagt haben, dass sie das nicht tun muss, und das wir schon selber putzen, schrubbt sie jedes mal unsere Wohnung blitzblank. Manchmal auch in unserer Anwesenheit. Das ist uns jedes mal unfassbar unangenehm und wir fühlen uns wie reiche, faule Goeren wenn jemand vor unserer Nase unseren Dreck weg macht. Meist kochen wir ihr einen Kaffee, um auch nur ansatzweise das Gefühl vom „geben und nehmen“ und nicht vom ausnutzen zu haben. Doch nachdem wir den getrunken haben, wird das unangenehme Gefühl meist so unerträglich, dass wir irgendeine Ausrede finden, um zu gehen.
Im Freundeskreis Als ich das erste mal am Chiringuito – einer Strandbar – mit meinen Freunden war, wurde uns der komplette Freundeskreis vorgestellt. „Das sind Maite, Celia, Lilly, und das ist el negro.“ Ich spucke meinen Mojito fast ins Glas zurück. Vorsichtig frage ich nochmal nach, wie der Junge heisst, der nun vor mir steht. „Yo soy el negro“, sagt er mir, ganz selbstverständlich. „Ich bin der Schwarze“. Ich gucke ihn an wie ein Auto und versuche irgendwie, meine entgleisten Gesichtszüge wieder unter Kontrolle zu bringen. Wollen sie mich auf den Arm nehmen? Ist das gerade so ein Deutschland-ist-doch-das-Land-mit-Hitler-Witz sein? Als der Abend weiter geht, und auch Leute die neu dazu kommen ihn mit „Schwarzer“ ansprechen, merke ich, dass das garantiert kein Witz ist. Er wird aufgrund seiner Hautfarbe wirklich von seinen ganzen Freunden Schwarzer genannt. Den ganzen Abend lang vermeide ich, ihn anzusprechen, und wenn, dann versuche ich es mit „Hey, du!“. Niemals würde es mir über die Lippen kommen, jemanden Schwarzer zu nennen. Alleine daran zu denken, jemanden nach seiner Hautfarbe zu bennenen, bereitet mir Übelkeit. Am nächsten Tag unterhalte ich mich mit unserem besten Freund hier sehr lange über das Thema. Denn das ist kein einzigartiger Vorfall gewesen: schon oft haben wir mitbekommen, dass asiatische Mitbürger nur als „Chino“, sehr weisse Menschen als „Blanco“ und schwarze Menschen als „Negro“ bekannt sind. Er schaut mich nachdenklich an, als ich ihm erzähle, was dieses Wort bei mir auslöst. Er erzählt mir, er verstehe aus meiner Perspektive, warum das für mich so ein Problem sei – aber dass ich das nur so empfinde, weil ich eine Geschichtsbetrachtung habe, die von unserer deutschen Geschichte stark geprägt ist. Und dass diese Bezeichnungen keineswegs rassistisch gemeint seien. Denn hier sind diese Bezeichnungen nicht negativ vorbelastet. Jemanden „Schwarzer“, „Weißer“, oder „Chinese“ zu nennen ist hier genauso normal, wie in Deutschland jemandem den Spitznamen „Großer“ oder „Blonder“ zu geben. Es reduziert die Menschen in dem Moment zwar auf ihr Äußeres, hat hier aber keinen negativen Unterton. Ich stimme ihm in dem, was er sagt, zwar nicht vollkommen zu, kann jetzt aber akzeptieren, wie der Junge in seinem Freundeskreis genannt wird. Und trotzdem fühle ich mich jedes mal aufs Neue schrecklich, wenn ich diesen Jungen ansehe, und versuche, mich an seinen Namen zu erinnern, und das einzige, was mir in den Kopf kommt, „el negro“ ist. Im Bus Es ist 14 Uhr, wir sitzen an der Bushaltestellte „puente almendares“, und warten gemeinsam mit einem Haufen anderer Menschen auf den Bus. Als die Linie 222 ankommt, sehen wir schon von weitem, dass dieser mal wieder zum platzen voll ist. Das wird sich aber auch die nächste Stunde nicht ändern, also quetschen wir uns in den schon lange viel zu vollen Bus dazu. Ich stelle mich in den hintersten Teil des Busses, stehe vor einem alten Mann, und will anfangen Musik zu hören, als er mich anschaut. „Willst du dich hinsetzen?“, fragt er mich. Dankend lehne ich ab. Hier ist es normal, dass einem als Frau von Männern Sitzplätze angeboten werden. „Doch, doch, setz dich!“,beteuert er. Ich lehne wieder ab – schließlich bin ich jung, und deswegen habe ich in meiner Moralvorstellung weitaus weniger Anrecht auf den Sitzplatz als er, der mindestens 4 mal so alt ist wie ich. Er greift mich bei der Hand, und drückt mich auf seinen Sitzplatz. Ich gebe nach, und setze mich hin. Schon wieder fühle ich mich wie eine überpriviligierte, verwoehnte Bratze, wie ich nun da sitze, und der alte Mann neben mir steht, verzweifelt versucht nicht an jeder Ecke umzufallen, und schon zittrige Beine bekommt. Doch er lässt sich nicht überreden, sich wieder hinzusetzen. Zumindest lässt er mich seine Tasche auf den Schoß nehmen. Ein paar Reihen vor mir sitzen zwei junge Frauen, und reden über die Uni. Eine Frau mit Kind steigt ein, und da im ganzen Bus kein Platz mehr ist, nimmt eines der Mädchen wie selbstverständlich das fremde Kind auf den Schoss. Sie und die Mutter reden ein wenig, bis die Mutter mitsamt Kind wieder aussteigt. Ich bin schon richtig erleichtert, als ich sehe wie eine alte Frau einsteigt, der ich meinen Platz anbieten kann. Sie ist kurz verwirrt, denn sie hatte eher die beiden Jungs hinter mir böse angeschaut, aber nimmt den Platz dankend an. Jetzt fühle ich mich auch nicht mehr ganz so schlecht, und fahre die letzten Stationen bis in die Stadt stehend. *Beim „Nase machen“ fässt man sich bei einer bevorstehenden Aufgabe so schnell wie möglich an die Nase. Die letzte Person, die sich an die Nase fasst, muss diese Aufgabe dann übernehmen. Jugendkultur und so. Hier geht es zu weiteren Artikeln von Svenja.
Ich war an der Universität von Havanna. In dem Kurs waren auch zwei Koreaner. Die haben sich sehr darüber aufgeregt, dass sie mit Chino angesprochen werden. Die kubaische Professorin konnte das überhaupt nicht verstehen. Ich ja 🙂