Heute möchte ich mit dir über Vedado fliegen. Obwohl wir uns noch nicht im Gebiet des Municipios aufhalten, kann ich von hier oben doch schon die Hauptschlagader, die sogenannte Calle 23 erblicken. Die breite Straße, welche zu deinen bekanntesten gehört, wirkt von hier oben trotz der Entfernung besonders belebt. Wir treten gemeinsam in den Luftraum Vedados ein. Mir fällt auf, dass die Calle 23 neu gepflastert ist. Du erzählst mir, dass die Sanierungsarbeiten von den Produzenten des neuen Fast And The Furious Films bezahlt wurden. Die Straßenbauer haben wirklich eine klasse Arbeit geleistet. Alles funktioniert nun etwas schneller als zuvor und die Autos brauchen keine Bögen mehr um die Schlaglöcher zu fahren. Du zeigst mir das Berthold Brecht Theater. Hier war ich schon oft zu Besuch. Vor kurzem erst ist dort die deutsche Theaterwoche ausgelaufen. Unter der Woche finden hier Kulturveranstaltungen statt und am Wochenende sind lange Schlagen von Jugendlichen zu beobachten, die sich im Untergeschoss zu Technomusik bewegen. Ich werfe noch einen letzten Blick auf das Theater, wir fliegen weiter und es verschwindet hinter uns. Wir kommen an einer sehr großen Kreuzung an. Fast alle Busse, welche die Menschen durch Havanna fahren, halten hier.
Direkt hinter der Bushaltestelle des sogenannten P9 befindet sich die Coppelia. Hier wird den Kubanern ein hervorragendes Eis serviert, welches zudem für jeden erschwinglich ist. Einen kubanischen Peso kostet die Kugel Eis. Zwar gibt es keine so große Auswahl an Sorten, wie unsereins es aus Deutschland gewohnt ist, dafür bleibt jeder Besuch eine Überraschung. Gibt es heute Erdbeere, Schokolade oder Vanille? So etwas muss man gelassen nehmen auf Kuba.
Wir sind nicht mehr alleine. Viele Vögel hat es an diese Stelle Havannas verschlagen. Sie kreisen um das Habana Libre, ein Hotel welches viele Geschichten zu erzählen hat. Einst von der Hilton Familie gegründet, nach der Revolution von 1959 als Regierungssitz der „Bärtigen“ benutzt, dient es heute als Hotel für Touristen aus aller Welt. Wir steigen mit den anderen Vögeln empor, kreisen ebenfalls ein paar Runden um den immensen Komplex und lassen uns dann wieder etwas weiter hinabsinken, um das Geschehen auf den Straßen besser verfolgen zu können.
Wenn die Mitarbeiter des Hot Dog Standes gegenüber der Coppelia in guter Verfassung sind, werden die „heißen Hunde“ hier am laufenden Band verkauft. Wenn sie in noch besserer Verfassung sind, hört man aus dem Laden laute Musik und kann ihnen beim Tanzen zuschauen. Das ganze dauert an solchen Tagen halt etwas länger.
Schon seit einer ganzen Weile können wir das Meer von hier oben sehen. In unregelmäßigen Abständen brechen die Wellen an den Kaimauern des Malecóns, dem zweiten Wohnzimmer aller Habaneros. Das Leben trägt sich in Havanna auf der Straße ab und zu. Menschen allen Alters und jeglicher Herkunft kommen hier zusammen, um gemeinsam bei einem Paket Rum, dem sogenannten „Planchao“, Salsa zu tanzen, sich auszutauschen und neue Bekanntschaften zu schließen. Mir wird warm ums Herz bei all den Erinnerungen, die ich an diese Mauer habe. Nirgendwo sonst lässt sich der Kontakt zur kubanischen Bevölkerung so erfahren wie hier. Wir fliegen gemeinsam über die Calle J, welche einmal quer über die Calle 23 führt. Hier gibt es den besten Saft in ganz Havanna. Der Mann am unteren Ende der Calle J, bereitet täglich aus den frischen Früchten vom Markt direkt nebenan Säfte aus Tamarinden, Ananas, Melonen und anderen Früchten zu. Je nachdem was die Ernte auf Kuba halt gerade zu bieten hat, variiert das Angebot. Etwas weiter oben befindet sich das Café Toscana. Der Chef dieses Restaurants, welches sich auf Spaghetti spezialisiert hat, ist zu einer wahren Legende der Stadt geworden. Gerne mit ein oder zwei Schlücken Rum zu viel im Tee bereitet er zusammen mit seinen Mitarbeitern Pasta zu, welche sich vermutlich als einzige hier zurecht al dente schimpfen kann. Die Wartezeit auf das köstliche Mahl kommt ganz auf den Pegel des Besitzers an. Manchmal hat man Glück und kann schnell und zufrieden wieder gehen, manchmal maximiert sich das Glück noch und man bekommt während der gerne mal zwei Stunden langen Wartezeit die skurrilsten Gespräche aus der Küche mit. Wer hier essen gehen will sollte Zeit mitbringen. Aber was gibt es auf Kuba mehr als Zeit? Wie, du sagst wir müssen weiterfliegen? Na gut, vielleicht habe ich mich ja auch geirrt. Etwas dazulernen kann man auf Kuba schließlich immer.
An den Parque Victor Hugo angrenzend, welcher durch seine Kuppel in der Mitte auffällt und in dem sich gerade eine Gruppe Rentner in der Sonne räkelt, befindet sich das ICAP. Hier, im Institut für kubanische Völkerfreundschaft, finden quasi täglich interkulturelle Veranstaltungen statt. Wenn gerade keine mexikanische Tanzgruppe auftritt oder Solidaritätsbrigaden geladen sind, lassen sich manchmal sogar Vorträge von Fernando, einem der fünf Nationalhelden, der sogenannten Los Cinco zuhören. Er selbst ist übrigens Vizepräsident des ICAPs. Durch eine Windböe angetrieben, schweben wir gemeinsam zurück Richtung Meer, vorbei an der antiimperialistischen Tribüne, sowie dem Hotel Presidente mit seiner prachtvollen Fassade, bis wir schließlich an der Universität Havanna ankommen. Am oberen Ende der einladenden Treppe des Haupteinganges, steht ein alter Panzer, umgeben von Bäumen, Bänken und Studierenden. Wie der hierher gekommen sei, frage ich dich. Du schaust mich nur belustigt an. Kuba hat eben auch seine geheimnisvollen Seiten. Gerne möchte ich noch mehr von Vedado sehen, aber deine Flügel sind schlapp geworden und die Sonne scheint langsam unterzugehen. Ein letztes Mal fliegen wir nach ganz oben. Weit über den Dächern der Stadt hältst du inne und gibst mir einen Moment Zeit die Aussicht zu genießen. Ich ertappe mich dabei leicht sentimental zu werden. Was für eine wunderschöne Stadt, was für ein unfassbar spannendes Volk, was für ein Land! Das ganze Leid, welches die Geschichte Kubas pflastert, die ganze Ungerechtigkeit, welche der Bevölkerung widerfahren ist, das ganze Potential, welches in diesem Land steckt. All das wird mir von hier oben noch ein Mal aus einer ganz anderen Perspektive bewusst.
Wir landen vor der belebten Hot Dog Bude an der Calle 23. Etwas verdutzt schauen mich manche aus der langen Schlange, die sich vor dem Laden gebildet hat, an, als du mich sanft von deinen Flügeln heruntergleiten lässt. Wir verabschieden uns, du steigst wieder empor. Ich vernehme laute Musik aus dem Hot Dog Stand. Heute wird wohl alles etwas länger dauern.
Dem aufmerksamen Leser dieses Blogs wird sicherlich der ein oder andere Artikel eines fliegenden Vogels über Havanna unter die Augen gekommen sein. Der Autor dieser Artikelserie, welcher im übrigen ein ganz besonders verrückter Vogel ist, befindet sich seit einiger Zeit wieder in Deutschland. Fari, wir vermissen dich sehr hier und hoffen alle, dass du bald zurückkehrst und deinen Vogel wieder fliegen lässt. La Habana hat mir übrigens gerade ins Ohr geflüstert, dass deine Liebe zu ihr auf Gegenseitigkeit beruht. Beste Grüße auch von allen Habaneras und Habaneros, die dir während deiner Ausflüge begegnet sind. Dein Vogel wartet auf dich!
Dieser Artikel ist von Kjell. Hier geht es zu weiteren Artikeln von ihm.