Kuba befindet sich im Umbruch und mit dem Land auch die Wahrnehmung Kubas in der Welt. Nach der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen vor gut einem Jahr haben die Vereinigten Staaten endlich eine substantielle Lockerung des Embargos vorgenommen die über reine Symbolpolitik hinausgeht. Nun kann, zumindest theoretisch, auch an kubanische Staatsunternehmen exportiert werden. Theoretisch, denn jede Lizenz wird einzeln genehmigt und die Warenbandbreite ist noch immer begrenzt. Dennoch: Es dürfen nun auch Kredite ausgegeben werden, was das ganze für Kuba interessant macht.
Nach dem Besuch der US-Handelssekretärin Pfizer im Herbst vergangenen Jahres dürfte der Obama-Administration klar geworden sein, dass ihre bisherigen Maßnahmen in einem Land mit staatlichem Außenhandelsmonopol scheitern müssen. Handel mit dem Privatsektor, der aber nicht über staatliche Importunternehmen laufen darf – wozu das ganze? Hatten sie ernsthaft erwartet, die Kubaner würden ihr staatliches Handelssystem aufgeben, bloß damit einige Cafeterías in Havanna neue Toaster bekommen? Man könnte meinen, die USA hätten noch nie mit einem sozialistischen Staat zu tun gehabt, so unbeholfen wie sie ihre Gesetze konstruierten. Nun haben sie zwar ihre missratene Initiative korrigiert, wie fremd ihre Denkweise der kubanischen ist dürfte ihnen jedoch bis heute nicht klar sein.
„Bevor die Amis kommen“
Dass auch andere Gesellschaftsmodelle „heilige Prinzipien“ haben scheint für viele US-Politiker noch immer eine schwer verdauliche Realität zu sein. Genauso wenig wie die USA ihre Medienlandschaft verstaatlichen werden, wird Kuba unter Raúl Castro die großen Staatsunternehmen privatisieren. Manchmal gewinne ich den Eindruck, die USA schätzen Raúl als grauhaarigen Claudillo ein, dem allein am eigenen Machterhalt gelegen ist. Doch die Realität lässt sich nicht in einfache Schablonen pressen. Aus jeder Rede Raúl Castros schreit unmissverständlich eine Mission hervor: „Ich bin hier, um diesen Sozialismus ins 21. Jahrhundert zu tragen, ihn zu retten, zu verbessern – nicht um ihn abzuschaffen.“ Den Kern der Raúl’schen Reformen kann sich jeder halbwegs gebildete Analyst anhand der Beispiele in Ungarn, Jugoslawien oder dem NÖS der DDR erschließen.
Stattdessen gackern die ausländischen Medien wie Hühner um ein Ei herum, das schon lange gelegt wurde. „Schnell noch nach Kuba, bevor die Amis kommen!“, steht den deutschen Touristen auf der Stirn geschrieben. „Schnell noch nach Kuba, bevor der große Ausverkauf beginnt!“, schreiben die Wirtschaftsblätter. „Jetzt oder nie, bevor McDonald’s und Starbucks sich breitmachen!“, höre ich die Nordamerikaner rufen. Das alles liest oder hört man im Prinzip schon seit Raúls Amtsantritt im Jahr 2006. Zehn Jahre später heißt das Habana Libre noch immer nicht Hilton und gerade eben konnte man auf den Bauernmärkten den Siegeszug der staatlich regulierten Zwiebel verfolgen während sich die Medien langsam auf den 90. Geburtstag Fidel Castros einstimmen.
Der Gipfelpunkt dieser „Schnell noch nach Kuba“-Haltung äußert sich in einem paradoxen Zynismus, der sich mir schon ein paarmal offenbart hat. Wenn ich beispielsweise mit unverständlichem Kopfschütteln belegt werde, während ich mit glänzenden Augen von der Eröffnung neuer WiFi-Hotspots berichte. Oder wenn ich mich über die neuen chinesischen Busse freue, die den Transport verbessern und mit ihren roten LED-Anzeigen gefallen, während mir mein gegenüber fassungslos erwidert: „Aber dann sieht man ja bald weniger Oldtimer.“ Wenn es nach der Meinung mancher Touristen geht, hat Kuba für immer in den 1960er Jahren zu bleiben. Alles moderne wird – freilich nur im Urlaub – mit Argwohn und Verachtung bedacht, das vermeintlich „einfache Leben“ romantisiert und verklärt. Keiner dieser Menschen hat offenbar erfahren wie es ist einen halben Tag in einem Büro ohne Strom zu warten oder in den Straßen vergeblich nach roten Tomaten zu suchen.
Ein Land im 21. Jahrhundert
Wenn es nach den Plänen von Volk und Regierung gehen würde wären die Straßen hier voll mit modernen chinesischen Kleinwagen, die jungen Familien würden aus der Altstadt ausziehen und endlich neue Plattenbausiedlungen bevölkern. Auch der ärmste Kubaner würde sich mit WhatsApp auf einem Huawei-Smartphone verständigen während er sich genüsslich eine Telenovela auf dem heimischen HD-Fernseher reinzieht. Die Horrorvorstellung jedes deutschen Touristen, der auf Kuba heute noch die in der Heimat verloren gegangene Vormoderne anzutreffen glaubt. Auch mir gefallen die Chevys, Buicks und Fords, doch wer sich ernsthaft für dieses Land und seine Menschen interessiert kann den Tag nicht abwarten an dem diese fahrenden Untoten endlich ihre letzte Ruhe in einem Museum finden.
Kuba hat das Recht, sich zu entwickeln und dabei Fehler zu machen. Dass dabei Versäumnisse entstehen, das alte und das neue noch nicht recht zueinanderpassen wollen, ist unweigerliche Folge eines jeglichen Veränderungsprozesses. Worauf es ankommt, ist die eigenen Fehler zu erkennen, zu benennen und zu korrigieren.
Dieser Artikel ist von Marcel. Hier geht es zu weiteren Artikeln von ihm. Teil 1 des Artikels findet sich hier. Die vollständige Version des Artikels findet ihr hier.
Hat dies auf Netzwerk Kuba Österreich rebloggt.
…und vor allem: Kuba hat das Recht, ungehindert von imperialistischer Einmischung, am Volkseigentum von Produktionsmitteln (und damit am soztialitischen Etnwicklungsweg!) festzuhalten. Siehe auch: https://sascha313.wordpress.com/2014/12/21/die-verlogene-taktik-der-usa-gegenuber-kuba/
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