Cuba stellt sich dem Problem der Wohnungsnot
Viele deutsche Jugendliche ziehen nach ihrem Schulabschluss von zu Hause aus, um in einer anderen Stadt zu studieren oder eine Ausbildung zu beginnen. Meist wohnen sie dann zusammen mit Freunden oder Bekannten in Wohngemeinschaften. Jedoch betrifft dies nur einen gewissen Teil, der entweder auf staatliche Unterstützungsmaßnahmen, wie BAföG, zurückgreifen kann, oder deren Eltern genug finanzielle Mittel haben, um sie in dieser Zeit zu unterstützen. Dem Teil, der sich nicht selbst um eine Wohnung kümmern, sowie seine Miete, Strom, Essen, wie einen komplett neuen Haushalt und sein Studium finanzieren kann, bleibt das Studieren in Deutschland verwehrt. Es sei denn es gibt tatsächlich eine Uni in der eigenen Heimatstadt, die den gewünschten Studiengang anbietet und für welchen dann auch noch der eigene NC ausreichend ist. Für das Studieren umzuziehen, ist in Deutschland also fast unvermeidlich.
Das Leben der cubanischen Studenten sieht jedoch anders aus, denn hier ist das Studium weder abhängig von einer Wohnung, noch von den finanziellen Mitteln der Familie. Viele Studenten wohnen entweder bei ihren Eltern oder haben die Möglichkeit kostenlos auf dem Campus in dem Studentenwohnheim zu wohnen. Dieses Versorgunsstipendium beinhaltet sowohl kostenloses Essen, als auch ein monatliches Taschengeld, egal ob sie von Fern oder Nah kommen, wobei die Studierenden aus weit entfernten Orten natürlich bevorzugt werden. So teilen sich zwar manchmal bis zu acht Personen ein Zimmer, aber die Frage nach dem Wohnen, steht durch dieses staatliche Angebot, dem Studieren in Cuba nicht im Wege.
Wohnungssituation in Cuba
Der Wunsch nach einem Eigenheim besteht bei den meisten jungen Leuten jedoch weiterhin, nur ist er durch die in Cuba herrschende Wohnungsnot kaum erfüllbar. Camila, eine unserer cubanischen Freundinnen, wollte nach der Schule ebenfalls ausziehen, aber da freie Wohnungen auf Cuba schwer zu finden und Wohngemeinschaften unter Jugendlichen sehr unüblich sind, schrieb sie sich den Wunsch erst einmal wieder ab. Durch Glück im Unglück, erbte sie jedoch kurze Zeit später die Wohnung ihrer Großeltern, womit sie heute eine absolute Seltenheit der cubanischen Jugend darstellt. Denn kaum einer kann sich diesen Wunsch erfüllen, schon gar nicht in so einem jungen Alter. Das Wohnungsdefizit wird in ganz Cuba auf über 600.000 Einheiten geschätzt. Gründe für den Mangel an Unterkünften gibt es einige. Viele Häuser, die durch zahlreiche Wirbelstürme in den letzten Jahren zerstört wurden, konnten wegen fehlendem Baumaterial und des nötigen Geldes, bisher nicht wieder aufgebaut oder renoviert werden. 2008 wurden insgesamt 20 % des gesamten BIPs, für die Schäden dieser Naturkatastrophen, in Anspruch genommen. Die Urbanisierung ist ein weiterer Faktor, der die Wohnungsfindung erschwert, denn vor allem viele junge Leute ziehen vom Land in die Städte. Von den 11 Millionen Einwohnern Cubas gibt es heute insgesamt 8.5 Millionen Stadtbewohner, wovon allein 2.1 Millionen Menschen, in Havanna leben, was ein Fünftel der gesamten Bevölkerung ausmacht. In den ländlichen Gebieten gäbe es genug leer stehende Häuser, doch die Menschen zieht es ins Zentrum. Auch durch die Wirtschaftsblockade musste die Bevölkerung große Entbehrungen erleiden. Sehr problematisch, bezüglich des Wohnens ist, dass durch die Blockade viele Handelspartner wegbrachen, oder absurd hohe Preise verlangten und somit die Beschaffung von Rohstoffen und Baumaterial für z.B. Renovierungen von beschädigten Häusern, unglaublich schwierig und vor allem teuer wurde bzw. immer noch ist. Zum Beispiel werden Seit Ende 2009, trotz vertraglicher Abmachung zwischen dem cubanischem Unternehmen Construimport und der Firma Komatsu Brasil Int (japanischer Herkunft), über das brasilianische Unternehmen Surimpex, keine Baufahrzeuge mehr geliefert, da diese japanische Firma von einem US-amerikanischen Unternehmen aufgekauft worden ist und mit Strafen zu rechnen hat, falls sie sich der Wirtschaftsblockade widersetzen würde. Folglich musste sich Cuba nach neuen Handelspartnern umsehen, um das entstandene Defizit beheben zu können. Dieses Beispiel ist nur eines von Vielen, was die ständige Wirtschafts-, Finanz- und Handelsblockade seitens der USA betrifft, denn immer mehr Unternehmen fusionieren oder werden aufgekauft und somit unerreichbar für Cuba. (Mehr über die Wirtschaftsblockade erfahrt ihr hier)
Obdachlose im Sozialismus?
Grundsätzlich ist Wohnen in Cuba staatlich geregelt, was bedeutet, dass die Regierung dafür sorgt, dass zum einen die Fassaden und Dächer aller Häuser –auch Privathäuser- renoviert werden und zum anderen, dass kein Cubaner auf der Straße leben muss. Paragraph 9C der cubanischen Verfassung besagt, dass der Staat alles tun wird, damit es keine Familie gibt, der kein komfortabler Wohnraum zur Verfügung steht. Denn wenn ein Haus beispielsweise eingefallen oder die Familie zu groß geworden ist, versucht der Staat stets neue Alternativen zum Wohnen zu finden. Zwar sind diese nicht unbedingt im Zentrum, oder in der gleichen Region, aber es wird für jeden gesorgt und ein neuer Wohnraum gefunden.
In Deutschland liegt die Verantwortung jedoch bei den Einzelpersonen, weswegen es Menschen gibt, die tatsächlich kein zu Hause haben. Denn im Gegensatz zu Cuba sind Mieten in der Bundesrepublik, wie bereits erwähnt, teilweise ziemlich hoch und für Manche sogar unbezahlbar. So kommt es zur Gentrifizierung, was bedeutet, dass die normale Bevölkerung vermehrt in die Randbezirke gedrängt wird. Außerdem kommt es nicht gerade selten zu Zwangsräumungen, wenn Bewohner ihre Miete nicht mehr bezahlen können, oder die Häuser renoviert und später teurer vermietet werden sollen. In den Medien heißt es dann wieder, dass die radikalen Hausbesetzer – oft nichts anderes als mehrköpfige Familien oder alte Menschen, denen das Dach über dem Kopf weggenommen wird – sich unrechtmäßig der Staatsgewalt widersetzt hätten und deshalb zu Recht aus ihren Wohnungen geräumt worden wären. In Cuba kommt es gelegentlich auch zu Hausbesetzungen.
ARTE strahlte vor einiger Zeit eine Dokumentation mit dem Namen „Leben in der Ruine“ über eine Frau und ihre Familie aus, die ein einsturzgefährdetes Haus besetzt hatten, für dessen Renovierung der cubanische Staat nicht aufkommen wollte und damit die Familie in Lebensgefahr versetzt hätte. Auf das Angebot des Staates, ein intaktes Haus am Stadtrand zu beziehen, wurde nicht weiter eingegangen, stattdessen zeigte sich der Moderator, dem unkooperativen Verhalten der Frau gegenüber, sehr aufgeschlossen und betonte noch einmal die Absicht des Staates das Leben seiner Bevölkerung zu gefährden. So wird Cuba, durch das Verdrehen von Tatsachen, ein weiteres Mal in den internationalen Medien schlecht gemacht. Die Widersprüchlichkeit in diesen Beispielen ist mehr als offensichtlich, denn der Unterschied ist, dass im Gegensatz zu Deutschland, Wohnungen in Cuba nicht einfach so geräumt werden, ohne dass für die Zukunft der Familien gesorgt ist. Der Staat versucht sich nicht nur darum zu kümmern, dass jeder Cubaner ein Dach über dem Kopf hat, seine Aufgaben beinhalten ebenfalls die Verantwortung für Renovierungen oder Sanierungen aller Wohnhäuser und öffentlichen Gebäude. Vor einigen Wochen besuchten wir unsere Freundin Camila in ihrer Wohnung. Als wir ihr zu Hause betraten, entfernte sie als erstes große Planen von ihrem Sofa. Verwundert fragten wir nach dem Grund dafür. Sie erklärte, dass ihr Dach undicht sei und weil sie im obersten Stock wohne, tropfe es bei starkem Regen rein. Sie habe auch schon einen Antrag auf Renovierung bei der Stadt gestellt, woraufhin nach kurzer Zeit ein Verantwortlicher vorbei kam, um sich das Problem näher anzuschauen. Er stufte eine baldige Renovierung jedoch nicht als notwendig ein, da das Loch nicht das Schlaf-, sondern ihr Wohnzimmer betraf und somit andere Fälle Priorität hätten. Wenn in ihrer Wohnung aber z.B. alte oder kranke Personen gehaust hätten, wäre sein Urteil anders, nämlich zu ihren Gunsten ausgefallen. Denn das Wohl der Bevölkerung steht im Zentrum der staatlichen Interessen. Dieses Beispiel ist jedoch kein Einzelfall und die ausbleibende Renovierung einiger Wohnhäuser, löst bei der Bevölkerung natürlich Unzufriedenheit aus. Das große Problem dabei ist aber, dass dem Staat, wie gesagt, vor allem durch die Blockade schlicht und einfach die Möglichkeiten und Mittel fehlen, um all seine Aufgabenbereiche abzudecken.
Maßnahmen gegen die Wohnungsnot
Durch die staatliche Regelung gibt es also einige Maßnahmen, um der Wohnungsnot entgegen zu wirken. Seit unserer Ankunft im September, können selbst wir Fortschritte in dieser Richtung feststellen. Jedes Mal, wenn wir mit dem Bus von unserer Uni in die Innenstadt fuhren, beobachteten wir, wie sich eine Baustelle immer mehr zu einer richtigen Wohnsiedlung entwickelt hat. Sowohl Zeitungen, wie die „Granma“, als auch die Internetseite „Cuba Heute“, berichten von den Erfolgen bezüglich der Bekämpfung der Wohnungsnot: Die cubanische Regierung plane in den kommenden Jahren, tausende Sozialwohnungen in der Hauptstadt Havanna zu errichten, die für die über 130.000 Bewohner der sogenannten Notunterkünfte, in welchen manche sogar schon seit Jahrzehnten leben würden, Wohnraum schaffen sollten. Um nun eine gerechte Verteilung der neu geschaffenen Wohnungen gewährleisten zu können, würde ein Plan mit Gruppen verschiedener Dringlichkeit erstellt werden. Die Familien, die am längsten in diesen einfachen Plattenbauten wohnen, erhielten als erstes den neuen Wohnraum usw. Für das Problem der Notunterkünfte sei diese Herangehensweise seit der Spezialperiode ein erster Lösungsansatz. Somit sei dieses Projekt das greifbarste Versprechen Raúl Castros, niemanden durch die Wirtschaftsreformen zurück zu lassen. Die erste Siedlung werde außerdem dem sechsten Parteitag gewidmet, auf dem diese Maßnahmen beschlossen wurden, denn sie trägt den Namen „Sexto congreso del partido“ (VI. Parteitag). So lautet es in einem Artikel, der am 19 November 2014 bei „Cuba Heute“ erschien und sich mit dem Bau des neuen Wohnraums speziell in Havanna auseinandersetzt.
Ein weiterer Ansatz, um die Wohnungsnot zu verringern, ist das Leben auf dem Land attraktiver zu gestalten. Die Agrarfläche Cubas ist groß genug, um die Bevölkerung zu ernähren, sie wird nur nicht effizient genug genutzt. Um diese beiden Punkte unter einen Hut zu bringen, bereitet der Staat der cubanischen Bevölkerung also ein Angebot, welches im Rahmen der Wirtschaftsaktualisierungen festgelegt wurde: Ihnen wird eine bestimmte Menge Hektar Land kostenlos zur Verfügung gestellt, welches sie zum Wohnen und Bebauen nutzen können. Von der Ernte geben sie anschließend einen Teil an den Staat ab, wobei sie den Rest selbst verkaufen können. 175.000 CubanerInnen haben dieses Angebot bereits angenommen, was eine sehr positive Resonanz darstellt. Ebenfalls in den Wirtschaftsaktualisierungen festgehalten, ist eine Veränderung im Umgang mit Privateigentum. Früher durften CubanerInnen ihre Wohnungen weder verkaufen, noch vermieten, doch dies ist durch eine Gesetzesänderung heute möglich. Durch diese Neuerung wird die Verantwortung der Wohnraumverteilung, auf die Konkurrenz von Einzelpersonen abgewälzt, was nicht Ziel des Sozialismus ist. Trotzdem war es früher nur möglich seine Wohnungen miteinander zu tauschen, was ebenfalls sehr schwierig ist, da jeder Wohnraum unterschiedliche Werte besitzt. Desweiteren gab es zusätzlich immer wieder illegale Geschäfte innerhalb der Bevölkerung, wodurch bei dem Tausch von Wohnungen oft trotzdem Gelder flossen und sie teilweise auch gegen das Gesetz vermietet wurden. Ein Teil der Steuern, würde der Bevölkerung so zwar zu Gute kommen, jedoch gibt es heute Menschen, die ausschließlich von der Vermietung eines Wohnraums leben können. Da sie keiner weiteren Arbeit mehr nachgehen müssen, ist diese Ungleichheit jetzt schon ein Problem, welches sich verstärken könnte, sobald Einzelpersonen immer mehr Wohnungen besitzen und vermieten. Auch Camila überlegt eines ihrer Zimmer zum Beziehen zur Verfügung zu stellen, doch die hohe monatliche Gebühr der Lizenz, die man benötigt, um Wohnraum vermieten zu dürfen, hält sie bisher davon ab. Eine weitere Veränderung stellt die Aufhebung des Bauverbots dar. Heutzutage nutzen viele CubanerInnen die Möglichkeit, mit einer Genehmigung an ihren Häusern anzubauen, um den Wohnraum für die Familie zu vergrößern.
Mit Ergreifung eben erwähnter Maßnahmen, hofft der Staat innerhalb der nächsten Jahre ein Ende der Wohnungsnot herbeiführen zu können, da sie eines der größten Probleme darstellt, mit denen Cuba zu kämpfen hat. Durch die Feststellung der Dringlichkeit eine Lösung zu finden, hat Cuba seit den Wirtschaftsaktualisierungen angefangen, dieses Problem Schritt für Schritt zu beheben, in Richtung einer besseren Zukunft für die Bevölkerung. Vielleicht können die cubanischen Jugendlichen so eines Tages nach der Schule in Wohngemeinschaften leben, oder nach dem Studium ein Eigenheim beziehen und unsere Freundin bleibt kein Einzelfall in der cubanischen Bevölkerung.