Über die Widersprüchlichkeiten der Rolle der Frau auf Cuba
„Rund 63% der Universitätsabsolventen hier auf Cuba sind Frauen“ erzählt Elena mit einem stolzen Lächeln und lehnt sich in ihrem Schaukelstuhl zurück. Elena ist eine ältere, sehr herzliche Frau, die ihr ganzes Leben der Revolution und somit dem Kampf für ihre Ideale und Ziele gewidmet hat. Ein Punkt, der ihr besonders am Herzen liegt, war und ist bis heute die Gleichberechtigung beider Geschlechter. Sie selbst gehörte zu jenen Frauen, die nach der Revolution die Alphabetisierungskampagne unterstützt haben, in dem sie als Lehrerinnen arbeiteten. Diese starke Frau weiß wovon sie spricht, wenn sie berichtet, dass der Machismo wesentlich zurück gegangen ist und eine Emanzipation der Frau auf ökonomischer sowie politischer Ebene stattgefunden hat. Denn sie musste noch die Verhältnisse vor der Revolution kennen lernen, in der die Frau ökonomisch diskriminiert wurde und gesellschaftlich nichts weiter, als eine hübsche Dekoration ihres Mannes darstellte, die sich um den Haushalt kümmerte.
Wie weit diese Geschichten aus einem anderen Jahrhundert von der Gegenwart entfernt sind, wird jedem klar, sobald er sich mit einer cubanischen Frau über ihre Rechte und Pflichten unterhält. Denn sie wird einem erzählen, dass die Frau auf Cuba ökonomisch unabhängig ist. Das heißt, sie erhält den gleichen Lohn wie ihre männlichen Kollegen, wird bei der Berufsvergabe nicht diskriminiert und ist somit in Führungspositionen in Firmen, der Partei und allen weiteren Ebenen genauso anzutreffen wie Männer. Auch Kinder sind kein Hindernis, um arbeiten gehen zu können. Ganz im Gegenteil, Alleinerziehende bekommen eine zusätzliche Unterstützung, jedem Kind steht ab dem ersten Lebensjahr ein kostenloser Kindergartenplatz zu, damit die Mütter nicht auf eine finanzielle Unterstützung des Mannes angewiesen sind. Die Elternzeit nach der Geburt eines Kindes liegt schon lange nicht mehr nur noch in der Hand der Frau. So sagt auch eine Vertreterin des Frauenverbandes, einer Organisation, die sich 1962 gründete und in die sich Frauen ab 14 eingliedern können, um ihre Interessen in der Gesellschaft zu vertreten: „Hier kämpfen beide Geschlechter für die vollständige Integration der Frau in die Gesellschaft.“ Dass dies nicht nur eine Phrase ist, sieht man anhand der 48,9% Frauen, die in die cubanische Nationalversammlung gewählt wurden. Mit dieser Quote lässt die Insel viele Länder hinter sich, wie z.B. auch Deutschland, wo mit einer Frauenrate von nur 36,5% noch viele Ausbaumöglichkeiten vorhanden sind. Auch Cubas Nachbarn sind weit von diesen Ergebnissen entfernt: die USA schafft es auf magere 19,3% und z.B. Haiti, der Karibikstaat, der gleich nebenan liegt, kann nur von 4,2% Frauen in Abgeordnetenpositionen sprechen.
Auch anhand unseres Unialltags an der CUJAE, der polytechnischen Universität, haben wir feststellen können, dass hinter dieser Aussage nicht nur leere Worte stehen. Besonders aufgefallen ist uns, dass im Verhältnis zu Deutschland, Frauen in den naturwissenschaftlichen Studiengängen viel mehr vertreten sind und auch die Lehrkräfte dieser Fachrichtungen oft mit weiblichen Spezialisten besetzt sind. Über 50% der professionell ausgebildeten Techniker sind Frauen und auch in einigen Bereichen der Ingenieurswissenschaften liegt die Frauenquote über der Hälfte. Jeden, den wir fragen, woran das liegt, guckt uns nur mit großen Augen an. „Warum sollten sich denn weniger Frauen als Männer für Naturwissenschaften interessieren?“ wundern sich die Cubaner und weisen auf gleiche kognitive Voraussetzungen beider Geschlechter hin. Der einzige „negative Beigeschmack“, der mit der Emanzipation einherging, ist die Überalterung der Gesellschaft, von der inzwischen auch Cuba betroffen ist. Denn da immer mehr Frauen arbeiten gehen und Karriere machen, wird der Kinderwunsch oft weiter aufgeschoben, verringert oder komplett aufgegeben. Ein drastischer Geburtenrückgang ist die Folge. Doch dies sei ein überwindbares Problem, erklärt uns die Vertreterin des Fauenverbandes.
Trotz all dieser Fakten, war ich in den ersten Wochen hier auf Cuba sehr verwirrt über den Umgang mit Frauen im öffentlichen Leben. So beobachtete und erfuhr ich am eigenen Leib einige Auffälligkeiten. Z.B. springt fast jeder Mann in den Bussen sofort auf, wenn er eine Frau sieht, die keinen Sitzplatz abbekommen hat, hilft ihr aus dem Bus oder trägt ihre schweren Taschen und alles unabhängig vom Alter. Doch für dieses Verhalten gibt es eine ganz einfache Erklärung: Respekt vor der Frau. „Frauen haben biologisch gesehen eine besondere Rolle. Sie gebären Kinder und stillen diese. Sie sind somit für das Überleben der gesamten Menschheit verantwortlich. Um ihnen dafür zu danken, müssen wir sie auf Händen tragen.“ erzählt mir ein cubanischer Freund. Dennoch erscheint es mir in einigen Situationen merkwürdig. Genauso wie die offene und eindeutige Art der Cubaner zu flirten. Verlasse ich das Haus, folgen meinen Schritten Rufe, Pfiffe und Augenpaare, was mich manchmal zur Weißglut bringen kann, da ich es oft als aufdringlich empfinde. Die cubanischen Mädchen lachen darüber und sagen mir, dass ich es als Kompliment sehen soll. Na mal gucken, ob ich mich noch daran gewöhne…
Elena, die den Fortschritt in der Geschichte zu würdigen weiß und nicht müde wird zu erwähnen, dass dies eine der vielen Errungenschaften der Revolution ist, erklärt: „Wir führen die Kampagne für eine Gleichberechtigung der Geschlechter trotzdem weiter, denn in der gesamten Welt muss die Gewalt gegen Frauen beendet werden.“ Ihre Augen, sowie ihr ganzer Körper wirken dabei so entschlossen, dass keiner im Raum in Frage stellt, dass sie nicht wieder ihr ganzes Herzblut in diese Aufgabe fließen lassen wird.
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