Es ist ein schwüler Freitagnachmittag, die Arbeiter der umliegenden Baustellen versammeln sich um die Bars an den Straßen, weißer Staub auf ihren Arbeitsklamotten und oft ein Bier in den mit Fugen und Rillen versehenen Bauarbeiterhänden. Die Vögel zwitschern, die Autos rattern über den Asphalt und von irgendwoher scheppert der monotone Bass eines neuen Reggeatónhits herüber.
Ich stehe an der Straße, halte den rechten Arm raus und signalisiere den vorbeiziehenden Kollektivtaxen, durch ein Hin- und Herschwenken meiner Hand, in welche Richtung ich gerne fahren würde. Einen kurzen Augenblick später zieht ein weißer Lada auf die rechte Spur, verlangsamt sein Tempo und bleibt neben mir stehen.
„¿La Habana?“
rufe ich durch das runtergekurbelte Fenster dem Fahrer zu.
„¡Vamos!“
ist die kurzangebundene Antwort, und ich steige ein.
Schnell komme ich mit dem Fahrer des weißen Lada´s, einem Mitte 50 jährigen Mann mit Nickelbrille, Drei-Tage-Bart und grünem Hemd, ins Gespräch. José, glücklich verheiratet und Vater von zwei kleinen Töchtern, wohnt zusammen mit seiner Familie, inklusive Vater und Mutter seinerseits, in einem Haus am Rande von Playa, dem Viertel Havannas, in welchem auch ich wohne. Es stellt sich heraus, dass er an der selben Universität wie ich, der CUJAE, studierte. Mittlerweile arbeitet José in einer Werkstatt, die sich auf den Austausch von Motoren spezialisiert hat. Auf dem Nachhauseweg nimmt er meistens ein paar Leute in seinem Auto mit, um sich wie viele Kubaner noch etwas dazu zuverdienen.
Wie so oft bei Gesprächen mit Kubanern, befinden wir uns nach nur wenigen Minuten inmitten einer politischen Diskussion. Anlass hierfür ist eine Gruppe von Jugendlichen am Straßenrand, von denen einer komplett in den Farben der US-Amerikanischen Flagge gekleidet ist. Ohne dass ich gefragt hätte, schießt es aus José raus:
„¡Chicos!, ¿que estupidos son?“
Dabei fasst er sich mit der rechten Hand an die Stirn, vergisst dabei zu schalten und würgt beinahe den Wagen ab.
Ein sehr fülliger Mann und eine noch fülligere Frau stehen am Straßenrand und strecken ihre Arme aus, wir halten neben ihnen an.
„¿La Habana?“
Ruft die Frau durch das Fenster.
„¡Vamos!“
Und nach kurzem Gequetsche im hinteren Teil des Lada´s nehmen wir wieder Fahrt auf.
José berichtet mir immer noch kopfschüttelnd über die subversive Arbeit hier auf Kuba. Die Zeiten haben sich geändert. Vor Anschlägen und militärischen Invasionen hätte man mittlerweile nicht mehr allzu große Befürchtungen. Stattdessen würden gezielt Informationen unter das Volk gestreut werden, die dazu führen sollen, dass die heranwachsende Generation an Kubanern dafür sorgen wird dem Sozialismus abzudanken. Die Mittel dafür seien jedoch subtiler geworden. Man versuche Kapitalismus schmackhaft zu machen und die Jugend zu verblöden. Das scheint bei einigen bereits zu fruchten.
Dabei nickt er mit dem Kopf in die Richtung der Jungs, an denen wir gerade vorbeigefahren sind.
Auf meine Frage, wer denn ein Interesse an der subversiven Arbeit in Kuba habe, lacht José belustigt auf. Es gäbe da einige Exilkubaner und Systemkritiker in den USA, die berechtigter Weise ziemlich schlechte Laune bekommen würden, wenn man sie auf die Entwicklung Kubas nach 1959 ansprechen würde. Auch die CIA habe ihre Finger im Spiel und was die genau alles planen, davon wolle José lieber gar nichts wissen.
Gerade jetzt sei die Solidarität zwischen den Menschen wieder enorm wichtig.
Es folgt ein nicht enden wollender Diskurs, welcher den gesamten kubanischen Unabhängigkeitskampf, den Tod Fidel Castros, die Zukunft des Landes und den sich immer wiederholenden Kampf der Unterdrückten gegen ihre Unterdrücker umfasst. Nebenbei lässt José fallen, dass sein Vater Professor an einer Militärschule war und seine Familie noch heute freundschaftliche Beziehungen pflegt, die bis in das Politbüro der Kommunistischen Partei reichen.
Als ich von unserer Arbeit als Proyecto Tamara Bunke hier auf der Insel berichte, verwandelt sich Josés Miene in ein warmherziges Strahlen.
Es sei unfassbar, mit welchen Methoden gegen Kuba gehetzt werden würde. Als einzige logische Erklärung dafür sieht José die Angst der einflussreichen Kapitalisten vor den Früchten des Sozialismus. Ich solle mir mal vorstellen, wie sich Kuba ohne die Wirtschaftsblockade der USA entwickelt hätte und was dieses Beispiel einer funktionierenden Gesellschaft für einen enormen Einfluss auf ganz Lateinamerika gezeigt hätte. Noch einen Schritt weitergedacht sei es sowieso wahnsinnig, wie wir als Menschheit miteinander umgehen würden. Anstatt gemeinsam und füreinander zu wirtschaften konkurrieren wir wie Kleinkinder, die sich im Sandkasten um die größere Schaufel streiten, darum, wer mehr besitzt, mehr Einfluss hat, letztendlich darum, wer sich am unsolidarischsten verhält.
Mit einem Anflug von schlechtem Gewissen, unterbreche ich José´s Diskurs durch den Hinweis, dass ich an der nächsten Straßenecke gerne aussteigen würde.
„Claro, Chico“
Ist die einfache Antwort und der Wagen hält an. Ich bedanke mich bei José für das Gespräch und reiche ihm einen zehn Peso Schein als Bezahlung für die Fahrt durch das Fenster. Doch dieser fängt plötzlich an zu lachen, schüttelt belustigt seinen Kopf und ruft mir zum Abschied aus dem Fenster zu:
„Ich bin Sozialist und kein Taxifahrer“
Der Wagen rollt los, Josés Lachen geht in dem Motorengeräusch unter und während ich noch völlig perplex mit meinem Geldschein in der Hand an der Kreuzung stehe, beschleicht mich mal wieder das Gefühl, dass ich dieses Volk wohl niemals so ganz verstehen werde.