Ökologische Nachhaltigkeit ist schon lange kein Fremdwort mehr. Obwohl fast jedem mittlerweile bekannt ist, dass wir mehr verbrauchen, als die Natur an Ressourcen bietet oder wiederherstellen kann, wird die Frage zur Lösung dieser Problematik im Großteil der Welt in erster Linie von NGOs diskutiert und öffentlich angegangen. Durch Klimagipfel werden allenfalls Lösungen zum Aufschieben der Problematik gefunden und die Inhalte bleiben Richtlinie, sind für die Vertragspartner aber nicht bindend. Der Markt bleibt gesellschaftlich relevantestes Äquivalent und wirtschaftliche Interessen erhalten so gut wie immer eine höhere Priorität, als die Frage des nachhaltigen Lebens.
Die Ursachen liegen im neoliberalen Entwicklungsmodell, das keinen Gedanken an den Schutz natürlicher Ressourcen verschwendet und das Wirtschaftswachstum regelrecht glorifiziert. Dabei ist Wachstum keineswegs ein Synonym für steigenden Wohlstand. Dabei bedeutet es meistens nur, dass sich wenige Menschen an der Arbeit vieler bereichern, während die Mehrheit dafür in prekären Lebenssituationen lebt. Aus rein kapitalistischer Sichtweise wird der Natur ein materieller Wert zugeordnet, um sie als „natürliches Kapital“ zu nutzen.
In Lateinamerika, insbesondere auf Kuba, in Ecuador und Bolivien zeichnet sich nun seit einiger Zeit ein anderer Trend ab. Das Konzept „Buen Vivir (Gutes Leben)“, dass auf dem sozialen und solidarischen Zusammenleben miteinander und der Natur beruht, ist seit 2008, beziehungsweise 2009, in Ecuador und Bolivien in der Verfassung verankert.
Der Mensch wird als Teil der Natur betrachtet, wodurch ein direkter Zusammenhang zwischen Menschenrechten und den Rechten der Natur hergestellt wird. Die zwar in der Praxis noch im kapitalistischen Rahmen verwirklichten Merkmale haben durchaus einige sozialistische Komponente. Das Motto lautet: „Gemeinschaftliches Zusammenleben auf niemandes Kosten“. Die grundsätzlichen Werte dieses Konzeptes lassen sich durch Begriffe wie gleiches Recht auf ein würdevolles Leben, das Bildung, Arbeit, soziale Sicherheit, ausreichend Nahrung und Trinkwasser, Unterkunft und Gesundheit beinhaltet, benennen. Anstatt Fortschritt, Wettbewerb, Konsumismus, Individualismus und Eigentum stehen Werte wie Wissen, kulturelle Anerkennung, Freiheit und Gleichheit im Mittelpunkt. Gut zu leben, ist also nicht gleichzusetzen mit dickem Auto, vollem Portmonee und Zwerg im Vorgarten. Es geht darum jedem ein Leben in Würde zu verschaffen und gleichzeitig die Welt in der wir leben zu erhalten. Dies wird in der Praxis vor allem durch die Verstaatlichung von Produktionsmitteln und Umverteilung und den gleichen Rechten aller an allen natürlichen Ressourcen, die in Ecuador und Bolivien in der Verfassung festgehalten sind, garantiert. Die Rechte der Natur können vor Gericht eingeklagt werden. Ecuador verzichtet zum Beispiel seit 2007 auf die Erdölförderung im Yasuní Nationalpark und büßt damit schwere wirtschaftliche Verluste ein. Zudem wurde das Waldschutzprogramm „Programa Socio Bosque“ ins Leben gerufen, in dessen Rahmen indigenen Gemeinden und privaten Waldbesitzern Ausgleichszahlungen zukommen, wenn sie sich zu langfristigem Waldschutz verpflichten. In Bolivien wurde die nationale Erdgasförderung komplett verstaatlicht und regional werden individuelle Gestaltungs- und Partizipationsmöglichkeiten in der Politik vorangetrieben, um insbesondere die indigenen Gemeinden zu fördern, die vorher größtenteils vernachlässigt, wenn nicht entrechtet waren.
In der Medienwelt wird Kuba diesbezüglich nur selten erwähnt. Es ist bequemer der vorgegebenen antikubanischen Haltung zu folgen, die meist auf stark verzehrten Fakten oder gar gänzlich erfundenen Aussagen beruht, anstatt die Errungenschaften dieses kleinen und wirtschaftlich benachteiligtem, gerade im Bezug auf Nachhaltigkeit jedoch effizienten Landes zu ergründen. Internationale Studien, wie zum Beispiel der „Living Planet Report“ des WWF oder der „Human Development Index“ belegen immer wieder die fortschrittliche Umwelt- und Sozialpolitik Kubas. Kubas Regierung steht in engem Austausch mit der Ecuadors und Boliviens, um gemeinsam in diesen Bereichen nachhaltige Lösungen zu finden. Allgemein verbindliche Basis des gesellschaftlichen Handelns ist der Artikel 27 der kubanischen Verfassung. Dieser besagt, dass „Der Staat die Umwelt und die natürlichen Ressourcen des Landes schützt. […] Es ist die Pflicht der Staatsbürger zu diesem Schutz beizutragen.“
So ist die Bewaldung der Insel seit ihrer Entdeckung bis 1959 von 90% auf 14% geschrumpft. Seit dem Triumph der Revolution ist dieser Anteil durch groß angelegte Wiederaufforstungsmaßnahmen wieder auf 24% gestiegen. 10% des Staatsterritoriums genießen „Naturschutz von besonders hoher Priorität“.
Die auf dem Erdgipfel 1992 in Rio de Janeiro verabschiedete Agenda 21 wurde von Kuba umgehend ratifiziert und alsbald begann die Umsetzung. Zum Beispiel wurde mit der Gründung des Umweltministeriums CITMA die Umweltpolitik Kubas auf eine neue Ebene der politischen Agenda gehoben. Es wurden umfassende Schulungsprogramme in Bildungseinrichtungen, Betrieben und den öffentlichen Medien ins Leben gerufen, um die Bevölkerung zu stärkerer Partizipation in diesem Bereich zu bewegen. Darüber hinaus beteiligt sich das Land seitdem an diversen internationalen Umweltprogrammen, arbeitet mit dem WWF und anderen NGOs zusammen und hat in den letzten Jahren zahlreiche Auszeichnungen von UNESCO, UNEP, WHO, etc. für sein Engagement erhalten. In einer international vergleichenden Studie der Yale University und der Colombia University landet Kuba auf Platz 8 der nachhaltigsten Länder der Welt.
Diese Intensivierung fand in Zeiten der Spezialperiode seinen Anfang. Zu Beginn der 1990er war Kuba gezwungen den Energieverbrauch drastisch zu senken (Lorenz Artikel Wirtschaftsanalyse Teil 1). So wurde die bereits übliche Bewusstseinsbildung intensiviert, eigene fossile Vorkommen wurden erschlossen, regenerative Energien gefördert und der internationale Austausch in diesen Punkten verstärkt. So wurden flächendeckend Windkraft-, Wasserkraft- und Solarzellstationen aufgebaut und werden weiterhin gefördert. Der Energieplan für einen „nachhaltigen und wohlhabenden Sozialismus“ strebt bis 2030 einen Anteil von 24% der erneuerbaren Energien an der gesamten Stromproduktion an. In Landwirtschaftskooperativen wird seit einigen Jahren auf eine sehr nachhaltige Wirtschaft hingearbeitet, mit umweltschonenden Düngern und langfristig geplanter Kultivierung unterschiedlicher Pflanzen, um die Böden nicht einseitig auszubeuten, sondern eine Wiederherstellung der Nährstoffe zu gewährleisten. Kinder aus der Nachbarschaft werden in diese Projekte miteinbezogen und bekommen früh die Möglichkeit ein Bewusstsein zu entwickeln.
2006 hat dann die auf Kuba ausgerufene „Energierevolution“ einige Änderung im Alltag nach sich gezogen. Fidel Castro kommentierte diese Neuerung mit den Worten: „Wir warten nicht, bis Treibstoffe vom Himmel fallen, denn wir haben zum Glück etwas sehr viel Wichtigeres entdeckt:
Energieeinsparung – was so viel wert ist wie große neue Ölvorkommen zu entdecken.“
So wurden zum Beispiel 2,5 Millionen Kühlschränke über ein staatliches Programm durch deutliche energieeffizientere Geräte ersetzt. Landesweit stieg man von Glüh- auf Sparlampen um. Außerdem wurde die Energiegewinnung flächendeckend modernisiert und dezentralisiert.
Mit Erfolg: 200 Millionen Euro werden jährlich durch den Austausch der Kühlschränke und vier Prozent des Gesamtstromverbrauchs Kubas durch den Umstieg auf Sparlampen gespart.
Als eines der ärmsten Länder der Welt arbeitet Kuba mit am besten daraufhin, den Spagat zu schaffen, der in der kapitalistischen Welt meist als Interessenkonflikt ist. Verteidigung sozialer Errungenschaften wie die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln, kostenloser Unterkunft, Bildung, Gesundheitsversorgung und Zugang zu Kultur müssen also nicht mit unserer Umwelt im Konflikt stehen. Vorsitzender des Lateinamerikabüros der UNEP findet für dieses Phänomen die richtigen Worte: „Das Konzept von liberalisiertem Handel ohne Staatslenkung hat nicht funktioniert“. Wir können diese Welt nicht denen überlassen, für die ihr persönlicher wachsender Wohlstand eine höhere Priorität darstellt. Innerhalb eines System, in dem nicht der Mensch sondern die Bereicherung einiger Weniger im Fokus steht, können die Lebensgrundlage der vielen Ausgebeuteten nicht vor die Profite einzelner gestellt werden. Wir müssen die materielle Basis ändern, um die Welt – unsere Lebensgrundlage – zu erhalten. Wir brauchen eine Gesellschaft in der die Wechselwirkung von Mensch und Natur nicht nur verstanden, sondern auch in der Praxis berücksichtigt werden. Bereits Marx, dessen Theorien die Grundlage der kubanischen Revolution darstellen forderte ganz eindeutig: »Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie als boni patres familias (gute Familienväter) den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen.« Nur ein System das sich in den Dienst des Gemeinwohls stellt, kann Lösungen hin zu einer nachhaltig wirtschaftenden Gesellschaft führen.
Sozialismus und „Buen Vivir“ bedeutet für die Völker Lateinamerikas auch das Gehen eines eigenen Entwicklungsweges, abseits kolonialer Ausbeutung, Fremdbestimmung und Identitätsverlust, worunter sie jahrhundertelang gelitten haben. Um neue Wege in Fragen der Wirtschaft, sozialer und ökologischer Verantwortung und internationaler Solidarität zu gehen, kann das „gute Leben“ und die Erfahrungen Kubas auf jeden Fall hilfreich sein. Auch Ecuador und Bolivien befinden sich auf einem guten Weg, auch wenn sie in einem Sozialismus, in dem das Volk und nicht der Markt die Politik macht, sicherlich effizienter an der Erreichung ihrer Ziele arbeiten können. Natürlich gibt es überall Mängel und die positiven Veränderungen treten nur langsam ein, jedoch bewegen sich diese Länder mit deutlich größeren Schritten auf ein gleichzeitig fortschrittliches und nachhaltiges Wirtschaften zu, als ein Großteil des Restes der Welt.
Dieser Artikel ist von Danny. Hier geht es zu weiteren Artikeln von ihm.
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