Ein Bericht über mein Studium auf Cuba und die Menschen, die mich gelehrt haben, die Revolution mit dem Herzen zu verteidigen
Ein Freund, der selbst ein Mal in Cuba an unserer Fakultät studiert hat, erzählte mir während den Vorbereitungen zu unserem Projekt, von seinen Erfahrungen. Er schwärmte von den Professoren der marxistischen Fakultät der größten polytechnischen Universität Cubas, der CUJAE in Havanna, und verlor sich immer wieder in spannenden Erzählungen von seiner Zeit hier. Eine Geschichte ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Einer seiner Professoren hätte bei ihrer ersten Begegnungen, statt – wie vorgesehen – marxistische Philosophie zu behandeln, lieber in seiner Hand gelesen. Wir sollten uns also schon mal darauf einstellen, dass wir dort nicht unbedingt immer nur die strikten, marxistisch-leninistischen Lehren erhalten würden, die man an einer Fakultät für Marxismus vielleicht vermuten könnte.
Ich studiere nun seit mehr als drei Monaten an der besagten Fakultät und belege Kurse wie Geschichte Cubas, Philosophie und Politische Ökonomie des Kapitalismus. Dies und ganz besonders die Professoren, haben mir die Liebe zum Studium zurückgegeben, die ich zwischenzeitlich in Deutschland verloren hatte. Ich bereite mich auf jede Stunde akribisch vor, komme stets überpünktlich in den Räumen der Fakultät an und freue mich wie in meinen ersten Jahren der Grundschulzeit darauf, meinen unbändigen Wissensdurst stillen zu können. Meine Professorin für Ökonomie ist meistens schon da und wartet mit ein paar Stückchen Kuchen oder Käse mit Guaven-Marmelade (eine cubanische Spezialität) im Klassenraum auf uns. Sie lässt uns Anfangs erst ein Mal an der Tafel zusammenfassen, was wir für diese Stunde vorbereiten sollten und bringt eine Engelsgeduld auf, wenn wir mal wieder mit irgendwelchen Vokabeln zu kämpfen haben oder sie verwirren, wenn wir eine kleine Teilaufgabe ganz genau an der Tafel rechnen wollen, weil wir davon überzeugt sind, in ihr den Ursprung einer tiefen ideologischen Debatte zu sehen. Sie zitiert mit einer Leidenschaft Marx, Engels und Lenin, hält sich aber auch mit ihrer Kritik an ihnen nicht zurück. Zur nächsten Stunde müssen wir 163 Seiten Aufsätze von lateinamerikanischen Ökonomen lesen und einen Vortrag über den Charakter von Neoliberalismus und Globalisierung halten. Das wird eine lange Nacht, denn ich weiß, dass sie mir sofort anmerken wird, wenn ich mir mein Wissen in der Hast aus anderen Quellen zusammengepflückt habe, anstatt mich an die vorgegebene Lektüre zu halten.
Katherine hingegen, die Professorin bei der ich jede Woche drei Stunden etwas über die Geschichte Cubas lerne, fordert genau das von mir. Nicht etwa, dass ich die Aufgaben hastig bearbeite, sondern dass ich mehr Quellen benutze als ich von ihr bekomme. Oft gibt sie mir nur ein paar Jahreszahlen und ein paar Fragen und ich soll mir aus Filmen, Präsentationen und Büchern die Informationen zusammensuchen. Ich musste mich erst daran gewöhnen, die Dinge nicht mal eben googeln zu können, weil das mein Internetguthaben nicht hergeben würde, das die Uni mir und allen anderen Studierenden zur Verfügung stellt. Keiner hier verlässt das Haus ohne einen USB-Stick, mit dem er sich bei jeder Gelegenheit Daten geben lassen kann. Ob das die Powerpoint-Präsentation der letzten Vorlesung, eine Kopie aller Wikipedia-Artikel Stand 2014 oder der neueste Blockbuster ist, alles wird offline von Stick zu Stick gereicht.
Katherine entschädigt den Aufwand, den ich mit meinen Hausaufgaben habe übrigens, indem sie mit uns zu jedem Themenkomplex eine Exkursion in ausgewählte Museen der Stadt macht. Bevor der Kurs begann, sind wir zusammen ins Archäologie-Museum und in die Casa Africa gegangen, um die ersten Bevölkerungsströme und die spätere Entstehung der cubanischen Kultur besser verstehen zu können.* Letzte Woche waren wir im Museum der schönen Künste, um uns anzusehen, wie sich die Entwicklung der cubanischen Kultur in der Kunst abbildet. Nach drei Stunden Führung auf Spanisch rauchte mir zwar der Kopf, aber ich hatte mir buchstäblich endlich ein Bild machen können, von der komplexen und widersprüchlichen Entwicklung dieses Landes.
Auch wenn ich bei Aníbal eigentlich die Geschichte der Philosophie durchnehmen sollte, so haben wir uns schon vor einigen Wochen von diesem Thema entfernt. Er hat sich zu seinem persönlichen Anliegen gemacht uns zu (besseren) Revolutionären auszubilden. Wir reden über große cubanische und lateinamerikanische Denker und über kleine Eigenheiten der cubanischen Kultur. Er hat mir anhand seiner Libretta, dem Heftchen in dem bei jedem Einkauf, die stark subventionierten zugeteilten Güter abgehakt werden, verständlich gemacht, wie das mit der Versorgung auf Cuba läuft und mir eine Minute später anhand von komplexen Tafelbildern erklärt, wie die Ideen von Platon, Sokrates und Aristoteles das marxistische Denken beeinflusst haben. Letzte Woche waren wir mit ihm zum Kochen verabredet und der Tag endete damit, dass wir eine halbe Flasche Rum geleert haben, während er uns die cubanische Demokratie auf ein Schmierblatt gemalt hat. Aníbal arbeitet seit 37 Jahren an der Fakultät, war auf unzähligen internationalen Missionen als Professor in Lateinamerika unterwegs und leitet die Abteilung für Philosophie. Er lebt für seinen Beruf und ist einer der aufrichtigsten Kommunisten, die ich je in meinem Leben getroffen habe. Heute hat er in meiner Hand gelesen, dass ich später mal drei Kinder haben werde. Vor meiner Zeit auf Cuba hätte ich das wahrscheinlich als Beweis dafür gesehen, dass sich jemand in der Weltanschauung vertut. Die Cubaner zeigen mir aber Tag für Tag, dass fortschrittliches Gedankengut und revolutionäres Verhalten koexistieren können, mit den verrücktesten Kulten und religiösen Praktiken. Revolutionär ist also nicht nur der, der sprichwörtlich mit der Hand auf dem Kommunistischen Manifest schwört, sein Leben für die Befreiung des Proletariats zu geben, sondern auch derjenige, der ein solidarisches Miteinander und wahre Kollektivität in den Mittelpunkt seines Lebens stellt.
Heinz Langer zitiert in seinem Buch „Mit Bedacht, aber ohne Pause“ frei aus den Reflexionen Fidels vom 3. September 2007, in denen dieser über die „Superrevolutionäre“ spricht:
„Einige sind es aufgrund fehlender Realistik und der angenehmen Träume. Andere fühlen sich als Experten und geben Ratschläge, wie man einen besseren Sozialismus errichten kann. Die Besonderheit der kubanischen Revolution, ihre Geschichte des Kampfes, die ständige Verbundenheit der Partei mit den Massen, die gesammelten Erfahrungen und das Schöpfertum der Führung, die erreichte politische und ideologische Festigkeit, die in vielen Jahren entwickelte Fähigkeit zu widerstehen und zu überleben waren unter anderem eine Garantie dafür, dass in Kuba nicht so etwas wie in den Ländern Ostereuropas geschehen konnte.“
Meine Professoren bringen mir Tag für Tag bei, auf welchen Theorien das sozialistische System aufgebaut wurde und schaffen es mir immer mehr klar zu machen, warum diese Theorien auf Cuba nicht immer angewendet werden konnten. Warum man noch so überzeugt sein kann, von der Richtigkeit einer theoretischen Analyse und diese doch nicht Wahrheit werden kann, sobald man sie mit der Realität abgleicht. Der Sozialismus lässt sich nicht entsprechend eines Entwurfs auf dem Reißbrett entwickeln, sondern nur mit den Menschen zusammen, all ihren Bedürfnissen und Wünschen. An der Fakultät für Marxismus unterrichten die unterschiedlichsten Persönlichkeiten und auch wenn sie sich alle als Kommunisten bezeichnen, hat jeder seinen ganz persönlichen Weg dieses kommunistische Bewusstsein an die Studierenden der Universität weiterzutragen. Ich habe hier nicht einen Haufen Superrevolutionäre getroffen, sondern eine Gemeinschaft von Menschen, die mit ganzem Herzen die cubanische Revolution verteidigen und dafür bin ich dankbar, denn ich habe gelernt das Gleiche zu tun.
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*Nach dieser Exkursion ist mein Artikel (LINK) über die Entwicklung der cubanischen Kultur entstanden