Nachdem die ersten bürokratischen Hürden genommen sind, beginnt sich mein Studium an der Universität von Havanna langsam zu entwickeln. An dieser Stelle möchte ich die noch frischen Eindrücke nutzen, um einen ersten Vergleich zwischen einem Seminar in Kuba und in Deutschland zu geben.
Ein typischer Seminarraum
Die Kurse an kubanischen Hochschulen ähneln in vielerlei Hinsicht den Seminaren an deutschen Universitäten, wobei sich die Räumlichkeiten unterscheiden: kubanische Seminarräume glänzen durch die Abwesenheit von Overhead-Projektoren und Beamern, was durch die Persönlichkeit des Dozenten wett gemacht werden muss. Mein Geschichtskurs beispielsweise besteht aus 30 Teilnehmern. Wir verteilen uns auf 24, etwa anderthalb Meter lange Holzpulte, die für je zwei Personen ausgelegt sind. Während der Stunde ist trinken erlaubt, allerdings warnt ein Schild: »Eis essen verboten«. Mangels Klimaanlage benutzen die meisten hier Fächer, um sich kühlenden Wind zuzuführen. An der Vorderseite des Raumes ziert eine etwa vier Meter lange Tafel die Wand, welche in der Regel trocken gewischt wird. Auf einer kleinen Erhebung steht das Pult des Dozenten, der hier – wie auch viele meiner Kommilitonen – meist weiblich ist. Zu Beginn der Stunde erheben sich alle Studenten und wünschen dem Dozenten im Gleichklang einen guten Tag, was mich an meine Schulzeit erinnert. Dafür entfällt das in Deutschland übliche Tischgeklopfe zum Ende der Stunde. Die Stunden dauern genau gleich lang wie bei uns: 90 Minuten. Manchmal gibt es eine fünfminütige Pause dazwischen, die von vielen zum rauchen benutzt wird. Rauchen darf man auf dem Campus nämlich fast überall und in der Pause muss man lediglich einen Meter vor den Seminarraum setzen um sich der Nikotinsucht genüsslich hinzugeben.
Der Unterrichtsstil
Der Vortragsstil wechselt scheinbar je nach Wochentag zwischen Vorlesungs- und Seminarstil. Einmal durften wir uns einen langen Vortrag unserer Dozentin anhören (bei dem jedoch Rückfragen und kurze Diskussionen möglich waren), an einem anderen Tag hatten wir einen 46-Seitigen Text vorzubereiten der anschließend diskutiert wurde. ortbeiträge sind hier eigentlich immer möglich. Die Dozenten scheuen keine Diskussion und sind überaus engagiert und hilfsbereit. Und das nicht gegenüber den wenigen Ausländern in meinen Kursen. Beeindruckend fand ich, dass die Dozenten praktisch ohne Manuskript eine ganze Vorlesung halten können. Insbesondere meine Geschichtsdozentin scheint wirklich alles auswendig zu können. Wortmeldungen werden entweder per Handzeichen angemeldet oder einfach hereingerufen, wobei das nie sonderlich störend auf mich gewirkt hat. Sehr häufig wiederholt der Dozent etwas aus früheren Stunden bekanntes und die ganze Klasse kann scheinbar nicht anders als das nachfolgende Wort, welches von allen bereits antizipiert wurde, gemeinsam mit dem Dozenten laut vorzusprechen. Auch mit Folgefragen wie: »Sachverhalt X verhält sich so und so… ja oder nein? dann verhält sich Sachverhalt Y dann aber so und so, ja oder nein?« wird häufig ein Thema logisch deduziert. Bei Verständnisproblemen greifen die Dozenten gerne zur Kreide und pinseln lustige Skizzen an die Tafel – der Humor kommt nicht zu kurz: Meine Dozentin in Politische Ökonomie des Kapitalismus hat uns heute beispielsweise das Marx’sche Wertgesetz mit Hilfe einer Handtasche und eines Regenschirms illustriert, was für einige heitere Momente gesorgt hat. Überhaupt ist die Atmosphäre hier sehr familiär und erinnert mich an meine Zeit an der Oberstufe: Man kennt sich von Anfang an. Der Schein der Anonymität auf dem Campus trügt, jeder Einzelne ist wichtig.
USB-Sticks statt Internet
Die Seminardiskussionen laufen in Kuba anders ab als in Deutschland. Ich habe den Eindruck, dass die Studenten wesentlich überlegtere und längere Wortbeiträge beisteuern, von denen viele erst einmal unkommentiert bleiben. Insgesamt, so scheint mir, wird das Lesen das Seminartexte in Kuba deutlich ernster genommen als in Deutschland. Dabei haben die Kubaner eine sehr kreative Lösung entwickelt, mit der sich die Texte in digitaler Form auch ohne Internet verteilen lassen: Am Ende der Stunde werden USB-Sticks eingesammelt, die vom Dozenten dann mit den entsprechenden Inhalten für die nächsten Sitzungen bespielt werden. Die Texte sind allerdings keine Scans im PDF-Format wie bei uns, sondern Word-Dokumente. Mir scheint, dass irgendjemand einmal sehr viel tippen musste.
Auf inhaltlicher Ebene stehen die kubanischen Seminare in marxistischer Tradition, verstehen es jedoch, die marxistische Philosophie als etwas lebendiges und ganz und gar selbstverständliches zu vermitteln. Dabei darf auch hinterfragt und kritisch diskutiert werden. Interessant sind die zahlreichen Querverbindungen, die immer wieder zwischen dem humanistischen Denken José Martís und der marxistischen Philosophie gezogen werden. Für detailliertere Urteile zum Inhalt würde ich mich allerdings zum jetzigen Zeitpunkt zu weit aus dem Fenster lehnen.
Insgesamt wurde ich bisher von meinen hohen Erwartungen an das kubanische Bildungssystem nicht enttäuscht. Trotz der Abwesenheit von PowerPoint und Folien schaffen es die Dozenten hier allein Kraft ihrer Persönlichkeit eine angenehme und erkenntnisreiche Stunde zu bieten. Wie denn auch nicht? Schließlich gibt es die universitäre Bildung schon weitaus länger als jene technischen Mittel, die bei uns oft genug nicht sinnvoll genutzt werden; dennoch würde ein verstärkter Medieneinsatz (nicht nur) ausländischen studierenden das Leben leichter machen. Großartig finde ich den geringen Klassenteiler bei angemessener Raumgröße: Das macht Mikrofone obsolet und bietet jedem genug Raum für Nachfragen und Diskussionen. Überfüllte Hörsäle und Seminare, die aus allen Nähten platzen, musste ich hier bisher noch nicht erleben.
Dieser Artikel ist von Marcel, hier geht es zu mehr Artikeln von ihm.
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Hattest du mal Gelegenheit, eins der paquetes semanales zu sichten? Einige junge „RegierungskritikerInnen“ wollen, wie sie selbst erklärten, diesen Weg nutzen, um andere KubanerInnen über z.B. das Versagen der Behörden bei Naturkatastrophen „aufzuklären“ – dumm, dass es gar keine gibt zur Zeit, denn die jüngste Regenfront war em Ende ja keine…
Sehr schön, daß das mal zur Sprache kommt (abgesehen von solchen Wortverschwurbelungen wie „ÄffInnenliebe“) ist es doch sehr bemerkenswert, wie man mit solchen jungen „Regierungskritikern“ umgeht. Diese Kategorie von „Studenten“ haben offenbar ein weit geringeres Interesse am Aufbau des Sozialismus in Kuba, als vielmehr an der „Kritik“ angeblicher „Fehler“. Wobei sie selbst bisher wohl den geringsten Anteil daran haben, daß den betroffenen bei Naturkatastrophen auch geholfen wurde. Braucht Kuba solche Kritiker? Die gab es auch in der DDR. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
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