Heute ist der 25. November 2017 – Einjähriger Todestag des Comandante en Jefe. Am Nachmittag werde ich gemeinsam mit den anderen der Gruppe zu einer Veranstaltung zum Gedenken Fidels an der UH, der Universidad de la Habana, gleich neben meinem Zuhause gehen. Um den Tag zu beginnen scheint es mir angebracht mich auf die Terrasse in den Schatten des Maracujabaums zu setzten und mit einem Kaffee meine Lektüre „Die Geschichte wird mich freisprechen“ weiter- bzw. fertig zu lesen.
1953 verfasste Fidel seine berühmte Verteidigungsrede, die er mit dem geschichtemachenden Satz „La historia me absolvera“ beschließt. Was Fidel vor 64 Jahren als junger Mann sagte, sollte später Wahrheit werden. Auf ein Leben zurückblickend, ist dies leicht gesagt. Wie der 27-jährige Fidel sich damals in dem kleinen Bügerspital in Santiago de Cuba fühlte, als er nach 76 Tagen Isolationshaft unter schwersten Bedingungen schließlich zur Verhandlung gebracht wurde, weiß ich, die heute mit leichtem Hang zum Heroismus auf meiner Terrasse sitze, nicht.
Ich denke an Berlin zurück, an meine WG-Küche, wo seit Januar 2016 ein auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz erstandenes Fidelplakat hängt. Auf der Konferenz letztes Jahr wurde eine Schweigeminute und viele ehrende Worte für den verstorbenen Revolutionskämpfer eingelegt. In meiner WG musste ich mich später oft rechtfertigen, warum ein Plakat eines Staats- und Regierungschefs mit erhobener Faust in meiner Küche hängt. Herrscht in Kuba nicht eine Diktatur? Was soll dieser Personenkult? Und, bist du nicht vielmehr gegen eine vertikale Machtstruktur? Für was kämpfen wir eigentlich – für einen Sozialismus, für flache Hierarchien, für Autonomie und Selbstbestimmung? Widersprechen sich diese Ziele?
Fragen über Fragen, die ich selbst nicht immer zu beantworten wusste. Fidel selbst war gegen die Verherrlichung seiner Person. Er verstand sich als Teil des Volkes, der Anerkennung für seine Ideen und Tatkraft verdient, als Mensch jedoch genauso imperfekt ist und nicht seine Person, sondern seine Taten machen ihn zu einem bedeutenden Mann.
Das Plakat blieb hängen und soweit meine WG sich in meiner Abwesenheit nicht dazu durchgerungen hat, es abzuhängen oder gar zu ersetzten, hängt auch heute, am 25. November 2017, in einer WG-Küche in Neukölln ein Bild vom verstorbenen Fidel.
Vor 2 Monaten bin ich in Kuba angekommen. Mehr als geklärt, überschlagen sich diese und noch viele weitere Fragen durch das Kennenlernen und Zu-Begreifen-Versuchen der hiesigen Realität. Aber so ist das wohl – je mehr man kennenlernt, desto besser begreift man, was man alles nicht versteht.
Durch die auf mich einprasselnden Eindrücke kommt es in meinem Kopf regelmäßig zu Clashs, emotional und kognitiv erschöpfende Widersprüche lassen mein Gehirn arbeiten und arbeiten, und verlaufen sich immer wieder in Sackgassen. Was ist hier eigentlich los? Wer war dieser Fidel, der heute so stellvertretend für die kubanische Revolution steht? Wie kann ein Mensch einerseits so hochgelobt werden und andererseits für so viel Kontroverse sorgen?
Ich stelle mir heute nicht die Aufgabe, diese Fragen zu beantworten. Ich will vielmehr von Geschehnissen aus dem frühen Jahren von Fidels Leben berichten – aus der Zeit vor der Revolution ’59, vor den 49 Jahren, in denen Fidel dieses bezaubernde kleine Inselland im karibischen Meer durch Jahrzehnte von neokolonialistischer Repressionspolitik seitens der USA, tatkräftiger und ideologischer Unterstützung seitens der Sowjetunion, durch die Spezialperiode in den 90iger Jahren und den erdrückenden Einfluss des Kapitalismus führte.
Besuch beim Presidio Modelo
Angestoßen wurde die Idee, diesen Artikel zu schreiben durch einen Besuch im Presidio Modelo, dem Gefängnis, in dem Fidel und 26 seiner Compañeros nach dem gescheiterten Angriff auf die Moncada-Kaserne 1953, 19 Monate lang gefangen gehalten wurden. Das Presidio Modelo befindet sich auf der Isla de la Juventud und stellt einen historischen Ort dar. Vier kreisrunde Gebäude, die nach dem Prinzip des Panoptikums gebaut sind, ein riesiges Gebäude, welches den Speisesaal darstellt (auch „Comedor de 1000 Silencios“ genannt, da die Kontaktaufnahme im Speisesaal zwischen den Gefangenen mit schweren, bis zu Todesstrafen, belangt wurde), ein ehemaliges Krankenhaus und einige Residenzhäuser der ehemaligen Gefängnisangestellten, machen das Presidio Modelo aus.
Unser Besuch bei diesem heute menschenleeren und verlassenen Ort fand an einem regnerischen Nachmittag Ende September statt. Mit einem klapprigen Bus, der uns auf der Isla von A nach B fuhr, rollten wir über den holprigen Weg bis vor den Haupteingang des Museums, welches sich im ehemaligen Spitalgebäude befindet. Der Weg auf dem wir neugierig aus den offenen Fenstern des Busses blickend einfuhren, wird auch „Camino de Muerte“ genannt. Den Geschichten der Museumsführerin zufolge wurden aus dem Gefängnis immer wieder Gruppen von Gefangenen auserkoren, die auf diesem Weg, vom Gefängnis weg, abgeführt wurden und nie wieder zurückkehrten, geschweige denn wieder gesehen wurden.
Das Panoptikum – Disziplin im Glashaus
Das Presidio Modelo wurde 1928 von damaligen Strafgefangenen unter dem Diktator Gerado Machado erbaut und wurde bis 1967, bis 8 Jahre nach der Revolution, genutzt. Die kreisrunden Gebäude machen Gebrauch von einer Überwachungsform, die uns auch heute aus moderner Firmen- und Arbeitsorganisation, natürlich nicht ausschließlich in architektonischer Umsetzung, aber im Grundgedanken übereinstimmend, bekannt ist. Der Begriff „Panoptikum“ stammt vom britischen Philosophen Jeremy Bentham. Er machte es sich zur Aufgabe ein architektonisches Konzept zur gleichzeitigen Überwachung vieler Menschen zu schaffen. Durch die kreisrunde Anordnung von Gefängniszellen war es möglich, alle Insassen durch einen einzigen Wächter, welcher sich in der Mitte des Kreises in einem Wachturm befand, zu überwachen. Die Insassen sind durch das Gegenlicht in ihren Zellen immer gut zu sehen und stehen unter ständiger Beobachtung eines Wächters, den sie im dunklen Zentrum des Gebäudes nicht ausmachen können. Zum einen kann durch dieses Konzept viel Gefängnispersonal eingespart werden; zum anderen, sind Gefangene dem ständigen psychischen Druck des Unwissens, ob sie gerade überwacht werden oder nicht, ausgesetzt. Dies wird als Instrument zum regelkonformen Verhalten eingesetzt. Die Instrumentalisierung der Unwissenheit und dadurch ausgelöste allgegenwärtige Stressreaktion scheinen mir ebenso perfektioniert wie unmenschlich. Wenn man darüber nachdenkt, basieren heute Disziplin und Arbeitskontrolle in vielen großen kapitalistischen Betrieben auf diesem Prinzip. Ob man beobachtet und kontrolliert wird, weiß man nicht, die darüber herrschende Unsicherheit übernimmt jedoch schon die Disziplinierungsarbeit.
Der Besuch im ehemaligen Gefängnis löste bei mir ein unerwartet starkes Gefühl der Bedrückung aus. Das Thema Gefangenschaft, die psychologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen vom Raub der Freiheit eines Menschen als Maßregelvollzug beschäftigt mich vor allem wegen meiner
politischen Arbeit mit, für und im Baskenland. Dem Staat steht die einschneidende und allmächtige Möglichkeit zu, zu entscheiden, wer am gesellschaftlichen Geschehen teilnehmen darf und wer nicht. Gefängnisse und Psychiatrien sind die Orte, wo Menschen hingesteckt werden, die die sogenannte Ordnung stören. Dass dies angeblich mit einem Erziehungsgedanken passiert, finde ich höchst fragwürdig. Die Realität vom Knast suggeriert vielmehr, dass es um das Aufräumen und Sauberhalten des gesellschaftlichen Raums geht.
Die Gründe warum Menschen hinter Gitter kommen sind so vielfältig, wie die Idee von Gefängnis an sich anzuzweifeln ist
Ein in der Geschichte immer wieder auftauchender Grund, Menschen hinter Gitter zu bringen, ist die Nutzung der Gefangenschaft als Werkzeug zur politischen Repression. Andersdenkende, die aktiv ihre Ideen umsetzen und damit das bestehende System in Gefahr bringen, können zwar nicht einfach komplett verschwinden – aber ein wirksames Werkzeug ist ihnen ihren gesellschaftlichen Platz zu entziehen. Für die momentane politische Aktivität bedeutet dies eine Schranke, ein Hindernis. Für den politischen Kampfesgeist stellen Gefängnismauern allerdings nicht zwangsläufig Barrieren dar.
„Tatsache ist, dass, wenn Menschen dieselben Ideale im Herzen tragen, nichts sie voneinander isolieren kann – weder Gefängnismauern noch die Grasnarbe der Friedhöfe. Denn ein gemeinsames Gedächtnis, ein Geist, eine Idee, ein Bewusstsein, eine Würde wird sie alle tragen.“ – Fidel Castro, 1953
Oberstes Ziel der Gefängnispolitik für politische Gefangene ist der Willensbruch. Oft ist jedoch neben der emotionalen Unterstützung von Freund_innen und Familie, der Glauben an den Grund für den man hinter Gitter gegangen ist, das, was einen am Leben hält. Dies erzählte mir vor einer Weile ein Freund, der einen Großteil seiner 20iger Jahre als politischer Gefangener erleben musste. Das Wissen von einer Masse an Menschen, die nicht nur wegen persönlicher Verbindung zu einem halten, sondern aus Solidarität aufgrund von politischen Überzeugungen, gibt die Kraft, um jeden Morgen aufs Neue aufzustehen und weiterzumachen.
Solche und viele andere Gedanken und Worte hallen in meinem Kopf wieder, als ich den Schilderungen der Museumsfrau folge und merke wie ich mit einem mulmigen und die Kehle zuschnürenden Gefühl durch die Räume des Presidio Modelo laufe.
Hier waren also 26 junge Männer, die Teil der später für die Revolution verantwortlichen Bewegung „26 de Julio“ formten. Sie waren damals nicht viel älter als ich heute und ich frage mich so sehr, was für Emotionen, Ängste, Ahnungen und Pläne in den Köpfen dieser Männer und Frauen steckten. Sie hatten sich zusammengefunden um einen militärischen Aufstand gegen die Diktatur Batistas zu planen und durchzuführen. Beim Versuch, dies auch nur ansatzweise auf mein Leben zu übertragen, werde ich mir bewusst darüber, wie überzeugt und mutig man sein muss, um wirklich so etwas zu tun. Vor allem etwas, von dem man sich im Klaren sein muss, dass man mitunter mit dem Leben dafür bezahlt. Fidel sagt hierzu über den Tod seiner im Kampf gefallenen Genossen:
„Da ihre Leben unersetzbar sind, könnten ihre Mörder nicht für sie bezahlen – auch mit ihrem eigenen Leben nicht. Mit Blut werden wir die Leben derjenigen, die für ihr Land gestorben sind, nicht aufwiegen können. Das Glück ihres Volkes ist der einzige Tribut, der ihre Leben wert ist“. – Fidel Castro, 1953
Im Revolutionskampf geht es also um etwas Größeres als das eigene individuelle Glück, bzw. dieses ist durch das Erkämpfen eines für die Allgemeinheit gültigen Glücks bedingt. Für Eine, die im Glauben aufgewachsen ist, dass das individuelle Glück das höchste und einzige Gut sei, sind das oft schwerbegreifliche Ideen.
Patria o Muerte – die Liebe zum Vaterland
So war ich auch bei der ersten Spanischstunde auf der Isla de la Juventud, genau wie alle anderen Anwesenden im Kurs, nicht nur über Themenauswahl der Kennlernstunde (Thema „Liebe“) erstaunt, auch die Aufzählung unserer Mitte fünfzig-jährigen Lehrerin stellte einen kleinen Kulturschock dar: Neben der Liebe für die Familie, Freund_innen und Partner_innen ermahnte uns die Lehrerin, als wir nicht aus eigenen Stücken auf die „Patria“, die Liebe zum Vaterland kamen. Ein Verständnis, das uns als Deutschen und Österreicher_innen nicht gerade geläufig ist.
Fidel, sein Bruder Raúl und rund 160 Weitere fanden sich aus ganz Kuba zusammen, um 1953 für ihre Freiheit zu kämpfen. Beim Scheitern des Angriffs auf die Moncada-Kaserne kapitulierten einige und zogen sich aus dem Kampf zurück. Andere verschanzten sich in den Bergen um Santiago, welche von der Armee umstellt wurden und wurden durch Hungersnot zur Kapitulation gezwungen. Einige Kämpfer konnten durch die Armeereihen schlüpfen, eine Vielzahl wurde jedoch festgenommen und in späterer Gefangenschaft blutig ermordet. Fidel, Raúl und 25 weitere Genossen überlebten den Angriff auf die Kaserne sowie die Gefangenschaft und kamen letztendlich ins Presidio Modelo auf der Isla de la Juventud.
Der Versuch die Flamme der Wahrheit zu ersticken wird immer scheitern
Nach einer fast 3-monatigen Isolationshaft, während der ihm jegliche Rechte als Gefangener entzogen wurden, wurde Fidel dem Tribunal vorgestellt. Gefordert wurde eine 26 jährige Gefängnisstrafe. Das Regime Batistas sah in den Worten, die Fidel an das kubanische Volk richten könnte offensichtlich eine so große Gefahr, dass die Öffentlichkeit rechtswidrig vom Verfahren ausgeschlossen wurde. Die Verhandlung wurde im Hinterraum eines Bürgerspitals unter der Anwesenheit von zwei Anwälten und sechs Reporter_innen abgehalten. Den Reporter_innen war es untersagt, während der Verhandlung Notizen oder Aufzeichnungen zu machen. Fidel wurde neben der Unterstützung eines Anwaltes auch der Zugang zu Gesetzbüchern verweigert. Die Leistung von Fidels Verteidigungsrede ist vor diesem Hintergrund noch beeindruckender.
Wenn ich so auf meiner Terrasse sitze und Fidels Wörter lese, höre ich zu allererst Entschlossenheit und Mut. Immer wieder muss ich mir ins Gedächtnis rufen, dass der junge Fidel diese Worte während einer Periode tiefer Ungewissheit über den Fortgang der Ereignisse mündlich vortrug. Er drückt sich mit einer Bestimmtheit und Struktur aus, formuliert Ziele, Absichten und Überzeugungen mit einer Präzision, die ich selbst für einen geschriebenen Diskurs eindrucksvoll finde.
Von der Museumsführerin lernen wir außerdem, dass durch das Verbot von Aufzeichnungen während der Gerichtsverhandlung das Niederschreiben der mündlich vorgetragenen Verteidigungsrede ein regelrechtes Abenteuer war: Einerseits schrieb eine Reporterin insgeheim in größter Sorgfalt auf die Innenseite von Streicholzschachteln bei der Verhandlung mit, andererseits schrieb Fidel aus der auf die Verhandlung folgenden Gefangenschaft Briefe, die zwischen den Zeilen mit Zitronensaft eine zweite Nachricht beinhalteten. Beim Bügeln der Briefe wurde die zuvor unsichtbare Zitronensaftschrift sichtbar und Fidel hatte die Möglichkeit, neben anderen der geheimen Kommunikation dienenden Nachrichten, seine Verteidigungsrede zu Papier zu bringen.
Der 27-jährige Fidel wusste damals nicht, wie es weitergehen würde – dass es 6 Jahre nach seiner Verhandlung tatsächlich zum Umsturz Batistas und zur sozialistischen Revolution kommen würde, war sicherlich ein Traum doch er lag in einer entfernten, ungewissen Zukunft. In den Worten, die Fidel zu seiner Verteidigung aufbringt, höre ich einen Mann, der nicht weiß wie oft er noch die Möglichkeit haben wird zu sprechen. Es scheint ihm so wichtig seine Beweggründe, sein Vorgehen und seine Visionen zu teilen. Er gibt einen ausführlichen Abriss der aktuellen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Situation Kubas, lässt keinen Zweifel daran bestehen, dass die Beseitigung der damaligen Missstände eines radikalen Umschwungs bedürfen und welche Schritte, ja sogar welche Gesetze die ersten Revolutionsgesetze ausmachen würden. Er gibt eine genauste Beschreibung des militärischen Vorgehens, der Stärken und Schwächen seiner Truppen und seiner Strategie – vielleicht um das Volk im Falle seines Verschwindens vorzubereiten, aufzuklären und den Kampf auch ohne ihn weiterzuführen?
„Ich weiß, dass ich für viele Jahre zum Schweigen gebracht werden soll; ich weiß, dass das Regime mit allen möglichen Mitteln versuchen wird, die Wahrheit zu unterdrücken; ich weiß, dass es eine Verschwörung geben wird, um mich in Vergessenheit zu begraben. Aber meine Stimme wird nicht erstickt werden – sie wird von meinem Innersten auch dann immer wieder auferstehen, wenn ich mich alleine fühle, und mein Herz wird ihr all das Feuer geben, das ihr die abgestumpften Feiglinge verweigern.“ – Fidel Castro, 1953
Vor allem aber ist Fidels Verteidigungsrede eine Anklage. Eine Anklage an das Regime Batistas und vor allem an das Blutbad, das bei der Ermordung der Gefangenen nach dem Moncada-Angriff veranstaltet wurde. Es sind Worte der Wahrheit, die ein Mann, der nicht weiß wie oft er noch zu Wort kommen wird, an die Welt richtet. Es sind weise gewählte Worte. Worte des Kampfes und der Entschlossenheit.
Was macht man eigentlich so im Gefängnis?
Fidel beschließt seine Rede nicht mit einer Bitte um Freispruch, sondern er fordert die Zusammenführung mit seinen Compañeros im Gefängnis, denn es sei verständlich, „dass ehrliche Menschen entweder tot oder im Gefängnis sein sollten in einer Republik, wo der Präsident ein Verbrecher und Dieb ist“.
Im Presidio Modelo wurden die Revolutionskämpfer nicht in den kreisrunden Panoptikumgebäuden untergebracht, sondern wurden gemeinsam in einen Saal des Spitals gepfercht. Zu dieser bevorzugten Behandlung kam es wohl einerseits durch ihren Status als politische Gefangene. Um weitere Aufstände im Volk zu verhindern, wurden politische Gefangene mit größerer Sorgfalt behandelt. Zum anderen hatte Fidel persönliche Verbindungen zum stellvertretenden Innenminister. Die Compañeros hatten die Möglichkeit in ständigem Austausch zu sein, ihnen wurde gestattet, eine Bibliothek und eine Schule im Gefängnis zu eröffnen. Durch die Lektüre und das Studium von Marx, Lenin und anderen einflussreichen Persönlichkeiten bereiteten sie sich theoretisch auf die Revolution vor. Es wurden strenge Regeln und Uhrzeiten eingehalten, monatliche Asambleas abgehalten, ein Präsident und Sekretär der Gemeinschaft der Gefangenen wurde gewählt und von Familie und Angehörigen erhaltene Güter wurden gemeinschaftlich geteilt – die 1953 begonnenen Anstrengungen waren nicht gescheitert, sondern stellten den Weg der Revolution dar. Der Kampfesgeist der Männer war keineswegs gebrochen. Im Gegenteil: Noch während der Haftzeit wurde Fidels „La historia me absolvera“ 20 000 Mal gedruckt und kursierte in der Bevölkerung. Oberstes Ziel war es, das Volk von der Notwenigkeit der Revolution zu überzeugen, denn ohne den Rückhalt im Volk kann keine Revolution stattfinden.
Die Geschichte, die mich bei unserem Besuch am meisten rührte, war die Vorstellung des folgenden Szenarios: Bei einem unangekündigten Besuchs Batistas im Presidio Modelo, welches damals als Vorzeigegefängnis gehandelt wurde, fanden sich die Gefangenen spontan zusammen. Sie beschlossen durch das kleine Fenster, welches zum Hof, in dem ein Begrüßungskomitee für Batista abgehalten wurde die sogenannte „Marcha del 26 de Julio“ zu singen. Batista schaute sich erstaunt und offenbar freudig um, um zu sehen, von wo der Begrüßungsgesang ihn erreichte. Beim genaueren Zuhören wurde ihm und dem Gefängnispersonal jedoch klar, dass es sich um die Revolutionskämpfer handelte, die ihre Hymne mit folgenden Zeilen beschlossen:
El pueblo de Cuba… sumido en su dolor se siente herido y se ha decidido… hallar sin tregua una solución que sirva de ejemplo a ésos que no tienen compasión y arriesgaremos decididos por esa causa hasta la vida ¡Que viva la Revolución! |
Das Volk Kubas… fühlt sich verletzt und hat sich entschieden… eine Lösung zu finden, die denjenigen als Beispiel dient, die kein Mitgefühl spüren und entschlossen geben wir für dieses Ziel unser Leben. Es lebe die Revolution! |
Als ich 63 Jahre später vor besagtem kleinen Fenster im Raum des ehemaligen Spitals stehe, sehe ich, wie das fade Licht einfällt. Für Museumszwecke ist der Raum heute mit den Betten der Gefangenen ausgestattet und unter dem Fenster hängt eine Steintafel mit den Worten der Hymne. Ich bekomme Gänsehaut. Ich laufe hier heute als Museumsbesucherin durch – vor 63 Jahren waren hier Menschen, die mit ihren Taten, ihrem Mut und ihrer Entschlossenheit Geschichte geschrieben haben, eine Geschichte, die das Leben so vieler verändert hat.
In diesem Sinne – ¡Que viva la Revolución!
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