Dienstagmorgen, um 9 Uhr habe ich meinen Geschichtskurs in der Cujae. Um pünktlich zu sein, muss ich mein Haus so gegen 8 Uhr verlassen. Dafür muss ich zuerst den Bus P14 nehmen, mit dem ca. 20 Minuten fahren und dann für die letzten 4 Stationen in den P9 umsteigen (1). Je nachdem, wie die Verbindung so ist, habe ich dann noch 25 Minuten Zeit um an einem Kiosk einen Kaffee zu trinken und Zeitung zu lesen oder aber ich muss mich ganz schön beeilen, dass ich nicht all zu spät komme. Irgendwie planbar unplanbar. Warum fällt es mir hier so schwer Reisezeiten zu planen, obwohl es hier keinen Stau gibt?
Eine typische Busfahrt
Es gibt hier keine Busfahrpläne, an denen ich mich informieren kann, wann ein Bus fährt. Busse fahren, wann sie fahren. Tagsüber sind das meist 20-30min Abstände, es können aber auch mal 60min werden. Nachts fahren die Busse in einem Abstand von 60-180min. Es gibt auch keinen Übersichtsplan, wo welche Busse fahren, wo sie halten und wohin sie fahren. So sind meine Busfahrten hier auch nach 3 Monaten immer noch geprägt vom Fragen, wo denn nun genau dieser Bus, der hier gerade hält (und zudem gar keine Nummer angeschrieben hat) hin fährt und ob er mich zu meinem Ziel bringt.
Doch zurück zum Dienstagmorgen: Es ist ein typischer, cubanischer Dienstagmorgen. Die Sonne scheint, es ist angenehm warm, viele Menschen sind auf dem Weg zur Arbeit. An der Bushaltestelle tummeln sie sich und sind neugierig wie ich, wohin denn der Bus ohne Beschriftung fährt, der gerade hier anhält und ziemlich voll ist. Er fährt zum Traumziel, also alle rein damit. Wenn durch die Vordertüre keine Menschen mehr hineinpassen, dann eben durch die Türe in der Mitte des Busses oder ganz hinten. Und wenn da keine Menschen mehr hinein passen? Das habe ich bisher nie erlebt.
Bisher sind immer alle, die wollten, mit dem Bus mitgefahren und wenn die letzten eben mit offener Türe mit einem Bein in der Türe stehen und sich an ihren Mitmenschen, die im Bus stehen festhalten, damit sie nicht rausfallen. Die Sonne, die Hitze (obwohl am Morgen), die hohe Luftfeuchtigkeit und die hohe Dichte an Menschen führen dazu, dass ich öfter mal mein kleines Schweißtuch auspacke, um mir zumindest mein Gesicht zu trocknen (sofern ich in der Enge meiner Mitmenschen überhaupt zu meinem kleinen Schweißtuch greifen kann). Wenn der Bus an einer Haltestelle hält, hoffe ich einfach nur, dass er ganz schnell weiter fährt. So zirkuliert die Luft im Bus durch den Fahrtwind wenigstens ein bisschen. Personen die Glück haben, stehen so, dass der Fahrtwind durch ein Fenster genau in ihre Richtung weht und der Wind ihren Schweiß etwas trocknet.
Wenn jemensch es darauf anlegt, Personen z.B. ein Handy aus der Hosentasche zu klauen, dann ist dies der perfekte Ort für solche Taten.
Eine Station bevor ich an meinem Fahrtziel ankomme, bewege ich mich schon mal langsam mit einem netten aber bestimmten „Permiso“ (Erlauben Sie?!) Richtung Ausgang, damit ich dann an der entsprechenden Haltestelle auch wirklich aussteigen kann. Ich lerne aus meinen Fehlern. So manches Mal bin ich zu Beginn erst an der nächsten Haltestelle ausgestiegen, weil ich mich einfach nicht schnell genug durch die Menschenmassen drängen konnte, um den Ausgang des Busses zu erreichen.
Doch wie gestaltet sich die Transportsituation in Havanna allgemein, was für Möglichkeiten der Mobilität gibt es hier?
Subventionierte Stadtbusse
Die Stadtbusse von Havanna sind vom Staat subventioniert. Im Jahr 2014 transportierten sie 303,6 Mio Menschen, das sind 74,6% der Passagiere, die staatlichen Verkehrsmittel nutzten. Eine Busfahrt kostet 40 Centavos Moneda Nacional (MN) (1,6 Eurocents), für Schüler*innen (2) und Studierende 20 Centavos MN (0,8 Eurocents). Meist wird jedoch ein ganzer Peso MN gezahlt, da Centavos häufig schwierig zu erlangen sind. Diese Beträge sind sehr gering und somit wird es ermöglicht, dass alle Menschen hier auf das Transportmittel Bus zugreifen können, wenn sie möchten.
In ganz Havanna gab es 2014 insgesamt etwa 680 Stadtbusse. Die meisten dieser Busse sind von der Marke Yutong und kommen aus der Volksrepublik China, die Cuba günstige Kredite gibt, um diese Busse zu erwerben. Allerdings gibt es diese Busse erst seit 2007. Davor sah mensch auf den Straßen vor allem sogenannte „camelos“. Das sind umgebaute Eisenbahnwaggons, die von einem LKW gezogen werden.
Busse werden hier, v.a. morgens, auch als Transportmittel für Arbeitsmaterialien verwendet. Da in Cuba nur sehr wenige Menschen ein eigenes Auto haben (3), transportieren sie im Bus z.B. auch ihre Werkzeuge etc. (letztens hatte ein Mann z.B. 2 große Fässer dabei), wenn sie am Morgen zur Arbeit fahren.
Leider kommt es jedoch häufig zu oben beschriebenen Situationen, die Busse sind bis zum Bersten voll gepackt oder manchmal kommt einfach mal eine Stunde lang gar kein Bus. Dies liegt u.a. daran, dass die Anzahl der Busse für eine Stadt mit 2 Mio. Einwohnenden vergleichsweise sehr gering ist. Wenn ein Bus repariert werden muss, gibt es keinen Ersatzbus. Gäbe es mehr Busse, würde sich die Situation entspannen. Busse würden regelmäßiger fahren und die Dichte der Fahrgäste pro Bus würde sich gleichzeitig verringern…
Aber warum gibt es nicht mehr Busse???
Das fragte ich mich so oft. Die Antwort, die ich darauf bekam, ist ziemlich unspektakulär: Wie in vielen Bereichen in Cuba, mangelt es an finanziellen Ressourcen, um das Transportsystem auszubauen. Gründe hierfür sind vielzählig, u.a. spielt die US-Blockade (Link zu „Durch Hunger, Elend und Verzweiflung das Regime Castro stürzen“) eine große Rolle, aber auch die hohen Sozialausgaben in Bildung, Gesundheit und Kultur beschränken die Mittel für andere Bereiche (Siehe auch: „9 Cent fürs Kino und 15 fürs Museum“, „Bildungssysteme im Vergleich“, „Das Gesundheitssystem in Cuba ist gratis aber nicht umsonst“)
Durch die subventionierten, niedrigen Fahrpreise wird nicht genügend Geld eingenommen, um die Busse zu finanzieren. (4)
Aber mit welchen Verkehrsmitteln bewegen sich die restlichen 25,4% Havannas Bürger*innen, die staatliche Verkehrsmittel nutzen?
Weitere staatliche Transportmittel in Havanna
Neben den öffentlichen Stadtbussen gibt es noch eine Reihe weiterer staatlicher Busse. Dazu gehören Schulbusse (132 Mio. Passagiere 2014) und Busse von Unternehmen, die nur die Angestellten des jeweiligen Unternehmens transportieren (30,7 Mio. Passagiere 2014). Schließlich gibt es noch Busse für den Tourismus, die 2014 15,7 Millionen Tourist*innen transportierten.
Für Menschen, die auf die andere Seite der Bucht von Havanna müssen, gibt es als Alternative zu Bussen, die um die Bucht herum oder durch den Tunnel darunter durchfahren, auch die Möglichkeit eine Fähre zu nutzen. Fähren fahren etwa alle 30 Minuten und der Fahrpreis ist ähnlich wie der in den staatlichen Bussen.
Die Fahrt mit der Fähre ist in der Regel schneller als die Fahrt mit einem Bus um die Bucht herum, zudem gibt es auch hier mehr Fahrtwind. 2014 transportierten die Fähren 2,7 Millionen Passagiere.
In den öffentlichen Statistiken zum Personentransport in Havanna werden noch Eisenbahn und Luftverkehr angegeben, diese spielen jedoch eine sehr untergeordnete Rolle.
Transportmittel im Privatsektor
Neben subventionierten, staatlichen Bussen gibt es seit 2013 (initiiert durch die „lineamientos„) auch sogenannte Kooperativenbusse. Diese Busse zeichnen sich dadurch aus, dass sie neuer sind, mit schönen Sitzplätzen und einer funktionierenden Klimaanlage. Durch einen erhöhten Fahrpreis haben diese Busse weniger Fahrgäste und so bekommen meist alle einen Sitzplatz. Sie fahren v.a. in den Stoßzeiten und entspannen dadurch die Situation in den öffentlichen Bussen ein wenig. Der Komfort dieser Busse kostet pro Person 5 Peso MN (20 Eurocents).
Ein weiteres Transportmittel aus dem Privatsektor stellt der „camión“ dar. Das ist ein umgebauter LKW mit Sitzbänken aus Stahl auf der Ladefläche. Camiones haben ein Dach, sind aber auf den Seiten offen. Dadurch ist Fahrtwind und weniger Schweiß garantiert. Sie fahren dieselben Routen wie die öffentlichen Stadtbusse. Sie kommen sehr unregelmäßig, sind aber für einige Menschen eine gern gesehene Überraschung, wenn sie an der Bushaltestelle auf ihren Bus warten, der gerade nicht kommen will oder wenn sie es einfach eilig haben oder etwas mehr Fahrtwind wünschen. Auch die Fahrt mit dem camión kostet 5 Peso MN (20 Eurocents).
Häufig auf den Straßen zu sehen sind die „taxi routero“. Das sind lizenzierte Kollektivtaxis, die eine bestimmte Route fahren. Möchte ich mit so einer “maquina“ fahren, stehe ich am Straßenrand (dazu weiß ich natürlich, wo die Autos herkommen und hinfahren und welche davon meine Route fahren) und halte meine Hand heraus, damit eine anhält, wenn noch ein Platz frei ist. Die Fahrt mit der maquina ist meist schneller, da sie eben nicht an jeder Bushaltestelle hält. Wenn sie voll ist (zwischen 4-8 Personen) hält sie nicht mehr, es sei denn, Mitfahrende wollen aussteigen. Die Fahrt mit der maquina ist auch bequemer; ein Sitplatz ist garantiert, Fahrtwind auch. Dieses Transportmittel kostet meist 10 Pesos MN (40 Eurocents) bzw. 20 Pesos MN (80 Eurocents) bei weiten Strecken oder in der Nacht. Nachts fahren Maquinas auch, aber auch hier gibt es bestimmte Uhrzeiten, wo mensch sich auf längere Wartezeiten einstellen muss. Und natürlich ist es auch hier immer eine Glücksache, ob eine kommt oder nicht. Fahrpläne gibt es auch hier nicht, da die Arbeitszeiten jedes*r maquina-Fahrer*in nur von sich selbst und dem eigenen Geldbeutel abhängen, bzw. den Vorgaben durch die Autobesitzer*innen.
Schließlich gibt es noch private Fahrradtaxis, Cocotaxis (Mopedtaxis) und Pferdekutschen.
Die Fahrten mit nichtstaatlichen Transportmitteln sind häufig komfortabler und schneller oder einfach praktischer, dafür jedoch auch immer teurer. Einige Cubaner*innen können sich im Kampf um ihr tägliches Brot diese Transportmittel nicht leisten. Durch die staatlich subventionierten Transportmittel ist jedoch garantiert, dass alle zu ihrem Wunschort kommen können.
Was gibt’s noch?
Es gibt noch mehr Verkehrsmittel hier in Havanna. Wenige haben ein einiges Auto, das sie für ihren privaten Gebrauch verwenden (siehe Fußnote 3). Und natürlich sind auf Havannas Straßen auch einige Fahrräder zu sehen (2014 wurden in Cuba 26500 Fahrräder hergestellt). Und dann gibt es noch das Fortbewegungsmittel, das den meisten von uns durch 2 Beine angeboren ist: Laufen. Seit ich in Havanna bin, laufe ich sehr viel. Häufig beobachte ich dabei den Verkehr und erfreue mich daran, dass es hier einfach keinen Stau gibt, keine Autos auf den Fußgängerwegen parken und die Straßen nicht komplett mit Autos zugeparkt sind, wie ich es aus meinem Wohngebiet in Deutschland kenne.
Aber Havanna ist nun mal eine Großstadt mit weiten Distanzen, zudem ist Laufen bei dem tropischen Klima hier viel anstrengender, als ich es aus Deutschland gewohnt bin. Deshalb steige ich dann am Ende doch wieder in den P14, um später in den P9 umzusteigen und frage mich, während ich gerade versuche, irgendwie mein Schweißtuch zu greifen „Warum gibt es in Havanna nicht mehr Busse?“.
Literatur:
ONEI (Oficina Nacional de Estadística e Información): Anuario Estadístico de Cuba 2014. Edición 2015.
ONEI (Oficina Nacional de Estadística e Información): Anuario Estadístico 2014 La Habana. Edición 2015.
Fußnoten:
(1) Die Luftlinie der Strecke beträgt etwa 7 km.
(2) Für die geschlechtsneutrale Gestaltung des Textes habe ich mich auch hier wieder für die gleiche Schreibweise entschieden wie beim letzten Artikel. Allerdings soll erwähnt sein, dass etwa 99% der Bus- und Taxifahrer*innen äußerlich eine männliche Erscheinungsform aufweisen.
(3) Anfang 2014 gab es in Cuba etwa 650.000 Autos, wovon etwa 400.000 in Privatbesitz waren. Viele der Autobesitzer*innen bekamen dieses für ihre Arbeit, z.B. Chefs von Unternehmen, Ärzt*innen die auf Auslandsmission waren, wichtige Sportler*innen. Ein Großteil der Autos in Privatbesitz werden als Taxis genutzt, entweder fahren die Autobesitzer*innen selbst, um Geld zu verdienen oder lassen andere Personen als Taxifahrer*in für sie Geld verdienen. Grundsätzlich ist es hier schwierig, ein Auto zu besitzen, da Autos u.a. sehr teuer sind (siehe Marcels Artikel). 2014 wurden 292 Autos nach Cuba importiert.
(4) Just in den Tagen, in denen dieser Artikel zur Korrektur im Umlauf war, bin ich wiederholt bei der Busfahrt in einem staatlichen Bus in einen sehr neuen und modernen Bus eingestiegen. Auf Nachfragen habe ich erfahren, dass es seit Dezember wohl 80-90 neue Busse in Havanna gibt. Ich bin neugierig, wie sich das auf die Menschendichte und die Frequenz der Busse auswirkt.
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Mit der genannten Fähre sind wir letztes Jahr gefahren. Wir wussten, dass es sie gibt und dann haben wir sie auch gefunden. Es war schon ein wenig abenteuerlich.
Danke für den schönen bericht. (Albern finde ich aber diese seltsame Rechtschreibung: „Autobesitzer*innen“ und „Äff*innen-Liebe“. Ich habe noch nie gehört, daß Frauen sich benachteiligt gefühlt hätten, wenn es hieß: „Alle Mann von Bord!“)
Lieber Sascha,
danke für deinen Kommentar.
Ich habe bei meinem ersten Artikel in der Fußnote erklärt, warum ich mich für diese Schreibweise entschieden habe:
„Um diesen Text geschlechtsneutral zu verfassen wird das Gender-Sternchen aus der Queer-Theorie verwendet. Dabei wird nicht nur die weibliche Form als gleichwertige Alternative zur männlichen Form dargestellt, sondern durch das Sternchen wird auch Platz gelassen für all jene, die sich keiner der beiden Kategorien Mann und Frau eindeutig zuordnen können oder wollen (siehe z.B. Fischer, B., & Wolf, M. (2009). Geschlechtergerechtes Formulieren. HERRliche deutsche Sprache? http://www.uni-graz.at/uedo1www_files_geschlechtergerechtes_formulieren-4.pdf)“.
Für einen Einstieg ins Thema dient der Wikipedia-Artikel „geschlechtergerechte Sprache“ ganz gut.
Tatsächlich kenne ich Menschen, die Bezeichnungen, wie das Beispiel von dir, stört, weil sie sich auf eine Art und Weise davon diskriminiert fühlen.
Ich möchte versuchen weder durch Taten noch durch Worten Menschen zu benachteiligen oder zu diskriminieren. Deshalb versuche ich Alternativen zu verwenden in Bereichen, wo es mir bewusst und möglich ist, z.B. die geschlechtergerechte Sprache.
Grüße aus Havanna, Julie