Sport, Gesundheit und Körperkultur auf Kuba – Ein Gespräch mit Ex-Profisportler und Fitnesstrainer Daniel Fabian Esmil Cruz

1022250e9ac36263b7-e1438552015989Auf Kubas Straßen sieht man viele gut gestylte und sportliche Menschen. Trotz des, durch die Wirtschaftsblockade aufrechterhaltenen Mangels an diversen Baumaterialien und Nahrungsmitteln scheinen viele Kubaner*innen sehr auf ihr Äußeres zu achten und Sport zu treiben und vor allem die Ressourcen dafür zu haben. Ich sehe an jeder Ecke Outdoor-Fitnessparks, Fußball-, Basket-, und Baseballplätze sowie kleine Fitnessstudios, die immer in Benutzung zu sein scheinen. Ich frage mich inwiefern die Begeisterung vieler Kubaner für Sport mit ihrem Hang zum immer gepflegt und fit  sein zusammenhängt. Was spielen Sport und äußeres Erscheinungsbild überhaupt für eine gesellschaftliche Rolle und welche Bedeutung hat dabei der Aspekt der Gesundheit? Um über diese Themen mehr zu erfahren, habe ich mich mit Ex-Baseballprofi und Fitnesstrainer des Studios Buena Vista Gimnasio Daniel getroffen.

Daniel, welchen Sport treibst, bzw. hast du in deinem Leben bereits getrieben und auf welchem Niveau? Was qualifiziert dich dazu als Fitnesstrainer zu arbeiten?

Ich habe bereits in der Mittelstufe mit Leichtathletik und Baseball angefangen, dem Baseball aber immer den Vorrang gegeben. Als sich meine Karriere als Profibaseballspieler anbahnte, habe ich mich nur noch auf Baseball konzentriert und die Leichtathletik aus den Augen verloren.

Ich habe Sport an der Universität Havanna studiert und war darüber hinaus drei Jahre Profispieler  in der 1. Baseballliga Kubas und habe für das Team der „Metropolitanos“ aus Havanna gespielt. Nachdem ich meine Schulter verletzte, musste ich meine Profikarriere beenden, habe jedoch danach an der „Academia Central de Beisbol de Cuba“ in Havanna als Trainer gearbeitet, Talente gefördert und auf ihre Profikarriere vorbereitet. 

Und wie würdest du deine Tätigkeit jetzt beschreiben? Was ist deine Aufgabe im „Buena-Vista Gimnasio“?

Hier in unserem Studio werden in erster Linie zwei Arten des Kraftsports praktiziert. Auf der einen Seite Gesundheitstraining auf der anderen ein Sport, der sich erst in den letzten Jahren etabliert hat und „Crossfit“ genannt wird.Wir lehren hier alles was mit Bodybuilding, Gewichtheben, Crossfit und kardiovaskulärem Training zu tun hat. Die Menschen kommen mit unterschiedlichsten Voraussetzungen hierher. Einige haben Übergewicht woraus sich Probleme mit den Knochen und Organen ergeben, andere haben Diabetes, andere wollen nur ihr äußeres Erscheinungsbild verbessern wieder andere kommen mit Depressionen zu uns und suchen ein Ventil, um Stress abzubauen. Unsere Klienten sind zwischen 14 und 80 Jahren alt. Meine Aufgabe ist es, für jeden den richtigen Weg zu finden. Jeder hat seine individuellen Probleme und Stärken und damit müssen wir arbeiten. In erster Linie geht es mir darum, dass meine Klienten sich besser fühlen. 

Welche Sportarten sind auf Kuba wichtig, welche spielen die größte gesellschaftliche Rolle?

Das Allerwichtigste war und ist bis heute Baseball.Wir spielen sowohl national als auch international auf einem sehr hohen Niveau.Unser Nationalteam ist eines der besten der Welt und viele Teams der „Major League of Baseball“ versuchen Profis von uns abzuwerben. Überall auf der Straße wirst du Jugendliche finden, die Baseball spielen. Ich denke der zweitwichtigste Sport auf Kuba ist die Leichtathletik. Viele treiben diesen Sport und auch hier sind wir international immer vorne mit dabei. Danach folgen Boxen und Volleyball. Was für das ganze kubanische Volk in den letzten Jahren sehr wichtig geworden ist, ist der Fußball. Vor allem die spanische und deutsche Liga wird von vielen Kubaner*innen verfolgt und viele spielen regelmäßig Fußball im Verein oder auf der Straße. Obwohl er noch nicht das Niveau von Baseball oder Leichtathletik erreicht hat, da vor allem die Ressourcen – also Trainer und professionelle Talentförderung – fehlen, ist der Fußball mittlerweile fast genauso wichtig. Man muss jedoch sagen, dass auf Kuba eine sehr sehr gute Basis existiert, um in den nächsten Jahren mehr Professionalität in diesen Sport zu bringen. Der Wille und die Leidenschaft für den Sport existieren auf jeden Fall schon.

Damit kommen wir auch schon zur nächsten Frage, die ich hier anschließen möchte. Welche Bedeutung hat Sport auf Kuba generell in Hinblick auf Kultur und Geschichte, gibt es Unterschiede zu anderen Ländern?

In den ersten Jahren nach der Revolution hat vor allem Fidel sehr viel Einfluss auf die gesellschaftliche Verankerung des Sports genommen. Er selbst hat den Sport immer sehr geliebt und selbst Baseball gespielt und geboxt. Für ihn war es wichtig, dass der Sport seinen festen Platz in der Gesellschaft hat und dafür auch die Ressourcen bereitstehen. Dies hat er sehr gut umgesetzt. Es wurden viele Sportplätze, Stadien und Sporthallen gebaut, an den Schulen gibt es viele Sportlehrer und er war immer allen ein Vorbild, wenn es um ein sportliches und gesundes Leben ging. Durch diese Entwicklung ist der Sport sehr schnell Teil der kubanischen Kultur geworden. Auch heute noch stellt der Staat alles bereit was zur Verfügung steht, damit so viel wie möglich Sport getrieben werden kann. Ich würde sagen, dass es heute keinen Kubaner gibt, der sich nicht für irgendeinen Sport begeistert, auch wenn nicht alle selbst Sport treiben. Es ist Teil von uns allen geworden und jeder Kubaner trägt diesen Teil der Kultur in seinem Blut. Sport auf Kuba heißt Leidenschaft. Es ist also unglaublich wichtig, dass wir den Sport in unseren Alltag integrieren. Und das wir die Basis dafür haben, dafür danke ich Fidel. 

Insbesondere in den letzten 10 Jahren hat sich in Europa und Nordamerika eine große Fitnessszene entwickelt und viele Jugendliche, aber auch Erwachsene laufen zu Scharen in Fitnessstudios. Welchen Einfluss hat die Entwicklung dieses Körperkults auf die Jugend Kubas? Durch welches Medium gelangen diese Einflüsse nach Kuba?

Ich würde sagen, dass der Kraftsport noch nicht viel in dieser Art und Weise auf Kuba praktiziert wird. Wir haben sehr viele Orte an denen Gewichtheben und vor allem Crossfit auf einem sehr hohen Niveau und sehr professionell betrieben wird. Das ist für viele Jugendliche sehr wichtig, da sie nicht nur ihr äußeres Erscheinungsbild verbessern, sondern auch sportlich Leistung bringen wollen. Auf der anderen Seite wird sich natürlich auch viel am Trend in den entwickelten kapitalistischen Ländern orientiert und gerade die Jugend will da immer auf dem neusten Stand sein. Daher entwickelt sich seit zwei Jahren immer mehr der Trend einfach nur ins Fitnessstudio zu laufen und ein paar Gewichte in die Hand zu nehmen, um sportlicher und athletischer auszusehen.

Diesbezüglich schließt sich direkt meine nächste Frage an: Auf der Straße sehe ich viele Jugendliche und junge Erwachsene, die einen sehr sportlichen Eindruck machen und auf ihre Ernährung zu achten scheinen. Welcher Aspekt überwiegt? Der gesundheitliche und sportliche oder der der Ästhetik?

Wenn wir von den Leuten sprechen, die wirklich große Muskelmassen mit sich herumtragen, dann würde ich sagen, dass es die Ästhetik ist, die dominiert. Dazu muss ich sagen, dass die Kubaner*innen an sich einfach ein sehr, sehr stolzes Volk sind. Es ist immer wichtig gut auszusehen und sich präsentieren zu können. Das war aber auch schon vorher so. Es war immer wichtig ein gutes Bild abzugeben. Das ist nichts was aus dem Ausland gekommen ist. Seit der Trend des Kraftsports aufgekommen ist, hat sich das Ideal des körperlichen Erscheinungsbilds etwas verändert. Trotzdem ist der gesundheitliche Aspekt nicht unwichtig und wie ich dir bereits erklärt habe, ist der Sport ein Teil unserer Kultur. Ich denke dies lässt sich in erster Linie auf die Leute beschränken, die die verschiedenen Kraftsportenarten praktizieren. Bezüglich der Ernährung muss ich leider sagen, dass bei vielen das Bewusstsein fehlt, wie man sich gesund und ausgewogen ernährt. Darüber hinaus sind wir als sozialistisches Land seit Jahrzehnten der Wirtschaftsblockade ausgesetzt und es ist gar nicht möglich langfristig seine Ernährung zu planen, da man nie weiß, was es morgen auf dem Markt geben wird. Ich muss jeden Tag aufs neue überlegen, was ich heute essen werde. Es wird zwar viel vom Staat dafür getan, um ein Bewusstsein zu entwickeln – Bildungsprogramme in Bildungseinrichtungen, Betrieben und im Fernsehen – da aber eine langfristig gute Ernährung wegen der Lebensmittelversorgung quasi unmöglich ist, beschäftigen die Menschen sich nicht länger damit. Es interessiert sie nicht, was sie sowieso nicht umsetzen können. 

Du würdest also sagen, dass gesunde Ernährung keine große Rolle auf Kuba spielt?

Es ist schon wichtig. Und die Menschen wissen sehr viel. Sie wissen was Kohlenhydrate, Proteine, Fette und Mikronährstoffe für eine Rolle spielen, wie sie verteilt sein sollten. Es ist die Basis die fehlt. Der Zugang zu Nahrungsmitteln die eine vernünftigen Verteilung dieser Nährstoffe gewährleistet ist einfach nicht vorhanden. Also wird zum Decken des täglichen Bedarfs viel Fett und Zucker konsumiert. Es spielt keine Rolle was gegessen wird. Hauptsache es wird gegessen. Wie ich dir bereits sagte, wir leben von Tag zu Tag und dementsprechend machen wir uns keine großen Gedanken darum was gesund und adäquat ist. Es ist ein Zusammenspiel aus fehlendem Wissen und fehlendem Zugang. Man könnte sich auf jeden Fall besser ernähren, dies würde ab und an dann eben etwas mehr Aufwand beim Einkaufen und kochen erfordern. Der Staat versucht viel dafür zu tun, damit sich dies ändert und sich ein Bewusstsein entwickelt, was es heißt, sich wirklich gesund zu ernähren. Für Kinder und alte Menschen werden ja zum Beispiel auch mehr subventionierte Lebensmittel zur Verfügung gestellt. Aber da wir lange mit vielen Mängeln zu leben hatten und es teilweise immer noch tun, braucht dies alles seine Zeit. Die ganze Welt weiß, jedes Land hat so seine Probleme. Gesellschaftlich, ökonomisch, politisch. Wir stehen aber vor einem Problem auf einem ganz anderen Niveau. Wir müssen mit der US-amerikanischen Wirtschaftsblockade leben. Was die Politik auch tut, Probleme wie die der Lebensmittelversorgung werden sich erst dann ganz lösen lassen, wenn diese Blockade aufgehoben wird und wir einen Zugang zu preiswerten Lebensmitteln haben, die wir hier auf Kuba eben nicht haben sondern importieren müssen. 

Kommen wir also zu meiner letzten Frage, die du teilweise schon ein bisschen beantwortet hast. Auf der einen Seite, sehe ich wie gesagt viele fitte Leute, auf der anderen sehe ich aber auch einige übergewichtige und unsportliche. Dies scheint aber nicht ihr Selbstbewusstsein zu schmälern. Viele laufen trotzdem in sehr enger und knapper Bekleidung herum. Würdest du sagen, dass dies ein Ausdruck davon ist, dass auf Kuba ein anderes Schönheitsideal vorherrscht, oder liegt es daran, dass viele Kubaner weniger auf das Äußere achten?

Es gibt solche und solche. Klar, auch auf Kuba existiert viel Übergewicht. Dies liegt aber nicht nur an fehlendem Bewusstsein. Der Körper spielt bei der äußeren Erscheinung nicht immer eine wichtige Rolle. Was viel wichtiger ist, ist ein gepflegtes Aussehen und sich gut zu kleiden. Wie ich dir bereits sagte, die Kubaner sind ein sehr stolzes Volk. Da wir in vielen anderen Bereichen mit großen Mängeln zu kämpfen haben, ist gerade das Aussehen ein sehr wichtiger Punkt. Egal ob sportlich oder nicht. Beide lieben es sich herauszuputzen und sind selbstbewusst. Übergewicht oder nicht, das spielt keine Rolle. Ich würde nicht sagen, dass bei uns ein anderes Schönheitsideal existiert. Es ist nur nicht so sehr auf die körperliche Fitness konzentriert. Der Selbstwert eines jeden Kubaners ist in der Regel sehr hoch. Dieser Selbstwert ist nicht so sehr abhängig von Bestätigung durch außen sondern orientiert sich in erster Linie an den eigenen Errungenschaften. Außerdem scheint sich jeder einzelner einer Sache bewusst zu sein: Was für eine Figur ich auch habe, es wird immer jemanden geben, dem ich so gefalle.

Daniel, vielen Dank für deine Zeit und deine Meinung, wir sehen uns morgen früh aufs Neue. 

Das was Daniel mir sagte, spiegelt für mich sehr meine eigenen Erfahrungen wieder. In den Universitäten gibt es jeden morgen Sportangebote. Von allen möglichen Kampfsportarten, über Fußball und Basketball hin zu olympischem Gewichtheben, Aerobic und Tanzen. Und das alles kostenlos. Diese Programme werden von vielen jungen Studenten regelmäßig wahrgenommen und man sieht schon morgens um acht einen Haufen Jugendlicher auf den Sportplätzen der Universitäten. Es fehlt nicht an der Motivation Sport zu treiben und auch nicht am Selbstbewusstsein der Kubaner. Was fehlt ist eine adäquate Lebensmittelversorgung. Doch wie Daniel bereits sagte, ist diese nur möglich, wenn die Blockade aufgehoben wird und Kuba wieder Zugang zu anderen Märkten erhält. Die Situation der Lebensmittelversorgung veranschaulicht sehr gut, inwiefern sich die Wirtschaftsblockade auf das alltägliche Leben auf Kuba auswirkt und dass es nicht nur das „böse kommunistische Regime“ und dessen Wirtschaft ist, die darunter leiden, sondern das gesamte kubanische Volk.

Quelle des Fotos: http://xpatnation.com/can-cuba-and-the-major-baseball-league-be-a-match-made-in-heaven/

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