Die moralischen Herausforderungen des kubanischen Alltags – oder wie Balletbesuche das Leben verändern können (Teil 1)

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Das Gran Teatro Alicia Alonso in Havanna (Quelle: Balletcuba)

Sonne, Rum, Zigarren, gut gelaunte Salsa tanzende Menschen, niedrige Löhne, kostengünstige Kultur, lange Schlangen, Ballett, sowie das Talent der Kubaner für jedes Problem eine (oft unkonventionelle) Lösung zu finden („resolver la cosa“) sind einige der verbreitetsten Klischees über Kuba. Doch was ist Romantik? Was Wahrheit und was ist übertrieben? Ich werde im folgenden zweiteiligen Bericht meinen selbst erlebten Versuch darstellen, Theaterkarten für das Nationalballett zu erwerben. Wobei ich nicht darum herumkomme mich mit einigen der genannten Thematiken auseinanderzusetzen.

Ballett für die Massen-theoretisch

Wir haben den 3. Januar 2016, ich schlendere mit meiner Mutter und zwei Freundinnen durch die Altstadt Havannas. Ihr Besuch neigt sich dem Ende zu, in einigen Tagen wird sie wieder in Deutschland sitzen. Wir kommen auf das Thema Ballett zu sprechen, einer kubanischen Königsdisziplin, die zum Preis von 10 Moneda Nacional (0.40 CUC) für jedermann erschwinglich ist. Wenn das Nationalballett auf Europatournee ist, fangen die Preise aber gut und gerne bei 100 Euro an. Grund genug, spontan bei dem in diesen Tagen neu eröffneten Theater der berühmten Ballerina Alicia Alonso vorbeizuschauen. Das frisch renovierte Gebäude, welches vom größten Kapitol der Welt und dem Hotel Inglaterra gesäumt wird, kann sich sehen lassen. Nicht nur wenn es über Nacht perfekt ausgeleuchtet wird, wirkt das gegenüber vom Parque Central gelegene Schmuckstück beeindruckend und verzaubernd. Der Eröffnungsvorstellung nach einigen Jahren der Restauration wohnten neben der Namensgeberin des Gran Teatro und den geladenen Gästen auch das Staatsoberhaupt Kubas, Raul Castro bei.
Kultur, für jedermann zugänglich, ist dem kubanischen Staat eine Herzensangelegenheit in die investiert wird. Den Beweis hierfür liefern das Theater und die geforderten Preise. Kubaner, sowie ausländische Studenten mit Carne (kubanischer Personalausweis) zahlen zwischen 10 und 30 Moneda nacional, abhängig von der Wahl der Loge. Touristen müssen pauschal 30 CUC aufbringen. Am Theater angekommen erfahren wir, dass die erste öffentliche Vorstellung in 30 Minuten beginnt und natürlich ausverkauft ist. Auch die teureren Touristen- Eintrittskarten scheinen vergriffen.

Strukturelle Probleme in einem unterentwickelten Land – Wiederverkäufer reiben sich die Hände

Doch wo zahlungskräftige Nachfrage herrscht gibt es auch ein Angebot, gerade in Kuba. Hier sind sogenannte Revendedores/Wiederverkäufer ein echtes Problem. Angefangen von Internetkarten die aufgekauft und mit 50% Preisaufschlag an jedem Wifi-Hotspot illegal angeboten werden, zu Kartoffeln, die pro Kilo für 50 Moneda Nacional unter der Theke verscherbelt werden. Bei einem Einkaufspreis, der bei einem 25igstel liegt. Die Problematik ergibt sich einerseits aus einer nicht ausreichenden Produktion, andererseits aus einer fehlerhaften Verteilungsstruktur, die leider oftmals auf Zwischenhändler angewiesen ist. Hinzu kommen die unzureichenden Löhne, die den Kubaner „nahezu“ da zu zwingen (halb)legale Geschäfte zu machen, um sich etwas dazu zu verdienen. Aus diesem Mix der Unzulänglichkeiten heraus hat sich ein Millieu entwickelt, in welchem viele sogar hauptberuflich tätig sind. Der kubanische Staat ficht den Kampf hiergegen täglich und entschieden. Nicht nur mit Gesetzen und unmittelbaren Aktionen auf der Strasse, zuletzt geschehen Anfang des Jahres, mit der Einführung von Preisobergrenzen für Gemüse, sowie der strengeren Verfolgung von illegalen und spekulierenden Wiederverkäufern.

Er tut dies jedoch auch an der Wurzel packend mit der momentanen Wirtschaftsaktualisierung (Link Lneamentos), die unter anderem massive Produktivitätssteigerungen und Kaufkrafterhöhungen mit sich bringen wird, den Lebensstandard hebt und weiter heben wird.

Resolver la Cosa oder Widersprüche des Lebens

Nach kurzen Gewissenskonflikten und mit einem leicht schuldigen Gefühl handele ich die schnell ausgemachte Dame mittleren Alters, welche ihre 4 Karten von „Freunden die leider verhindert sind“ zu einem „guten Preis“ natürlich einfach nur loswerden(…) möchte von 55 auf 30 CUC herunter. In einem dunklen Hauseingang zwischen dem Hotel Inglaterra und einer Bäckerei in dem sonst Kunst angeboten wird, läuft der Deal. Eine Sache von ca. 34 Sekunden, Verhandlungszeit einberechnet. Moralisch jedoch eine höchst zweifelhafte Tat.
Eine Entscheidung, die ich nicht gerne treffe und doch manchmal bei mangelnden Alternativen, in Notsituationen, oder bei dem einfachen Wunsch meiner Mutter und mir einen unvergesslichen Abend zu schenken, bzw. nach einem halben Jahr wieder einmal Kartoffeln zu essen, treffe.

So bewusst mir ist, dass ich mit diesem Verhalten nicht zur Problemlösung beitrage, ist mir jedoch auch bewusst, dass dieses Problem nicht nur durch persönlichen Verzicht auf der Straße von Menschen wie mir, die nicht darauf angewiesen sind, gelöst werden kann. Es muss gesamtgesellschaftlich gelöst werden, der kubanische Staat hat meiner Ansicht nach jedoch eine Schlüsselrolle, die er auch weitestgehend ausfüllt, wobei er jedoch immer wieder aufgrund der Unterentwicklung der kubanischen Wirtschaft auf den harten Boden der Realität knallt.

Dieser Artikel ist von Hanno. Hier geht es zu weiteren Artikeln von ihm.

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