Es war für mich der erste Dezember bei gefühlten 40 Grad, den ich in der im Oriente liegenden Provinz Santiago de Cuba verbracht habe. In der Keimzelle des Aufruhrs, wo der Funken der Revolution Feuer fing. In der Stadt, in der Fidel Castro Ruz zum ersten Mal in Cuba den Sieg der Revolution ausrief.
Wie es am Jahresende in der Rebellenstadt zugeht, konnte ich selbst erfahren.
Ich kam schon Tage vor dem 31. in Santiago an. Wie auch in La Habana wird fleißig geputzt, Häuser werden neu gestrichen und alles auf Hochglanz gebracht, um den perfekten Start ins neue Jahr zu ermöglichen. Wir sind bei Freunden von Freunden untergebracht, und die Santiagueros machen ihrem Ruf alle Ehre: wir werden, obwohl wir „nur Freunde von Freunden“ sind, auf Händen getragen. Als ich im Gespräch unserer netten Gastgeberin erkläre, dass wir als Solidaritätsgruppe hier sind und unsere Ferien in Santiago verbringen werden, wird mir entgegnet, dass wir unbedingt ins Museo de la Lucha Clandestina (Museum des Untergrundkampfes) müssten. Das Museumsgebäude war während der Diktatur Batistas eine Kaserne, welche am 30.November 1956 von Aktivisten der M-26-7 (Movimiento 26 de Julio, die Rebellenbewegung, die am 26.Juli aus dem gescheiterten Ansturm auf eine Kaserne entstanden ist und auch im weiteren Verlauf des Widerstands gegen Batista eine treibende Kraft darstellte) gestürmt wurde. Das Museo de la Lucha Clandestina ist dem Untergrundkampf der Rebellen gegen Batista gewidmet.
Sie betont, dass die Santiagueros die „mas patrioticos y mas revolucionarios“ (patriotischsten und revolutionärsten) Cubas seien, da die Revolution hier begonnen und der Kampf hier stattgefunden habe. In Anbetracht dessen, dass sich hier der Hauptspielort des ersten und zweiten Unabhängigkeitskampfes abspielte, sowie sich der Überfall auf die Moncada Kaserne als Startsignal der Revolution und die berühmte Rede Fidel Castros „die Geschichte wird mich freisprechen“ ebenfalls hier in Santiago ereigneten, ist das revolutionäre Bewusstseins in der Bevölkerung besonders spürbar. (Artikel zum Patriotismus)
Auf dem Weg zum Museo laufen wir an der Feria, dem Markt vorbei. Sieht nicht nach einem gewöhnlichen Markt aus, da es viel mehr einfache kleine Verkaufsstände verteilt an den unterschiedlichsten Flecken der Stadt sind, an denen wir vorbeilaufen. An der Straße entlang sind viele Camiones (kleine Lastwagen) geparkt, die mit Obst und Gemüse beladen sind, an denen sich lange Schlangen gebildet haben. Auch als wir an einem Parque (Park) vorbei kommen, begegnen wir vielen Marktstände an denen Kuchen und andere Süßwaren verkauft werden. Das besondere an der Feria ist, dass alles was hier verkauft wird besonders günstig erhältlich ist, sodass sich jeder zu Jahresende mehr leisten kann als sonst. Hier wird nämlich viel mehr das „Fin de aňo“ (Jahresende) gefeiert als Weihnachten, deshalb verkauft der Staat schon drei Tage vor dem 31. Dezember, regelmäßig zum Jahresende auf der Feria zu extrem subventionierten Preisen Obst, Gemüse und andere Lebensmittel, um gewährleisten zu können, dass sich die Menschen in jedem Barrio (Viertel) ein gutes Festmahl zubereiten können.
Ich bin erstaunt, dass der Staat, trotz ökonomischer Schwierigkeiten den KubanerInnen weiterhin dies ermöglicht. Ich muss an die berühmte Verteidigungsrede Fidel Castros denken, in welcher er das Batista-Regime für die sozialen Missstände angriff und erklärte, dass nicht ihr Widerstandskampf unbegreiflich sei, wie es von Batista (und u.a. von bürgerlichen HistorikerInnen) dargestellt wurde, sondern „dass hier Kinder leben, die medizinisch nicht betreut werden, dass 30 Prozent unserer Bauern ihren Namen nicht schreiben können und 99 Prozent von ihnen die Geschichte Kubas nicht kennen. Unvorstellbar ist, dass die Mehrheit der Familien auf dem Land unter schlechteren Bedingungen lebt als die Ureinwohner, die Kolumbus hier einst vorfand – im schönsten Land, das Menschenaugen je erblickt haben“.
Ich denke an Weihnachten und Silvester in Deutschland und der Unterschied zwischen dem Charakter des deutschen Staates zum kubanischen Staat wird mir wieder einmal sehr deutlich: in Deutschland werden diese Feste so kommerzialisiert, dass unter vielen anderen Konzernen, die Nahrungsmittelketten noch mehr Profit machen, die Werbung die es dann im Weihnachtsdesign gratis dazugibt, soll dazu anregen. Allein der Konsum steht im Vordergrund, nicht die Bedürfnisse der Menschen. In Santiago erlebe ich, wie der kubanische Staat dafür sorgt, dass sich wirklich alle KubanerInnen am Jahresende ein gutes Festmahl leisten können. Zwar sind auch in Kuba gewisse Unterschiede des Lebensstandards, wenn auch in einer viel kleineren Dimension, vorhanden. In einem hochentwickelten und eines der reichsten Länder der Welt wie Deutschland jedoch ist die Kluft zwischen Arm und Reich so groß ist, wie noch nie. Dies lässt sich aber logisch nachvollziehen, da der Kapitalismus notwendigerweise diese Entwicklungen mit sich bringt.
Der große Tag
Am Morgen des 31. sind alle schon früh auf den Füßen um die letzten Einkäufe zu erledigen und um das Essen vorzubereiten. Die Tochter der Gastgeberin kommt gegen Mittag zu mir ins Zimmer und ruft mich äußerst hektisch raus. Ich verstehe erst gar nicht was los ist, höre nur die Musik von draußen immer lauer dröhnen. Resignierend gebe ich das Nachfragen auf und folge ihr nach draußen, wo ich Menschen aus dem Barrio rhythmisch zu der Konga (afrokubanische Musik) tanzen sehe. Alle strömen aus ihren Häusern und laufen tanzend ins nächste barrio.
Verschwitzt vom Tanzen kommen wir dann zu Hause an und versuchen uns auszuruhen, denn heute werden wir nicht mehr schlafen. Am Abend wird viel und gut gegessen, getrunken und getanzt, alles gemeinsam im barrio (Viertel) mit den Nachbarn oder im Parque de Cespedes im Stadtzentrum. Um 22 Uhr versammeln sich dann alle am Parque an dem Gebäude, vor dem Fidel Castro zum ersten Mal in Cuba die Revolution ausrief. Das sogenannte „Acto de la bandera“ findet nämlich statt, immer zum Jahresende. Dabei handelt es sich um eine Kulturvorstellung, die allen Menschen offen steht. Ich sehe auch neugierige TouristInnen im parque, die sich die Vorstellung ansehen, mit welcher sich Santiago als wichtige Kulturmetropole Cubas wieder einmal auszeichnet. Es werden kulturelle Tänze der afrokubanischen Kultur vorgeführt, Gedichte und Lieder vorgetragen und zum Schluss von unterschiedlichen Personen eine kurze politische Rede gehalten. Kurz bevor es zum großen Acto kommt, wird zu Ehren Fidel Castro Ruz´ das berühmt berüchtigte Lied gesungen, das kurz nach seinem Tod geschrieben wurde. „Socialismo o muerte, venceremos“ (Sozialismus oder Tod, wir werden siegen!) Rufe erklingen.
Es wird kurz dunkel und als die Lichter wieder angehen, sieht man junge Männer und Frauen in Uniform eine riesige kubanischen Flagge auf die Bühne tragen und genau eine Minute vor 00:00 Uhr wird die Flagge gehisst. Dann umarmen und beglückwünschen sich alle, wie in Deutschland auch. Musik ertönt aus den Anlagen und es wird getanzt, getrunken und neben mir trocknet sich eine alte Dame die Tränen.
Dieser Artikel ist von Dilara. Hier geht es zu weiteren Artikeln von ihr.